„Lass das Messer fallen!“Zeuge filmt Polizeischüsse auf 16-Jährigen in Köln

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Ermittler untersuchen die Spuren nach den Polizeischüssen auf einen 16-Jährigen in der Döbrabergstraße in Köln-Blumenberg.

Ermittler untersuchen die Spuren nach den Polizeischüssen auf einen 16-Jährigen in der Döbrabergstraße in Köln-Blumenberg.

Ein Zeugenvideo dokumentiert die dramatischen Szenen am Halloweenabend in Köln-Blumenberg.

Es sind dramatische Szenen, die sich am Dienstagabend auf der Döbrabergstraße in Blumenberg abspielen, festgehalten auf einem Handyvideo, das ein Anwohner aufgenommen hat. Das Video, das in der Nachbarschaft kursiert und das der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte, ist jetzt ein zentraler Bestandteil der Ermittlungen gegen einen 16 Jahre alten Kölner, aber auch gegen mindestens einen Polizisten und eine Polizistin.

Ein Streifenbeamter hatte laut Staatsanwaltschaft Köln am Halloweenabend gegen 20 Uhr nahe der S-Bahn-Station Blumenberg auf den 16-Jährigen geschossen, der zuvor mit einem Messer mehrere Passanten bedroht haben soll. Der Jugendliche wurde im Oberschenkel getroffen und notoperiert, inzwischen ist er außer Lebensgefahr und wurde auf eine Normalstation verlegt.

Köln: Jugendlicher ist nach Polizeischüssen außer Lebensgefahr

Den ersten Ermittlungen zufolge könnte der Polizist in Notwehr gehandelt haben. Denn laut Staatsanwaltschaft soll sich der Jugendliche „nach einer vorläufigen Bewertung des Geschehens“, so Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer, „trotz Warnung und der Abgabe von Warnschüssen mit dem Messer in der Hand auf die Beamten zubewegt“ haben.

Angefangen hatte am Dienstag alles in einer Wohnung in der Nähe des Tatorts. Dort lebt der Jugendliche mit seiner Familie, und dort soll er am Abend seine Mutter bedroht haben, heißt es. Anschließend habe er das Mehrfamilienhaus verlassen. Auf der Straße sei er auf verschiedene Passanten zugegangen und habe sie mit einem Messer bedroht, berichtete Oberstaatsanwalt Bremer. Von einigen soll er Geld gefordert haben, allerdings vergeblich. Niemand gab ihm etwas. Zeugen riefen die Polizei.

Absperrband der Polizei markiert den Ort, an dem die Polizei auf einen 16-Jährigen geschossen hat. Zeugen hatten die Polizei alarmiert, weil der Jugendliche mehrere Menschen mit einem Messer bedroht haben soll.

Der abgesperrte Tatort nahe der S-Bahn-Haltestelle Blumenberg kurz nach den Schüssen am Dienstagabend, 31. Oktober.

Mehrere Einsatzkräfte waren schnell vor Ort und konnten den 16-Jährigen auf der Straße ausfindig machen. An dieser Stelle setzt das Video ein, das ein Anwohner offenbar am Fenster seiner Wohnung stehend mit dem Handy gefilmt hat.

Viel ist darauf nicht zu erkennen, es ist zu dunkel, aber der Ton ist gut zu verstehen. Mit eingeschalteten Taschenlampen gehen Polizisten auf den 16-Jährigen zu. Eine männliche Stimme brüllt mehrfach: „Leg dich auf den Boden! Auf den Boden!“ und „Geh zurück!“ Ein anderer, vermutlich der 16-Jährige, schreit zurück: „Nein!“ Eine weibliche Stimme ruft: „Lass das Messer fallen!“ Dann fällt ein Schuss, ein Warnschuss, wie die Staatsanwaltschaft später bestätigen wird.

Polizei Bonn prüft, ob Kölner Beamte falsch gehandelt haben

Nur zu erahnen, aber in der Dunkelheit auf dem Video nicht eindeutig zu erkennen, ist, dass der 16-Jährige der Aufforderung trotz des Warnschusses offenbar nicht nachkommt. Denn erneut ruft die Beamtin: „Du lässt jetzt das Messer fallen! Auf den Boden! Lass jetzt das Messer fallen!“ Auch ihr Kollege ruft mindestens vier weitere Male: „Auf den Boden!“ Nur wenige Meter entfernt, an der Haltestelle Blumenberg S-Bahn, steht ein hell beleuchteter Linienbus mit Fahrgästen.

Zwei weitere Schüsse fallen, in kurzem Abstand hintereinander, genau 14 Sekunden nach dem Warnschuss. Und dann herrscht für einen Moment Stille, bevor Schmerzensschreie ertönen. Die Polizistin ruft: „Wir brauchen sofort einen RTW und einen Notarzt.“ Dann bricht das Video ab.

Köln: Psychische Verfassung des 16-Jährigen wird untersucht

Zwei Tage später, am Donnerstagvormittag, stehen Anwohner am Tatort und berichten über das Geschehen. Er habe nicht gesehen, was passiert ist, aber in seiner Wohnung die Schüsse und die Schmerzensschreie gehört, sagt einer. Ein anderer erzählt, wie die Polizistin sich sofort nach den Schüssen über den am Boden liegenden 16-Jährigen gebeugt und mit der Erstversorgung begonnen habe. Die ganze Straße sei „voll mit Polizei und Rettungsdienst“ gewesen. Gehweg und Fahrbahn seien mit Flatterband abgesperrt, der Busverkehr unterbrochen worden. Rund um den Tatort suchten Ermittler nach Spuren.

Was sich genau auf dem Gehweg der Döbrabergstraße, aber auch zuvor in der Wohnung des 16-Jährigen und seiner Familie abgespielt hat, untersucht jetzt die Polizei. Gegen den 16-Jährigen laufe ein Strafverfahren wegen Bedrohung und räuberischer Erpressung der Passanten, teilte Oberstaatsanwalt Bremer mit. Ein chemisch-toxikologisches Gutachten solle klären, ob der Jugendliche unter dem Einfluss von Alkohol, Drogen oder Medikamenten stand. „Es werden auch Ermittlungen zur psychischen Verfassung des Beschuldigten insgesamt angestellt werden.“

Die Frage, ob sich die Streifenbeamten möglicherweise strafbar gemacht haben, untersucht aus Neutralitätsgründen die Polizei in Bonn. Sie nimmt Zeugenaussagen Angehöriger und weiterer Betroffener auf und wertet Tatspuren sowie das Handyvideo aus.

Die unmittelbar am Einsatz beteiligten Streifenpolizisten sind vorerst krankgeschrieben. Man habe ihnen Betreuung angeboten, da das Geschehen auch für sie belastend sei, heißt es aus dem Präsidium. Sie seien aber nicht suspendiert.

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