Unheilbare KrankheitEine Rikscha für Frida und Mathilda

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Kathleen P. sorgt dafür, dass Frida (links) und Mathilda nicht ständig an ihre Grenzen stoßen.

Kathleen P. sorgt dafür, dass Frida (links) und Mathilda nicht ständig an ihre Grenzen stoßen.

Neuehrenfeld – Der rote Bus hält jeden Tag direkt vor dem Fenster und hupt. Dann zieht Kathleen P. schnell ihre Schuhe an und nimmt Frida in Empfang. Wenn ihre sieben Jahre alte Tochter zuhause von der Schule erzählt, hüpft sie auf und ab, in einer Tour. Als ob sie sich ständig selbst versichern müsste, dass sie es noch kann. „In meiner Klasse sind neun Jungs und drei Mädchen,“ erzählt Frida und hüpft. „Und die Paula, die ist noch langsamer als ich.“ Frida weiß, dass sie und ihre kleine Schwester Mathilda krank sind.

Niemann-Pick Typ C heißt die Krankheit, sie ist so selten und komplex, dass die Forschung noch keine wirkungsvollen Therapien entwickeln konnte. „Beide Eltern müssen das mutierte Gen haben“, erklärt Kathleen P., wie es überhaupt zum Ausbruch der Krankheit kommt. Und fügt hinzu: „Wenn es nur einer von uns gehabt hätte, wäre gar nichts passiert.“ Doch dann hat es sogar beide Töchter erwischt. Die Diagnose Niemann-Pick Typ C kennt Kathleen P. seit etwa vier Monaten. „Für Frida war es fast wie eine Erleichterung“, sagt sie „Denn sie merkte ja schon seit langem, dass ihr so vieles schwer fällt.“ Frida kann nur undeutlich und langsam sprechen, sie wird schnell müde, ist motorisch unsicher. Die vierjährige Mathilda spricht noch nicht, wenn sie auch alles versteht. Mit der Diagnose bekam die Krankheit endlich einen Namen. Manchmal singen die Kinder ihre Krankheit sogar: „Wir haben Niemann-Pick“, singt Frida. Mathilda summt dazu. Ohne Murren schlucken sie die Medikamente, die möglicherweise das Fortschreiten der Krankheit verlangsamen können. Dass sie unheilbar ist, wissen die Kinder nicht.

Häufig erkranken Kinder

Der Vater von Frida und Mathilda lebt in Frankreich. Er besucht die Töchter so oft es geht, aber faktisch ist Kathleen Alleinerziehende – wie viele Mütter. Eigentlich ist das kein Problem für die 42-Jährige, die es nach dem Abitur am Ehrenfelder Albertus-Magnus-Gymnasium nach Frankreich zog: Sie ist eine, die sich gut zu helfen weiß, die immer gut zurecht kam: „Ich habe lange Zeit als Tischlerin im Orgelbau gearbeitet – das war im französischen Jura.“

Später machte sie eine Ausbildung als Biobäuerin im Obstanbau, dort an der Ardèche lernte sie auch ihren späteren Mann kennen. In Valence, wo die kleine Familie schließlich lebte, leitete sie eine Chocolaterie. Nach Ehrenfeld ist sie zurückgekehrt, weil hier ihre Mutter lebt – und sich nun auch um die Kinder kümmern kann.

Der schwierige Weg von A nach B

Mittlerweile sei eine Fahrt mit dem sogenannten Bakfiets – ein holländisches Lastenfahrrad – zu gefährlich geworden, sagt Kathleen. „Die Kinder sind nun zu groß und zu schwer für die Kiste, und ich kann das Rad nicht mehr gut in Balance halten.“ Deshalb wünscht sie sich eine Fahrrad-Rikscha.

Die Krankheit ist bei beiden Kindern so weit fortgeschritten, dass auch Fußwege oder die Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln problematisch sind. Die Mädchen leiden unter anderem an Kataplexie, einem plötzlichen Verlust des Muskeltonus bei starken Erregungen. „Dann macht es pong und das Kind liegt auf dem Boden. Frida sitzt zum Beispiel am Tisch, erzählt etwas, lacht – und fällt mit dem Kopf ins Essen. Das ist nicht zu kontrollieren.“ Auch Mathilda fällt häufig um, wenn sie lacht – vor allem beim Laufen.

Niemann-Pick hat Ähnlichkeiten mit Alzheimer, deshalb ist die Erforschung der Krankheit auch für die Alzheimerforschung wichtig. Bei Niemann-Pick Typ C lagern sich Eiweiße ab, dadurch werden Nervenzellen lahmgelegt. Wie Alzheimerpatienten verlieren Menschen, die an Niemann-Pick leiden, nach und nach ihre körperlichen und geistigen Fähigkeiten. Ein ganz wesentlicher Unterschied: Oft sind Kinder Niemann-Pick-Patienten. „Das ist das Schlimmste“, sagt Kathleen: „dass ein Kind, das ja darauf ausgerichtet ist, alles immer besser zu können, plötzlich in allem immer schlechter wird. Das erlebt ein Mensch sonst ja erst, wenn er schon über 40 oder 50 ist.“

Viel Unterstützung

Die Mutter findet sich häufig in heftigen Phasen der Trauer und des Schmerzes wieder: „Von Dingen, die man sonst automatisch im Alltag mit seinen Kindern denkt, wie »Ach später mal«, wird man einfach abgeschnitten. Man kann sich noch nicht einmal auf die Zeit freuen, in der die Kinder selbstständig werden. Denn die wird es nie geben.“ Diese Erkenntnis trifft sie immer wieder hart. Dennoch kann Kathleen P. der Krankheit auch etwas Positives abgewinnen: „Auch wenn sich das vielleicht ganz schrecklich anhört.“ Aber sie habe gelernt, im Jetzt zu leben: „Es ist wichtig, was jetzt passiert, und nicht das, was angeblich noch kommt. Denn das kommt nicht. Es ist gut, dass die Jahre mit den Kindern nicht einfach so vorbeirauschen.“

Für ihre Kinder wünscht sie sich, „dass sie froh sind, bis zum Schluss. Das ist auch meine Aufgabe, dafür zu sorgen.“ Deshalb will sie das Umfeld der beiden so gestalten, dass sie nicht ständig an ihre Grenzen stoßen. Die Kinder sollen so lang wie möglich normal aufwachsen. In die Schule gehen, Freunde haben, auf den Spielplatz gehen, spontan ein Eis essen. Mobil bleiben, auch wenn sie nicht mehr gut laufen können. Und auch das, sagt Kathleen P., sei wunderbar: „Ich bekomme sehr viel Unterstützung, zum Beispiel die Benefiz-Aktion im Wicleff. Und das versöhnt mich trotz allem doch mit unserem Schicksal.“

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