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Besuch in UnterlüßWarum bei Rheinmetall seit der Ukraine-Krise vieles anders ist

Lesezeit 7 Minuten
Papperger Althusmann

Bernd Althusmann (l, CDU), ein 'Infanterist der Zukunft' und Armin Papperger stehen neben einem Kampfpanzer Panther KF51.

Unterlüß – Demonstranten waren schon länger nicht mehr da. Früher versammelten sich oft Grüppchen am „Gästehaus Waldfrieden“ im Heidedorf Unterlüß, um gegen die Waffenproduktion direkt gegenüber zu demonstrieren. Armin Papperger ließ ihnen Tee und Krapfen rausbringen, aber als der Organisator gerufen habe: „Die sind doch von Rheinmetall!“ – da hätten sie die Krapfen weggeworfen. „Manche haben sie ausgespuckt“, sagt der Konzernchef. „Da habe ich nichts mehr verstanden.“

Jetzt ist vieles anders. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine sind Demos kein Thema mehr, die verschwiegenen Waffenbauer stehen plötzlich im Licht, und es ist auch noch ein mildes. Sie werden gebraucht, 100 Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr stehen bereit, der Wehretat wächst dauerhaft. Der Kontakt zum Verteidigungsministerium läuft glatter, die Medien interessieren sich, und auch am Kapitalmarkt sind die Unternehmen aus der Schmuddelecke heraus. Der Aktienkurs von Rheinmetall hat sich seit Ende Februar mehr als verdoppelt.

Papperger sah den Ukraine-Krieg genauso wenig kommen wie alle anderen, aber er war immer überzeugt, dass man auf so etwas vorbereitet sein müsse. „Wir haben 30 Jahre lang alles getan, um uns nicht vorzubereiten“, sagt er mit bitterem Triumph. „Ich habe immer gehört: Wir brauchen keine Waffen mehr, wir lösen alle Konflikte diplomatisch.“ Da hat er viel Glück gewünscht und sich sein Teil gedacht: „So ist die Welt nicht.“

42 Milliarden Euro Umsatzpotenzial innerhalb von zwei Jahren

Er selbst ist ein bisschen wie sein Geschäft. Nicht unbedingt im diplomatischen Dienst heimisch, eher Abteilung Attacke. Als die Bundesregierung Ende Februar, die Branchengrößen zum Gespräch bittet, um mögliche Lieferungen an die Ukraine abzuklären, hat der Mann von Rheinmetall seinen Vorschlag für die Einkaufsliste schnell parat.

Munition und Lkw, Radpanzer Boxer, Schützenpanzer Puma und „Soldatensysteme“ – schon lange ist es nicht mehr mit Helm und Stiefeln getan. Papperger kann auch mit Lieferzeiten dienen und schenkt seinen Aktionären gleich noch eine Zahl: 42 Milliarden Euro Umsatzpotenzial innerhalb von zwei Jahren. Weder in der Politik noch bei der Konkurrenz macht er sich damit Freunde.

Auch ein anderes Angebot kommt nicht so richtig an: Ausrangierte Schützenpanzer Marder stünden bereit, um sie für die Ukraine oder einen Ringtausch über andere Länder herzurichten. Rund 100 sollen es sein, 30 davon relativ schnell verfügbar. Sechs stehen jetzt vor einer Halle in Unterlüß, und ein hoher Regierungsvertreter in Berlin fühlt sich bestätigt: „Rheinmetall, wenn ich das schon höre“, höhnt er. „Da gehen Ankündigung und Wirklichkeit extrem weit auseinander.„

Im Unternehmen sieht man das naturgemäß anders. „Wir sind nur Auftragnehmer“, heißt es. Für die Ukraine und die Ertüchtigung der Bundeswehr könne nur geliefert werden, was die Bundesregierung genehmige oder bestelle. Mit der Marder-Aufbereitung habe man sogar ohne festen Auftrag begonnen. „Wir sind dazu da, die Regierung zu einem Ringtausch zu befähigen“, sagt Papperger. Soll heißen: An uns liegt es nicht.

Das Verhältnis ist kompliziert. „Bis zur Annexion der Krim 2014 hatte niemand mit uns was am Hut“, sagt Hans Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer beim Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV). Der frühere Thyssenkrupp-Manager hat den Verband 2009 mitgegründet, als die Friedensdividende ihren Höhepunkt hatte – und das Verhältnis zwischen Waffenindustrie und Öffentlichkeit seinen Tiefpunkt. Die Landesverteidigung schien obsolet zu sein, niemand musste mehr Panzer am anderen Elbufer zählen. Mit der Kürzung des Wehretats litt auch das einst traute Verhältnis zwischen Lieferant und Kunde. Termine wurden gerissen, technische Anforderungen nicht erfüllt, Geräte endlos nachgebessert, Preise nachverhandelt. „Die Macken der deutschen Rüstungsbeschaffung sind nicht vorauszusehen“, klagte damals ein Manager. Die Einkäufer der Bundeswehr hätten Zeitpläne und Budgets gekappt, bestellten aber in alter Gewohnheit die „Goldrandlösung“.

Um Goldränder gehe es höchstens in der Bilanz der Unternehmen, hielten Politiker dagegen und lästerten über Pannenprojekte wie das Transportflugzeug Airbus A400M oder den Schützenpanzer Puma. Puma? Für den hätten die Einkäufer im Innenraum Feinstaubwerte vorgeschrieben, bei denen Schwangere hätten arbeiten dürfen, erzählt man in der Industrie gern. Angesichts des akuten Handlungsdrucks hofft Atzpodien auf ein entspannteres Verhältnis in der Zukunft: „Wir brauchen jetzt einen undogmatischen Ansatz.“

Das erfordert auf beiden Seiten Arbeit. Die Unternehmen haben sich immer mehr Kunden im Ausland gesucht, beklagten die vergleichsweise restriktiven deutschen Exportregeln und suchten Lücken oder leisteten sich klare Verstöße. Heckler & Koch verkaufte Sturmgewehre in mexikanische Bundesstaaten, die wegen Menschenrechtsverletzungen nicht hätten beliefert werden dürfen, Rheinmetall stritt mit der Bundesregierung über den Exportstopp für Saudi-Arabien.

Im Weltmaßstab nur Mittelfeld

Auf der anderen Seite mieden Politiker den Umgang, Banken zögerten mit Finanzierungen, Versicherungen mit Policen. Kaum hatte VW den Lkw-Bauer MAN gekauft, schob man dessen Sparte für Militärfahrzeuge zu Rheinmetall hinüber. Man wollte die eigene Marke nicht olivgrün sehen, womöglich zerschossen in einem Kriegsgebiet oder in Diensten zweifelhafter Regime. Man spielte nicht mit den Schmuddelkindern.

Entsprechend entwickelte sich die Industrie in Deutschland. Da gibt es die Rüstungssparte von Airbus und eben Rheinmetall, wo man zwischendurch ein Autozulieferung aufbaute und inzwischen wieder zurückfährt. Im Weltmaßstab sind die beiden Großen nur Mittelfeld, und dahinter wird es schnell kleinteilig. Der Münchner Panzerbauer Krauss-Maffei Wegmann, auf den auch Papperger lange geschielt hatte, ging im französischen Nexter-Konzern auf, ansonsten gestaltet sich auch die europäische Zusammenarbeit zäh.

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Zwei deutsch-französische Großprojekte sollten das ändern – und drohen zum Symbol des Scheiterns zu werden. Nach langem Hin und Her haben beide Staaten im vergangenen Jahr die Entwicklung eines gemeinsamen Kampfflugzeugs beschlossen. 2040 soll das FCAS (Future Combat Air System) in Betrieb gehen, das vernetzt mit Drohnen weit über ein konventionelles Flugzeug hinausgeht. Allein: Viel mehr als die Absichtserklärung gibt es noch nicht, und die Bundesregierung hat gerade beschlossen, erst einmal in den USA die hochmoderne Lockheed Martin F-35 zu bestellen.

Nicht viel anders sieht es beim geplanten gemeinsamen Kampfpanzer aus, der den Leopard 2 ablösen soll. Das Main Ground Combat System (MGCS), geplant als Gemeinschaftsprojekt von Nexter/KMW und Rheinmetall, war für 2035 geplant, jetzt soll es 2040 einsatzbereit sein.

Das sei zu spät, sagt Papperger, der „Leo“ stamme immerhin aus den Siebzigern. Der Chef hat seinen Konzern in den trüben Jahren ausgebaut, jetzt sieht er seine Chance gekommen. Er sitzt unter einem Sonnendach ein paar Hundert Meter weg vom „Waldfrieden“ und blickt auf das größte private Erprobungsgelände Europas. Im Vordergrund hat er Fahrzeuge auffahren lassen und deutet auf das mittlere, einen schweren Panzer, bemalt im ungewohnten Pixelmuster. Auch Panzerbauer beschäftigen Designer, und außerdem scheidet Bundeswehr-Tarnfleck vorerst aus: Der Panther KF51 ist noch bei keiner Armee in Dienst gestellt. Für Papperger ist er Technologieträger und Angebot an alle, die einen Nachfolger für den Leopard 2 suchen. Der Panther ist für das Prestigeprojekt MGCS das gleiche wie die F-35 für das deutsch-französische Flugprojekt: ein Misstrauensvotum und wenn es gut läuft eine schnellere und günstigere Alternative. Die Konkurrenten und Partner von Nexter/KMW nannten ihn gegenüber dem „Handelsblatt“ giftig ein „lustiges Auto“.

In zweieinhalb Jahren könne der Panther serienreif sein – billiger als ein Leopard 2

Vor drei Jahren habe man mit der Panther-Entwicklung begonnen, sagt Papperger, denn „wir müssen etwas tun, um bessere Technologie zu haben“. In zweieinhalb Jahren könne der Panther serienreif sein, in vier Jahren auf dem Hof stehen – und billiger als ein Leopard 2 wäre er auch. Der Manager berichtet von „Firepower“ und aktiven Schutzsystemen, vom Nachladesystem, der Vernetzung und den variablen Bedienerplätzen für die dreiköpfige Besatzung. Ferngesteuerte Panther sind geplant.

Das Gerät, entwickelt in Unterlüß, hat Furore gemacht in der überschaubaren Branche. „Technologie aus der Heide“, aus der „Herzkammer von Rheinmetall“ sei das, schwärmt der Manager, der den Standort lange leitete. Auf dem Gelände in Dimensionen des kalten Kriegs produzieren noch 2100 Menschen gepanzerte Fahrzeuge und Munition. Zusätzlich entsteht in der Nähe ein Rechenzentrum – in doppelter Ausführung, wegen der Sicherheit.

Der Endfünfziger hat wieder große Pläne. Auf Charts zeigt er den Anstieg der Wehretats, übersetzt auf Rheinmetall sagen sie: Aus knapp 6 Milliarden Euro Umsatz sollen bis 2025 zehn Milliarden werden, und in der Branchenstatistik soll es nach oben gehen. „Wir müssen unter die Top Ten, und das schaffen wir auch.“ 1600 Produkte hat Rheinmetall im Programm, vom Betrieb eines Feldlagers über Panzer bis zur Vollausstattung für den „Infanterist der Zukunft“. Und nun ist all das wieder gefragt, die Zukunft ist planbar. Sein Konzern habe jetzt „Firepower“, sagt Papperger. Dieses Mal meint er das Geld in der Kasse. 55 535 Menschen haben 2020 in der deutschen Rüstungsindustrie gearbeitet und einen Umsatz von 11,2 Milliarden Euro erwirtschaftet. Fünf Jahre vorher waren etwas mehr Menschen in der Branche beschäftigt und zwar 56 598. Der Umsatz lag 2015 bei knapp 11,7 Milliarden Euro.

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