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VeedelspaziergangBläck Fööss Erry Stoklosa zeigt uns sein Porz

Lesezeit 6 Minuten
Im Sommer sitzt er hier schon mal im Liegestuhl: Bläck-Fööss-Mitgründer Erry Stoklosa posiert am Westhovener Rheinufer.

Im Sommer sitzt er hier schon mal im Liegestuhl: Bläck-Fööss-Mitgründer Erry Stoklosa posiert am Westhovener Rheinufer.

Porz – Als junger Fetz, und ein bisschen Dialekt muss erlaubt sein an dieser Stelle, immerhin geht es in den nächsten Zeilen um eine kölsche Legende: Erry Stoklosa, den Mitgründer der Bläck Fööss. Als Erry also ne jonge Fetz wohr und ihn seine Freunde noch bei seinem bürgerlichen Namen Ernst Josef riefen, da hat er schwimmen gelernt am Westhovener Rheinufer.

„Mein Strand“, sagt er, als er an den Platz seiner Kindheit wiederkehrt. Er lässt etwas Sand durch die Finger rieseln und deutet über das Rheinufer unterhalb des sogenannten Ankerplatzes.

Ein Anker am Fuß des Pfarrer-Nikolaus-Vogt-Wegs erinnert an den einstigen Anleger der Schiffe der Köln-Düsseldorfer. „Früher haben hier Schlepper die Schiffe entlanggezogen“, erzählt Stoklosa.

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„An die haben wir uns drangehängt, haben uns bis Langel stromaufwärts ziehen lassen und sind zurückgeschwommen. Eigentlich“, weiß er, „darf man das heute keinem mehr erzählen, das ist damals schon abenteuerlich gewesen, heute wäre das lebensgefährlich. Wenn ich daran denke, wie oft diesen Sommer Rettungseinsätze gewesen sind“, er winkt ab, „hör mir auf. Schwimmen sollte hier keiner mehr, das ist mit dem starken Schiffsverkehr viel zu gefährlich.“

Er läuft ein Stück flussabwärts, dabei knirschen und knacken die Schalen der ockerfarbenen und dunkelbraunen Körbchenmuscheln unter den Sohlen seiner grauen Segler-Slipper.

In der Jugend des heute 69-Jährigen hat Corbicula fluminea hier noch nicht gelebt, Anfang der 1990er Jahre sind die Muscheln am deutschen Rheinufer aufgetaucht. Es handelt sich um Einwanderer aus Südostasien, vermutlich eingeschleppt durch Schiffe aus China und Taiwan.

In Porz-Mitte geboren

Eingewandert ist auch Stoklosas Familie: Als Aussiedler kamen sie nach Porz, der Vater stammte aus Oberschlesien, die Mutter aus dem Elsass. Auf der Couch ihrer Wohnung im zweiten Stock an der Bahnhofsstraße in Porz-Mitte ist ihr Sohn am 25. Oktober 1947 zur Welt gekommen.

Hiltraut Klein kennt er noch aus seiner Kleinkinderzeit: Die Wirtin trifft er mit deren Mann Günter in der Marktschänke, der Eckkneipe, die das Paar an der Ecke von Hoher und Gilgaustraße in Ensen betreibt.

Sie sitzen mit Stoklosa und Ingo Hasberg am ersten Tisch rechts vom Eingang. Hasberg ist der Vorsitzende des Brauchtumsvereins Wesshovver Jonge un Mädche.

Und, sind die vier nun Ensener oder Westhovener? „Ensen-Westhovener natürlich“, betont Hasberg, „wir sind ein Doppelort.“ Was offiziell so nicht stimmt, was die Lage der beiden Stadtteile aber am besten beschreibt: Durch die Bebauung nach dem Zweiten Weltkrieg sind die Veedelsgrenzen völlig verwischt. Im Grunde müsste es Ensen/Westhoven heißen, im Stil von Rath/Heumar etwa.

Erinnerungen an die Kindergartenzeit

In der Marktschänke hängt das Quartett jedenfalls Erinnerungen nach, an den Kindergarten zum Beispiel, den hat Hiltraut Klein mit Stoklosa besucht. Sie schauen sich ein Foto an vom fünften Geburtstag des Musikers, er sitzt zwischen vier Mädchen, zwei zu seiner Rechten (darunter Klein), zwei zu seiner Linken, eine Nonne beugt sich zu den Kindern hinunter.

Oder sie sprechen vom Jugendheim, das es damals noch an der Hohe Straße in Ensen gab. „Einmal die Woche hatten wir dort Gruppe“, ruft es sich Stoklosa ins Gedächtnis, „Jungschar hieß das; was für ein Name, au wei.“ Er schüttelt den Kopf.

„Und es wird noch schlimmer: Der Gruppenleiter hieß Jungscharführer. Na ja. Jedenfalls spielte der Gitarre, und weil er natürlich der Älteste und damit der Coolste war, wollten wir das auch alle lernen.“

Als Erry Stoklosa seine erste Gitarre bekam

Seine erste Gitarre bekam Stoklosa dann von seinem Opa geschenkt, bloß mochte er auf dem Instrument nicht lange die Mundorgel-Hits aus der Jugendgruppe spielen. „»Im Frühtau zu Berge« war nicht meins“, beschreibt er, „mir gefiel »Marmor, Stein und Eisen bricht« viel besser.“

Von Erlebnissen wie diesen kommen Stoklosa jede Menge in den Sinn, wenn er in den Straßen von Ensen und Westhoven unterwegs ist. Im Sommer ist er zurückgekehrt ins Veedel seiner Kindheit, elf Jahre lang hatte er in Lövenich gelebt. Jetzt erfährt er die Schäl Sick ganz neu.

Stoklosas Lieblingsplätze

Begeistert ist er zum Beispiel von der Westhovener Aue, dem etwa 0,7 Quadratkilometer großen Landschaftsschutzgebiet zwischen dem Gelände der ehemaligen belgischen Kaserne Brasseur, dem Sportplatz des SV Ensen-Westhoven, dem Rhein und der Hundefreilaufwiese. „Früher durfte ich da nie rein“, erzählt Stoklosa, „das war militärisches Sperrgebiet.“

Hasberg erklärt, warum: „Die belgischen Streitkräfte hatten da Pioniere stationiert. Die haben auf dem See in der Aue zum Beispiel geübt, wie sie Ponton-Brücken bauen.“ Der See gefällt Stoklosa so gut, dass er schon Fotos davon auf Facebook gepostet hat.

Und das Gelände soll als sogenannte Retentionsfläche erhalten bleiben, darf nicht bebaut werden, denn sobald der Kölner Rhein-Pegel bei neun Metern liegt, kann die Aue geflutet werden. Hochwasserschutz, den Stoklosa sehr begrüßt, denn er weiß genau, wie es ist, wenn das Wasser kommt.

Weihnachts-Horror 1993

1981 hatte er sich ein Haus gekauft, im sogenannten Unterdorf gleich am Rhein in Westhoven. „Dass der Keller regelmäßig volllief, daran hab ich mich schnell gewöhnt“, erzählt er, „das mit dem Auspumpen lernt man.“

Aber dann kam Weihnachten 1993. Stoklosa war im Urlaub auf der Kanaren-Insel Fuerteventura, als das Weihnachtshochwasser kam. Und er kam nicht weg von der Insel. „Ich konnte nur aus der Ferne zusehen, was passiert. Das war der Horror.“

Der sich knapp zwei Jahre später aber noch einmal steigern sollte: beim Jahrhunderthochwasser 1995. Da hatte sich Stoklosa sogar schon den Möbelwagen besorgt. Zehn Zentimeter mehr Pegelstand und sein Haus wäre abgesoffen. „Ich hatte aber Glück, den Möbelwagen hab ich doch nicht gebraucht.“

Eine Katastrophe, die er, ganz Profi, in Musik umgewandelt hat. „Ich weiß noch genau“, weiß er noch genau, „in der Nacht vom 31. Januar 1995 hat die ganze Nachbarschaft bei mir im Wohnzimmer gesessen. Gemeinsam haben wir im WDR die Pegelstände verfolgt.“

Bis nachts um halb zwei, da verkündeten die Meteorologen den Scheitel des Hochwassers bei einem Pegel von 10,69 Metern. Die Anspannung der Katastrophe, seine Angst hat Stoklosa verarbeitet in „Am Rhing ze wonne“. Darin heißt es: „Am Rhing ze wonne, am Rhing ze wonne, war all die Johre su schön, denn he, do sin m’r doheim. Am Rhing ze wonne, am Rhing ze wonne heiß, dat m’r ziddere muss, su es et Lääve am Fluss.“

Die Pegel-Plaketten am Ankerplatz am Fuße des Pfarrer-Nikolaus-Vogt-Wegs erinnern den Musiker ans Hochwasser. Er hält einen Moment inne, dann wendet sich Stoklosa abrupt ab und läuft die Treppe hinauf, er biegt ein in das Sträßchen, das benannt ist nach Nikolaus Vogt, dem früheren Pfarrer der Sankt-Laurentius-Kirche in Ensen.

Stoklosa will zur Nikolaus-Kapelle, dem spätromanischen Saalbau, der um 1100 entstanden ist. „Hier“, deutet er auf das weiß getünchte Gotteshaus, „hier hab’ ich vor 31 Jahren unsere Tochter Katrin taufen lassen.“ Als sie ne janz kleine Fetz wohr.

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