Kölner KunstpreisDer Belgier, der eine Sanddüne um 10 Zentimeter versetzen ließ

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Der belgische Künstler Francis Alÿs   

Köln – Das Schönste ist doch die Vergeblichkeit: Im Jahr 2002 überredete der Künstler Francis Alÿs Menschen in einem Armenviertel der peruanischen Hauptstadt Lima eine Sanddüne zu versetzen. 500 Freiwillige in weißen T-Shirts positionierten sich Schulter an Schulter mit 500 Schaufeln entlang der 500 Meter langen, 200 Meter hohen Düne.

Die Sonne brannte, die Hitze war schwer erträglich. Aber sie schaufelten los, wie die fröhlichen Kinder von Sisyphos und Fitzcarraldo. Ein Bild für die Götter. Am Ende des Tages hatten sie den Sandberg um 10 Zentimeter versetzt und niemand fragte mehr wozu.

Warum denn auch? Sie hatten doch Geschichte gemacht. Eine Geschichte, heißt es im Filmdokument der Massen-Performance, die von Generation zu Generation weitererzählt wird. „Der Glaube versetzt Berge“ hat Alÿs seine Kunstaktion genannt.

Kölns wichtigster Kunstpreis

Am Montag gab die Gesellschaft für moderne Kunst am Museum Ludwig bekannt, dass Francis Alÿs den Wolfgang-Hahn-Preis 2023 erhält. Der in Köln ausgelobte Kunstpreis ist von nationaler und internationaler Bedeutung, die Liste der Ausgezeichneten versammelt die größten Stars der Kunstszene, von Lawrence Weiner bis Cindy Sherman. Als Gastjuror fungierte diesmal Matthias Mühling, Direktor der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München.

Francis Alÿs wurde 1959 in Antwerpen geboren. 1986 kam er als Architekt, Urbanist und Ingenieur nach Mexico City, um dort bei einem Hilfsprojekt der belgischen Regierung nach dem Erdbeben von 1985 mitzuarbeiten. Er blieb in der mexikanischen Hauptstadt, bis heute, und wandte sich der Kunst zu. In einer ersten Reaktion, sagte Alÿs, dass er sich durch die Verleihung natürlich geehrt fühle. Vor allem aber vermittele sie ihm „das Gefühl, dass meine eigenen Anliegen und die des Publikums übereinstimmen, und dass ein Dialog möglich ist“.

Alÿs’ Arbeiten, sagt Yilmaz Dziewior, Direktor des Museums Ludwig, seien von großer Poesie und lakonischem Humor, zugleich aber ungemein politisch aufgeladen. Das kann mal in die eine, mal in die andere Richtung ausschlagen.

Absolut publikumsfreundlich ist etwa Alÿs Installation „The Nature of the Game“, die auf der aktuellen Venedig-Biennale im Belgischen Pavillon zu sehen ist: Sie zeigt neben kleinformatigen Bildern kurze Filme von Kindern auf der ganzen Welt – etwa im Kongo, in Afghanistan oder in der Schweiz –, die selbstversunken aber zusammen spielen, oft mit den einfachsten Hilfsmitteln, ein Autoreifen, ein Gummiseil so es überhaupt welcher bedarf, manchmal reicht auch der sandige Boden oder ein schneebedeckter Hügel.

Ein geduldiger, aufmerksamer Spaziergänger

Alÿs hat diese Spiele im öffentlichen Raum über Jahrzehnte auf seinen Reisen gefilmt. Seine Kunst ist die des geduldigen Spaziergängers. Er ist kein absichtsloser Flaneur, sondern ein aufmerksamer Beobachter des Alltags und seiner sozialen Verwerfungen:  Man erkennt in diesen kurzen Filmen sofort die ungerechte Verteilung der Ressourcen, das Erbe von Kolonialismus und Krieg. Aber auch das Gemeinsame des Spiels, als Möglichkeitsraum, der sich nicht um Lebensbedingungen schert.

Sehr viel verstörender als sein Biennale-Beitrag ist etwa die Videoarbeit „Re-enactment“ aus dem Jahr 2000: Zuerst kaufte Alÿs illegalerweise eine Handfeuerwaffe in einem Laden in der Innenstadt von Mexico City, dann spazierte er mit der geladenen Waffe in der Hand unbehelligt durch die Straßen, zwölf Minuten lang, bis endlich Polizisten herbeieilten und ihn verhafteten. Doch der Künstler kam nicht nur dank eines Bestechungsgeldes gleich wieder frei, er überredete die Polizisten auch noch, die Aktion noch am selben Tag nachzustellen, diesmal mit einer falschen Waffe. Das Video zeigt die beiden Filmdokumente nebeneinander – der Zuschauer kann sich nur schwer entscheiden, ob im gefährlichen (und selbstgefährdenden) Spiel oder im Nachspiel dank korrupter Polizei der größere Skandal liegt.

Der Wolfgang-Hahn-Preis wird seit 1994 ausgelobt. Seinen Statuten zufolge sollen mit ihm Kunstschaffende ausgezeichnet werden, die international bedeutend, aber in Deutschland zu wenig bekannt sind. Und deren Position noch nicht in der Sammlung des Museums Ludwig vertreten ist. Mit dem Preisgeld von maximal 100 000 Euro soll dann ein Werk des Künstlers angekauft werden. Die Preise, zu denen Francis Alÿs’ Werke inzwischen gehandelt werden, sprengen den Etat des Preises. Zum Glück hat der Künstler sich bereit erklärt, eine Arbeit speziell für Köln anzufertigen. Welche Form die annehmen wird, oder ob er am Ende gar 500 Freiwillige rekrutieren muss, das weiß auch Yilmaz Dziewior noch nicht.

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