Abo

DenkmalschutzNoteinsatz im "Dom" von Immerath

Lesezeit 5 Minuten
Das Ehepaar Annette und Ernst Jansen-Winkeln

Das Ehepaar Annette und Ernst Jansen-Winkeln

  • "Forschungsstelle Glasmalerei" aus Mönchengladbach bewahrt Kirchenfenster vor der Zerstörung

Noch fünf Tage bis zum Abriss. Durch die leeren Fensterhöhlen von St. Lambertus in Immerath fegt der Wind. Drei der fünf Glasfenster im Chor sind bereits geborgen. Einige Teile liegen im Hof eines Depots in Mönchengladbach. Andere warten noch auf ihren Abtransport. Traurig sei das, sagt Annette Jansen-Winkeln. "So viele Menschen haben ihr Herzblut in diese Kirche gesteckt. Und nun stirbt sie." Die promovierte Kunsthistorikerin steht hinter einem hohen Bauzaun, der das Areal vor neugierigen Besuchern schützen soll, und beobachtet die Arbeiten in den Chorfenstern. Kalter Regen tropft von ihrem Hut. Schon am kommenden Montag werden die Abrissbagger von RWE Power kommen, um die Kirche endgültig dem Erdboden gleichzumachen.

Auch St. Lambertus, ein neuromanischer Bau aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert mit einer auffälligen Doppelturmfassade, muss dem Braunkohletagebau Garzweiler II. weichen. Immerath, ein Dorf mit einer bald 1000-jährigen Geschichte, ist weitgehend geräumt, ein Großteil der Häuser abgerissen. Die stattliche Kirche, die die Bewohner des Dorfes liebevoll ihren "Dom" nannten - und die noch 1985 Aufnahme fand in die Denkmalliste der Stadt Erkelenz -, wurde bereits 2013 in einem feierlichen Akt entweiht. Die sechs Glocken hängte man ein Jahr später ab. Die beiden Turmkreuze folgten im Sommer 2017.

Von den hohen Kirchenfenstern werden nur wenige erhalten bleiben, und das auch nur dank der Initiative von Annette Jansen-Winkeln und ihrem Ehemann, dem Architekten Ernst Jansen-Winkeln. 1993 gründete das Ehepaar in Mönchengladbach die "Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jahrhunderts". Deren Ziel: die "vollständige flächendeckende Erhebung der sakralen und profanen Glasmalerei" in NRW, der niederländischen Provinz Limburg und in Luxemburg.

Alles zum Thema RWE

Rund 100 000 Kirchenfenster haben die beiden Glasexperten seitdem inventarisiert; eine umfangreiche Datenbank gibt Auskunft über die Geschichte und Ausstattung sämtlicher Gotteshäuser im Erfassungsgebiet. Im Depot der Forschungsstelle, einer 500 Quadratmeter großen Tiefgarage in Mönchengladbach, lagern zudem 650 Glasfenster, die das Ehepaar vor der Zerstörung bewahrt hat. Sie stammen aus profanierten und teilweise abgerissenen Kapellen, Kirchen und Klöstern,

Im November 2016 kam ein weiteres ambitioniertes Projekt hinzu: die Gründung der "Stiftung Europäische Akademie für Glasmalerei". Sie soll die "interdisziplinäre Forschung über Glasmalerei fördern und das Bewusstsein für den verantwortlichen Umgang mit Kulturgütern schärfen."

Mit letzterem sei es hierzulande nicht weit her, sagt Annette Jansen- Winkeln. Die 63-Jährige kann sich schnell in Rage reden, wenn sie über den "katastrophalen" Umgang speziell der beiden großen Kirchen in Deutschland mit ihren Kulturgütern redet. Bundesweit wurden in den vergangenen 25 Jahren mehr als 700 Gotteshäuser geschlossen. Knapp 200 von ihnen wurden abgerissen, mehr als 300 verkauft. "Das ist ein großer Kulturverlust", sagt Annette Jansen-Winkeln. Umso "erbärmlicher" sei es, dass sich niemand für den Erhalt von Kulturgütern wie der Glasmalerei zuständig fühle.

So habe das Bistum Aachen keinerlei Interesse an der sakralen Glaskunst aus Immerath gezeigt. Und somit riskiert, "dass die Fenster einfach weggeworfen werden". Was Annette Jansen-Winkelen "eine Schande" und "nicht nachvollziehbar" nennt. "Man hat uns gesagt, dass Fenster mit Wänden gleichzusetzen seien und daher nicht bewahrt werden müssen." Anfragen an anderen Stellen seien auf ein ähnliches Desinteresse gestoßen. Der ehemalige Kölner Generalvikar Stefan Heße habe kirchliche Kunst sogar als "Asche von gestern" bezeichnet.

Seit Dienstag dieser Woche läuft in Immerath die Rettungsaktion, die das Ehepaar rund 10 000 Euro kosten wird. Und die Annette und Ernst Jansen-Winkeln aus eigener Tasche bezahlen werden. Die großen Ornamentfenster im Chor und die beiden Glasmalereien über den Seitenaltären sind ein Werk von Ernst Jansen-Winkelns Vater, dem gleichnamigen, 1992 verstorbenen Kirchenkünstler. Weitere Fenster im Querhaus und in den Seitenschiffen stammen von dem Kölner Grafiker und Kunstprofessor Anton Wolff. Die Zeit reiche leider nicht, um alle Fenster zu sichern, sagt Annette Jansen-Winkeln. Mehr als vier Tage habe RWE ihnen nicht zugestanden.

Anschließend werden sie auf unbestimmte Zeit im Depot in Mönchengladbach gelagert. Hier sind Kirchenfenster aus ganz NRW, Limburg und Luxemburg untergebracht: "Die sieben Gaben des Heiligen Geistes" aus der Kapelle der Englischen Fräuleins in Fürstenfeldbruck. Die Nonnen hatten den Standort in den 1980er Jahren aufgegeben. Zwölf Schifffenster aus der Kirche Heilige Dreifaltigkeit in Münster. Das ehemalige Gotteshaus beherbergt heute Mietwohnungen und Geschäftsräume. Heiligendarstellungen aus der 2013 abgerissenen Kirche St, Ludgerus in Ennigerloh. Die Benediktinerschwester und Glasmalerin Erentrud Trost hatte sie 1959 entworfen. Einige wenige Fenster haben inzwischen eine neue Bleibe in einer Kirche gefunden. Privatleute indes haben keine Chance, eines der Objekte zu erwerben. "Sie waren für die Öffentlichkeit bestimmt und sollen auch in der Öffentlichkeit bleiben."

Oft wenden sich Gemeinden, deren Kirchen aufgegeben werden, und die Nachfahren von Künstlern an die Retter aus Mönchengladbach. "Die Fenster sollen bei uns die 100-jährige Chance bekommen, die ihnen sonst nicht gewährt wird", sagt Ernst Jansen-Winkeln. "Dann sieht man sie vielleicht mit ganz anderen Augen als heute, und die Menschen können beurteilen, ob sie einen Wert haben oder nicht."

Diese Fenster seien viel mehr als Kunst, ergänzt Annette Jansen-Winkeln. "Sie sind Geschichtszeugnisse und erzählen viel über die Menschen, für die die Kirchen gebaut wurden."

Im vergangenen Jahr wurde das Ehepaar für seine Verdienste um die Glasmalerei des 20. Jahrhunderts mit dem "Deutschen Preis für Denkmalschutz" ausgezeichnet. Und es gibt weitere Pläne: Im April des "Europäischen Kulturerbejahrs 2018" soll in den Räumen der Stiftung ein erstes Symposium stattfinden. Das Thema Veranstaltung: "Mangelnder Kulturschutz am Beispiel des Ornaments in der Glasmalerei".

Zur Sache

Die "Forschungsstelle Glasmalerei des 20. Jahrhunderts" besteht seit 1993. Rund 100 000 Werke sind bereits dokumentiert. Wer sich über einzelne Kirchen informieren will, sei auf die Homepage verwiesen. Auskünfte über die Arbeit der Akademie gibt es ebenfalls im Netz.

www.glasmalerei-ev.net.

www.akademie-glasmalerei.eu

KStA abonnieren