AltenbergWo Engel im Schatten lebendig werden

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Bei einer Taschenlampenführung sieht man den Dom mal von einer anderen Seite.

Bei einer Taschenlampenführung sieht man den Dom mal von einer anderen Seite.

Odenthal – Der Dom ist gewachsen. Im Licht der Kerzen, die vor der Strahlenkranzmadonna brennen, wirkt das Kirchenschiff weiter und höher als am Tag. Ganz automatisch richtet der Besucher den Blick nach oben, in die Gewölbe. Doch nicht nur das Raumgefühl im nächtlichen Dom ist ein besonderes, auch den Duft des Weihrauchs glaubt man intensiver wahrzunehmen. „Und Sie sehen Details, die Ihnen sonst nicht auffallen“, sagt Claudia Posche, evangelische Pfarrerin am von beiden Konfessionen genutzten Altenberger Dom.

Mit einer Mönchslaterne ist Posche zu dem nächtlichen Pressetermin gekommen, so wie sie es auch bei ihren Taschenlampenführungen für Kinder macht. Der Lichtstrahl lenkt die Aufmerksamkeit auf architektonische Details und einzelne Figuren.

„Haben Sie den Erzengel Michael schon einmal bewusst betrachtet?“, fragt Claudia Posche. Die Eichenholzfigur, die neben dem Hauptportal hängt, ist schon aufgrund ihrer Größe kaum zu übersehen. „Aber vielen Besuchern fällt sie trotzdem nicht auf“, berichtet Posche. „Einige halten sie auch für eine Darstellung des heiligen Georg.“ Michael und Georg werden oft als Drachentöter abgebildet. „Aber Michael hat Flügel, Georg nicht“, so Posche.

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Michael soll nicht der einzige Engel sein, dem die kleine Gruppe an diesem Abend begegnet. Doch anders als bei der überlebensgroßen Figur von 1938, die zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs aufgestellt wurde, muss man bei der Engelschar, die im barocken Lettner des Doms „wohnt“, wirklich genau hingucken, um sie zu entdecken. Aus dem oberen Teil des schmiedeeisernen Gitters, das 1644 entstanden ist und ursprünglich die Mönche von den Laienbrüdern trennte, lugen ungezählte kleine und größere Engelsköpfe hervor. „Jeder sieht anders aus“, sagt Claudia Posche, die nun die Laterne gegen eine Taschenlampe getauscht hat. „Dieser Engel lächelt, der da hat schlechte Laune“, sagt sie liebevoll und weist mit dem Lichtstrahl auf ein gemaltes Kindergesicht. „Und einer hat die Haare so zerzaust, als hätte er in mit den Fingern in die Steckdose gepackt.“ Nach einem Abstecher zum Cantate-Engel, der nahe der Orgel zum Singen einlädt, und zu den steinernen Engeln, die auf einem Hochgrab Wache halten, führt der Weg zum Chorgestühl. Dort, wo einst die Mönche beteten und sangen, tummeln sich allerhand geschnitzte Tiere und Fabelwesen. „Das Chorgestühl ist eine Replik des Originals“, erzählt die Pfarrerin. Es wurde 1907 bis 1909 im Auftrag des Altenberger Dom-Vereins von einem Berliner Künstler angefertigt, nach Fragmenten aus dem späten 13. Jahrhundert. Posche macht auf eine Figur aufmerksam, die sich in einer Ecke versteckt: ein kleiner, schlafender Mönch.

Als der Dom noch Teil des Zisterzienserklosters war, dürften die Mönche manchmal unter Schlafmangel gelitten haben. Noch in der Dunkelheit traten sie zum Nachtgebet oder ersten Tagesgebet in das Gotteshaus. „Sie kamen aus dem Dormitorium in den Dom“, erklärt Claudia Posche und weist in Richtung Orgel, wo damals der Durchgang zu den Schlafräumen gelegen habe. Zwischen den sieben Gebetszeiten am Tag bestimmte Arbeit das Leben der Mönche: unter anderem in der Schreibstube, dem Scriptorium. „Gerade im Sommer, wenn es lange hell war, dürften ihre Nächte kurz gewesen sein“, sagt Claudia Posche. Auf jeden Fall kennt der Dom nächtliche Besucher.Die Gruppe, die in dieser Nacht mit Taschenlampen im Kirchenschiff unterwegs ist, wird bei ihrem Rundgang von weihnachtlichen Improvisationen begleitet. An der Klais-Orgel bereitet sich der stellvertretende Domorganist Christian Heck auf ein Konzert vor. Er erzählt: „Ich probe gern abends im Dom – wegen der Ruhe und weil dann die Atmosphäre so schön ist.“ Besonders stimmungsvoll sei es, wenn der Vollmond die Grisaillefenster im Chor erleuchtet. Heute versteckt sich der Mond hinter Wolken. Ein flackerndes Öllicht lässt die Gewänder der Krippenfiguren prachtvoll schimmern. Derweil scheint im Halbdunkel der Taufkapelle die steinerne Verkündigungsgruppe von 1390 auf ihren Konsolen lebendig zu werden. Claudia Posche zeigt noch zwei „grüne Männer“, die zwischen Blätterreliefs an Säulen ins Mittelschiff lugen. Sie seien eine Referenz an die Natur. „In gotischen Kathedralen war nichts zufällig, auch solche Figuren nicht. Die Kathedralen sollten den ganzen Kosmos abbilden.“ Dessen Achse bilden hier das Triumphkreuz im Chor und das Himmlische Jerusalem im Westfenster.

Zurück am Portal angekommen, schaltet Posche ihre Lampe aus und lässt noch einmal die Dunkelheit wirken. Die Figuren verwanden sich wieder in Schatten. Nur das Mönchlein, das im Chor zwischen den hölzernen Fabelwesen ruht, ahnt von alldem nichts. Es hat den nächtlichen Dom-Besuch komplett verschlafen. Zu besonderen Feierlichkeiten wie der Christ- und der Osternacht steht der Dom nachts Besuchern offen. Zudem bietet Pfarrerin Claudia Posche ab und zu Taschenlampenführungen für Kinder an, Termine kündigt die Evangelischen Domgemeinde Altenberg im Internet an.

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