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Serdar Somuncu„Köln ist eine der verlogensten Städte, die ich kenne“

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Serdar Somuncu

Serdar Somuncu

Herr Somuncu, 2009 gingen Sie erstmals mit ihrem Programm „Der Hassprediger“ auf Tournee, nun ist Schluss. Warum diese Rolle?

Ich habe das angefangen als Persiflage auf den Begriff Hassprediger. Konservative Politiker haben dieses Wort erfunden, um eine Gruppe von Leuten zu brandmarken. Es war nie klar, was genau Hassprediger sind. Später gab es wirkliche Hassprediger aus der Salafisten-Szene wie Pierre Vogel und Sven Lau. Meine Idee war, das zu persiflieren und aus dieser fast irrealen Skizze, die existierte, etwas Reales zu machen, das noch viel schlimmer ist, als das, was man sich vorstellt. Jemanden, der wirklich hasst und zwar ohne Grenzen, ohne Hemmungen und ohne Bindung an Political Correctness.

Zur Person

Serdar Somuncu (48) ist Kabarettist, Schauspieler und Autor. Zurzeit ist er auf Abschiedstournee mit seinem Bühnenprogramm „H2 Universe – Die Machtergreifung“. Gerade ist die gleichnamige DVD mit der Aufzeichnung des Live-Programms erschienen, die er diesen Montag im Cinenova vorstellt. Dort wird er auch seine Kanzlerkandidatur für ,,Die Partei“ öffentlich erklären. (amb)

Sie sagen, jede Minderheit habe ein Recht auf Diskriminierung. Warum?

Ich mache das nicht, um Leute zu beleidigen und zu verletzen. Es war wichtig, dass es sich nicht auf nur eine Gruppierung bezog, sondern flächendeckend war, damit dem Zuschauer klar wurde, dass ich das nicht ernst meinen kann. Ich benutze es als Stilmittel, um meine eigenen Verletzungen aufzuzeigen. Da ist es legitim, in diese extreme Form zu gehen. Ich drehe den Spieß um und sage, ich bin nicht mehr das Opfer, ich bin der Täter. Aber nur solange, wie immer erkennbar bleibt, was ich wirklich will.

Wäre das anders, würde ich mich um des Erfolgs dieser oberflächlichen Figur willen verraten. Das ist mir zu billig. Mein Anspruch war, ein besserer Nazi zu sein als der Nazi selbst, um ihm damit den Spaß zu zerstören, extrem zu sein.

Sie wollen durch Überspitzung die vorführen, die hassen, aber schaut man in die Welt, ist offensichtlich, dass es erfolgreich macht, Hass zu predigen. Wie gehen Sie damit um?

Stimmt. Andere nehmen mir die Arbeit weg. Donald Trump, Frauke Petry, Recep Erdogan. Das erfordert von mir eine neue Positionierung. Ich bin überrascht, dass Politiker wie Trump oder Seehofer ganz bewusst an die Grenzen der Political Correctness gehen, um damit Stimmung zu machen. Sie spüren, je drastischer sie sind, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sie wahrnimmt. Das ist erschreckend, weil wir damit den fairen politischen Diskurs verlassen, weil damit Minderheiten zu Zielscheiben werden, die sich nicht wehren können. Populisten machen Stimmung mit Themen, von denen sie wissen, dass sie auf emotionale Unfertigkeit treffen. Die Angst vor Flüchtlingen etwa ist eine sehr unkonkrete Angst. Da ist die Verantwortung der Politiker unermesslich groß, und es ist sträflich, mit dieser Verantwortung so unbedacht umzugehen.

Warum haben es moderne Hassprediger bei vielen Menschen so leicht?

Wir bilden unser Urteil nicht mehr, weil wir ein fundiertes Wissen haben, sondern weil wir alles glauben, was uns gesagt wird. Obwohl wir die technischen Möglichkeiten hätten, uns zu bilden, leiden wir immer mehr unter einem Kurzzeitgedächtnis. Wir erinnern uns, wenn überhaupt, an das, was letzte Woche war. Wir lassen uns in den Strudel des Informationszwangs hineinziehen. Das bewirkt, dass wir unmittelbarer reagieren und schneller vergessen. Wir sind eine Affektgesellschaft. Der kann man nur entgegensetzen, dass man differenziert, informiert und sich mit Tatsachen auseinandersetzt.

Sie werden im Internet auch sehr angefeindet. Wie gehen Sie damit um?

Ich habe schon Morddrohungen von Veganern erhalten. Ich weiß nicht, wie die das rechtfertigen. Wahrscheinlich denken sie, so lange wir ihn nicht essen, ist es ok. Ich gehe damit diktatorisch um. Auf meiner Seite, die mein Zuhause ist und wo meine Regeln gelten, sage ich: entweder ihr haltet euch dran oder ihr verschwindet. Ich dulde nicht, dass auf meiner Facebook-Seite Hass verbreitet wird. Das wird sofort gelöscht, die Leute werden gesperrt.

Wie muss man als Künstler diesen Entwicklungen begegnen?

Für uns als Künstler ist jetzt die Zeit, eine Systemwende einzuleiten, auch in unserem Denken. Wir können nicht mehr auf der Bühne stehen, ohne klarzumachen, welchen Anteil wir an diesen gesellschaftlichen Prozessen haben wollen. Wir können nicht mehr nur als Beobachter schildern, was wir nicht gut finden. Wir müssen aktiv dazu beitragen, dass es besser wird. Deshalb ist der nächste Schritt, den ich nach diesem Programm gehen werde, ein ganz anderer. Ich kann nicht mehr nur aus der Ironie heraus agieren und sagen, ich zeig euch mal, wie es noch schlimmer wäre. Es gehört eine gewisse Form von Ernsthaftigkeit dazu, um sich diesen Problemen zu stellen.

Bei aller Ironie meinen Sie einen Hass aber anscheinend sehr ernst – den auf Köln. Warum?

Köln ist eine der verlogensten Städte, die ich kenne, weil sie sich damit schmückt, tolerant zu sein, es aber nicht ist. Wenn man sieht, wie die vermeintlich Toleranten auf die Übergriffe an Silvester reagiert haben, merkt man, dass da eine Auseinandersetzung fehlt. Zwischen dem Image, das die Kölner von sich haben, und der Lebensrealität klaffen Lücken. Für jemanden, der nicht aus Köln kommt, ist das schwer auszuhalten, weil Köln eine übergriffige Stadt ist, die einen nicht in Ruhe lässt.

Wie erklären Sie sich das?

Köln ist sehr alt, immer schon sehr eng gewesen, durch die Ringe umzingelt. Und so ist auch die Weltsicht des Kölners. Er ist in sich eingeschlossen und gefangen und denkt, dass außerhalb der Stadtgrenze nichts anderes existieren darf. Das ist mir zu anstrengend. Ich brauche Weitläufigkeit und will auch mal nach Düsseldorf fahren können, ohne beschimpft zu werden. Und Köln hat etwas sehr Verfilztes. Kölner singen immer nur Lieder über sich selbst. Es ist aber nicht die schönste Stadt der Welt. Entweder man liebt das, hält es aus, oder hasst es. Ich bin mittlerweile ganz weit beim Hass angekommen, weil ich mir das nicht bieten lassen will. Eine Stadt gehört nicht der Bevölkerung, sie ist Architektur in einer bestimmten Landschaft. Da hat jeder das Recht, sich zu entfalten.

Aber Sie halten es ja immer noch hier aus.

Nicht mehr lange. Ich bin auf dem Sprung und werde wahrscheinlich wegziehen. Ich habe nie ganz in Köln gewohnt, Köln war der Lebensmittelpunkt, aber den werde ich jetzt nach Berlin verlagern. Dort ist es zwar auch anstrengend, aber nicht so übergriffig.

Das Gespräch führte Anne Burgmer

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