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VeedelsspaziergangBraunsfeld als Heimat für FC- und Fischfans

Lesezeit 5 Minuten
Der frühere Suhrkamp-Geschäftsführer Gottfried Honnefelder auf der Aaachener Straße 

Der frühere Suhrkamp-Geschäftsführer Gottfried Honnefelder auf der Aaachener Straße 

Köln-Braunsfeld – Es gibt wenige Straßen, die Köln so unerbittlich teilen wie die Aachener. Sie hat in Braunsfeld lange die Welt des Bürgertums von jener der Kleinbürger und Arbeiter geschieden: hier Pelz und teures Parfum, da Jeans und Bier. Längst ist auch der Abschnitt Richtung Ehrenfeld eine teure Angelegenheit geworden.

Wer oder was Groß und Klein ist, bleibt Ansichtssache – gleichwohl gibt es noch Relikte der Teilung, die herrschaftlichen Häuser hier, die einfachen Häuser und Industriebrachen da, als Inbegriff dieser Kultur befindet sich die Gaststätte Brauns am Maarweg, wo bis heute ein gut gemischtes Publikum zu Hause ist.

Haruki Murakami als Autoren gewonnen

Und wo gern auch Gottfried Honnefelder einkehrt, der in der ersten Hälfte seines beruflichen Lebens den Suhrkamp-Verlag leitete, bevor er für den DuMont-Buchverlag tätig war, Haruki Murakami und Michel Houellebecq, um nur zwei Namen zu nennen, gewann er als Autoren für DuMonts Buchverlag. 2006 bis 2013 war er Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und gründete einen eigenen Verlag, die Berlin University Press.

Das Brauns, benannt nach dem Kölner Fuhrunternehmer Ferdinand Braun, der dem Viertel seinen Namen gab, ist noch geschlossen. „Schade“, sagt Honnefelder, „man kann dort Köln erleben, wie es in seiner Mischung sein soll.“ Gottfried Honnefelder trägt Kaschmirpullover und Polohemd, man könnte ihn leicht dem Bürgertum zuschreiben, aber das wäre nicht ganz richtig: „Mein Vater war Sohn eines Bankiers, erst Schauspieler und später Mathematik-Professor, meine Mutter kam vom Bauernhof in der Eifel. 

Beide gehörten der Jugendbewegung an und liefen mit Kittel und Klampfe durch die Wälder. Da wurden Kinder groß mit einem Fragenzeichen hinter allem Bürgerlichen, erzogen mit den Immunisierungen gegen falsche Götter jedweder Couleur.“ Suhrkamp, der Verlag der linken Elite, das passte also.

Honnefelder nimmt den Spaziergang an der Kitschburger Straße mit dem Faltrad in Angriff, was weniger an Unangepasstheit liegt als an einem schmerzenden Knie, und steuert zuerst eine Buchhandlung an.

Auf dem Schoß von Handke

„Schon wieder da?“ fragt Gabi Klinski, die Buchhändlerin. Gestern erst hat Honnefelder drei Krimis gekauft, ja, Krimis, der promovierte Literaturwissenschaftler, dessen Kinder auf dem Schoß von Schriftstellern wie Walser, Handke oder Enzensberger aufwuchsen, der das Abendessen mit Habermas und Luhmann einnahm.

Er nimmt eine gerade erschienene Biografie über Ralf Dahrendorf in die Hand, der im Alter auch in Braunsfeld wohnte. Ich darf wohl verraten, dass Lady Dahrendorf unsere Kundin ist“, sagt Klinski.

Hochkultur, keine Literatur, linke Seite, rechte Seite, so hat Honnefelder nie gedacht – Krimis, „warum denn nicht?“ Es sei ein Vorurteil, dass Krimis keine Literatur seien. „Nur zu blutrünstig darf es für Herrn Honnefelder nicht sein“, sagt Klinski. „Das mag ich auch am sonntäglichen Tatort nicht, diese Überzeichnung. Reduzierter, und bitte keine ausgeweideten Augen, das ist überzeugender zum Einschlafen.“

Buchhandlungen als Heimat

Buchhandlungen sind ihm ein Stück Heimat. „Und diese hier besonders, sie ist ein Hort des kulturellen Lebens, ein Leuchtturm in einem Stadtteil, der zunächst gesichtslos wirkt.“ Klinski strahlt, der Charmeur muss weiter. Gottfried Honnefelder ist in Junkersdorf aufgewachsen. Im zweiten Schuljahr lernte er in Heimatkunde, dass Junkersdorf sich auf der zweiten Talsohle des Urstroms Rhein befindet.

Mit der Straßenbahnlinie L ließ sich Gottfried Richtung Fahrrinne treiben, er musste am Rudolfplatz aussteigen und weiterfahren zum Hansaring, wo er als Sextaner das Albertus-Magnus-Gymnasium besuchte. Wenn er nicht umstieg, kostete die Fahrt fünf Pfennige weniger, die sparte er für ein Glas Gerolsteiner Sprudel mit Geschmack am Büdchen neben dem Hahnentor.

Honnefelder hält vor dem Fischgeschäft der Schwestern Görtz – das Kilo Thunfisch kostet 56 Euro, der Biolachs 58, Rotlicht-Preise, könnte man unken. „Hohe Preise, aber gerechtfertigt“, sagt Honnefelder. „Hier bekommt man den besten Fisch von Köln.“

Freilich kommt er vor allem wegen der Damen. Martina (62) und Dagmar Görtz (58) sind wirklich eine Wucht, und dass nicht, weil sie Liebhaberinnen von Honnefelders Hund Argos sind, den sie mit Leckerli verwöhnen. Sie führen das Fischgeschäft der Großeltern mit Hingabe. „Wir plaudern gern“, sagt Martina, gelernte Röntgenassistentin. „Was sollen wir zu Hause?“ fragt Bankkauffrau Dagmar. Das Fisch-Geschäft gibt es seit 1952.

Wir bleiben noch einige Meter auf der Braunsfelder Bürgerseite, vorbei an Schönheitsstudio, Edel-Italiener, Bettlern, Bio-Metzger, Immobilienmakler, bevor wir die einst so spaltende Straße überqueren. Das Bahnwärterhäuschen der Braunkohlenbahn steht unter Denkmalschutz. „Da hätte die Stadt einmal mehr einige der schönen Häuser auf der anderen Seite schützen sollen“, sagt Honnefelder. „Wie die Häuser in der Raschdorffstraße, in der ich 17 Jahre gelebt habe, durch Luxussanierungen verunstaltet werden – ein Skandal.“

Pesto selbst gemacht

Schnell zum nächsten Leuchtturm, dem italienischen Feinkostladen Vino Spaghetti, für den Bonvivant einer der hellsten. Er herzt den Inhaber Giuseppe Rizzo und dessen 89-jährigen Vater Salvatore. Das Vino Spaghetti ist ein sizilianischer Familienbetrieb, Nudelsoßen, Anti-Pasta, Pesto Genovese, Gebäck, alles wird selbst gemacht, die Wurst kommt aus Italien, die Käsesorten nicht nur. „Die Menschen sind froh, dass wir da sind, und wir sind es auch“, sagt Giuseppe. „Mehr ist eigentlich nicht zu sagen.“ Honnefelder nickt.

Heimat für FC-Fans

Nach einem Espresso schwingt er sich aufs Faltrad. Es ist 18 Uhr, der FC spielt am Abend, seine zweite Lieblingskneipe neben dem Brauns, „Em Ringströßje“ auf dem Alten Militärring, ist längst mit Fans bevölkert, Wirtin Elke Wesemann (64), seit einem halben Jahrhundert in der Gastronomie tätig, hat Zeit für eine Umarmung und ein paar nette Sätze.

Normalerweise verkehrt hier das bessere Müngersdorfer und Junkersdorfer Publikum – auf der falschen Seite der Aachener – in einer schlichten Gaststätte mit exzellenter Küche und 50-jähriger Tradition.

Er wechsele gern zwischen Brauns und Ringströßje, sagt Gottfried Honnefelder, „das Essen ist beiderorts sehr gut, damit bleibt sichergestellt, dass ich nicht vom Fleische falle“. Es folgen eine zweite Frikadelle, ein kurzer Diskurs vom Römergrab auf der Aachener, den alten Gutshöfen, der Mittelterrasse des Rheins, bis zum Internierungslager für Kölner Juden in Müngersdorf und Heinrich Böll, der hier lebte. Zwischendurch ein zweites Kölsch, die FC-Fans haben schon einige mehr intus, langsam wird es zu laut. „Besser, wir vertagen uns“, sagt Honnefelder. „Möge der FC gewinnen.“ Mit dem frommen Wunsch entschwindet er auf seinem Faltrad.

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