Abo

KalkItalienische Missionsgemeinde führt seit fast 40 Jahren Leidensgeschichte auf

Lesezeit 3 Minuten
Der 21 Jahre alte Automechaniker Angelo Caputo verkörpert seit sechs Jahren den Jesus.

Der 21 Jahre alte Automechaniker Angelo Caputo verkörpert seit sechs Jahren den Jesus.

Köln – Den federnden Gang, mit dem er vor wenigen Tagen auf den Altar der Kirche St. Marien zusteuerte, hat Angelo Caputo an diesem Freitag nicht mehr. Statt weißer Sneaker trägt er nun Schuhwerk, das man in diesem Zusammenhang zu Recht Jesuslatschen nennen darf.

Zum sechsten Mal spielt der 21-Jährige die Hauptrolle in der „Passione Vivente“, einer Aufführung der Leidensgeschichte Jesu Christi, die seit knapp 40 Jahren in Kalk aufgeführt wird.

Zuwanderer aus Italien brachten die Tradition, die noch in etlichen süditalienischen Gemeinden gepflegt wird, erst nach Wuppertal und etablierten sie ein Jahr später in dem rechtsrheinischen Stadtteil, berichtet Carmine Tomeo. Er leitet seit vielen Jahren die Proben vor der Aufführung und fungiert als Regisseur.

Schon lange in der Rolle

Vor den Stufen zum Altar haben sich drei Hebräer aufgebaut und erheben Anklage. Sie tun es gestenreich und ziemlich laut, aber die Vorwürfe gehen ins Leere, denn Jesus ist noch nicht eingetroffen. „Der kommt direkt von der Arbeit“, raunt Salvatore Spitaleri. Der 71-Jährige ist einer der ältesten Mitwirkenden.

Anfangs hat er einen der römischen Soldaten verkörpert, dann war er zwei Jahre Jesus und nun schon zum wiederholten Male Pontius Pilatus. „Ich mache das gerne“, sagt der Mann lächelnd. Neben ihm steht Emanuele Conti, der einen Hohenpriester darstellt. Er trägt Daunenjacke, was gar nicht nötig wäre, denn durch das Bodengitter im Seitengang steigt spürbar heiße Luft empor. Ein Luxus, den vor allem Caputo während der Aufführung draußen auf der Straße schmerzlich vermisst.

Inzwischen ist der junge Automechaniker am Probenort eingetroffen und erzählt, dass er seine Rolle im Grunde einer Laune der Natur verdankt. Bei ihm habe „der Bartwuchs extrem früh eingesetzt“, so dass man ihn bereits als 14-Jährigen als Jesus einsetzen konnte.

Das Kreuz ist nicht so schlimm wie die Kälte

Caputo, der bei der Probe noch Ohrringe und Juventus-Käppi trägt, spielt die Rolle ebenfalls gerne. „Das ist schon ein krasses Gefühl. Man versetzt sich da richtig rein. Und dann kommen Emotionen hoch, die man sich vorher nicht vorstellen kann“, sagt der 21-Jährige über den Moment, in dem er mit Seilen befestigt am Kreuz hängt.

Das Schleppen über die ganze Strecke sei nicht das Problem, obwohl man die 20 Kilo natürlich auch merke. Viel unangenehmer sei die Kälte. Schließlich habe er nicht viel mehr an als seine weißen Boxershorts. Betrachtet er sich selber als sehr religiös? – Nein, aber gläubig.

Regisseur Tomeo mahnt seinen Darsteller, endlich nach vorne zu kommen. Wenig später dringt das Wehklagen Marias durch das Gotteshaus. „Figlio mio“, jammert die Frau im roten Anorak immer wieder und man glaubt, Tränen in ihren Augen erkennen zu können.

Für den 68-Jährigen Tomeo, der vor seiner Pensionierung bei der italienischen Missionsgemeinde gearbeitet hat, ist das Zusammenspiel mit den rund 40 Darstellern großteils Routine. Die Texte sind mehr oder minder unverändert geblieben, der Kreuzweg, der von St. Joseph über vier Stationen nach St. Marien führt, auch. Im Wesentlichen geht es um die Tradition, die erhalten werden soll. Was auf gar keinen Fall erhalten bleibt, ist ein typisches Jesus-Merkmal: „Bart und Haare kommen auf jeden Fall nach Karfreitag wieder ab!“

KStA abonnieren