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#MeToo-BewegungWie die Debatte die indische Film- und Medienindustrie aufrüttelt

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So kennt man Bollywood: „Sometimes happy, sometimes sad“

Vor elf Jahren, als Tanushree Dutta – eine junge Schauspielerin – wegen sexueller Belästigung am Filmset gegen den preisgekrönten Kollegen Nana Patekar vorging, wurde ihre Klage abgewiesen. Die Filmindustrie entschied zu schweigen. Was blieb, waren böswillige Gerüchte. Sie selbst verzichtete auf eine Karriere, zu groß war die Angst vor sexueller Belästigung an weiteren Filmsets.

Nun sprach sie in einem Interview mit einem indischen Fernsehsender erneut über das Geschehene, diesmal aber folgten darauf empathische Solidaritätsbekundungen, Augenzeugen meldeten sich. Dieses Interview rüttelte die indische Bevölkerung auf, denn nun brachten viele andere Frauen den Mut auf, mit ihren Erfahrungen sexueller Übergriffe am Arbeitsplatz an die Öffentlichkeit zu gehen. So wurde Dutta das Gesicht der #MeToo-Bewegung in Indien.

Eine der ersten Frauen, die ihre Erfahrungen über Twitter teilten, war die Journalistin Sandhya Menon, sie fragte, ob anderen Frauen Ähnliches widerfahren sei. In den folgenden Wochen wurde ihr Postfach mit Geschichten von Frauen in der Medienindustrie geflutet, die sich nicht scheuten, ihre Kollegen beim Namen zu nennen.

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Unter den Beschuldigten befanden sich Politiker, Beschäftigte der mächtigen indischen Filmindustrie, Stand-up-Comedians, Autoren und jüngst sogar der Oberste Richter des Obersten Gerichtshofs in Indien.

Utsav Chakraborty, ein Komiker, ist ein Beispiel für solche von einflussreichen Männern initiierten Schikanen: Er schickte Frauen mutmaßlich obszöne Nachrichten und bat ein minderjähriges Mädchen um Nacktfotos. In erster Instanz leugnete er die Anschuldigungen, bekannte sich später jedoch zu seiner Tat und bat kurz darauf um eine Entschuldigung.

Die Journalistin Priya Ramani, die 2017 in einer Ausgabe der Vogue India über einen ehemaligen Redakteur schrieb, dessen Namen sie zu dem Zeitpunkt noch nicht nannte, machte ihn verantwortlich für obszöne Anrufe, Textnachrichten, unangebrachte Komplimente und die Unfähigkeit, ein „Nein“ zu akzeptieren. Den Namen des Mannes machte sie schließlich 2018 über Twitter publik. Der ehemalige Redakteur MJ Akbar war mittlerweile Außenminister, trat jedoch zurück, nachdem Ramani und andere Frauen ihn als „Serienbelästiger“ betitelten.

Unsere Autorin

Priti Salian lebt als Journalistin im indischen Bangalore. Sie schreibt u.a. für den „Guardian“, die BBC und National Geographic. Sie ist derzeit Stipendiatin der Robert-Bosch-Stiftung und hospitiert beim „Kölner Stadt-Anzeiger“. (ksta)

www.pritisalian.com

Die darauffolgende Frage „Warum hast du nichts gesagt, als es passiert ist?“ müssen Frauen sich immer wieder anhören. Die Antwort ist simpel: Das Stigma, das mit sexueller Belästigung oder gar Vergewaltigung verbunden ist, erschwert es ihnen, darüber zu sprechen – man möchte sich und seine Familie vor potenziellen verbalen Angriffen schützen. Außerdem werden Frauen, die sich am Arbeitsplatz beschweren, schnell als Störenfriede abgestempelt.

Gesetzliche Vergeltungsmaßnahmen haben die meisten Männer nicht zu befürchten, eher sind es die Frauen, die auf Gegenwind stoßen. Am häufigsten werden sie mit Verleumdungsklagen konfrontiert – unter ihnen auch Ramani, die sich einer Diffamierungsklage Akbars stellen muss.

Patekar zum Beispiel wurde von allen Anklagepunkten freigesprochen, denn die Polizei konnte nicht genügend Beweise sammeln. Dies gilt auch für einige der anderen Männer, die ebenfalls der sexuellen Belästigung beschuldigt wurden.

Dass viele Frauen über Social-Media-Kanäle eine öffentliche Debatte lostraten, bedeutet nicht, dass jede dieser Frauen Gerechtigkeit in Form von Gerichtsurteilen verlangt. Menon teilte indischen Medien mit, dass die 200 bis 300 Frauen, die sich an sie gewandt haben, lediglich eine Entschuldigung wollten – das bedeute Gerechtigkeit für sie. Für die einen ein Akt der Befreiung, für andere nervenaufreibend: Die #MeToo-Bewegung in Indien ist in jedem Fall eine der größten Solidarisierungs-Plattformen unserer Zeit.

Übersetzung aus dem Englischen: Vera Schwarz

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