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Cologne Jazz Week„Ein großes Kulturereignis“

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Christian Illinger

Köln – In der Kölner Jazzszene kennt sich Christian Lillinger bestens aus. Zwar lebt der 1984 geborene Schlagzeuger in Berlin, doch mit etlichen Protagonisten in Köln ist er musikalisch eng verbunden.

Mehrfach trat er in der Stadt auf, auch mit Vibrafonist Christopher Dell und Bassist Jonas Westergaard, jenem fulminanten Trio, das dem Jazz in Deutschland ähnlich starke Impulse gegeben hat wie Lillingers Zusammenspiel mit der Pianistin Kaja Draksler und dem Bassisten Petter Eldh.

Geradezu kongenial stehen beide Trios für energetische, komplex strukturierte Musik, die die Improvisationskunst des Jazz anspruchsvoll mit zeitgenössischer Klassik verschmilzt.

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Eine neue Generation

Gleich zweimal erhielt Lillinger in diesem Jahr den Deutschen Jazzpreis, als Schlagzeuger, aber auch als Künstler des Jahres. Eindrucksvoll steht er für eine neue Generation von Schlagzeugerinnen und Schlagzeugern, die sich von der Rolle des taktgebenden Sideman entfernt und als prägende Protagonisten im Band-Kontext etabliert haben.

Dabei ist Lillingers mal kraftvoll drängendes, mal filigran ziseliertes Spiel nur eine Komponente: Darüber hinaus entwickelt er als kreativer Impulsgeber die Trias aus Komposition, Klangidee und Konzept entscheidend weiter.

Nun kommt er zur Cologne Jazzweek, und sein aktuelles Großprojekt Open Form for Society zählt zu den Programmhöhepunkten. „Durch die Einladung haben wir alle Möglichkeiten“, sagt Lillinger. „Es ist eine international besetzte Band, zwei Amerikaner werden eingeflogen, und Kaja Draksler, die aus Kopenhagen stammt, reist aus Amsterdam an. Auf der Jazzweek zu spielen, ist eine große Chance, ansonsten spielen wir eher selten, allein schon wegen des hohen finanziellen Aufwands.“

Die Cologne Jazzweek

Vom 28. August bis 4. September präsentiert die erste Cologne Jazzweek rund 40 Konzerte an zahlreichen Orten in der Stadt. Initiiert und getragen von der Kölner Jazzszene, gibt das Festival einen Einblick in die Vielfalt der hiesigen Szene und verknüpft sie mit renommierten Gästen des nationalen und internationalen Jazz. Neben Konzerten in etablierten Spielstätten gibt es auch Veranstaltungen in der Agneskirche, der Alten Feuerwache und auf dem Ebertplatz.

Christian Lillingers Open Form For Society spielt am Abschlusstag im Konzertsaal der Hochschule für Musik und Tanz (19 Uhr).

Das komplette Programm sowie alle Informationen zur Cologne Jazzweek gibt es unter www.jazzweek.de

Open Form for Society entstand zunächst als Studioprojekt. Lillinger hatte die Kompositionen dafür im Kopf, sah sie aber vor allem als Material eines größeren Entstehungsprozesses.

„Wir haben uns viel Zeit genommen, viel experimentiert und alles über spezielle Verfahren aufgenommen. Erst nach der Studio-CD haben wir uns daran gemacht, das Projekt auch auf die Live-Bühne zu bringen. Dabei haben wir es kompositorisch stetig erweitert, denn gerade im Live-Zusammenspiel wird deutlich, wie der Mensch ein Werk interpretiert.“

Zur Besetzung gehören keine Blasinstrumente, dafür zwei Vibrafone, ein Cello und zwei Kontrabässe, und mit Cory Smythe, Kaja Draksler, Elias Stemeseder und Ron Stabinsky verfügt die Band über vier Tasteninstrumentalisten.

Lillinger: „Dadurch wird alles noch polyphoner. Vorrangig geht es immer um Klang, und der wird sich in Köln allein schon dadurch verändern, dass der Konzertraum ein anderer ist, was ich mit Soundtechniker Tilmann Hopf spontan nutzen will. Wir werden unsere Stücke spielen und sie zugleich dekonstruieren, was man als ein großes Happening verstehen kann.“

"Ein großes Kulturereignis"

Dass sich die Jazzweek das Großprojekt leistet, ist für Lillinger einer ihrer Vorzüge: „Hier zeigt sich, was Janning Trumann und sein Kuratoren-Team erreicht haben: ein Festival in ganz großem Rahmen. Fast das gesamte Team ist noch jung, alle kennen sich gut aus und haben ihre Chance genutzt. Es ist ja eine enorme Aufgabe, so etwas organisatorisch zu stemmen, verantwortungsvoll das Geld einzusetzen und am Ende ein großes Kulturereignis zu erschaffen.“

Mit Respekt sieht er, was derzeit in Köln möglich ist: „In Berlin gibt es zwar kleinere Festivals, aber keine so große Nummer wie die Jazzweek, schon gar nicht mit so vielen Musikerinnen und Musikern.

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Die Jazzweek hat alles klug gemischt, lokal, national und international, das ist zukunftsweisend.“ Gerade in der Selbstverständlichkeit, mit der Stadt und Land NRW die Szene fördern, sieht er einen gravierenden Unterschied zur weit größeren Berliner Szene.

„Hier reicht am Ende die Unterstützung hinten und vorne nicht, ständig muss man improvisieren, um etwas zu retten. Damit kommt man aber nicht weiter, zumal es nicht nur ums Geld geht, sondern auch um Nachhaltigkeit und Wertschätzung.“

In Köln und in NRW habe das Verhältnis zur Kultur womöglich eine andere Tradition. Grundsätzlich aber bleibt für Lillinger die hiesige Situation des Jazz prekär.

"Jazz-Künstler haben keinen Stellenwert"

„Und das nicht nur durch Corona! Mir persönlich geht es gut, aber insgesamt ist der Stellenwert eines Jazz-Künstlers gleich null, das ist der Wahnsinn.“ Entscheidend ist für ihn, ob und wie sich der Jazz in Deutschland mittel- bis langfristig weiter entwickle. Gerade in der Kölner Szene habe es schon immer wichtige Musikerinnen und Musiker gegeben.

„Wobei ich nicht weiß, ob sie immer innovativ waren, in jedem Fall aber sind sie gut ausgebildet. Für mich ist nicht der erste Eindruck entscheidend, sondern das Werk und wo es hinführt. Auch andernorts spielen die Jungen wunderbar, aber die Frage ist: Welche Stimme werden sie über längere Zeit haben? Da kann Förderung Fluch und Segen sein: Spätestens, wenn sie ausläuft, muss man einen Vektor und eine klare Idee davon haben, wie man verfahren will.“

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