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NetzkriminalitätWas ist Cybergrooming und wie gefährdet es unsere Kinder?

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Das Netz macht es möglich, heißt es so schön. Doch leider macht das Netz nicht nur Positives möglich, sondern auch Kriminelles. An ihrem heutigen Themenabend widmet sich die ARD dem Thema Cybergrooming.

Was tun, wenn also aus vermeintlich harmlosen Chats im Netz eine sexuelle Anmache wird, weil sich dahinter nicht – wie angegeben –  ein 17-jähriger befindet, sondern ein über 40-jähriger, der sich eine falsche Identität verschafft hat? Der plötzlich Nacktfotos verlangt, nachdem er sich das Vertrauen des Kindes erschlichen hat?

Wie können wir unsere Kinder davor schützen? Wir haben mit Kristin Langer von der Initiative SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht darüber gesprochen.

Frau Langer, Cybergrooming, was beschreibt das genau?

Kristin Langer: Cybergrooming – englisch für anbahnen oder vorbereiten – meint das gezielte Ansprechen Minderjähriger über das Internet mit dem Ziel, sexuelle Kontakte anzubahnen. Dabei werden Kinder oft anonym belästigt und zu Nacktaufnahmen oder Treffen aufgefordert.

Sexuelle Belästigungen umfassen indiskrete Anfragen an Kinder und Jugendliche nach bisherigen sexuellen Erfahrungen, die Konfrontation mit Beschreibungen sexueller Vorlieben oder Fantasien, die Bitte um Zusendung von (Nackt-)Bildern sowie Aufforderungen zu sexuellen Handlungen.

In öffentlichen Chaträumen oder auf Chat-Portalen werden Kinder und Jugendliche häufig gefragt, ob sie einen der gängigen Instant-Messenger auf ihrem Computer installiert haben, in private Chats wechseln oder zu Webcam-Chats sowie zu persönlichen Treffen bereit wären.

„SCHAU HIN!“

"SCHAU HIN! Was Dein Kind mit Medien macht" ist eine gemeinsame Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, der beiden öffentlich-rechtlichen Sender Das Erste und ZDF sowie der Programmzeitschrift TV SPIELFILM. Der Medienratgeber für Familien unterstützt seit 2003 Eltern und Erziehende dabei, ihre Kinder im Umgang mit Medien zu stärken.

Was weiß mein Kind – oder was kann es wissen – über die Menschen, mit denen es im Netz chattet?

Man kann nie wissen, wer sich auch hinter harmlos klingenden Benutzernamen verbirgt. Auch bei scheinbar bekannten Chatpartnern weiß man nie, ob es sich um diese Person handelt oder ob noch jemand mitliest und Informationen weitergibt.

Täter nutzen oft ein Fake-Profil und geben sich dabei als etwa gleichaltrigen Nutzer aus. In einigen Fällen täuschen sie Kindern auch vor, zum Beispiel bei einer Modelagentur oder einer Zeitschrift zu arbeiten, die junge Talente castet. Die Täter gehen meist strategisch vor, suchen gezielt Kontakt, versuchen Vertrauen aufzubauen und das Kind in Abhängigkeiten zu verstricken.

Wie wahrscheinlich ist es in der Realität, das meinem Kind so etwas passiert?

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Wie wahrscheinlich es ist, dass mein Kind Opfer wird.

Im Film „Das weiße Kaninchen“ freundet sich die 13-jährige Sara in einem Online-Quiz mit Benny an, der sich als 17-jähriger ausgibt. Eigentlich ist es ein über 40-jähriger Familienvater und Lehrer. Wie wahrscheinlich ist es in der Realität, das meinem Kind so etwas passiert?

Laut KIM-Studie 2014 erlebten sieben Prozent der Kinder zwischen sechs und 13 Jahren problematische Kontaktversuche von Fremden, wobei Mädchen (10 Prozent) doppelt so häufig wie Jungen im Internet auf unangenehme Leute gestoßen sind. Laut der MiKADO-Studie zum Missbrauch von Kindern und Jugendlichen auf Basis anonymer Internet-Interviews mit 28.000 Erwachsenen und mehr als 2000 Kindern und Jugendlichen hatten von mehr als 2200 hierzu befragten erwachsenen Internetnutzern 5,3 Prozent im Internet Kontakt zu Minderjährigen mit sexuellem Inhalt. Dabei gaben viele Erwachsene ein falsches Alter an; jünger als 18 Jahre machten sie sich aber nicht.

Bestimmte digitale Trends begünstigen solche Kontaktrisiken: Die Bereitschaft bei Kindern und Jugendlichen zu Treffen mit Internet-Bekanntschaften zu gehen, ist groß, Eltern werden dabei selten ins Vertrauen gezogen.

Der  Schutz durch Anonymität schwindet mit der Nutzung von Webchats und Lifestreaming, Kinder und Jugendliche machen sich durch veröffentlichte Angaben und Fotos in sozialen Netzwerken leichter identifizierbar. Problematisch sind deshalb grundsätzlich Chat-Angebote, die keine altersgetrennten Bereich oder besondere Schutzfunktionen für Minderjährige anbieten.

Standortbezogene Dienste wie Dating-Apps, die alle User im Umkreis anzeigen, oder soziale Netzwerke, bei denen man Standortdaten mitschicken kann sind ebenfalls problematisch.

Wie viele Fälle von Cybergrooming werden pro Jahr bekannt?

Experten sagen, dass in den letzten Jahren die Anzeigenzahlen kontinuierlich gestiegen sind und diese mittlerweile bei ca. 2000 Anzeigen pro Jahr liegen. Dunkelfeld-Studien zu Cybergrooming weisen eine teilweise massive Schwankung in den Ergebnissen auf, weil der Tatbestand oft nicht klar definiert ist. Die ARD hat dazu den Kriminologen Thomas-Gabriel Rüdiger interviewt.

Ist das Verschicken von Nacktfotos auch kein Randphänomen mehr?

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Was es mit „Sexting“ auf sich hat und wir oft das vorkommt.

Sara wird auch noch von einem weiteren „Online-Freund“ unter Druck gesetzt, Kevin. Sie hatte sich in ihn verliebt und ihm – im Vertrauen – Nacktfotos geschickt („Sexting“), nun versucht er, sie damit zu erpressen. Ist auch das kein Randphänomen mehr?

Das Versenden von Fotos gehört für Kinder und Jugendliche – aber auch für Erwachsene – längst zum digitalen Alltag. Gerade Kinder und Jugendliche experimentieren gerne mit ihrer Selbstdarstellung.

Laut JIM-Studie 2015 haben 26 Prozent der befragten Jugendlichen zwischen zwölf und 19 Jahren mitbekommen, jemand im Bekanntenkreis schon einmal erotische Fotos/Filme per Handy oder Internet verschickt hat, zehn Prozent der 12- und 13-Jährigen, 23 Prozent der 14- und 15-Jährigen, 32 Prozent der 16- und 17-Jährigen, 36 Prozent der 18- und 19-Jährigen. Laut der Studie EU Kids Online haben 15 Prozent der 11-16-Jährigen in den untersuchten europäischen Ländern von Gleichaltrigen Nachrichten oder Bilder mit sexuellem Inhalt erhalten; ein Viertel derer war davon beunruhigt. Drei Prozent haben solche Fotos oder Nachrichten in den letzten zwölf Monaten selbst verschickt.

Und in Deutschland?

In Deutschland haben 16 Prozent solche Inhalte erhalten und zwei Prozent versendet. Wichtig zu wissen: Heranwachsende versenden Nachrichten mit erotischem Inhalt, weil sie sich erproben wollen, zum Flirt und gehen davon aus, dass sie ihre Nachricht an jemanden richten, dem sie vertrauen. Problematisch ist die Situation, wenn das Vertrauen missbraucht wird, Fotos oder Videos verbreitet werden oder sich die als netter Austausch gemeinte Nachricht gegen den Absender verwendet wird.

Inwiefern?

Täter nutzen dies für ihre Zwecke. Sobald das erste sexualisierte Foto verschickt ist, haben die Täter ein perfektes Druckmittel in der Hand. Aus einem zunächst unbedarft beginnenden Austausch mit Nervenkitzel wird eine Erpressersituation, in diesen Fällen spricht man von Sextortion.

Täter drohen dem Mädchen oder Jungen, das Bild in seinem Bekanntenkreis zu verbreiten, wenn das Kind nicht tut, was der Täter verlangt. In aller Regel verlangen sie weitere Bilder, Nacktaufnahmen oder gar Masturbationsfilme.

Manche Täter wiederum nutzen die Materialien, um das Kind oder den Jugendlichen zu einem persönlichen Treffen zu zwingen, bei dem sie das Kind sexuell missbrauchen. Da die Opfer selbst spüren, dass sie einen Fehler gemacht haben, fühlen sie sich schuldig und werden immer weiter in den Sog der Erpressung hineingezogen – es wird zunehmend schwieriger, sich jemandem anzuvertrauen.

Was bringt Kinder dazu, mit Fremden zu chatten?

Zunächst reine Neugier am Leben anderer und das Interesse daran, herauszufinden, wie man auf andere wirkt. Heranwachsende suchen nach Bestätigung, Zuwendung und Anerkennung, die sie im direkten Umfeld häufig vermissen. Meist schmeicheln die Täter dem Kind, indem sie sich etwa als Modelagent ausgeben und in Aussicht stellen, das Kind berühmt zu machen, oder täuschen starkes Interesse sowie Verständnis für sein Leben und seine Probleme vor, das ihm vielleicht sonst im persönlichen Umfeld fehlt.

Dadurch versuchen die Täter das Vertrauen des Kindes zu gewinnen, seine Wahrnehmung zu manipulieren und es in Abhängigkeit zu verstricken. Die Freundschaft wird intensiv gepflegt, das Mädchen oder der Junge erlebt ein großes Interesse an seiner Person, das ihr oder ihm vielleicht in der Klasse oder der Familie fehlt. Die Täter sprechen oft (häufig schon nach den ersten Minuten) über Liebe und Sex.

Sie fragen nach Aussehen, sexuellen Erfahrungen und Fantasien der Mädchen und Jungen. Diese steigen zunächst oft mit romantischen und naiven Vorstellungen in diese sexuell anzüglichen Dialoge ein. Je intensiver der Dialog mit der Person wird, die man online kennengelernt hat, desto mehr wird ursprünglich vorhandenes Misstrauen ausgeblendet.

Was Eltern tun können, um ihre Kinder zu schützen.

Wie können Eltern ihre Kinder schützen?

Begleiten Eltern das Onlineverhalten ihres Kindes von Anfang an aufmerksam, ist das eine gute Basis für gegenseitiges Verständnis und Vertrauen. Denn so, wie sie in der realen Welt die Interessen, Erlebnisse, Freunde und Treffpunkte ihres Kindes kennen, sollte das auch für jene im Netz gelten. Denn Filter und Verbote allein können kein Kind schützen, sie steigern im Gegenteil oft den Reiz.

Sicherheitsregeln vereinbaren: Wichtig ist, dass Eltern Geräte sicher einrichten, auf altersgerechte Angebote achten und mit ihrem Kind Chatregeln festlegen.

Misstrauisch sein: Eltern ihrem Kind raten, misstrauisch zu sein, wenn die Online-Bekanntschaft sehr viele Komplimente und anzügliche Kommentare macht, Verständnis für „alles“ hat und eine bemüht jugendliche Sprache nutzt. Erklärt, dass sie Modelagent ist und es berühmt machen kann. Fragt, wo sein Computer steht und ob es alleine davor sitzt, persönliche Daten, aber auch Bilder oder gar Nacktfotos verlangt, ein unglaubwürdiges Profil etwa mit Bildern bekannt aussehender Personen hat. Möchte, dass es seine Webcam einschaltet, und erklärt, dass seine eigene kaputt ist. Rät, niemandem von der Freundschaft zu erzählen, von einer Plattform zu einem Messenger wechseln oder sich heimlich bei ihr zu Hause oder einem privaten Ort treffen will (Quelle: Präsentation Fachtag "Sexuelle Bildung in Bewegung" pro familia Berlin 2014).

  • Unangenehme Dialoge sofort beenden. Den Chat verlassen sowie keinesfalls den Chat in privaten Räumen oder über andere Anbieter fortzusetzen oder „reale“ Treffen vereinbaren.
  • Vereinbaren, dass sich Kinder bei Problemen an die Eltern wenden, ohne Verurteilungen oder Verbote fürchten zu müssen.
  • Störer blockieren und melden. Viele Dienste bieten die Möglichkeit dazu, damit Nachrichten von bestimmten Nutzern automatisch blockiert werden. In schweren Fällen kann man diese auch dem Betreiber melden, damit sie gesperrt werden.
  • Beweise sichern. Belästigungen sollte man umgehend per Screenshot sichern und dem Betreiber, Beschwerde­stellen wie jugendschutz.net, internet-beschwerdestelle.de, dem

Entschlossen handeln: Erfahren Eltern von Belästigungen sollten sie mit ihrem Kind behutsam über den Hergang und die nächsten Schritte sprechen, Beweise sichern und Verstöße dem Betreiber melden sowie sich in schweren Fällen an Beratungsstellen wenden und die Polizei kontaktieren, um Anzeige zu erstatten.

Kindern Möglichkeiten aufzeigen: Mögen Kinder sich ihren Eltern oder anderen Erwachsenen anvertrauen, so finden Sie Hilfe bei der Nummer gegen Kummer. Junge Menschen finden am Kinder- und Jugendtelefon 0800- 116 111 und bei der E-Mail-Beratung Rat, Hilfe, Trost und Unterstützung.

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