Kritische Bilanz„Der Mythos Bauhaus überdeckt vieles andere“

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Meilenstein der Bauhaus-Moderne: Walter Gropius’ Fagus-Werk in Alfeld

Meilenstein der Bauhaus-Moderne: Walter Gropius’ Fagus-Werk in Alfeld

  • Wolfgang Pehnt ist der renommierteste Architekturhistoriker in Deutschland.
  • Zur Halbzeit des Bauhaus-Jubiläumsjahres zieht er kritische Bilanz.
  • Pehnt stört sich daran, wie inflationär der Bauhaus-Begriff benutzt wird – und was hinter ihm alles verschwindet.

Herr Pehnt, Sie haben sich immer wieder gegen den inflationären Gebrauch des Begriffes Bauhaus ausgesprochen. Ist jetzt im Bauhaus-Jubiläumsjahr alles noch viel schlimmer geworden? Ja, das kann man sagen. Ich habe das Gefühl, dass derzeit ein Staatstheater mit dem Stück „Bauhaus“ aufgeführt wird. Im Jahr 2015 hatte der Bundestag beschlossen, das Jubiläum zu einem großen Ereignis zu machen, an dem sich alle Bundesländer beteiligen sollten. Das schöne Wort vom erfolgreichsten deutschen kulturellen Exportartikel im 20. Jahrhundert steht ja sogar in einer Drucksache des Deutschen Bundestags. So etwas hat es meines Wissens bisher noch nicht gegeben.

Sie finden das übertrieben?

Das Bauhaus ist sicherlich eine sehr rühmliche Sache gewesen. Lebendig bis dorthinaus und innovativ in vielen Zügen. Ich habe nichts gegen das Bauhaus, wie sollte ich. Aber durchaus etwas dagegen, dass der Bauhaus-Mythos so viele andere verdienstvolle Institutionen überdeckt. Im Grunde begann die deutsche Reformschulbewegung bereits um das Jahr 1900. Aus den alten Kunstgewerbeschulen wurden Werkkunstschulen oder Werkschulen, die teilweise ähnliche Programme wie später das Bauhaus hatten.

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Wie lässt sich dann der besondere Ruhm des Bauhauses erklären?

Das hat mehrere Gründe. Zum einen gab es den kulturpolitischen Zufall, dass das in Weimar gegründete Bauhaus genauso lange bestand wie die Weimarer Republik und deshalb geradezu mit ihr identifiziert wurde. Aber natürlich liegt der Erfolg des Bauhauses auch in den Leistungen der Künstler begründet, das ist gar keine Frage. Die Berufungspolitik von Walter Gropius war außerordentlich erfolgreich, gerade, was die Zusammenführung von künstlerischen Formmeistern und handwerklichen Werkmeistern betraf. Aber auch das gab es vorher schon bei Hans Poelzig in Breslau.

Welche Rolle spielte der politisch erzwungene Umzug nach Dessau?

Das war ein Glücksfall, denn in Dessau fand Gropius die Möglichkeit, auch in Architektur zu investieren und eigene Schul- und Wohngebäude zu errichten. Welche andere Kunstschule konnte das von sich behaupten? Das Dessauer Bauhaus wurde weltweit publiziert, Gropius entwarf eine strenge Regie für die fotografische Darstellung der Gebäude. Und in Dessau fand Gropius den Zugang zur Industrie, zu den Junkers-Werken.

So richtig berühmt wurde das Bauhaus aber erst, als seine Vertreter ins Exil gegangen waren.

Das Unheil von 1933 war für die Verbreitung der Bauhaus-Idee durch die Emigranten enorm wichtig. Vor allem in den USA war das Bauhaus prominent vertreten, aber auch in Großbritannien, der Türkei und in Israel. Wobei von den rund 200 Architekten des Neuen Bauens in Tel Aviv lediglich sechs aus dem Bauhaus kamen. Trotzdem ist Tel Aviv heute nicht nur die „Weiße Stadt“, sie wirbt auch für sich als Bauhaus-Stadt.

In Deutschland gab es ebenfalls unendlich viel mehr Architekten des Neuen Bauens als echte Bauhäusler.

Wenn ich höre, wer so alles Bauhaus-Künstler gewesen sein soll, kann ich mich nur an den Kopf fassen: Peter Behrens, Bruno Taut, Erich Mendelsohn oder Rudolf Schwarz. Diese Architekten waren teilweise eine Generation vor dem Bauhaus. Schwarz, der bereits 1929 gegen das Bauhaus gewettert hatte, sprach Walter Gropius, dem Gründungsdirektor des Bauhauses, nach dem Krieg sogar die Fähigkeit zum Denken ab, „jedenfalls was man im abendländischen Raum Denken nennt“. Spricht so ein Bauhäusler?

Von Walter Gropius weiß man, dass er nicht zeichnen konnte. Manche halten ihn deshalb für einen Scharlatan.

Das ist momentan in der Gropius-Literatur wieder ein Thema. Aber es gibt Entwürfe, die nachweislich von ihm stammen, beispielsweise zum gezackten Denkmal für die Märzgefallenen in Weimar. Davon abgesehen ist der Begriff der Eigenzuständigkeit bei Architekturateliers immer schwierig. Wenn Sie heute in diese 200-Mann-Büros gehen, da hat der Chef auch nicht immer die Entwürfe selbst gemacht. Sondern vielleicht nur mal drüber geguckt. Architektur geht nie ohne Gehilfen und Gefährten. Bei Walter Gropius hieß der anfangs Adolf Meyer, und es ist gut möglich, dass Meyer einen größeren Anteil an Gropius’ berühmten frühen Bauten hatte, dem Fagus-Werk und der Kölner Werkbundfabrik, als Gropius später zugab.

Zur Person

Wolfgang Pehnt, geboren 1931 in Kassel, ist der renommierteste Architekturhistoriker in Deutschland. Sein Buch „Deutsche Architektur seit 1900“ ( Deutsche Verlags-Anstalt, 29,99 Euro) Ist ein Standardwerk, hinzu kommen wichtige Monografien zu Architekten wie Rudolf Schwarz und Gottfried Böhm. In den Jahren 1963 bis 1995 war Pehnt Redakteur beim Deutschlandfunk in Köln, davon 1974 bis 1995 als Leiter der Abteilung Literatur und Kunst. Im Anschluss lehrte er bis 2009 an der Ruhr-Universität Bochum. Seine jüngste Aufsatzsammlung „Die Regel und die Ausnahme“ ist bei Hatje Cantz erschienen.

Pehnt lebt in Köln-Weiden,

er hat zwei erwachsene Kinder. Seine Tochter Annette Pehnt wurde als Schriftstellerin bekannt. (KoM)

Das Bauhaus war zeitweise so erfolgreich, dass es für alle Bausünden der Moderne verantwortlich gemacht wurde.

Das ist der Nachteil des Ruhmes. Wenn das Pendel zurückschlägt, wird man für die Fehler oder Einseitigkeiten aller in Haftung genommen. Auf diese Weise rächt sich gewissermaßen die Inanspruchnahme von Leuten, die mit dem Bauhaus nie etwas zu tun hatten.

In Bayern hat man mangels Bauhaus-Bauten darauf verzichtet, sich am Jubiläumsjahr zu beteiligen. Hätte es NRW nach Ihrer Meinung ähnlich halten sollen?

NRW hat sich im Gegenteil sogar zum Bauhaus-Land erklärt. Man fragt sich aber schon: Wo soll dieses Bauhaus im Westen denn gestanden haben? Eine Ausnahme bildet vielleicht Ludwig Mies van der Rohe, der in Aachen aufwuchs und in Berlin lebte. In Krefeld gibt es die Seidenweberei Verseidag und seine beiden Villen. Die hatte Mies allerdings schon entworfen, bevor er 1930 Bauhaus-Direktor wurde.

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Gibt es eine Bauhaus-Ausstellung in NRW, die Sie überzeugt?

Ja, und das ist nicht zufällig eine Ausstellung in Krefeld, an einem Ort, wo die Beziehungen nach Dessau tatsächlich vielfältig gewesen sind. Die „Mies im Westen“-Schau in den ehemaligen Verseidag-Gebäuden ist gut recherchiert, übersichtlich und pädagogisch eindrucksvoll präsentiert. So etwas hätte ich mir häufiger gewünscht. Ansonsten sieht man eher mit Anteilnahme, wie sich die Museumsdirektoren überall in Deutschland abgemüht haben, noch einen unbekannten Bauhaus-Schüler oder eine Schülerin zu finden, um sie als Entdeckung vorzustellen. Aber ich habe nicht alle Bauhaus-Ausstellungen gesehen. Es gab zu viele.

Wie hätte man es denn besser machen können?

Ich hätte mir gewünscht, dass man in den Städten, wo auch viel passiert ist, die entsprechenden Institute vorgestellt hätte. Auf diese Weise wäre eine wirkliche Übersicht über die architektonischen und reformschulischen Entwicklungen in Deutschland entstanden. In Frankfurt haben sie das für das „Neue Frankfurt“ gemacht, das fand ich prima. An anderen Orten hatte ich das Gefühl, die Museumsdirektoren haben in den unteren Schubladen gewühlt, um noch etwas Bauhaus zu finden.

In Köln hätte man das Wirken der Werkschulen zeigen können.

Was an den Kölner Werkschulen in den 1920er Jahren passierte, das würde ich gerne mal in einer großen Ausstellung sehen. Das würde sich lohnen. Martin Elsaesser und Richard Riemerschmid waren als Direktoren dort, Dominikus Böhm hat dort gewirkt, es gab eine wichtige Abteilung für religiöse Kunst, die Glasmalerei war mit Johan Thorn Prikker prominent vertreten. Damals wurden die Werkschulen von der Stadt so stark gefördert, dass sie für 1932 eine Weltausstellung in Köln plante. Die sollte viel größer werden als die Kölner Werkbundausstellung im Jahr 1914. Das Vorhaben wurde aber durch die Weltwirtschaftskrise und endgültig durch die Nazis zunichte gemacht.

1924 verhandelte Konrad Adenauer mit Ise Gropius, der Freundin seiner Frau, über einen Umzug des Bauhauses nach Köln. War das mehr als Höflichkeit?

Wie in anderen Städten, mit denen Walter Gropius verhandelte, hätte es in Köln ein Problem mit der bestehenden Werkschule gegeben. Ich bezweifle, dass sich Köln eine zweite ähnliche Schule hätte leisten können. Bereits 1919 hatte Hans Poelzig Kontakte nach Köln geknüpft, um eine damals noch Bauhütte genannte Schule hierher zu bringen. Aber das war nicht durchzusetzen.

Wie fällt Ihr Halbzeitresümee zum Bauhaus-Jubiläum aus?

Ich hätte mir gewünscht, dass man dieses Jahr genutzt hätte, um zu zeigen, was Neues Bauen und Neues Design in den 1920er Jahren in ganz Deutschland und anderswo geboten haben. Wir haben die Verpflichtung, auch die Kräfte, die es an anderen Orten gab, zu würdigen und zu sehen, was sie uns heute zu sagen haben. Das wird jetzt alles mit dem einen Thema Bauhaus zugedeckt.

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