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Fall ErlemannEntführer entschuldigt sich per Mail

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"Zwischen Todesangst und Überlebenstrieb": Johannes Erlemann als 11-jähriger Junge.

"Zwischen Todesangst und Überlebenstrieb": Johannes Erlemann als 11-jähriger Junge.

Köln – Die Erinnerung an den 6. März 1981 wird Johannes Erlemann sein Leben lang begleiten. Es ist der Tag, an dem der damals Elfjährige entführt und anschließend zwei Wochen lang in einem Verschlag im Stadtwald gefangen gehalten wird.

Am vergangenen Sonntag sprach Johannes Erlemann, Sohn des verstorbenen Chefs der Kölner Haie Jochem Erlemann, in der Talkshow von Günther Jauch über die Ereignisse von vor 32 Jahren. Seitdem sind die Tage seiner Gefangenschaft wieder präsent. „Die Resonanz ist gigantisch“, sagt er. Seit Sonntag erreichten ihn unzählige Nachrichten, sagt Erlemann (43), der heute eine Werbeagentur leitet und mit seiner Partnerin und fünf Kindern in Köln lebt.

Einer der Entführer hat sich nun überraschend per E-Mail an die Redaktion des „Kölner Stadt-Anzeiger“ gewandt. Er wurde damals wegen Beihilfe zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. „Es gibt für dieses Verbrechen keine Entschuldigung“, schrieb er. „Es tut mir leid, dass Johannes Erlemann bis heute unter den furchtbaren Ereignissen zu leiden hat.“ Die Frage, ob er darüber nachdenke, etwas wiedergutmachen zu wollen, beantwortet er nicht. Seine Strafe sei verbüßt, lässt er wissen, außerdem habe er seinen Anteil des Lösegeldes längst zurückgegeben. Er fühle sich durch derartige öffentlich geäußerten Forderungen „nach drei Jahrzehnten zum zweiten Mal verurteilt“.

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Es war der Nachmittag des 6. März 1981. Johannes Erlemann mit dem Fahrrad auf dem Weg nach Hause, als ihm drei Männer auflauern und in einem Lieferwagen fortbringen. Sie ketten den Jungen in einem Bretterverschlag an. Vier Tage später schicken die Entführer einen Brief und ein Tonband an seine Eltern. Ihre Forderung: drei Millionen Mark. Auf dem Band ist Johannes’ Stimme zu hören. „Es geht mir gut“, sagt er.

Sieben Tage harrt Johannes Erlemann aus, ohne mit seinen Entführern zu sprechen. Einmal am Tag reicht einer der Täter Brot und Tee in den Verschlag, dann lässt er ihn allein im Dunkeln zurück. Nach einer Woche schreit der Junge: „Das geht so nicht, macht etwas mit mir! Irgendetwas!“ Längst hat der Junge jedes Zeitgefühl verloren, Tag und Nacht sind nicht zu unterscheiden in der Kiste, die ihm wie ein Sarg vorkommt. Zwei Meter lang ist der Verschlag, 1,50 Meter breit und 1,60 Meter hoch. „Ich konnte nichts sehen, nur tasten“, erzählt Johannes Erlemann. Er erinnert sich daran, dass der Mann „beinahe geknickt“ gewirkt habe, nachdem er ihn so verzweifelt angebrüllt hatte. „Am nächsten Tag brachte er Karten mit und zeigte mir, wie man pokert.“ Von da an spielen sie jeden Tag in dem Holzverschlag.

Während seine Eltern das Geld beschaffen, kauert der Elfjährige in seinem Verlies. „Ich war irgendwann in einem schwebenden Zustand — die hätten alles mit mir machen können.“

Zwei Wochen später deponieren seine Eltern drei Millionen Mark im Dünnwalder Wildpark. Als die Entführer den Jungen aus dem Versteck holen, sagt er sich: „Wenn es das jetzt war, dann ist es so, dann sollen sie mich umbringen. Hauptsache, raus aus dem Loch.“ Einer der Entführer gibt Johannes Erlemann sechs nummerierte 100-Mark-Scheine des Lösegeldes und lässt ihn gehen. Das Geld hatte der Elfjährige während seiner Gefangenschaft beim Pokerspielen gewonnen. Wenige Tage später werden die Entführer gefasst. Von den drei Millionen fehlen 1,2 Millionen, rund 600 000 Euro. Erlemann ist sich bis heute nicht sicher, ob er das Geld eintreiben will. Einer der damaligen Täter ist inzwischen ein erfolgreicher Geschäftsmann. „Er hätte genug Geld, um zu sagen: Hier ist das, was ich genommen habe“, sagt Erlemann. „Das wäre ein authentischer Schritt.“

Gepokert hat Johannes Erlemann nach seiner Befreiung nie wieder. „Das Spiel ist in der Holzkiste im Wald geblieben“, sagt er.

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