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Kommentar zur mutmaßlichen VergewaltigungZweifel machen das Opfer nicht zur Täterin

Lesezeit 3 Minuten
Decksteiner

Einsatzkräfte am Decksteiner Weiher

Die Meldung hat in der vergangenen Woche viele Menschen  schockiert: Joggerin im Stadtwald am helllichten Tag brutal vergewaltigt. Ein ebenso idyllischer wie belebter Ort in Köln, bevölkert von Spaziergängern, Laufstrecke auch für viele andere Joggerinnen. Ein Schock aber auch die Meldung der Kölner Polizei am Montagnachmittag, sie ermittle nun gegen die Frau wegen des Verdachts der Falschaussage, weil begründete Zweifel an ihrer Darstellung bestünden. Sie könne die Vergewaltigung oder zumindest Teile des angeblichen Geschehens erfunden haben.

Die Pressemitteilung der Polizei stellt uns als Redaktion vor eine sehr schwierige Abwägung: Berichten wir über die Zweifel, obwohl die Ermittlungen noch gar nicht abgeschlossen sind – wohl wissend, was diese Meldung für die vielen Frauen, die  Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, bedeutet? Wohl wissend, welchen Schmerz und welche Demütigung es für die Frau im konkreten Fall bedeuten würde, wenn die Polizei sich geirrt haben sollte?

Wir haben uns dennoch dazu entschlossen, die neue Wendung öffentlich zu machen. Grund dafür ist zum einen die Tragweite des Falls für die Anwohner im näheren und weiteren Umkreis des Stadtwalds. Diese haben ein Recht darauf zu erfahren, dass die Angst vor einem Vergewaltiger, der weitere Taten begehen könnte, möglicherweise unbegründet ist. Die Redaktion geht zum anderen davon aus, dass die Polizei wirklich schwerwiegende Zweifel am Wahrheitsgehalt der Geschichte haben muss. Alles andere wäre unfassbar unverantwortlich - ein schlimmer Rückfall in die nicht allzu weit entfernte Vergangenheit, in der es Regel und nicht Ausnahme war, dass Frauen, die sich für eine Anzeige entschieden, unsensibel befragt wurden und mindestens sexuelle Nötigung als Kavaliersdelikt galt.

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Die Ermittlungen sind weiterhin offen

Es bleibt ganz wichtig, drei Dinge festzuhalten. Erstens: Die Ermittlungen sind derzeit offen. Und offen heißt offen. Von sämtlichen Vorverurteilungen ist dringend abzusehen. 

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Zweitens: Falls sich am Ende tatsächlich herausstellen sollte, dass die Vergewaltigung erfunden ist, ändert dies nichts an der Tatsache, dass diese Frau ein Opfer ist. Wer sich ausdenkt, Opfer einer grausigen Tat zu sein, der sucht Hilfe. Aggressionen sind fehl am Platz, Hass und Häme sind niederträchtig.

Drittens, und das ist das besonders Schmerzliche an dieser Geschichte: Unabhängig vom Ausgang der Ermittlungen steht schon jetzt fest, dass noch mehr Frauen als ohnehin Hemmungen oder sogar Angst haben werden, wahre Fälle von sexueller Nötigung bis hin zu schweren Vergewaltigungen anzuzeigen. Wird die Polizei mir glauben oder wird sie auch gegen mich ermitteln? Wird die Öffentlichkeit mir glauben? Steht hier nicht Aussage gegen Aussage? Das macht die Tragik hinter diesem  Einzelfall aus. Wer diesen Fall jetzt zum Anlass nimmt, Frauen zu verhöhnen, andere Vergewaltigungen in Zweifel zu ziehen, sollte bedenken, dass die Dunkelziffer nicht angezeigter Fälle laut Polizei und Opfer-Organisationen immer noch immens ist. Vergewaltigungen geschehen. Tagtäglich und am helllichten Tag.

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