Sieben Schichten pro WocheKölner Pflegerinnen über Stress und fehlende Anerkennung

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Juliane Gustson und Anuschka Mucha (rechts) arbeiten als Pflegerinnen an der Kölner Uniklinik.

  • Das Pflegepersonal an Unikliniken in der Region kämpft für bessere Arbeitsbedingungen.
  • Im November 2021 haben uns Kölner Pflegekräfte einen Einblick in ihren schwierigen Arbeitsalltag gegeben.
  • Ein Text aus unserem Archiv

Köln – Erschöpfung, Müdigkeit und fehlende Motivation. Diese körperlichen und geistigen Symptome verspüren Anuschka Mucha und Juliane Gustson regelmäßig – und immer häufiger, wie sie sagen. Was für viele Menschen ausreichend Gründe wären, um einen Arzt um Rat zu fragen, ordnen die beiden Frauen allerdings ziemlich eindeutig selbst ein. Diagnose: Stress und Überarbeitung.

Beide Frauen sind examinierte Kranken- und Gesundheitspflegerinnen an der Universitätsklinik Köln. „Die täglichen Arbeitsbedingungen sind, vorsichtig ausgedrückt, nicht optimal“, sagt Mucha. „Die Uniklinik ist ein Haus der Maximalversorgung, das bedeutet viele Patienten und unterschiedliche Anforderungen an die Versorgung“, so die 32-Jährige, die seit neun Jahren dort tätig ist, seit Beginn der Corona-Pandemie vornehmlich auf der Covid-Intensivstation. Es stünden maximal 14 Betten zur Verfügung, belegt werden könnten aber nicht mehr als acht Betten gleichzeitig. Nach einem Stufenplan sollen an der Uniklinik Köln nun auch andere Intensiv-Stationen Betten für Covid-Stationen zur Verfügung stellen.   

Schwere Erkrankung bei immer älteren Menschen

Rund 50 Personen sind als Pflegepersonal auf die Früh-, Spät- sowie Nachtschichten aufgeteilt. „Der politisch festgelegte Schlüssel über die Anzahl, die es für die Versorgung eines Intensivpatienten braucht, ist einfach zu gering, und das eigentlich schon seit mehr als zehn Jahren“, schildert Mucha weiter. Sieben Kolleginnen und Kollegen am Tag seien schon Luxus, insbesondere nachts sei die Situation schwer, da müsse eine Pflegekraft teils bis zu drei Patienten allein versorgen. „Das ist angesichts der Schwere der Erkrankung bei immer älteren Menschen, die umfangreiche Versorgung benötigen, schlicht kaum zu leisten“, sagt Mucha.

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„Die anstrengende Arbeit und bis zu sieben Schichten pro Woche in Folge bei wechselnden Schichtzeiten, das ist heftig“, ergänzt Gustson, die nach der Ausbildung vor eineinhalb Jahren in der Dermatologie als Pflegerin arbeitet. „Ich habe mit meiner 38,5 Stunden-Stelle nur im Oktober 100 Überstunden im Notdienst gesammelt“, so die 25-Jährige.

Verdeutlichung der Missstände durch Corona-Pandemie

Die Folge dieser Missstände würden jetzt, auch pandemiebedingt, immer deutlicher. „Von 30 Leuten im Jahrgang, mit denen ich die Ausbildung begonnen habe, sind nur 15 geblieben“, schildert Juliane Gustson. „Die Arbeitszeiten, die Vergütung und die schweren Schicksale, die man täglich erlebt, das ist für viele Menschen gar nicht attraktiv – oder auf Dauer zu viel“, ist sie sich sicher. „Der Idealismus, die Berufung für diesen eigentlich so tollen Beruf wird ausgenutzt“, sagt Anuschka Mucha. „Und vor allem ist es so immer schwieriger, den Anspruch an die Arbeit zu erfüllen, den man selbst auch menschlich im Umgang mit den Patienten erfüllen will.“

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Mit den wenigen Minuten, die pro Patientenkontakt möglich sind, gibt es einfach nicht genug Zeit für die Menschen, die teilweise mit berechtigten Ängsten bis hin zu Todesangst konfrontiert seien. „Genau genommen führen wir hier so täglich eine Form von Triage durch“, erläutert Gustson, „denn wir müssen täglich abwägen, wie wir unsere Aufmerksamkeit verteilen und denen Zeit abziehen, die sie nicht unbedingt und mindestens benötigen – das ist sehr traurig und wünscht man niemandem.“

Warnstreiks der Kölner Pflegekräfte

Die Gründe dafür, dass beide Frauen - für sich zumindest momentan - davon ausgehen, auch künftig „am Bett“ zu arbeiten, wie es unter Pflegekräften heißt, sind ebenfalls zwischenmenschlicher Art. „Unser Team, die Kollegialität und das Verständnis hier sind so klasse, das gebe ich trotz aller Anstrengungen nicht so schnell auf“, sagt Mucha. Die 32-Jährige gibt ein Beispiel dafür, dass auch die Chefs Teil dieses Teams sind. Als im Oktober die Warnstreiks begannen, habe ein Oberarzt auf Station der Pflegerinnen und Pflegern gesagt: „Ihr geht jetzt da raus und streikt für Euer Recht“. Daraufhin habe er sich in den Schichtplan eingetragen und selbst im Rahmen der Notbesetzung mitgeholfen, die Patienten zu waschen und zu versorgen.

Die Warnstreik-Runden bis hin zur dritten Runde am Freitag, 26. November, haben die Kölner Pflegerinnen dann auch genutzt, um mit Hunderten Kollegen und Kolleginnen in Köln und ganz NRW künftig 300 Euro mehr Gehalt pro Monat einzufordern. Beide hoffen, dass die Arbeitgeber, aber auch die Gesellschaft insgesamt ihren Einsatz und die besondere Verantwortung des Berufsstandes zu schätzen wissen und bei der Verhandlungsrunde ein akzeptables Angebot vorgelegt werden wird.

„Wir würden gern gute Arbeit machen und dafür Anerkennung erhalten“

„Wir würden gern gute Arbeit machen und dafür Anerkennung erhalten – gerade auch jetzt“, sagt Julian Gustson. „Seit der heftigen Negativentwicklung in der Pandemie sind wir Pflegekräfte auch immer öfter als letzte Menschen für Betroffene vor Ort, um sie in den Tod zu verabschieden“, sagt Anuschka Mucha. „Das macht etwas mit Dir, das nimmst Du trotz aller Professionalität mit nach Hause.“ Den Moment, als sie das erst Mal einen Leichensack schließen und einen Menschen in den Kühlraum bringen musste, mit dem sie wenige Stunden zuvor noch gesprochen habe, „werde ich für immer mit mir herumtragen“, so die 32-Jährige.

Beide Frauen wünschen sich stellvertretend für ihren gesamten Berufsstand, dass auch die Gesellschaft insgesamt die „jetzt wie unter einem Brennglas sichtbar gewordenen Missstände“ endlich ernst nimmt, und der Druck auf die Politik so stark wird, dass die Umstände in ihrem Beruf sich bald und nachhaltig verbessern werden. Denn sonst würden bald noch viel mehr Menschen allein sterben.

Dieser Text ist urprünglich am 29. November 2021 erschienen.

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