Campus for FinanceHochfinanz im Heilbad

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Student Lucas Kollmann (19) in Vallendar

Student Lucas Kollmann (19) in Vallendar

Vallendar – Lucas Kollmann lehnt mit einem Fläschchen Eifeler Mineralwasser in der Rechten an der Hörsaalwand und verfolgt, wie Deutsche-Bank-Chef Jürgen Fitschen von schweren Zeiten spricht. Einer der mächtigsten Banker Europas fragt, warum die deutsche Autoindustrie weltweit als Wachstumsmotor gepriesen werde, der deutsche Finanzmarkt aber nicht. Fitschen, neben Anshu Jain Vorstandsvorsitzender der größten deutschen Bank, ist heiser und verschnupft nach Vallendar gekommen. Seine Erkältung hält sich so hartnäckig wie die schlechten Nachrichten: die Razzia bei seiner Bank, der Vorwurf der schweren Steuerhinterziehung, immer neue Klagen, all das scheint an ihm zu nagen. Ein Besuch in Vallendar müsste ihm guttun. Nicht, weil die Gemeinde als Kurort und Heilbad bekannt ist. Fitschen ist zu Gast beim „Campus for Finance“, dem größten von Studenten organisierten Finanzwirtschaftstreffen in Europa an der Hochschule WHU – Otto Beisheim School of Management. Der 19-jährige Kölner Lucas Kollmann ist Student an der WHU. Von den vergangenen 48 Stunden hat er nur zwei im Bett verbracht. Bis zu 150 Nachrichten sind täglich auf seiner Mailbox eingegangen. Zwischen Meetings und Mails hat er sich im Chaos einer mit Brötchen, Colaflaschen, Laptops und Klamotten vollgestopften „Zentrale“ „zwischendurch zwei Stühle zusammengestellt und für zehn Minuten die Augen zugemacht“. Jetzt ist er erschöpft – und doch hellwach. In seinem Blut zirkuliert eine Überdosis Adrenalin.

Wer beherrscht die Welt?

Der von neun WHU-Studenten organisierte Kongress steht im Zeichen der Frage, wer denn nun die Welt beherrsche – Finanzmärkte, Politik oder Medien. Als eine Studentin im Hörsaal den Deutsche-Bank-Chef fragt, ob auch er meine, dass Banken mehr Macht hätten als die Politik, antwortet Fitschen: „Rubbish.“ Müll.

Lucas Kollmann hat Unternehmen in den vergangenen Monaten viel Geld entlockt. Er hat Geldinstitute und Unternehmensberatungen überzeugt, das Elitetreffen als Sponsoren zu unterstützen und hochkarätige Leute zu schicken. Vor ein paar Jahren sei das noch leicht gewesen. Der „Campus for Finance“ gilt als herausragende Gelegenheit, um Führungsnachwuchs zu finden. Auf einer Karrieremesse im Gewölbekeller redet der 19-Jährige mit Bewerbern und Sponsoren: Banken und Beratungsfirmen auf der Suche nach den Top-Managern von morgen.

Elitestudenten aus 83 Ländern tummeln sich auf dem Campus. Die Redner fahren mit Chauffeuren in Nobelkarossen vor, die Studenten tragen Schlips und Maßanzug. Fitschen bekommt kein Geld für seine Rede – sein Unternehmen zahlt. Dieses Jahr war es allerdings schwierig, Geldgeber zu finden. Kollmann sagt: „Eine Bank hat mir geantwortet: Unterstützten wir euch, müssten wir noch einen Manager feuern.“

Die WHU – Otto Beisheim School of Management ist eine private Wirtschaftshochschule mit Universitätsrang. Gegründet wurde die Schule 1984 in Vallendar, seit 2012 gibt es auch einen WHU-Campus in Düsseldorf. Die „Wissenschaftliche Hochschule für Unternehmensführung“ gilt als Eliteschule, die in nationalen und internationalen Ranglisten oft Spitzenplätze belegt.

Nach einer Studie des Magazins „Der Spiegel“ von 2004 durften sich 77 Prozent der WHU-Studenten zu den deutschlandweit besten zehn Prozent ihres Fachs zählen.

Das Studium, dem ein mehrstufiges Auswahlverfahren vorangeht, kostet 5000 Euro pro Semester. Etwa 20 Prozent der Studienanfänger können gratis studieren – Ehemalige, die zu Geld gekommen sind, finanzieren die Studienplätze.

Die Studenten veranstalten zahlreiche Kongresse, der bekannteste ist der „Campus for Finance“, bei dem seit 13 Jahren Spitzenpolitiker, Vorstandschefs und Professoren reden. Studenten müssen sich für den Kongress bewerben, etwa ein Zehntel wird angenommen.

Viele der Redner, die in Vallendar sprechen, treten auch auf dem Weltwirtschaftsforum vom 23. bis 27. Januar in Davos auf. (uk)

Eliteuniversitäten

Viele der 200 Studenten und Berufseinsteiger, die das WHU-Studententeam aus 2000 Bewerbern ausgewählt hat, kommen von Eliteuniversitäten wie Oxford, Cambridge oder Harvard. Lucas Kollmann redet auf den Fluren mit Russen und Amerikanern, sein Englisch ist besser als das der meisten deutschen Minister. „Netzwerken ist wichtig“, sagt er, „natürlich geht es hier um Beziehungspflege“. Beziehungspflege und Eigenverantwortung sind Prinzipien der Hochschule, die sich nach Metro-Gründer Otto Beisheim benannt hat, seit dieser dem Campus vor 20 Jahren 50 Millionen Mark spendete. Dank der Beziehungen der Hochschule hospitieren die Studenten bei den größten Banken, Fluggesellschaften, Internetunternehmen. Und wer darf mit 19 Jahren internationale Elitestudenten auswählen und Vorstandschefs betreuen? „Das motiviert natürlich“, sagt Mitorganisatorin Nicole Stein.

Jakov Milatovic, Oxford-Student aus Montenegro, sticht mit seinem grünen Hemd aus dem Pulk der Studenten im Gewölbekeller heraus. Nein, er wolle nicht auf den Finanzmarkt, er sei Wirtschaftswissenschaftler, sagt er. Im Hörsaal hat Milatovic zum Mikro gegriffen und Deutsche-Bank-Chef Fitschen gefragt: „In Montenegro gab es vor zehn Jahren ein Erdbeben. Ein paar Jahre haben die Leute danach stabilere Häuser gebaut. Inzwischen bauen sie wieder so brüchig wie früher. Wie macht ihre Branche das?“ Es stimme, dass Krisen allzu schnell vergessen würden, hat Fitschen geantwortet. „Es wird immer Krisen geben, weil alle Beteiligten – von Banken, Anlegern bis zum Staat – Fehler machen.“ Er hoffe, die Märkte würden in den „nächsten zehn, 20 Jahren nicht kollabieren. Garantieren kann das aber keiner.“

Helmut Schmidt kann nicht kommen

Ob er mit Fitschens Antwort zufrieden sei? „Er muss so diplomatisch sein, dafür wurde er geholt“, sagt Milatovic. „Schade, dass Helmut Schmidt nicht kommen konnte, er steht für eine klare Sprache.“

Alt-Kanzler Schmidt (94) hatte seinen Besuch in Vallendar abgesagt, weil er krank ist. „Die Absage ist auf der Schreibmaschine getippt“, sagt Kollmann mit Funkstecker im Ohr und Smartphone in der Hand nach einem Gruppenfoto mit Fitschen. Optimismus und Selbstvertrauen strahlt der Kerl aus, das hat er mit fast allen jungen Menschen hier gemein. Im vergangenen Jahr hat er ein Praktikum im Aktienhandel der Deutschen Bank gemacht, seine Arbeitstage dauerten oft 15 Stunden. Dieses Jahr ist er als Praktikant bei der Investmentbank Morgan Stanley in Frankfurt und bei der Citigroup in London. „Ich schaue mir das mal an, ich weiß noch nicht, ob ich in den Bereich gehe.“ Natürlich beschäftige ihn das schlechte Image der Branche. Die Redner sprechen davon, auf den Gängen geht es um gereizte Stimmung in den Büros, den Stellenabbau, fehlende Anerkennung und die Frage, ob sich die aufzehrende Arbeit noch lohne. Lucas Kollmann sagt: „Man muss seinen Charakter behalten und vor seinen Freunden bestehen können.“

6000 Jobs verloren

Vor vier Jahren seien während des „Campus for Finance“ noch Dutzende Arbeitsverträge abgeschlossen worden, erinnert sich Christoph Oettle. Der 26-jährige Schwabe hat das adrenalingepeitschte Leben eines Investmentbankers in London kennengelernt. Die Arbeit mit Geld könne antreiben, immer gehe es um viel. „Aber im Moment ist die Stimmung unterirdisch. Ich gehe wohl in einen anderen Bereich.“ 6000 Jobs hat die Finanzbranche im vergangenen Jahr in Deutschland verloren, täglich werden Banker entlassen. Am härtesten trifft es jetzt die, die am meisten kassiert haben: Der Investmentbanking-Bereich siecht dahin – weil er fast weltweit geächtet wird.

Christian Veith, Europa-Chef des Beratungsunternehmens Boston Consulting, erzählt im Hörsaal, wie der damalige Deutsche-Bank-Chef Rolf Breuer vor zwölf Jahren davon sprach, dass freie Finanzmärkte der effektivste Weg für Regierungen seien, Einfluss zu nehmen. „Die Politik war damals nicht erwünscht, jetzt gibt es eine Rückbesinnung.“ Heute sage ein Chef von Morgan Stanley: „Ich liebe die Regulierung.“

Veith erhält für seine offene Rede lauten Applaus, Fitschen wird eher höflich beklatscht. Alexander Dibelius, Deutschland-Chef der Investmentgruppe Goldman Sachs und Berater von Angela Merkel, der vor drei Jahren in Vallendar sagte, Banken hätten „keine Verpflichtung, das Gemeinwohl zu fördern“, hat beschlossen: Aus seiner Rede heute darf nicht zitiert werden. „So mit den Medien umzugehen ist ungeschickt“, sagt ein Student aus den USA. Dibelius ist ein hochintelligenter Stratege, der ähnlich wie SPD-Kanzlerkandidat Steinbrück gern sagt, was er denkt. Die Zeiten, als man das öffentlich tun konnte, ohne seinen Job zu riskieren, sind allerdings vorbei.

Wolkenkratzergroß, Fachwerkhausklein

Die Welt in Vallendar ist wolkenkratzergroß und fachwerkhausklein zugleich. Im Foyer vor dem Hörsaal lagern Wasserflaschen einer Eifeler Mineralquelle neben Stapeln des „Wall Street Journal“. Die WHU macht Eigenwerbung auf Plakaten: 180 Partner-Unis, 150 Partner-Unternehmen, laut „Financial Times“ die beste deutsche Wirtschaftsuniversität für Master-Abschlüsse in Management, Rang sechs weltweit. An den Flurwänden hängen Urkunden für Exzellenz, goldene Plaketten für beste Studenten und beste Professoren. Im Haupteingang eine Bronzebüste mit dem Kopf von Namensgeber Otto Beisheim neben der Büste eine Puppe mit Campus-Kapuzenpulli. Auf dem Hof fahren die Redner mit Chauffeuren im Audi A8 vor, der Pizzadienst kommt im Renault. In Vallendar prallen Welten aufeinander. Statt zu fremdeln, sind globale Wirtschaft und lokale Traditon hier freilich eine funktionierende Symbiose eingegangen.

Das über 200 Jahre alte Gebäude der früheren Lederfabrik ist im Kern als Campus erhalten geblieben. Die Studenten gehören seit Gründung der Schule im 1984 zum Gemeindebild. Sie kaufen Socken in Juttas Strickstube in der Fußgängerzone und feiern in der Korova-Bar, in der das „Handelsblatt“ ausliegt. Knapp 800 junge Menschen sind an der Schule eingeschrieben – fast jeder zehnte Vallendarer ist WHU-Student. Lucas Kollmann wohnt in einer günstigen Altbauwohnung oberhalb des Campus. In den Semesterferien reist er für Praktika in die Welt, im Herbst steht ein Semester in Washington an.

Richtung Spitzenposition

Nach dem Abschluss steuern die WHU-Studenten auf Spitzenpositionen zu. 72 Prozent der Absolventen des Jahrgangs 1993 verdienten zehn Jahre nach der letzten Prüfung im Schnitt 224 000 Euro. Michael Brehm, Mitgründer des Internetnetzwerks Studi-VZ und Multimillionär, war an der WHU, Stephan Schubert, Mitgründer des Internet-Finanzunternehmens OnVista genauso wie Jan Heitmann, der heute Profi-Pokerspieler ist.

Nur noch wenige Studenten sehen ihre Zukunft in dem Bereich, der von vielen mit Begriffen wie „Gier“ und „Heuschrecken“ verbunden wird. „Der Investmentbereich liegt zwischen Himmel und Hölle, im Moment ist es eher die Hölle“, sagt Yitong Li aus Peking. Er werde wohl in die Industrie gehen. Fangqi Yang, im ersten Semester an der WHU, hat mit ihren 21 Jahren schon eine kaufmännische Ausbildung in der Asienzentrale von BASF hinter sich. Ihre Zukunft sieht sie „eher im strategischen Bereich“. Yang unterstützt das Organisationsteam in der Hoffnung, zu den neun Auserwählten zu zählen, die ab sofort beginnen, den Kongress im nächsten Jahr vorzubereiten. Über 70 Studenten haben Interesse bekundet, das „Weltwirtschaftsforum“ von Vallendar nächstes Jahr auszurichten. Das Team um Lucas Kollmann entscheidet, wer den Unternehmensbossen dann das Geld entlocken darf.

Wie die Finanzwelt aussieht, wenn die Studenten aus Vallendar für Führungspositionen infrage kommen, hat fast keiner der Redner prognostiziert. Es wird wohl mehr staatliche Regulierungen geben und weniger hochriskante Investmentgeschäfte, oder es ist so viel Zeit seit dem letzten Beben vergangen, dass fast alles vergessen ist. Für Lucas Kollmann gibt es im Moment Wichtigeres. Nach schlaflosen Nächten freut er sich auf eine Pause. Im Kölner Karneval wird er ein paar Tage nicht an Campus und Karriere denken.

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