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Boreout-SyndromWenn Unterforderung im Job krank macht

Lesezeit 3 Minuten
Gegen Boreout hilft ein anspruchsvolles Freizeitprogramm.

Gegen Boreout hilft ein anspruchsvolles Freizeitprogramm.

E-Mails sortieren, Aktenstapel von rechts nach links räumen, wahllos in Dokumenten herumtippen – Geschäftigkeit vorzutäuschen, ist harte Arbeit. So hart, dass sie auslaugen kann. Im schlimmsten Fall bis zum Boreout, dem Syndrom der Unterforderten (engl.: boredom, deutsch: Langeweile). „Unsere Gesellschaft ist gewissermaßen geteilt: Burnout haben die Erfolgreichen. Die bekommen das ganze Interesse“, sagt der Psychotherapeut Wolfgang Merkle aus Frankfurt. „Menschen mit Boreout werden weniger beachtet, obwohl sie fast die gleichen Symptome haben.“ Dazu gehören etwa Antriebslosigkeit und Schlafstörungen, aber auch körperliche Beschwerden wie Schwindel oder Tinnitus.

Unterstress durch wenige und falsche Aufgaben

Der Unterschied zum Burnout sei, dass die Erschöpfung durch den Stress der Unterforderung, nicht der Überforderung verursacht wird. Unterstress entstehe durch zu wenige und falsche Aufgaben. Diese Fehlbelastung veranschaulicht Merkle so: „Das ist, als müsste ein sehr guter Schachspieler immer nur Mühle und Dame spielen.“ Die Diskrepanz zwischen dem, was man kann, und dem, was abgefragt wird, ergibt in Kombination mit fehlender Anerkennung puren Stress.

Viel freie Zeit, aber dabei unterfordert

Als Beispiel für einen Boreout-Fall schildert der Unternehmensberater Peter Werder eine typische Erlebniskette: Ein Bewerber erwartet von seinem neuen Job aufgrund der Ausschreibung und des Bewerbungsgesprächs eine Position als Projektleiter mit internationaler Erfahrung. „Am Schreibtisch stellt sich aber heraus, dass Sie nicht die Projektleitung haben, sondern nur eine Unterabteilung leiten, und dass Sie auch nur manchmal ein bisschen Englisch sprechen müssen.“ Er ist quantitativ und qualitativ unterfordert. Am Anfang ist das nicht schlecht, die freie Zeit bei der Arbeit genießt er sogar und gewöhnt sich daran. „Aber man ist eben unterfordert. Und die eigentliche Schwierigkeit ist, zu realisieren, dass das der Grund ist, warum man am Abend müde ist.“

Auch ein Arbeitnehmer, der immer nur Teilaufgaben erledigen muss, könne an Boreout erkranken, ergänzt Jörg Feldmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. Denn aus psychologischer Sicht sei es langfristig wichtig, auch mal Erfolgserlebnisse zu haben und Dinge abzuschließen.

Arbeiten wollen, aber nicht können

Boreout-Betroffene entwickeln häufig spezielle Verhaltensstrategien, einen Aktionismus, der das Nichtstun kaschieren soll. Eine davon sei paradoxerweise die Burnout-Strategie, bei der Boreout-Geplagte ihr Problem gewissermaßen ins Gegenteil umkehren und von früh bis spät im Büro sind, um Überlastung zu simulieren. Es stimmt daher nicht, dass Betroffene einfach nur faul sind. Boreout-Betroffene wollen ja arbeiten und leiden darunter, dass sie es nicht können. Laut Merkle trifft es daher in der Regel sogar eher die Leistungsbereiten.

Literatur-Tipps zum Thema Boreout-Syndrom:

Rothlin, Philippe/Werder, Peter: Diagnose Boreout. Warum Unterforderung im Job krank macht, Redline Wirtschaftsverlag, 2007, 17,90 Euro, ISBN-13: 978-3636014627

Brinkmann, Ralf/Stapf, Kurt: Innere Kündigung: Wenn der Job zur Fassade wird, Beck, 2005, 6,95 Euro, ISBN-13: 978-3406528156

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