„Extrem giftig“Rechtsmediziner legen Gutachten im Kölner Glukose-Prozess vor

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Fassade der Apotheke im Dunkeln

Die Heilig-Geist-Apotheke in Longerich direkt am Heilig-Geist-Krankenhaus

Beim Prozess gegen eine Apothekerin bleiben dennoch Zweifel an der Wirkung des Gifts beim ungeborenen Kind einer Schwangeren.

Das Glukose-Gemisch aus der Heilig-Geist-Apotheke in Longerich, das einer 28-jährigen Schwangeren am 19. September 2019 den Tod brachte, war extrem giftig. Das wurde am Freitag deutlich, als im Prozess gegen eine Apothekerin, der unter anderem fahrlässige Tötung zur Last gelegt wird, zwei Sachverständige vom Institut für Rechtsmedizin der Uni Köln ihr Gutachten erläuterten.

Die 52 Jahre alte Angeklagte soll bei der Abfüllung des Pulvers, das für Tests auf Schwangerschaftsdiabetes bestimmt war, durch eine Verwechslung von Gefäßen die Glukose mit dem als Lokalanästhetikum verwendeten Betäubungsmittel Lidocainhydrochlorid vermischt haben. In der Praxis ihres Gynäkologen nahm die Frau, die in der 24. Woche schwanger war, eine Lösung mit dem Gemisch zu sich. Kurz darauf kollabierte sie. Sie wurde ins Krankenhaus gebracht, wo ein Notfallteam versuchte, sie am Leben zu halten – vergebens.

Landgericht Köln: Rechtsmedizinisches Gutachten im Glukose-Prozess

Auch das Baby, mit einem Not-Kaiserschnitt auf die Welt geholt, überlebte nicht. Zwei Tage zuvor hatte eine andere schwangere Kundin der Apotheke in der Praxis dazu angesetzt, eine Lösung mit demselben Pulver trinken, aber nur einen kleinen Schluck genommen, weil sie der bittere Geschmack irritierte. Sie erlitt Krampfanfälle, kam ebenfalls ins Krankenhaus – und überstand die Vergiftung. Sie und das Ungeborene trugen keine Schäden davon. Davon hat die 31-Jährige am Donnerstag im Zeugenstand berichtet.

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Eine forensische Toxikologin, die am Freitag im Kölner Landgericht gehört wurde, sagte, Untersuchungen hätten unter anderem ergeben, dass das 50-Gramm-Tütchen mit dem Pulver, das die 31-Jährige bekommen hatte, mehr als die Hälfte Lidocainhydrochlorid enthalten habe. Das Resultat der Analyse von zwei Blutproben der verstorbenen Schwangeren seien 310 und 320 Milligramm Lidocainhydrochlorid pro Liter. Aus der Fachliteratur gehe hervor, dass eine Menge ab zehn Milligramm tödlich wirken könne. Der höchste tödliche Wert, den sie bei der Fallrecherche gefunden habe, seien 92 Milligramm pro Liter, sagte die Toxikologin. Auch das Kind habe die Substanz aufgenommen.

Anteil des Gifts am Tod nicht klar

Doch es lasse sich schwer sagen, welchen Anteil dies an seinem Tod gehabt habe. Viel zu früh geboren, habe sich der Säugling „von Anfang an in einem desaströsen Zustand“ befunden, sagte die andere Sachverständige, Leitende Oberärztin am Institut für Rechtsmedizin. Das Baby sei an „Multiorganversagen“ gestorben, ebenso wie die Mutter. Eine Ärztin, die am 19. September 2019 im Heilig-Geist-Krankenhaus zum Reanimationsteam gehört hatte, schilderte den stundenlangen Kampf um das Leben von Mutter und Kind.

„Wir haben alles versucht und alle Mittel ausgeschöpft, die uns zur Verfügung standen“, sagte sie. Da sie einen Zusammenhang mit der Einnahme der Lösung vermutet habe, habe sie die gynäkologische Praxis aufgesucht und auch die Apotheke. Dort habe sie mit einer Frau gesprochen, die wohl die Leiterin gewesen sei.

Fortsetzung des Prozess im Juli

Diese habe „bestürzt“ auf die Nachricht reagiert, dass eine ihrer Kundinnen „reanimierungspflichtig“ geworden sei, und sich „kooperativ“ verhalten. Die Ärztin ließ sich von ihr das Gefäß mit dem Pulver geben, um es vorsorglich aus dem Verkehr zu ziehen, und übergab es dem Geschäftsführer des Krankenhauses. Der Prozess wird im Juli fortgesetzt.

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