Atem aus LichtKirchenfenster in Münster aus Röntgenbildern geschaffen

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Fenster der Giesinger Heilig-Kreuz-Kirche    

Fenster der Giesinger Heilig-Kreuz-Kirche    

Münster – Als Christoph Brech seine drei großen Doppelfenster für die neugotische Heilig-Kreuz-Kirche im Münchner Stadtteil Giesing entwarf, dachte er nicht an Covid-19, denn die Krankheit war damals noch nicht entdeckt. Stattdessen dachte er an die Verletzlichkeit des Lebens, die sich in Röntgenaufnahmen menschlicher Lungenflügel zeigt, und an die alttestamentarische Genesis, in der Gott dem aus Erde geformten Menschen den Atem des Lebens in die Nase bläst.

Ein gutes Jahr nach der Übergabe von Brechs Fenstern an die Gemeinde kann man hingegen gar nicht anders, als in den 1200 in sanftes Blau getauchten Röntgenbildern eine Metapher auf die Corona-Pandemie zu sehen. Während täglich tausende Menschen an der durch das Coronavirus ausgelösten Lungenkrankheit Covid-19 sterben oder künstlich beatmet werden müssen, wird einem schmerzlich bewusst, was es heißt, seinen letzten Atemzug zu tun.

Vermutlich hat die Artheon-Gesellschaft für Gegenwartskunst und Kirche ihren Kunstpreis jetzt auch wegen dieser ungeahnten Aktualität an Brech vergeben. Doch dessen Werk hat seine Qualitäten abseits jeglicher „Prophetie“. Ein offensichtlicher Vorzug ist die ästhetische Überblendung von Kirchen- und Röntgenbildern, die jeweils das durch sie scheinende Licht brauchen, um sichtbar zu sein, und die beide auf Quellen zurückgehen, die feste Körper durchleuchten können – die Röntgenstrahlen im konkreten und das himmlische Licht im übertragenen Sinn. Medizinische und religiöse Erkenntnis kommen bei Brech gleichsam zur Deckung und zum selben Schluss: das Leben ist zerbrechlich.

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Brech schätzt an den Röntgenaufnahmen, dass sie das Allgemein-Menschliche zeigen und Hautfarbe, Geschlecht oder Alter ignorieren. Sie stammen von Menschen, die einer Operation entgegen sahen oder an einer Reihenuntersuchungen zur Tuberkulose teilnahmen. Die anonymisierten Aufnahmen erhielt Brech über verschiedene Arztpraxen und bearbeitete diese am Computer. Insbesondere drehte er die Hell- und Dunkelwerte um, und er entfernte die Knochenstruktur, damit die menschlichen Lungenflügel tatsächlich mehr nach Flügeln aussehen. Auf den Fenstern flattern sie jetzt empor, als gehörten sie einem Engelsschwarm, was schön mit dem Flügelcharakter der Doppelfenster harmoniert.

Einige Giesinger Gemeindemitglieder haben für die Fenster Röntgenbilder ihrer Lungen anfertigen lassen und gestiftet. Selbstredend bleiben sie, anders als ihre mittelalterlichen Vorbilder, auf diese Weise anonym. Aber der Herrgott wird schon wissen, wem er zu danken hat.

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