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KommentarDer Einsatz am Kölner Hauptbahnhof zeigt einen Fehler im System

Lesezeit 3 Minuten
Absperrung hbf

Einsatz am Kölner Hauptbahnhof

  • Die Polizei hat mit einem Großeinsatz am Dienstag den Kölner Hauptbahnhof abgesperrt. Der Auslöser: Zehn ungewöhnlich gekleidete Männer.
  • Fotos zeigen, wie die Verdächtigen fixiert am Boden liegen. Am Ende stellt sich heraus: Sie sind unschuldig.
  • Darf das, muss das sein? Ist das der Preis, den wir, oder vielmehr bestimmte Bevölkerungsgruppen, für unsere Sicherheit zahlen müssen? Ein Kommentar.

Die Bilder sind erschreckend: Drei Männer liegen mitten im Kölner Hauptbahnhof, Bauch und Gesicht auf dem Boden, die Hände auf dem Rücken fixiert. Neben ihnen stehen bewaffnete Beamte. Schaulustige, Pendler und Touristen sind durch Sperrbänder auf Abstand gehalten. Die Fotos, die am Dienstag im Internet kursieren, erwecken nur eine Assoziation: Terror. Zumindest, bis man erfährt, dass die dort am Boden Liegenden unschuldig sind. Mit dieser Erkenntnis setzt der Nachgeschmack ein: Muss das, darf das sein?

Laut Polizei: Ja. Sie begründet ihr Vorgehen wie folgt: Die Männer, insgesamt zehn, hätten sich schnell und in ungewöhnliche Gewänder und Westen gekleidet auf den Kölner Hauptbahnhof zubewegt. Zeugen wollen gehört haben wie sie laut „Allahu Akbar“ riefen.

Ein Fehler im System

Die Begründung der Beamten klingt plausibel, aber sie ist auch nicht die volle Wahrheit. Denn wären diese Männer weiß und blond, hätten Zeugen die rennende, kurios gekleidete Gruppe höchstens als Junggesellenabschied, vermutlich als verirrten Karnevalstrupp abgetan, und mit ziemlicher Sicherheit hätte die Polizei nicht den Bahnhofseingang bis hin zum Dom komplett abgesperrt.

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Selbst weniger extreme Vergleiche zeigen, dass Herkunft oder vielmehr Aussehen hier ein Faktor ist. Es dürfte schwer fallen, sich ähnliche Bilder von offensichtlichen, auf puren Verdacht am Boden gefesselten Neonazis ins Gedächtnis zu rufen, und das, obwohl gerade Köln auch mit rechtem Terror schon schmerzliche Erfahrungen machen durfte.

Das ist kein Rassismus-Vorwurf gegen Beamte im täglichen Dienst. Sie haben am Kölner Hauptbahnhof ihren Job gemacht. Es ist ein Fehler im System und in der öffentlichen Wahrnehmung, dem bestimmte Bevölkerungsgruppen zum Opfer fallen.

Wie hoch darf der Preis für Sicherheit sein?

Sicherheit hat ihren Preis. Doch wer keine Angst davor haben muss, nur aufgrund seines Aussehens jemals erniedrigt und für alle Welt zu sehen wie ein Schwerverbrecher auf dem Boden zu liegen, muss vorsichtig damit sein, zu beurteilen, wie hoch dieser Preis sein darf.

Ja, Sicherheit hat ihren Preis. Kontrollen und Überwachung gehören dazu. Ereignisse wie die berüchtigte „Kölner Silvesternacht“ oder gar der Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz dürfen sich nicht wiederholen. Wer jemals versucht hat, in einen Kölner Nachtclub zu kommen, darf sich auch nicht über Ausweis- oder Taschenkontrollen am Bahnhof aufregen. Und ein Absperrband zu viel hat noch niemandem geschadet. Das ist nun mal die Welt, in der wir mittlerweile leben.

Wie gehen wir mit Angst und abstrakter Gefahr um?

Doch zwischen Personenkontrollen und dem, was sich am Dienstag am Hauptbahnhof abgespielt hat, liegen Welten. Natürlich ist der richtige Umgang mit abstrakter Gefahr eine Gratwanderung. Dass Unschuldige ohne konkreten Verdacht und ohne dass von ihnen Gewalt ausgeht wie Schwerkriminelle behandelt und traumatisiert werden, dass Menschen automatisch Angst vor dunklen Männern in ungewöhnlicher Kleidung haben, darf jedoch nicht die Normalität sein, egal ob jemand irgendwo ein „Allahu Akbar“ gehört haben will oder nicht.

Und ja, diese Aussage dürfte in den Ohren einiger vermessen klingen, und genau in dem Moment kaum noch etwas wert sein, in dem ein vermeintlich Unschuldiger sich als verhinderter Terrorist herausstellt. Aber die Gesellschaft, die so herum argumentiert, wirft ihre Grundrechte einer abstrakten Angst zum Fraß vor. Dieser Preis sollte uns allen zu hoch – und in jedem Einzelfall eine Diskussion wert sein. Keiner sagt, dass die einfach ist.

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