Interview mit Frank Schätzing„Ich hab halt Spaß am Spiel mit dem Grauen“

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Frank Schätzing (1)

Der Kölner Autor Frank Schätzing

Köln – Frank Schätzing, 1957 in Köln geboren, ist mit seinen Wissenschafts-Thrillern äußerst erfolgreich. Dazu zählen die Romane „Lautlos“ (2000 erschienen, 704 Seiten dick), „Der Schwarm“ (2004, 988 Seiten), „Limit“ (2009, 1312 Seiten) und zuletzt „Breaking News“ (2014, 976 Seiten).  Bereits  1995 veröffentlichte er den historischen Krimi „Tod und Teufel“ – ein Bestseller.

Der Roman „Der Schwarm“ war sein bislang größter Erfolg. Die Gesamtauflage beträgt 4,5 Millionen Exemplare. Übersetzt wurde  das Buch über den Angriff einer maritimen  Intelligenz   in 27 Sprachen. „Die Tyrannei des Schmetterlings“, der neue Wissenschafts-Thriller, erscheint am Dienstag im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch (736 Seiten, 26 Euro).

Die Auswüchse der Künstlichen Intelligenz

Die Geschichte spielt in der abgelegenen Sierra Nevada in Kalifornien. Dort wird Sheriff Luther Opoku mit einem Auto-Unfall konfrontiert: Eine Frau ist unter rätselhaften Umständen in eine Schlucht gestürzt. Die Ermittlungen führen Luther und seine Stellvertreterin Ruth Underwood zu einer geheimen Forschungsanlage, die vom Hightech-Konzern Nordvisk in  Silicon Valley betrieben wird.

Der Autor legt Wert darauf, dass möglichst wenig von der Geschichte vorab preisgegeben wird. Aber dass der Roman die Auswüchse der Künstlichen Intelligenz schildert, ist nicht zu viel verraten. Frank Schätzing stellt seinen neuen Roman erstmals am Montagabend im Kölner Musical Dome vor. Die beiden ausverkauften Veranstaltungen sind eine „Zugabe“ der lit.Cologne.

„Die Desaster-Variante ist mir immer die liebste“

Herr Schätzing, im Zentrum Ihres neuen Romans „Die Tyrannei des Schmetterlings“ geht es um  die Künstliche Intelligenz (KI). Haben Sie sich dafür entschieden, weil dies jetzt ein so dominantes Thema ist? Oder gab es da ein Aha-Erlebnis?

Das Thema verfolge ich seit Jahrzehnten – seit ich begonnen habe, mich für den technologischen Fortschritt zu interessieren, das war so mit Mitte 20. Da ist mir erstmals der Spruch von Irving John Good untergekommen: „Die erste ultraintelligente Maschine ist die letzte Erfindung, die der Mensch je machen muss.“ Seitdem beschäftigt mich die Vorstellung, was eigentlich Computer oder Künstliche Intelligenzen für uns leisten können und ob sich ein so fortgeschrittener Maschinengeist tatsächlich von einer  vergleichsweise minderbemittelten Schöpferrasse instrumentalisieren lässt. In den letzten Jahren hat sich die KI dann auf ein Level begeben, dass ich dachte: Jetzt ist die Zeit reif, jetzt schreibst Du das.

Sie wirken ja immerzu wie ein äußerst lebensfroher Optimist ...

... und diesen Eindruck haben Sie noch nach der Hölle, die ich im Roman entfessele?

Genau das ist natürlich die Frage: Wie passt das zusammen? Wir verraten ja nicht zu viel, wenn wir feststellen, dass es drunter und drüber geht.

Aber nur als ein Szenario von vielen möglichen. Ich hab halt Spaß am Spiel mit dem Grauen. Die Desaster-Variante ist mir immer die liebste.

Wie sieht es  im wirklichen Leben aus? Müssen wir fürchten, dass wir die Geister, die wir riefen, nicht mehr loswerden?

In der Geschichte des technologischen Fortschritts sind wir die Geister, die wir gerufen haben, nie losgeworden: Was man einmal erschaffen hat, das ist in der Welt. Aber das muss ja nicht schlecht sein. Es gibt ja auch gute Geister. Der Unterschied ist allerdings diesmal: Wir haben es zum ersten Mal mit einer menschgemachten Technologie zu tun, die sich aus sich selber heraus weiterentwickelt und die in kurzer Zeit so viel schlauer werden dürfte als wir, dass sie nur noch selber in der Lage ist, sich zu verbessern. Das ist keine Science Fiction, sondern Konsens in der KI-Forschung. Es gibt dann keinen Experten mehr, der 100-prozentig sagen kann, was in der Maschine vor sich geht. Darum ist es  umso wichtiger, die Weichen so zu stellen, dass sich der Fortschritt zu unserem Segen und nicht zu unserem Fluch entwickelt.

Sie meinen also, dass wir noch eingreifen können?

Ja. Die Entwicklung ist nicht aufzuhalten, aber lenkbar. Darum geht es. Diese Technologie eröffnet unglaubliche Möglichkeiten. Wir erhoffen uns von Künstlicher Intelligenz nichts weniger, als dass sie uns Wege aufzeigt, wie wir unsere  Menschheitsprobleme lösen können: Krieg, Armut, Hunger, Ungerechtigkeit, Krankheit, Tod. Nur – kleine Fehler in der Start-Programmierung solcher Intelligenzen können desaströse Folgen haben.

Wer  kann da eingreifen?

Die Entwickler, nicht die Politiker. Natürlich sollte die Politik mit im Boot sitzen. Aber es bedarf schon einigen Sachverstandes. Da denke ich nur an den Auftritt von Mark Zuckerberg kürzlich vor den Senatoren und Kongressabgeordneten in den USA ...

Da wirkte Zuckerberg wie ein Alien.

Ja, irgendwie grotesk – ein Alien, der vor einer aussterbenden Rasse sitzt.

Auch Zuckerbergs Facebook nutzt Künstliche Intelligenz – in diesem Falle dazu, den Umgang mit den Nutzern zu optimieren.

Natürlich. Schon lange. Aber erst dieses Jahr reden wirklich alle öffentlich über Künstliche Intelligenz. Und jedes Mal, wenn ich davon anfange, schwappt mir eine große Welle der Angst entgegen. Das finde ich erstaunlich. Während meiner Zeit im Silicon Valley spürte ich unter den Technologen durchweg eine enorme Begeisterung für die positiven Perspektiven von KI. Aber die meisten Menschen, für die all das Positive entwickelt wird, reagieren mit Angst und Ablehnung.

Was ist das für eine Angst?

Die ist sehr diffus. Auf jeden Fall beruht sie nicht auf Aufklärung. Es ist dieselbe Angst, die uns entgegenschwappt, wenn es um Fremdenhass und Islam-Feindlichkeit geht.

Angst aus Ahnungslosigkeit?

Genau. Schon darum bräuchten wir dringend Aufklärung über die vielen Aspekte der Künstlichen Intelligenz.

Schätzing über dicke Bücher, Recherche im Silicon Valley und ewiges Leben

Dazu trägt Ihr Roman bei, der wieder zahlreiche Informationen transportiert. Macht Ihnen die Recherche eigentlich mehr Spaß als das Schreiben?

Das ist unterschiedlich. Bei einigen Büchern war das Recherchieren die größere Freude und das Schreiben dann eher Arbeit. In diesem aktuellen Fall lag das Verhältnis bei 50 zu 50.

Die Materialfülle, die Sie jeweils ansammeln, spiegelt sich auch im Umfang Ihrer Bücher. Diesmal liegen Sie mit 736 Seiten unter den letzten drei Vorgängerromanen, worunter „Limit“ mit 1312 Seiten der Spitzenreiter“ ist.

Ja,  diesmal schramme ich knapp an einer Kurzgeschichte vorbei.

Lesen Sie selbst lieber dicke oder dünne Bücher?

Ich hasse dünne Bücher, die schlecht geschrieben sind, und ich liebe dicke Bücher, die gut geschrieben sind.

Sehr weise.

Aber so geht es doch jedem von uns. 

Sie haben auch in Silicon Valley recherchiert. Wie darf man sich das Areal vorstellen?

Man fährt hin und erwartet eine technologische Glitzerwelt. Aber das Valley ist ernüchternd unglamourös. In die Jahre gekommene Büroklötze, kaum Hochhäuser. Was kein Wunder ist, wenn man bedenkt, dass seinerzeit da keine Wirtschaftsbosse hingezogen sind, sondern Technologen und mittellose Studenten, die billige Arbeitsfläche suchten. Also, mein Firmensitz im Valley, den ich  für den Roman erfunden habe, ist eindeutig der schönste.

Sie kennen die Vereinigten Staaten  gut. Hat sich das Land unter Donald Trump verändert?

Das ist tatsächlich der Fall. Es hat sich schon unter George W. Bush verändert. Seit dessen Amtszeit ist das Land gespalten – und Barack Obama hat das nicht ändern können. Ohne es ihm anlasten zu wollen, hat sich die Spaltung in seiner Ära noch vertieft. Das Ergebnis ist der aktuelle Präsident. Und Trump ist eindeutig gefährlich. Gar nicht mal so sehr im militärischen Sinne, sondern als Abrissbirne der letzten moralischen Hemmschwellen.

Im Roman selbst ist auch von „Brandrednern“ die Rede.

Brandredner aller Länder fühlen sich durch Trump bestätigt. Es wird ein Vokabular zum Umgangston erklärt, das sich noch vor wenigen Jahren verboten hätte.

Im Roman findet – wie zuletzt auch in der amerikanischen Realität – ein Treffen des US-Präsidenten mit Vertretern von Silicon Valley statt. Welche Seite ist denn die mächtigere?

Am Ende des Tages wohl die Herren aus Silicon Valley. Denn sie haben das Wissen.

Aber auch die Entwickler müssen kontrolliert werden. Oder?

Absolut. Leider sind die wenigsten Politiker, so weit ich das übersehe, in der Lage, ein Urteil über Künstliche Intelligenz abzugeben. Die Politik muss intellektuell  aufrüsten. Ich hoffe allerdings, dass die Entwickler-Szene zu einer gewissen Selbstregulierung gelangt. Es gibt Anzeichen, jenseits der gespielten Zerknirschung von Herrn Zuckerberg. Man wird nachdenklicher.

Gab es eine besondere Herausforderung beim Schreiben des Romans?

Sich in fremde Welten zu denken, ist immer eine Herausforderung. Und ein Riesenspaß. Die Phantasie spielen lassen – genau deshalb mache ich das ja.

Ist es Ihnen immer bewusst, wenn eine solche Idee aufploppt?

Sofort. Diese Momente habe ich zu 90 Prozent morgens unter der Dusche. Da kommen die besten Ideen. Ich bin morgens ein Spätstarter, ein leeres System. Es gibt ja Leute, die springen  aus dem Bett und sagen: Ich dachte schon, der Wecker klingelt überhaupt nicht mehr. Ich nicht. Ich erinnere mich unter der Dusche erst mal, wie ich heiße und wo ich wohne. Die übrigen zehn Prozent an Ideen kommen mir beim Joggen.

Es werden auch manche philosophischen Fragen in Ihrem Roman erörtert. So träumt der Entwickler Elmar davon, das ewige Leben zu erfinden, während  Sheriff Luther Opoku aus Downieville diese Vorstellung fürchterlich findet. Was halten Sie vom ewigen Leben?

Alle, die ich in Silicon Valley traf, habe ich genau danach gefragt. Facebook-Investor Peter Thiel zum Beispiel steckt Milliarden in diese Forschung, der will ewig leben. Pascal  Finette von der Singularity University hält das für eine Horror-Vorstellung. Ich persönlich fände es charmant, noch 100 Jahre älter zu werden. Man würde eine andere Kanzlerin als Angela Merkel erleben, vielleicht sogar die Eröffnung des Berliner Flughafens. Das hätte schon seine Vorzüge. Aber Unsterblichkeit fand ich schon in Vampirfilmen schrecklich.

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