Abi-ZeitungWaldorfschüler verspotten Chorweiler

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Der Kölner Stadtteil Chorweiler

Der Kölner Stadtteil Chorweiler

Chorweiler – Eine junge Schwangere mit Zigarette, Großfamilien mit „10 Kusäängs und 19 Kusinään“, gewaltbereite Jugendliche, posende Mädchen in Jogginghosen – so sehen Kölner Waldorfschüler den Stadtteil Chorweiler. „Das Viertel färbt ab“ war das Thema eines Mottotags der Abiturienten. Ihr Bild von Chorweiler ist Teil der Abi-Zeitung geworden, die unter anderem bei einem Adventsbasar verkauft wurde.

Die freie Waldorfschule befindet sich mitten im Stadtteil, über den sich die Schüler lustig machen. Seit 1997 nutzt die Schule ein neu gebautes Gebäude in Chorweiler, wo ihr kostengünstig ein Grundstück überlassen worden war. Die Bindung an den Stadtteil ist schwach. Die Schüler kommen aus der ganzen Region – nur aus Chorweiler selbst ist nach Angaben der Schule so gut wie nie jemand dabei.

„Hier werden alle nur denkbaren Vorurteile über sozial benachteiligte Jugendliche im Umfeld der Schule geschürt“, sagt Bezirksbürgermeisterin Cornelie Wittsack-Junge. „Es ist mir unverständlich, dass die beteiligten Lehrer augenscheinlich nicht im Vorfeld der Mottotage über die diskriminierenden Aspekte und das mögliche Konfliktpotenzial des Mottotags gesprochen haben.“ Ein ganzes Stadtviertel und seine Bewohner seien abgewertet worden. Jugendliche aus Chorweiler seien zum Beispiel bei der Suche nach Ausbildungsplätzen stark benachteiligt, so die Grünen-Politikerin weiter. „Da braucht man keinen weiteren Hohn und Spott durch Gleichaltrige.“ Die Abiturienten hätten ein „Unreifezeugnis“ verdient.

„Ein ganzes Viertel wird in einen Topf geworfen“, sagt auch die stellvertretende CDU-Parteichefin und Schulausschussvorsitzende Gisela Manderla. Sie finde es nicht schlimm, wenn Jugendliche auf Probleme hinweisen würden. „Schlimm ist aber, wenn man sich über andere lustig macht.“

„Kontakt ins Viertel ist mühsam“

Die Seite in der Abi-Zeitung hat mittlerweile für viel Aufregung gesorgt. Die Macherinnen mussten sich entschuldigen. An der Schule hat eine Debatte darüber begonnen, wie man neue Verbindungen in den Stadtteil schaffen kann. „Wir sind stärker gefordert, als wir das vermutet hatten“, sagt Schulleiter Markus Schulze, der den Beitrag in der Abi-Zeitung ebenfalls höchst unpassend findet. Man werde nun nach Anknüpfungspunkten für weitere gemeinsame Aktivitäten im Stadtteil suchen. „Wir sind vor 15 Jahren mit der Schule nach Chorweiler gegangen mit der festen Absicht, uns dem Viertel gegenüber zu öffnen und mit ihm zusammenzuleben.“

Der naheliegende Weg zu einem solchen Zusammenleben scheint gleichzeitig der schwerste: Würden Chorweiler Kinder auf die Waldorfschule gehen, wäre der Brückenschlag gelungen. Doch die Schwelle zur privaten Ersatzschule scheint hoch, obwohl ihr Besuch im Vergleich zu anderen Privatschulen gar nicht viel kostet. Die Schule wird zu rund 90 Prozent aus Steuermitteln finanziert, sie bekommt rund 2,6 Millionen Euro pro Jahr.

„Ich weiß nicht, warum wir nicht an die Leute rankommen“, sagt Schulleiter Schulze. Offenbar gibt es eine hohe psychologische Hemmschwelle, die etwas mit dem typischen Waldorf-Profil zu tun hat. Auch die Erwartung an die Eltern, viel in der Schule mitarbeiten zu müssen, mag viele abschrecken. Schulze: „Einen wirklichen Kontakt herzustellen, ist mühsam.“

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