Kronen-ApothekeEndgültiges Aus nach 140 Jahren

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Wer auf dem historischen Foto sein Großvater ist, weiß Bert Geuer leider nicht mehr.

Wer auf dem historischen Foto sein Großvater ist, weiß Bert Geuer leider nicht mehr.

Innenstadt – Bert Geuer ist anzumerken, dass er es nicht gewohnt ist, über sich selbst zu reden. Er ist ein eher wortkarger Mann. Sein ganzes Berufsleben hat der 71-jährige Apotheker vor allem damit verbracht, anderen Menschen geduldig zuzuhören. Seine Augen hinter den buschigen, weißhaarigen Brauen haben wohl viele Male einen Kunden jenseits des Verkaufstresens aufmerksam fixiert, wenn der ihm wortreich seine Wehwehchen schilderte. Und während der Kunde noch redete, ist Geuer im Geiste schon die verschiedenen Medikamente durchgegangen, die vielleicht in Frage kämen. Um sich dann zu den Ziehfächern im hinteren Teil der Apotheke zu begeben, eine Schublade aufzuziehen und eine Pillenpackung hervorzuholen. „Eigentlich haben mir die Kundengespräche immer am meisten Spaß gemacht“, sagt Geuer. „Dabei erfährt man sehr viel Privates über die Menschen, und natürlich ist klar, dass man das alles für sich behält und nicht weitererzählt.“

Unter seinem weißen Kittel trägt er ein rotweiß kariertes Hemd, farblich passend zu seinem modernen Brillengestell. Das Haar und der Schnauzbart sind genauso schlohweiß wie die Augenbrauen. Die Schränke sind aus dunklem Eichenholz. Im repräsentativen Stil der Gründerzeit sind die Vorderfronten mit Schnitzereien und Drechselarbeiten verziert. Auf den Regalböden stehen überall noch Flaschen und milchig weiße Keramikgefäße, alle mit der typischen schwarzen Schablonenschrift versehen. Es gibt auch noch zwei alte, fragile Waagen, auf den Galgen sind die jährlichen Stempel des Eichamts eingraviert. Sogar ein in Marmor eingefasstes Keramikwaschbecken ist hinter der Theke original erhalten, auch wenn es aus dem Wasserhahn nicht mehr fließt, sondern nur noch tropft. Die alte Apotheke ist jetzt endgültig museumsreif. Sie hat ihre Schuldigkeit getan. Aus und vorbei. Am Silvestertag, zur Mittagszeit, hat Bert Geuer den Schlüssel ein letztes Mal umgedreht.

Denkmalgeschütztes Prunkstück

Die Ladentür wird nie wieder für Kunden offen stehen. 42 Jahre lang führte Geuer die Kronen-Apotheke an der Severinstraße. Und auf die ist er stolz, denn sie ist ein denkmalgeschütztes Prunkstück aus dem 19. Jahrhundert. Eröffnet wurde sie 1872. Der Name der Kronen-Apotheke verrät die monarchische Gesinnung des Geschäftsgründers Staude – der Vorname ist nicht überliefert. Die goldene Krone hängt nach wie vor an der Hausfassade. Und wären da nicht der blinkende Computerbildschirm, der moderne Metallständer mit den Hustenbonbons und die Aspirinpackungen im Regal, könnte man sich ohne weiteres in die Zeit vor 140 Jahren versetzt fühlen.

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An diesem Morgen kommen sie allerdings noch zahlreich. Eine blonde Frau mittleren Alters, schwer bepackt mit Einkaufstüten, kauft Augentropfen, ein junger Mann verlangt Schmerztabletten und Beruhigungszäpfchen für ein Kleinkind. Beide ahnungslos, dass sie gerade Zeugen eines Schwanengesangs sind. Die Stammkunden wussten Bescheid – und trauerten schon vor der Schließung. Auf einer der letzten Bestellungen, die aus dem Faxgerät tuckerte, hatte der Kunde handschriftlich hinzugefügt: „Da wird man ganz wehmütig.“ Bert Geuer, dem das Haus mit dem Ladenlokal gehört, gibt sich hingegen gleichmütig. Endlich einmal mit Freunden längere Segeltouren machen und oft ins Museum gehen, das hat er sich für seinen Ruhestand vorgenommen. Dass die Apotheke schließen würde, stand schon lange fest – sie entspricht nicht mehr der geltenden Norm. Der Verkaufsraum ist zwölf Quadratmeter zu klein. Vorgeschrieben ist für Apotheken eine Mindestgröße von 110 Quadratmetern. Die Kronen-Apotheke aber hat nur 98 Quadratmeter. Eine Erweiterung ist nicht möglich. Für Geuers Apotheke galt zwar Bestandsschutz, aber die Übergabe an einen Nachfolger war nicht erlaubt. Der fehlte Bert Geuer ohnehin. Weder sein Sohn noch seine Tochter wollten in die Fußstapfen des Vaters treten. Dabei sind die Geuers eine Apothekerdynastie und in der dritten Generation an der Severinstraße ansässig. 1903 übernahm Großvater Friedrich die Kronen-Apotheke. Sein Sohn Heribert beerbte ihn. Auch für ihn sei es selbstverständlich gewesen, Pharmazie zu studieren, sagt Geuer. Seine beiden in Koblenz und Freiburg lebenden Schwestern entschieden sich ebenso für diesen Beruf, nur Bruder Fried schlug aus der Art. Er ist Rechtsanwalt.

Fast gar nichts verändert

„Zu meiner Zeit bedeutete eine Apotheke eine sichere Existenz.“ Doch heute lohne sich das Geschäft nicht mehr. Es gebe schlicht zu viele Apotheken, allein im Veedel rund um den Chlodwigplatz und die Severinstraße seien es mindestens zehn, vielleicht auch zwölf. Zudem: „Es gibt keine schönen Apotheken mehr.“

Die übliche Inneneinrichtung: stets in sterilem Weiß. Und überall nur fertig Abgepacktes. „Ich mag keine Schachteln auf Ständern, aber die Kunden erwarten das nun mal“, sagt Geuer. „Früher bekam man in der Apotheke alles lose. Heute gibt es noch nicht einmal mehr losen Kamillentee.“ Über der Schranktür mit dem großen Spiegel hängt ein Emailleschild: „Separanda“. Dahinter stehen blind gewordene, leere Flaschen, die noch die Spuren der früheren Benutzung tragen. Die Etiketten tragen Aufschriften wie „Ephedrin“, „Luminal-Natrium“ und „Kodein“. Lauter stark wirkende Substanzen, die separiert von anderen aufbewahrt werden mussten. „Früher hatten wir in den Apotheken auch öfter das Problem, dass Drogensüchtige nachts einbrachen, um an Stoff zu kommen“, erzählt Geuer. Doch seit Opiate nur noch kurzfristig bestellt und sofort an den Kunden abgegeben werden, kämen Einbruchsversuche kaum noch vor. Und was hat sich in all den Jahren sonst verändert? Fast gar nichts, meint der Apotheker. Die alte Uhr musste früher per Hand aufgezogen werden, heute geht sie automatisch.

Den Krieg leicht beschädigt überstanden

Als moderne Ziehschränke angeschafft wurden, die nur in Weiß erhältlich waren, ließ Geuer für teures Geld die Vorderfronten verkupfern, damit die farbliche Harmonie erhalten blieb. Schon in den 30er Jahren war die Theke erneuert worden. Den Zweiten Weltkrieg hatte das Haus nur leicht beschädigt überstanden. Die Bleiglasbilder im Fenster zum Hof mit den beiden Heiligen Cosmas und Damian, den Schutzpatronen der Apotheker, schuf Toni May im Jahr 1947. Der Glasmaler war 1946 aus der Gefangenschaft ins Vringsveedel zurückgekehrt und arbeitete gegen Naturalien. Die Kronen-Apotheke wirkt mit ihrem historischem Mobiliar so authentisch, dass sie auch öfter als Filmset diente. Beispielsweise wurden hier Szenen der ZDF-Krimireihe „Wilsberg“ mit Leonard Lansink gedreht.

Und was geschieht jetzt mit der Ladeneinrichtung? „Das muss ich ganz in Ruhe überlegen“, sagt Geuer. Eins steht für ihn aber schon fest: „Hier kommt kein Handyladen rein.“

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