Um die Wette fahrenSelbstversuch auf der ersten interaktiven Achterbahn der Welt

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Auf der „Sky Dragster“ kann der Fahrer selbst bremsen oder auf bis zu 60 Kilometer pro Stunde beschleunigen.

Auf der „Sky Dragster“ kann der Fahrer selbst bremsen oder auf bis zu 60 Kilometer pro Stunde beschleunigen.

Ohrringe und Ketten habe ich für diese Testfahrt aus Sicherheitsgründen zu Hause gelassen. Ich steige auf das Gefährt, das an eine Mischung aus Schlitten und Motorrad mit zwei Sitzen erinnert. Ich muss mich richtig nach vorne legen, um die Lenker umfassen zu können. Musik ertönt aus einem Lautsprecher. Eine Ampel schaltet von Rot auf Grün um. Ich sause los. Rechts Gas geben und links noch mal einen Extraschub rausholen, hat mir Thomas Frommelt, 23, erklärt. Mit fast 50 Kilometer pro Stunde presche ich auf eine Steigung zu.

Nein, ich fahre kein futuristisches Motorrad, sondern bin auf der ersten interaktiven Achterbahn der Welt, ein Produkt der deutschen Firmen Maurer und Beutler Transport Systeme. Dieses Fahrgeschäft namens „Sky Dragster“ steht im Skyline Park in Bad Wörishofen bei München. Man kann selbst bremsen oder auf bis zu 60 Kilometer pro Stunde beschleunigen und so eine Rekordzeit aufstellen. Über Kopf geht es auf diesem Prototyp allerdings nicht. Er ist für Kinder ab 1,10 Meter geeignet.

Von Spielindustrie inspiriert

Eine Achterbahn ist ein großes Geschäft. Jedes Exemplar ist ein Unikat und kostet ein paar Millionen Euro. Viel mehr bringt es innerhalb kurzer Zeit ein. Eine halbe Million Besucher kommen zum Beispiel jedes Jahr in den Vergnügungspark nach Bad Wörishofen. Eine vierköpfige Familie gibt 150 bis 250 Euro aus. „Wir haben uns von der Spieleindustrie inspirieren lassen“, sagt der Ingenieur Torsten Schmidt vom Unternehmen Maurer. „Die Menschen wollen individuelle Fahrerlebnisse. Sie wollen nicht mehr in einem großen Zug sitzen, der allen dasselbe Vergnügen bietet.“

Die „Sky Dragster“ steht im Skyline Park in Bad Wöringshofen bei München.

Die „Sky Dragster“ steht im Skyline Park in Bad Wöringshofen bei München.

Im Vergnügungspark „Mirabilandia“ bei Ravenna, einem der größten in Italien, errichtet Maurer derzeit die zweite interaktive Achterbahn. Drei weitere Exemplare in Europa und Asien sind geplant.

Ab 2019 können sich die Fahrgäste in Italien auf zwei parallelen Strecken von etwas mehr als 500 Metern Länge ein Rennen liefern. Die Fahrzeuge werden an das Motorrad Panigale V4 von Ducati erinnern. Zum Teil werden sogar Originalteile wie Blinker eingebaut. „Wir nehmen auch die echten Fahrgeräusche auf und spielen den Sound beim Beschleunigen ein.“ Insgesamt zwölf Motorräder werden auf der Doppelstrecke unterwegs sein, stellt Schmidt in Aussicht.

Technik und Software als Herausforderungen

Dem gingen einige Lektionen in Bad Wörishofen voraus. Denn dort nutzte Maurer zum ersten Mal ganz neue Technik. Gewöhnlich haben Achterbahnen einen Katapultstart oder ein Liftsystem, das das Fahrzeug zu Beginn der Strecke in große Höhe befördert. Dann saust es antriebslos durch Loopings und Spiralen. Ohne Motor kann aber kein Fahrgast individuell Gas geben. Zum ersten Mal legte Maurer deshalb die gesamte Strecke als Zahnradsystem aus, auf dem man mit Hilfe eines Elektromotors im Gefährt jederzeit beschleunigen kann. Dafür müssen die Materialien ausgesprochen robust sein, damit sie nicht verschleißen.

„Die andere Herausforderung war die Software zur Steuerung. Kein Fahrzeug darf auf ein anderes auffahren, auch nicht, wenn der Vordermann stehen bleibt. Es geht um Leib und Leben“, sagt Schmidt.

Dafür ist jedes Fahrzeug mit Sensoren ausgestattet, die Geschwindigkeit und Position auf der Strecke ständig an das Kontrollsystem übermitteln. Es muss permanent Unfälle verhindern: In Kurven dürfen die Fahrzeuge nicht schneller als 30 Kilometer pro Stunde werden, weil sonst die Fliehkräfte auf die Fahrgäste zu groß würden. Auf geraden Strecken erlaubt es bis zu 60 Kilometer pro Stunde.

Ganz stehen bleiben kann ich deshalb auch nicht, selbst wenn ich bremse. Auch das ist eine Order vom Kontrollsystem. Alle Fahrzeuge fahren mit einer Mindestgeschwindigkeit und müssen einen Sicherheitsabstand zueinander einhalten.

Rekord für die Runde liegt bei 29 Sekunden

Ich fahre steil abwärts in einen vertikalen Kreisel, ähnlich einer Autobahnabfahrt, dann jage ich auch schon die Anhöhe zu zwei Kamelhöckern hinauf. Der Tacho zeigt 40 Kilometer pro Stunde. Ich drehe das Gas richtig auf und nehme noch den Boost dazu. Die Haare fliegen und der Nieselregen peitscht mir ins Gesicht. Ein Kameraauge über dem Tacho ist auf mich gerichtet. Es schneidet meine Fahrt als Film mit, den ich hinterher über eine App herunterladen kann. Schon rast die Maschine eine steile Abfahrt hinab und wieder durch eine Spirale, bei der ich deutlich abgebremst werde. Offenbar schreitet das Kontrollsystem wieder ein. Dann ist die Runde von 270 Metern auch schon vorbei.

„35 Sekunden“, sagt der Parkmitarbeiter Frommelt und grinst, wohl weil ich nicht die Schnellste war. Der Rekord liegt bei 29 Sekunden. Ursprünglich hatte der Hersteller die Strecke in Bereiche unterteilt, die auf dem Monitor des Fahrzeugs angezeigt wurden. In grünen Abschnitten sollten die Fahrer Gas geben, in orangefarbenen Abschnitten abbremsen. Doch auf den Tacho zu stieren, während man in Kreiseln hängt und steile Talfahrten hinunterdonnert, erfordert enorm viel Konzentration, sodass sich das nicht bewährt hat. Jetzt können die Gäste dauernd Gas geben und werden nur vom Kontrollsystem begrenzt.

Neue Konzepte und Ideen

Maurer ist bisher der einzige Achterbahnbauer, der derart interaktive Bahnen anbietet. „Wir haben uns das Zahnradprinzip weltweit mit einem Patent schützen lassen. Nur damit sind große Beschleunigungen möglich. Räder würden durchdrehen“, sagt Schmidt.

Dennoch sind auch die Konkurrenten an interaktiven Systemen interessiert. Der deutsche Hersteller Mack Rides eröffnete in Japan eine Achterbahn, bei der die Gäste über Kommunikation durch Gesten selbst Einfluss auf die Geschichte nehmen können, die ihnen während der Fahrt erzählt wird. Der italienische Hersteller Technical Park warb im September 2018 mit einem neuen Konzept. Mittels Flügeln am Sitz sollen die Fahrgäste während einer Achterbahnfahrt künftig ihren Sessel individuell steuern können, etwa Überschläge damit machen. Noch existieren diese Pläne nur auf dem Papier.

Maurer versucht unterdessen, seinen Vorsprung auszubauen. Schmidt deutet Ideen an: „Man könnte auch rückwärtsfahren. Oder über Weichen entscheiden, ob man einen Looping nimmt oder nicht.“

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