Star-Tätowierer Henk Schiffmacher„David Beckham ist der schlimmste Tattoo-Guy“

Lesezeit 9 Minuten
Neuer Inhalt (9)

Henk Schiffmacher 

Köln – Der Hut sitzt tief in der Stirn. Der stattliche Körper ist in Latzhose und T-Shirt gepackt. Das graue Haar zu einem langen Zopf geflochten. Der Blick ist durchdringend, aber sehr freundlich. Wenn Henk Schiffmacher lacht, blitzt Gold an den Schneidezähnen durch seinen Bart und sein Gesicht zeigt tiefe Furchen – Henk Schiffmacher lacht viel.

Der Mann, dem als Kind Legasthenie diagnostiziert wurde, präsentiert gerade sein neues Buch. Es wiegt knapp sechs Kilo. Ein stattlicher Bildband, der eine Auswahl seiner 40.000 Tattoo-Devotionalien zeigt und aus seinem bewegten Leben, vielen Reisen berichtet: Der Niederländer, bekannt als Hanky Panky, zählt zu den berühmtesten Tätowierern der Welt. Lady Gaga, Nina Hagen, die Red Hot Chilli Peppers und die Hells Angels vertrauen sich Schiffmacher an, wenn es um Schmuck geht, der bis unter die Haut geht.

Ist ein gutes Tattoo Schmuck oder Kunst, Herr Schiffmacher?

Henk Schiffmacher: Tattoos sind ehrliche Kunst. Ich sage immer, ich bin der Rembrandt des kleinen Mannes, der zum Schmuck der Armen dient. Vor allem sind gute Tattoos für mich aber ein Kommunikationsmittel, denn sie erzählen Geschichten.

Welche Geschichten?

Das lässt sich pauschal nicht sagen, aber tätowierte Menschen erzählen immer mehr von sich als untätowierte Menschen, die vielleicht nur Kleidung, Schmuck, Haare oder den Ehering als Ausdrucksmittel haben. Wenn jemand ein tätowiertes Kreuz trägt, weiß ich, es ist ein religiöser Mensch. Wenn er das Kreuz verkehrt herum trägt, sagt er mir, dass er ein anti-religiöser Mensch ist. Ich kann auf der Haut tätowierter Menschen lesen, wie ihr Leben aussieht. 

Geschichte auf der Haut

Was kann man bei Ihnen lesen?

Wie bei allen Tattoo-Menschen von gravierenden Ereignissen im Leben: Von meiner Liebe des Lebens Louise, aber auch von Verflossenen. Die erste Zeichnung meiner Tochter habe ich auf dem linken Unterarm, den Namen des verstorbenen Hundes auf dem rechten. Der aktuelle Hund ist natürlich verewigt. Wenn Du ein Tattoo-Mensch bist, dann bringst du alles auf die Haut, die Geburt der Kinder, den Tod von Freunden. Ich habe alle Erinnerungen auf meiner Haut. Das hilft mir hoffentlich noch lange, um mich vor Alzheimer zu bewahren. Denn alles, was ich in meinem Leben machte, ist sehr präsent.  Ich bin ein illustrierter Mann und trage die Geschichten und meine Geschichte auf der Haut. 

Kennen Sie wirklich zu jedem Tattoo die Geschichte?

Ja, eigentlich schon. Und wenn ich eines finde, wozu mir nichts einfällt, mache ich mir Sorgen. Ich bin 69, mein Gehirn trainiere ich so jeden Tag.

Wie viele Tattoos haben Sie mittlerweile?

Vor ein paar Jahren dachte ich, ich muss jedes dokumentieren, als Erinnerung für meine Kinder. Welches Tattoo, warum, von wem und wo ich es stechen ließ. Tahiti, Samoa, Japan, ich kam viel herum, um nach der Tattoo-Kultur zu forschen. Damals kam ich auf 150, heute sind es noch ein paar mehr.

Keine Tattoos im Gesicht

Gibt es noch freie Stellen außer im Gesicht?

Ja (lacht). Aber ich habe auch im Gesicht zwei Tattoos, man sieht sie nur kaum am Ohr unterm Bart. Grundsätzlich tätowiere ich im Gesicht nicht.

Wenn Sie jemand freundlich bittet?

Mein Instinkt sagt mir: Mach es nicht. Außer es kommt ein durch und durch überzeugter Tatoo-Mensch zu mir, der ohnehin schon am ganzen Körper tätowiert ist. Mit einem Gesichtstattoo grenzt man sich in unserem Kulturkreis von der Gesellschaft aus. Wenn so jemand an der Tür eines Clubs klingelt, gewährt der Türsteher in 90 Prozent der Fälle keinen Einlass. Es steht dir kein einfaches Leben in Aussicht, ab dem Moment, wenn du im Gesicht tätowiert bist. Du musst eine sehr starke und stabile Persönlichkeit haben, um diese Ausgrenzung auszuhalten zu können.

Sind Sie in der Lage, sich selbst zu tätowieren?

Natürlich, ich habe jahrelang und immer wieder an meinem eigenen Körper geübt. Neue Nadeln, neue Farben habe ich immer an mir ausprobiert.

Neuer Inhalt (9)

Henk Schiffmacher vorm Taschen-Store 

Heute sind eher die Menschen die Ausnahme, die kein Tattoo haben….

Ja, als ich anfing, Ende der 1970er Jahre, war ein Tattoo das Zeichen der Seeleute und Ausdrucksmittel für die eher härteren Typen, Biker, Hells Angels, Rocker, Skinheads. Leute, bei denen mir klar war, die können das verkraften. Heute kommen viele, bei denen ich denke, die sollten vielleicht besser kein Tattoo haben.

War David Beckham Initiator dieses Trends?

Oh, lass mich in Ruhe mit David Beckham. Das ist der schlimmste Tattoo-Guy, den ich kenne. Alles schwarz-grau, kein Bild, das mit mir kommuniziert, eine komische Mode. Und alle Fußballstars und Schauspieler à la Temptation Island machen das nach. Ich gehe sicher nicht mit Trends. Ich sehe sie, aber sie sind mir egal. Ganz viele wollen auch die Bilder von Tiktok und Instagram. Sie wollen alle die gleiche scheiß Rose, gleiche Taschenuhr oder den Kompass. Das ist nicht meine Welt, ich mache meine kleine Kunst. Symbole aus der alten Welt, einfache Bilder, die kommunizieren.  Aber, am Ende, ist ein Tattoo ein Tattoo. Ob es im Gefängnis gestochen wurde oder ob es ein modisches Bild ist. Irgendwas sagt es schon über den Menschen, deshalb ist es auch wieder gut. 

Der Schmuck der kleinen Leute

Sie sagten, Tattoos sind der Schmuck der kleinen Leute. Mit Ihren Tattoos schmücken und schmückten sie Weltstars. Kurt Cobain, Lemmy Kilmister, Anthony Kiedies. Menschen, die sich auch Designer-Teppiche für 30 000 Dollar leisten.

Ja, aber es sind oder waren eben auch wahre Tattoo-Menschen, egal wieviel Geld sie besitzen oder besaßen, und welche Kunst sie an den Wänden hängen haben – sie kommunizieren auch über die Haut. Normalsterblichen fehlt einfach das Geld, um sich ein Bild, ein Objekt, eine Fotografie von Ai Weiwei oder David Bailey kaufen zu können. Die kommen dann zu mir. Mehr Menschen auf der Welt sammeln Tattoos als hochpreisige Kunst. Ich möchte das überhaupt nicht vergleichen, aber sagen, dass es eine Brücke dazwischen gibt. Wenn Tattoo-Menschen sich für ein Tattoo entscheiden, lernen sie diese Kunst zu schätzen, beschäftigen sich damit wie Kunstsammler mit der Museumskunst. Tattoo-Menschen haben ihre Kunst immer bei sich, bis ins Grab. Selbst wenn ihr Haus abbrennt, haben sie ihre Kunst bei sich und müssen nicht zusehen, wie sie in Flammen aufgeht. Das ist eine ganze besondere Kunstverbindung – auf der Haut, bis unter die Haut.

Sie sind mittlerweile auch weltberühmt. Wie steht es um ihre Kunstsammlung?

Ich sammle, weil ich schon immer gesammelt habe. Aber eher primitive Kunst und alte Fotografien. Das liegt in meinen Genen. Als Kind sammelte ich bereits Federn, Feuersteine, Pfeilspitzen, tote Vögel. Das Interesse weckte mein Vater und mein Großvater. Ich komme aus einer Metzgerfamilie. Mein Großvater jedenfalls war als Soldat der holländischen Marine in Indonesien, er erzählte all seine Geschichte und weckte mein Interesse für Geschichte und  die Kulturen der Welt. 

Das könnte Sie auch interessieren:

Ihre Sammlung mit 40.000 Tattoo-Devotionalien aus drei Jahrhunderten ist die größte der Welt. Darunter Flash-Sheets bekannter Kollegen, Fotos, Radierungen, Tätowiermaschinen, Gemälde, Ladenschilder. Auf welches Stück sind sie am meisten stolz?

Ich habe viele Lieblingsstücke. Mein allerliebstes ist ein Kissen, etwa 30 Zentimeter lang aus einer traditionellen Tätowierstube in Jerusalem, die vor allem koptische Pilgerer aufsuchten. Aber auch die Crème de la Crème reiste nach Jerusalem, um sich dort tätowieren zu lassen. Es wird gesagt, dass die Arme von Haile Selassie, King George V., King Edward und Zar Nikolas schon auf diesem Kissen gelegen haben. Es ist nur ein Kissen, aber die Geschichte dahinter ist unglaublich

Stinkt es?

Nein.

Was machen Sie mit all den Sachen?

Eigentlich bräuchte ich wieder ein Museum für all meinen Kram. Ich hatte schon zwei. Aber heute kann sich kein normaler Mensch mehr den Quadratermeterpreis in Amsterdam leisten.  Ich brauche mindestens 500 Quadratmeter, schätzungsweise wird das nächste ein virtuelles. Ich möchte nicht, dass die Sammlung auseinandergerissen wird. Sollte es ein kommerzielles Museum werden, bräuchte ich einen Businesspartner, mit viel Geld, denn ich bin kein Geschäftsmann. Mir ist egal, wieviel Geld ich habe, solange ich Geld habe. Da fällt mir ein Zitat von Nina Hagen ein: „Geld ist ja nicht wichtig, solange es da ist.“ 

Flucht vor der Familie

Als Metzger hätten Sie sicher anfangs mehr verdienen können als in ihrem ersten Beruf – Fotograf. Warum haben Sie nicht Metzger gelernt?

Wenn du als ältestes Kind von acht Geschwistern bist, dann hast Du einen harten Job. Und bei der ersten Fluchtmöglichkeit bin ich als Legastheniker gegangen. Ich musste in eine große Stadt, wollte etwas von der Welt sehen, ich konnte einfach nicht machen, was mein Vater machte. Einer meiner Brüder führt glücklicherweise die Metzgertradition fort, die ja immerhin bis Napoleon zurückgeht.

Sind sie kein Familienmensch? In Ihrem Buch sind schöne Porträts, die sie ganz nah mit Frau und Kindern zeigen…

Damals als Jugendlicher musste ich ausbrechen. Mit meiner eigenen Familie, Frau und Kindern, habe ich eine ganz besondere Bindung, über die Tinte sozusagen. Sie arbeiten alle im Tattoo-Shop, die Mitarbeiter, mein Partner, das alles ist Familie für mich. Aber ich muss meine Freiheit haben, reisen können.

Keine Ausnahme für Lady Gaga

Wie lange dauert es, bis ich bei Ihnen einen Termin bekomme?

Bei mir? Ich mach keine Termine. Meine Mitarbeiter machen Termine, aber ich nicht. Wenn ich da bin, bin ich da, wenn nicht, nicht. Ich will nicht der Sklave eines Terminkalenders sein. Ich trage Schuhe ohne Schnürsenkel und trinke nachmittags mein Bier. Ich mag es gemütlich mittlerweile, ich könnte ja schon in Rente sein. Für höchstens eine Woche lege ich mich fest.

Wenn Anthony Kiedies außer seinem Feuervogel noch ein Tattoo braucht?

VIP’s haben bei mir keinen Vortritt. Ich mag es, wenn sie zu mir kommen, weil sie meine Bilder durch die Welt tragen. Lady Gaga fragte auch schon öfter, ob ich sie nicht in ihrem Hotel tätowieren könnte. Aber das mach ich nicht. Ich habe die ganze Ausrüstung im Studio, da sind die hygienischen Voraussetzungen so, wie sie sein müssen.

Was war dann mit den Red Hot Chili Peppers in Ägypten?

Ja, gut, eine Ausnahme, wir kennen uns seit Jahrzehnten, mit Anthony war ich in Borneo. Wirklich, die einzige Ausnahme wäre der Papst.

Also wenn Rom ruft, packen Sie ihre Sachen?

Ja, absolut. Die katholische Kirche hatte schon immer einen besonderen Sinn für Kunst.

Das Gespräch führte Eva Reik

KStA abonnieren