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Spaziergang mit François-Xavier Roth„Köln bedeutete für mich damals Saturn“

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 Roth ist bekennender FC-Fan. 

  • Der Pariser François-Xavier Roth, Generalmusikdirektor der Stadt Köln, liebt das Agnesviertel mit dem Restaurant Le Moissonnier.
  • Roth, der am Neumarkt wohnt, erkundet die Stadt mit Vorliebe zu Fuß. Beim Spaziergang erzählt er, was ihn an Köln besonders beeindruckt.
  • Außerdem erklärt der FC-Fan, warum er Fußball mit großer Oper verbindet.

Innenstadt – Kurze Verwirrung ganz zu Beginn: François-Xavier Roth, mit Jeans, Laufschuhen, Weste und Baseballkappe angetan, sucht den Haupteingang, aber der ist nicht mehr dort, wo er ihn vermutet hatte, sondern um die Ecke, in der Ritterstraße.

Klar, als er hier zum letzten Mal war – als Zehn- oder Zwölfjähriger, Anfang der 80er Jahre – befand er sich noch am Hansaring. „Köln bedeutete für mich damals“, so erinnert sich der amtierende Generalmusikdirektor (GMD), „weder Dom noch Rhein, sondern – Saturn.“

Schon in den 80ern zu Saturn

Es war damals seine erste Reise allein nach Deutschland, zu Freunden der Eltern nach Rommerskirchen. Von dort aus war der Weg nach Köln selbstredend nicht weit – und der Ruf von Saturn, wie Roth berichtet, europaweit legendär: „Die Schallplattenauswahl dort – unglaublich.“

Alles zum Thema Museum Ludwig

Weiß er noch, was er kaufte – er, dem damals schon sonnenklar war, dass er Musiker werden würde? „Nicht wirklich, vielleicht war es Carmen mit Georges Pretre, vielleicht auch Michael Jackson.“ Jedenfalls waren es noch Langspielplatten, keine CDs: „Eine andere Ära.“ Entstand damals etwa schon so etwas wie Liebe zu Köln? „Das würde ich nicht so sagen, obwohl diese zwei, drei Sommer in Rommerskirchen schon toll waren.“

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Und abgesehen von einem Gastkonzert mit seinem Pariser Orchester Les Siècles war er auch bis zu seinem Amtsantritt als städtischer Musikchef nicht mehr vor Ort. Aber dank seines aus dem Elsass stammenden Vaters, des Pariser Orgelstars Daniel Roth, und dank dessen zahlreicher Konzertreisen ins Nachbarland war auf jeden Fall Roths Beziehung zu Deutschland seit früher Jugend eng und intensiv: „Deutsche gehörten zu unseren ersten Freunden.“ Was er dann später über Krieg und Holocaust in der Schule erfahren habe, sei vor diesem Hintergrund „ein richtiger Schock“ gewesen.

Bei Le Moissonnier ist er Stammgast

Die nächste Station ist das französische Zwei-Sterne-Restaurant „Le Moissonnier“ in der nahe gelegenen Krefelder Straße (das wir nicht betreten, dazu reicht die Zeit nicht). Roth ist hier regelmäßig zu Gast: „Bei einem Franzosen wird Sie das kaum verwundern.“ Ambiente und Angebot waren für den passionierten Hobbykoch, der das Etablissement erst als Kölner GMD kennenlernte, „eine Offenbarung“. Die Weinliste? „Unglaublich.“ Roth betont gleich, dass ihn nicht die Nationalität, sondern einzig die Qualität interessiert. So oder so erstaunt der Enthusiasmus für eine Kölner Gaststätte ausgerechnet bei einem Pariser.

Aber er bemerkt einen markanten Unterschied: „In Paris sind die besten Restaurants auch in den besten Gegenden, das zeigt sofort die soziale Distinktion an. Die Gegend von Le Mossonnier aber ist völlig normal.“ Roth hat übrigens weder etwas gegen ein Bier in einem Kölner Brauhaus noch gegen eine herzhafte Wurst einzuwenden – beidem spricht er bei Bedarf gerne zu.

In Köln immer zu Fuß unterwegs

Das französische Restaurant liegt am Rand des Agnesviertels, das wir streifen, als wir zur U-Bahn-Haltestelle Ebertplatz gehen. Roth, der selbst am Neumarkt wohnt, liebt die Quartiersatmosphäre sehr, die kleinteilige Struktur, „wo man viel auf engem Raum hat“, die lebhafte Straßenszenerie – „und meine Frau auch; sie sagt immer: Komm, lass uns doch da spazieren gehen.“  Der Dirigent ist überhaupt ein großer Läufer – in Köln, weniger in Paris („da ist die Luftqualität schlechter“): „Köln ist halt auch überschaubar, da sind die Entfernungen nicht so weit.“

François-Xavier Roth

François-Xavier Roth, (Jahrgang 1971) stammt aus dem Pariser Edel-Vorort Neuilly sur Seine. Sein Vater ist der Organist Daniel Roth. Seit 2015 ist Roth Generalmusikdirektor der Stadt Köln, ist somit zuständig für das Gürzenich-Orchester und die Oper.

Und gerade die Erkundung der Stadt zu Fuß ist wichtig; so geht er etwa von der Innenstadt zum Probenstudio des Gürzenich-Orchesters in der Stolberger Straße in Braunsfeld – über den „schönen Melatenfriedhof“. Und vom Schokoladenmuseum aus joggt er regelmäßig am Rheinufer entlang Richtung Zentrum. 

Das Zusammenleben klappt besser als in Paris

So bekommt der GMD, wenn er nicht mit seinem Orchester probt und es dirigiert, zwangsläufig eine Menge von der Stadt mit. Wie beschreibt er Kölns spezifische Atmosphäre, was fällt dem Mann aus Paris auf? Die der Stadt oft nachgesagte historisch bedingte Nähe zur französischen Kultursphäre gehört nicht dazu, wohl aber „die Spontaneität des Zusammenkommens und Feierns“, die es in Paris so nicht (mehr) gebe. Auch das Zusammenleben der „verschiedenen Kommunitäten“ (womit Roth wohl auch Gemeinschaften heterogener nationaler und kultureller Herkunft meint) „funktioniert hier besser als in Paris“. Köln sei „wirklich eine liberale Metropole“. Und auch das findet der aufmerksame Läufer gut: Gunter Demnigs „Stolpersteine“, die die Bereitschaft der Stadtgesellschaft zeigten, sich mit der eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Vom Ebertplatz also geht es per U-Bahn zum Appellhofplatz. Der GMD benutzt diese Beförderungsmöglichkeit in Köln selten bis nie. Interessiert sieht er sich Fahr- und Stadtplan an, lässt sich anhand des Verlaufs der Ringe staunend den im Vergleich zu heute mickrigen Umfang des mittelalterlichen Köln erläutern. „Das rechte Rheinufer gehörte damals nicht dazu?“ Nein, die Gegend, wo heute das Staatenhaus steht, hatte mit Köln nichts zu tun. Womit wir zwanglos beim Thema Oper angekommen sind, das uns naheliegend auch am Appellhofplatz ereilt.

Treuer Anhänger des FC

Was empfindet Roth angesichts der Opernbaustelle und der Tatsache, dass er selbst dort frühestens in vier Jahren einziehen kann? „Ach, wissen Sie, ich kenne ja die Riphahn-Oper gar nicht von innen als Dirigent, insofern vermisse ich sie auch nicht so stark wie andere.“ Wir gehen nicht an der Baustelle vorbei, sondern über die Breite Straße Richtung Dom. Roth verweist auf den hervorragenden Supermarkt in der Schweizer Ladenstadt und steuert dann – bei einem Mann seines Metiers überraschend – den Fanshop des 1. FC Köln an. Der Dirigent, fußballbegeistert seit seiner Kindheit, bekennt sich als treuer Anhänger des Vereins und regelmäßiger Besucher der Heimspiele im Rhein-Energie-Stadion.

Zigarette zum Glas Rosé

Was beeindruckt ihn besonders? „Das hat schon einen religiösen Aspekt, diese Fußballbegeisterung.“ Und er erlebt intensiv „diese Freude im Stadion“, hat als Musiker ein offenes Ohr für die Fan-Gesänge und bewundert den „starken Teamgeist der Spieler“, die ja auch verdient den Aufstieg geschafft hätten. Fußball habe, sagt Roth, „etwas mit großer Oper zu tun“. Im Shop ersteht er eine Kappe mit FC-Emblem. Im Anschluss lädt Roth uns zu einem Glas Rosé im Funkhaus-Café ein. Wir sitzen draußen, da kann der Maestro eine Zigarette (die erste und letzte während des kompletten Spaziergangs) rauchen. Die Atmosphäre des Restaurants mag er, die „Eleganz“, die „Dekoration“ – und auch, dass ihn Bilder von Stockhausen und John Cage empfangen.

Bewunderer des Richter-Fensters

Dann geht es noch in den Dom – den der junge Roth seinerzeit zugunsten von Saturn mit Nichtachtung bedachte. Zielstrebig steuert er das nördliche Querhaus an, um sich in das Richter- Fenster auf der gegenüberliegenden Seite zu vertiefen: „Das ist eine Verbindung von Alt und Modern, die gelungen ist und die ich liebe.“ Viele verschiedene Epochen lebten in der Kathedrale – zur Raumaura hat der Organistensohn eh ein enges Verhältnis – zusammen: „Und das ist eine schöne Parallele zu dem, was wir in der Musik machen.“

Dann zieht es Roth in die Philharmonie. Der Weg dorthin führt an einem letzten seiner Köln-Highlights vorbei – dem Museum Ludwig. Er bekennt, eifrig die hiesigen Museen zu frequentieren: „Dieser Reichtum ist besonders – Sie müssen ihn ja auch immer zur Größe der Stadt und ihrer Bevölkerungszahl in Beziehung setzen.“ Da fällt dann ein letztes Lob für Köln ab: „Die Kölner Lebenswelt ist wirklich von Kultur durchdrungen.“

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