Ukrainische Sängerin in Köln„Die Russen haben meine Mutter getötet“

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Porträt von Yuliia Kulinenko und ihren Töchtern Vira und Lüba

Yuliia Kulinenko mit ihren Töchtern Lüba (4) und Vira (13)

Yuliia Kulinenko musste zweimal flüchten: 2014 von Donezk nach Kiew, 2022 von Kiew nach Köln.

Die Geschichte von Yuliia Kulinenko und ihrer Familie zeigt, dass wahr ist, was die Weltöffentlichkeit lange so nicht wahrnahm: Dass der russische Krieg gegen die Ukraine in aller Brutalität vor zehn Jahren begann. Yuliia Kulinenko arbeitete als Zeitungsjournalistin in Donezk, als die russischen Truppen in der Ostukraine einmarschierten. „Meine Mutter lag damals im Krankenhaus“, erinnert sich Kulinenko in der Küche ihrer Wohnung in der Kölner Südstadt, in der sie mit ihren Töchtern Vira (13) und Lüba (4) lebt. „Die Soldaten haben das Krankenhaus eingenommen und gesagt, sie müsse das Krankenhaus sofort verlassen. Sie haben meine Mutter hinausgeschmissen, obwohl sie dringend medizinische Hilfe brauchte.“ Wenige Tage später sei ihre Mutter gestorben. „Ich denke, die Russen haben sie getötet.“

Die heute 40-jährige Kulinenko floh mit ihrem Mann und ihrer damals dreijährigen Tochter Vira nach Kiew. Sie fanden neue Jobs, bauten sich ein neues Leben auf. Die Frauen ihres Volksmusik-Ensembles Dyvyna aus Donezk trafen sich als Binnenflüchtlinge in der ukrainischen Hauptstadt wieder.

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Nach den ersten Bombeneinschlägen am 24. Februar 2022 sei klar gewesen, dass ihre Familie erneut fliehen müsse, erinnert sich Kulinenko. „Wir dachten, die Russen würden Kiew innerhalb von ein paar Tagen einnehmen.“ Am 8. März kamen Mutter und Töchter in Köln an. „Noch am gleichen Abend waren wir auf einem Konzert der ukrainischen Sängerin Marianna Sadovska“, erinnert sich Yuliia Kulinenko.

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Auch die Ensemble-Mitglieder von Dyvyna trafen sich in Nordrhein-Westfalen wieder – alle zum zweiten Mal geflüchtet. „Wenig später sind wir mit unserer Gruppe auf Tour gegangen: wir waren in Norwegen, Irland, den Niederlanden und in vielen deutschen Städten“, sagt Kulinenko. „Wir haben so viel gespielt, damit wir nicht nachdenken mussten.“

Die Frauen singen von Verzweiflung und Kampf, Einsamkeit und Einheit, Trennung und Liebe. Vielen Geflüchteten aus der Ukraine sprechen sie aus der Seele. „Das Leben muss immer weitergehen“, sagt Kulinenko, „Gefühle in Musik auszudrücken ist leichter als nur zu Hause zu sitzen und nachzudenken.“

Auch Tochter Vira spielt inzwischen in einem Volksmusikensemble. Yuliia Kulinenko, die Philosophie und Religionswissenschaften studiert hat, arbeitet jetzt in einer Kölner OGS, Vira ist bei den Pfadfindern und macht Musik, sie spricht ähnlich akzentfrei Deutsch wie die vierjährige Lüba. „Wir haben viele sehr hilfsbereite Menschen kennengelernt – aus Vereinen wie den Pfadfindern, vom slavischen Institut der Kölner Universität, bei der Caritas und in der Nachbarschaft“, sagt Yuliia Kulinenko. „Dafür bin ich sehr dankbar.“

Mit ihrem Vater Valentyn sprechen Mutter und Kinder jeden Abend über einen Messengerdienst. Auf die Frage, was sie am meisten vermisst an ihrem alten Leben, stockt Vira die Stimme. „Es ist schwer“, sagt sie tapfer, „aber es ist so, wie es ist.“ Die Mutter streicht ihrer Tochter über den Arm. Sie rechne nicht damit, bald nach Kiew zurückkehren zu können, sagt Yuliia Kulinenko. „Wir leben momentan von Tag zu Tag – ich glaube aber, dass wir für lange Zeit in Köln bleiben müssen.“

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