Brühler TurnvereinBadespaß im Kleid oder Hemd

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Gruppenbild mit muslimischen Frauen: Einmal in der Woche gehen sie gemeinsam in Brühl ins Hallenbad.

Gruppenbild mit muslimischen Frauen: Einmal in der Woche gehen sie gemeinsam in Brühl ins Hallenbad.

Brühl  – Kaum sind die Türen geschlossen, die Vorhänge zugezogen, lassen sie die Hüllen fallen. Bademäntel, Handtücher und Kopfbedeckungen landen auf den Ablagen. Nacheinander gehen die Frauen kurz unter die warme Dusche. Und dann tauchen zwölf Brühlerinnen und eine Hürtherin ins Wasser des Bewegungsbeckens des Brühler Turnvereins (BTV) ein.

Einen Bikini oder knappe Badeanzüge wird man vergeblich suchen. Denn die Frauen gehören dem Islam an, sie sind Muslimas, ihre Eltern stammen aus der Türkei oder Marokko. Das Land ihrer Vorväter kennen sie häufig nur aus Erzählungen oder Urlauben, und doch leben einige Sitten und Gebräuche auch hier in ihnen weiter. Dazu zählt auch die Kleiderordnung beim Schwimmen.

„Vom Dekolletee abwärts bis zu den Knien sind wir immer bedeckt, immer“, erklärt Bouchra Razzouki. Manche halten sich ganz exakt an diese Tradition, andere sehen es etwas lockerer. Und so tragen die Frauen der Wassersport-Gruppe, die sich jeden Dienstag trifft, ganz unterschiedlich große T-Shirts, Hemdchen, kurze oder längere Kleider, und unterschiedlich lange Leggings oder Bermudas – auch die Farben sind ganz unterschiedlich. Ihre Haare haben sie zu einem Zopf zusammengesteckt, nur eine der begeisterten Schwimmerinnen trägt eine rote Badekappe, farblich abgestimmt mit dem Oberteil.

Doch kaum sind sie alle im Becken abgetaucht, das Wasser steht ihnen bis zum Hals, scheinen alle kulturellen Unterschiede aufgehoben. Stimmengewirr schallt durch die Halle, nur gelegentlich fischt man einen vertrauten Wortfetzen auf. Wie bei Freundinnen üblich werden die vergangenen Tage kurz skizziert. Klar: Hier treffen sich 13 Frauen, alle zwischen 37 und 45 Jahre alt, und wollen ihren Körper trainieren – bei der Wassergymnastik, die Trainerin Anja Klaus beim Brühler Turnverein anbietet. Freundliche und fröhliche Augenpaare blicken in die Runde. Die einen springen im Wasser von einem aufs andere Bein, um warm zu werden. Andere ziehen ihre Bahnen im 135 Zentimeter tiefen Becken.

Und dann geht’s los. Anja Klaus gibt das erste Kommando, alle marschieren am Beckenrand entlang durch die Fluten. „Schneller, noch schneller. Mit den Händen durchs Wasser schaufeln.“ Noch haben die Teilnehmerinnen genug Puste, um gleichzeitig ein wenig mit der Nachbarin zu plaudern. Das soll sich rasch ändern.

Anja Klaus fordert die Badenixen zur Kehrtwende auf und lässt sie in die andere Richtung gehen. Ein kollektives Stöhnen wird laut. „Das Wasser zieht“, weiß Klaus. Die Wassermassen, die sich gerade noch geschmeidig in die eine Richtung mitbewegten, müssen nun mit Kraft in die andere Richtung geschoben werden. Das ist anstrengend. Aber die Freude lassen sich die Frauen nicht nehmen, zu selten haben sie die Gelegenheit, zu einer üblichen Tageszeit frei und unter sich in einem öffentlichen Bad zu schwimmen und zu trainieren. Eben weil sie – auch vor Frauen – niemals völlig unbedeckt sein möchten, ist ihnen auch mit einem „Frauen-Schwimmtag“ in einem Bad nicht geholfen. Beim Turnverein in Bühl haben sie nun die Gelegenheit und mit Anja Klaus eine Trainerin gefunden, die ihr ganzes Vertrauen genießt.

Angefangen hatte alles mit einem Fahrradkursus. Durch verschiedene Aktivitäten im Rahmen des Projekts Soziale Stadt Vochem war deutlich geworden, dass einige dortige Muslimas das Fahrrad als Fortbewegungsmittel für sich noch nicht so erkannt hatten. Dazu zählte auch die 39-jährige Arzu Ekiz, die die Vorzüge eines Drahtesels allerdings zuvor schon bei ihrer Freundin Hülya Aygordü beobachtet hatte. „Ich habe die schnelle Hülya immer beneidet“, gibt Ekiz heute freimütig zu. Nachdem der Bedarf erkannt worden war, ging alles ganz schnell. Der BTV wurde eingebunden, und schon hatte Anja Klaus den Auftrag, erwachsene Muslimas sattelfest zu machen und ihnen das Fahrradfahren beizubringen. Sie alle haben es gelernt und nutzen das Rad regelmäßig – schließlich haben sie sich damit nicht allein ein Sportgerät erarbeitet, sondern Mobilität und Bewegungsfreiheit und damit ein Stück Selbstständigkeit hinzugewonnen.

Damals sei auch der Wunsch der Frauen geäußert worden, regelmäßig zu schwimmen oder aber das Schwimmen zu erlernen, denn nicht alle Muslimas können schwimmen. „Echte Schwimmlehrgänge können wir hier beim BTV leider nicht anbieten, weil wir nur ein Bewegungsbecken haben“, sagt Klaus. Und so hat der Verein Aquafitness für Muslimas ins Programmheft aufgenommen, und – siehe da – der Kursus war im Nu gut gefüllt.

„Seit Jahren suchen wir hier schon eine Gelegenheit, schwimmen zu gehen oder uns zumindest im Wasser zu bewegen. Da kam dieser Kursus wie gerufen“, so Razzouki (37). Einige von ihnen hätten auch gesundheitliche Probleme. Ärzte hätten ihnen Bewegungsübungen und Wassergymnastik empfohlen. „Aber wo sollen wir das machen?“ Wie könnte das perfekte Schwimmbad für eine Muslima aussehen? „Es müsste einzelne Kabinen geben, in denen wir ganz allein unsere Kleidung wechseln und duschen können“, sagt Razzouki. Dann spreche auch nichts dagegen, mit Frauen anderen Glaubens gemeinsam zu schwimmen.

Auch kleinere Distanzen seien für sie mühelos zu überwinden, „wir fahren Auto, Fahrrad oder Moped“. Die Ehemänner unterstützten das sportliche Engagement ihrer Frauen. „Die Männer profitieren doch davon. Wir kommen ausgelastet und gut gelaunt nach Hause“, so Saadet Bolut. „Wir wollen unseren Kindern damit auch Vorbild sein“, sagt die 38-jährige Leyla Azapoglu. „Die sitzen doch viel zu häufig am Computer oder vor dem Fernseher. Wenn wir uns aber nach draußen begeben, dort Spaß haben und etwas für uns tun, machen sie es vielleicht auch.“

Die Wassergymnastik-Stunde nähert sich dem Ende. Noch einmal sollen die Sportlerinnen ihr Gleichgewicht trainieren und sich jeweils auf ein kurzes Styropor-Wasserbrett setzen. Schwierig. „Der Po ist zu groß“, ruft eine Teilnehmerin. „Niemals“ entgegnet Anja Klaus. Ein Lachen hallt durch das Bad. Konkurrenz, Eitelkeit, Missgunst, Neid – das alles scheint hier keinen Platz zu haben. „Vom Sehen kannten wir uns alle, aber hier sind wir zu Freundinnen geworden – sogar zu »Kanki«, zu besten Freundinnen“, sagt Bolut.

Und eins steht für sie fest: Sie alle werden den Kursus im kommenden Halbjahr wieder belegen.

Dass ihre Angebote bei den Frauen so gut ankommen, freut die 46-jährige Brühlerin Anja Klaus sehr. „Diese ungezwungene Atmosphäre ist schon etwas Besonderes. Und dass ich als Nicht-Muslima dies miterleben darf, ist toll.“ Sie fühle sich in der Gruppe voll integriert und herzlich aufgenommen. „Dieser Kurs war ein Versuch und er scheint sich zu etablieren.“

Auf die religiösen Besonderheiten habe sie sich im Vorfeld nicht speziell vorbereitet. „Ob ich mit Muslimen, Juden oder Christen zu tun hab, der Glaube spielt für mich keine Rolle. Ich sehe den Menschen – und fertig.

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