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Lesetipps für die FerienDiese Bücher empfehlen wir Ihnen im Sommer

Lesezeit 92 Minuten
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Mit einem guten Buch in den Garten oder auf den Balkon legen - das ist auch wunderbar.

Sommer, Sonne und ein gutes Buch. Was gibt es bei schönem Wetter Besseres, als sich mit einem guten Buch auf die Wiese, den Balkon oder in den Garten zu verziehen. Vielleicht sogar in den Strandkorb? Im Urlaub haben wir endlich die Zeit, um in unseren Lieblingsbüchern zu schmökern. Wer dazu noch auf der Suche nach dem passenden Buch ist, wird in unseren Lese-Tipps für den Juli garantiert fündig.

Wollitzer stellt die Machtfrage

„weibliche Prinzip“ ist Meg Wollitzers zwölfter Roman. Jeder Mann, beziehungsweise jedermann sollte es lesen. Zum einen, weil es auf eine ganz altmodische Weise einfach ein sehr guter Roman ist, bei dem der Leser über fast 500 Seiten mit den Erfolgen und Rückschlägen der Protagonisten fiebert, als gehörten diese zum allerengsten Freundeskreis. Zum anderen, weil Meg Wolitzer hier eben gerade nicht über vorgeblich „kleine“ Themen schreibt, sondern die Machtfrage stellt: Feminismus bedeutet, dass Frauen „ein faires und gutes Leben“ wollen. (cbo)

Meg Wolitzer: „Das weibliche Prinzip“, deutsch von Henning Ahrens, DuMont Buchverlag, 496 S., 24 Euro.

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Bannalec lockt in die Bretagne

Frankreich-Krimis aus deutscher Feder boomen. Zu verdanken ist das nicht zuletzt Jean-Luc Bannalec. Hinter diesem französischen Pseudonym verbirgt sich ein deutscher Verleger Jetzt ist der siebte Band erschienen: „Bretonische Geheimnisse“. Kommissar Dupin und seine Kollegen machen einen Betriebsausflug in den Wald von Brocéliande. Hier findet Dupin einen Artusforscher in seinem Blut. Es soll noch schlimmer kommen. Wie schon die Vorgängerbände eignet sich auch dieser lesenswerte Krimi hervorragend als Reiseführer. Nicht nur Artusforscher werden ihre Freude daran haben. (P.P.) Jean-Luc Bannalec: „Bretonische Geheimnisse“, Kiepenheuer & Witsch, 400 Seiten, 16 Euro. E-Book 14,99 Euro.

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Dieser Familien-Idylle muss man misstrauen

Celeste Ng ist nach ihrem Erfolg mit „Was ich euch nicht erzählte“ ein weiterer großer Wurf gelungen: „Kleine Feuer überall“ erzählt von einer amerikanischen Vorzeige-Familie wie gemacht für ihre Vorzeige-Stadt. Doch auch hier gilt: Misstraue der Idylle. Ihr neuer Roman, klug komponiert und spannend bis zur letzten Seite, erzählt wie in einem Gleichnis von einem Amerika, das vor gut 20 Jahren noch in der Illusion lebte, das Böse zu überwinden, Rassismus, Intoleranz und Armut durch Selbstoptimierung zu besiegen – und letztlich daran scheitert. Die Figuren sind fein beobachtet, in ihren Haltungen und Handlungen nachvollziehbar, kurz: Es ist ein absolutes Lesevergnügen und die Autorin noch jung genug, dass wir noch mehr von ihr erwarten dürfen. (Hz)

Celeste Ng: „Kleine Feuer überall“, dt. von Brigitte Jakobeit, dtv, 384 Seiten, 22 Euro. E-Book: 19,59 Euro.

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Seethalers sehr kommunikative Toten

Zunächst drängt sich der Gedanke auf, die Lektüre von Robert Seethalers Roman „Das Feld“ (Hanser Berlin, 240 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro) gehöre in den regentrübsten November, weil sich die Handlung auf einem Friedhof abspielt und nur Verstorbene zu Wort kommen. Aber weil dann diese Toten in ihren Redebeiträgen höchst lebendig das nahezu komplette Gefühlsregungsspektrum zwischen Liebe und Hass, Hoffnung und Enttäuschung abdecken, passt der Titel in jede Saison und in jede Bibliothek. Melancholie durchzieht dieses Panorama der kleinstädtischen Gesellschaft – wie sollte es anders sein. Was die Toten zu berichten haben, ist für jeden von ihnen erheblich. Gleichwohl sind ihre Geschichten, die einander ergänzen, nicht spektakulär (ja, der Kirchenbrand ist schon speziell), sondern aus dem alltäglichen Erfahrungsschatz gespeist.

Robert Seethaler: „Das Feld“, Hanser Berlin, 240 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Chaos im Kongo

Kann man die belgische Kolonialherrschaft in Afrika, den Völkermord in Ruanda sowie die Diktatur Kabilas mit der Geschichte einer brüchigen französischen Familie und einer grausamen Mordserie zu einem stringenten Roman verflechten? Ein derart heikles literarisches Wagnis gelingt nur einem Könner wie Jean-Christophe Grangé („Die purpurnen Flüsse“). Kraftvoll, die Handlung in immer neue grelle Bilder getaucht, erzählt der französische Thriller-Star Grangé eine zunehmend dramatische Geschichte, die in einen spektakulären Showdown in der Bretagne mündet. (EvS)

Jean-Christoph Grangé: „Schwarzes Requiem“, deutsch von Ulrike Werner, Lübbe, 688 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Pastor bekämpft das Fernsehen

Marlon James’ Debütroman „Der Kult“ über religiösen Wahn und dessen destruktive Kraft kann nicht ganz mithalten mit seinem preisgekrönten Monumentalwerk „Eine kurze Geschichte von sieben Morden“, in dessen Zentrum die Reggae-Legende Bob Marley steht. Erst mit diesem Buch fand James 2014 seinen eigenen, unverwechselbaren Sound. Doch der internationale Erfolg dieses Romans ermöglicht jetzt die Wiederentdeckung von „John Crow’s Devil“, so der Originaltitel. Im Zentrum steht Pastor York, der im Jamaika der späten 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts gegen die neumodische Zerstreuung namens Television wettert. (ThK)

Marlon James: „Der Kult“, deutsch von Wolfgang Binder, Heyne Hardcore, 288 Seiten, 22 Euro.

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Spannung im Hochbunker

In keiner deutschen Stadt wurden im Zweiten Weltkrieg so viele Bunker gebaut wie in Hamburg. Der ideale Schauplatz also für einen Thriller. Die gebürtige Kölnerin Nora Luttmer (Jahrgang 1973), die in Hamburg als Journalistin und Autorin arbeitet, suchte sich einen verlassenen Hochbunker aus, um ihn zum Zentrum eines originellen und erschütternden Spannungsromans werden zu lassen. (EvS)

Nora Luttmer: „Dunkelkinder“, Knaur TB, 320 Seiten, 14,99 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

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Die Begeisterung des Alexander von Humboldt

Alexander von Humboldts amerikanische Tagebücher, an denen er auch nach seiner Rückkehr ergänzend und korrigierend gearbeitet hat, sind von einer vorbildlichen Neugier und Offenheit beseelt. Die Reise zur See, während der er auf den Kanaren erstmals „afrikanischen Boden“ zu betreten meinte, und die Reise über Land, die ihn tief in den südamerikanischen Urwald führte – sie sind überreich an Entdeckungen und Begegnungen. Humboldt genoss all dies nicht nur als nüchterner Dokumentarist, sondern hingerissen mit allen Sinnen. Davon erzählt er – in dieser Auswahl zumindest – locker, selten dozierend, zuweilen verknappend und auch mal süffisant-ironisch. Er beobachtet sich gleichsam selbst, wie er eine buchstäblich neue Welt für sich entdeckt.

Alexander von Humboldt: „Das Buch der Begegnungen – Menschen, Kulturen, Geschichten aus den amerikanischen Reisetagebüchern“, hrsg. von Ottmar Ette, Manesse, 394 Seiten, 45 Euro. E-Book: 39,99 Euro.

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Bibliothekare als Schmuggler in Timbuktu

Der britische Journalist Charlie English hat minutiös recherchiert, was 2012 in Timbuktu während der Besetzung durch Islamisten vor sich ging. Unter größter Geheimhaltung schmuggelte eine Gruppe von Bibliothekaren wie Abdel Kader Haidara und Ismael Diadié die Manuskripte aus der Stadt. Unter Lebensgefahr passierten sie abends die Wachen der „Gotteskrieger“, die Manuskripte erst in Säcken, dann in Kisten auf den Ladeflächen von Pickups. Die abenteuerliche Rettungsaktion für das Weltkulturerbe schildert English wie einen Krimi, der dem sagenhaften Ruf der früheren Karawanenstadt im Westen Afrikas ein ebenso sagenhaftes Kapitel hinzufügt.

Charlie English: „Die Bücherschmuggler von Timbuktu“, dt. von Heike Schlatterer, Hoffmann & Campe, 428 Seiten, 24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Der kölsche Grüffelo

In einem Kanon der modernen Kinderliteratur würde dieses Bilderbuch sicherlich nicht fehlen: Der Grüffelo der britischen Autorin Julia Donaldson und des deutschen Illustrators Axel Scheffler. Das Buch wurde in 54 Sprachen übersetzt, pardon, in 55. Denn jetzt hat die Kölner Autorin und Journalistin Ute Wegmann es auch ins Kölsche übertragen (das Kölsch nicht als eigenständige Sprache zählt, missachten wir an dieser Stelle mal). Das liest sich dann so: „Die Muus dät wigger erömspazeere. Dat soch en Schlang und dät sich ameseere.“ (aso)

J. Donaldson, A. Scheffler, U. Wegmann: „Der Grüffelo Kölsch“, Beltz & Gelberg, 30 Seiten, 13,95 Euro, ab 4.

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E-Mails der besonderen Art

Diese Geschichte über ein Mädchen, das den Selbstmord seines Bruders nicht verwinden kann, startet im Februar. Zugegeben – sowohl im Thema als auch in der Jahreszeit disqualifiziert sie sich damit eigentlich schon als Sommerlektüre. Aber, soviel kann man wohl verraten ohne zu spoilern: Irgendwann wird alles besser. Irgendwann ist wieder Juni. Irgendwann findet Luise ins Leben zurück. Anne Freytag erzählt, wie gesagt, von Luise und ihrem Bruder Kristopher, der unter einer bipolaren Störung litt und sich deswegen das Leben genommen hat. Luise, deren Leben sich um die Existenz des Bruders gedreht hatte, verliert jeglichen Lebensmut. Doch dann erhält sie E-Mails – von ihrem toten Bruder, in denen er ihr Aufgaben stellt, die sie erfüllen muss. Insgesamt ist „Nicht weg und nicht da“ ein sehr berührender Roman, der aber nicht ganz an seine beiden hervorragenden Vorgänger heranreicht. (aso)

Anne Freytag: „Nicht weg und nicht da“, Heyne Verlag, 480 Seiten, 16 Euro, E-Book: 12,99 Euro, ab 14.

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In aller Kürze

Wenn es um Israel und Palästina geht, um deutsche Geschichte, Deutschland und Juden – dann ist David Grossmann ein begehrter Gesprächspartner. Den Romancier als Essayisten und Redner kann man nun in dem schmalen Band „Eine Taube erschießen“ (Hanser, 18 Euro) kennenlernen. (M.Oe.)

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Ein starkes Stück, aber nur 40 Seiten dünn: „Phitsanulok“ (Verlag Peter Engstler, 9 Euro). Literatur-Kritikerin Sabine Vogel schildert darin thailändische Reiseerfahrungen. Die sind wach, witzig, berührend, intensiv – und eindeutig empfehlenswert. Ein Buch nicht nur für Thailand-Freunde. (M. Oe.)

Immer wieder ein Genuss: die Kataloge des Deutschen Literaturarchivs in Marbach. Die Nummer 71 begleitet die aktuelle Ausstellung „Die Erfindung von Paris“ (30 Euro). Diese widmet sich den Bildern, die sich Autoren von der Hauptstadt gemacht haben – von Heinrich Heine bis Peter Handke. (M. Oe.)

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Es ist ein im besten Sinne altmeisterlicher Ton, der den Gedichtband von Reiner Kunze auszeichnet: „die stunde mit dir selbst“ (S. Fischer, 72 Seiten, 18 Euro). Allemal nahbar, behutsam und berührend sind seine Verse zu Geschichte und Gegenwart, Natur und Literatur, das Individuum und das All. Auch die Handy-Hingabe wird lyrisch attackiert. Der lesenswerte Band mit Gedichten mitten aus dem Hier und Heute erscheint offiziell am 25. Juli. (M.Oe.)

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Die besten Bücher im Juni

Choral der Unerlösten

Der Plot von „Lincoln im Bardo“ ist historisch verbrieft: Während das Präsidentenpaar Abraham und Mary Lincoln im Weißen Haus zu einem Empfang von beispielloser Pracht geladen hat, der Bürgerkrieg ist noch kein Jahr alt, hütet ihr zweitjüngster Sohn Willie ein Stockwerk höher fiebernd das Bett. Ausladen will Lincoln nicht, aber er untersagt Tanzvergnügungen. Willies Zustand verschlechtert sich rapide, wenige Tage nach dem Bankett stirbt der Elfjährige an Typhus.

„Lincoln im Bardo“ ist für die Ewigkeit, ein Buch wie dieses haben auch Sie garantiert noch nicht gelesen.  Seine ungewöhnliche Form hat ihm das schlimme Adjektiv „experimentell“ eingebrockt. Saunders hält sich als Erzähler völlig zurück, nennt sich selbst „Kurator“, und collagiert historische Quellen, echte und gut erfundene mit theaterstückartigen Monologen und Gesprächen. Das dürfte so manchen Käufer abschrecken, sollte es aber nicht. Nach ein, zwei, drei Seiten hat man sich an seine formalen Eigenheiten gewöhnt. Und dann ist „Lincoln im Bardo“ ein ausgesprochenes Lesevergnügen, nicht zuletzt in der fantastischen, schnörkellosen und doch aus dem Vollen schöpfenden Übersetzung von Frank Heibert. (cbo)

George Saunders: „Lincoln im Bardo“, dt. von Frank Heibert, Luchterhand, 448 Seiten, 25 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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1968 in der Provinz

Im Keller des Psychologischen Instituts der Universität Bonn stieß die Wissenschaftlerin Christina von Hodenberg auf Dokumente, die eine Neubewertung der 68er nahelegen. Es handelte sich um viele tausend Stunden Tonbandprotokolle. Sie enthalten Interviews mit mehreren hundert Zeitzeugen, die ganz überwiegend keinen akademischen Hintergrund hatten und in der Provinz zu Hause waren –  also abseits der Protest-Hochburgen West-Berlin und Frankfurt am Main.

Bei der Auswertung dieser lange vergessenen Quelle zeigte sich für Christina von Hodenberg, dass es sich bei der Darstellung von 68 als Generationenkonflikt eher um eine Legende handelt, als um gesellschaftliche Wirklichkeit. In kaum einer Familie der Interviewten gab es den Aufstand der Jungen gegen die NS-Verstrickungen ihrer Mütter und vor allem Väter. Überhaupt war das Verhältnis zwischen den jungen Erwachsenen der 68er-Generation und ihren Eltern erheblich besser als kolportiert. Christina von Hodenbergs Verdienst ist es, den Scheinwerfer auf das andere 68 zu richten, auf die weniger Gebildeten, auf die Menschen in der Provinz, auf die Frauen und auch auf die Älteren. (Michael Hirz)

Christina von Hodenberg: „Das andere Achtundsechzig – Gesellschaftsgeschichte einer Revolte“, C.H. Beck, 250 Seiten, 24,95 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Späte Wirren

Das Leben sei nichts als „Flickschusterei“, heißt es in einer der vier Geschichten, die der US-Autor Richard Russo in „Immergleiche Wege“ vorstellt. Eine ungewöhnliche Metapher, die wohl besagt, dass in jedem Lebenslauf Risse und Löcher entstehen, die beständig ausgebessert werden müssen. In seinen Geschichten beschreibt Russo, wie Menschen versuchen, die Fäden, die sich aus ihrem Lebensband gelöst haben, wieder aufzunehmen und zu verknüpfen. Seine Protagonisten entstammen alle vier dem Bildungsbürgertum und sind in mittlerem bis fortgeschrittenen Alter. Wichtige Entscheidungen sind bereits getroffen, Berufe und Lebenspartner gefunden. Aber was heißt das schon?

Die Literatur gewähre uns „winzige Einblicke“ in das Leben anderer, „die uns nach mehr hungern lassen“, heißt es an einer Stelle des Buches. Genau das tun auch die Erzählungen Richard Russos. (Elke Biesel)

Richard Russso: „Immergleiche Wege“, dt. von Monika Köpfer, DuMont Buchverlag, 302 Seiten, 23 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Krumme, Kriminalkommissar an der Nordsee

Hat ein angesehener Husumer Pastor vor 20 Jahren eine junge Frau ermordet? Die Kölnerin Ina ist fest davon überzeugt. Als sie sich mit Mann und Kind an der Nordsee erholen will, glaubt sie in dem Geistlichen jenen Kerl zu erkennen, der ihre Schwester einst getötet hatte.

Mit dem Roman „Schwarzes Watt“ legt Hendrik Berg bereits seinen vierten Nordseekrimi um den aus Berlin nach Husum gewechselten Ermittler Krumme vor. Der elegant gegen den Strich üblicher Spannungsromane gebürstete Thriller weckt sogleich den Wunsch, die Vorgängerkrimis zu lesen. (evs)

Hendrik Berg: „Schwarzes Watt“, Goldmann, 368 Seiten, 10 Euro. E-Book: 9,99 Euro.

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Durand, Chef de Police in der Provence

Zwei Touristinnen ist eine Wanderung durch die Hochprovence nicht gut bekommen. Sie werden tot in den Bergen aufgefunden. Und jetzt ist auch noch die Frau des Bürgermeisters von Sainte Valérie verschwunden. Ist Nanette Rozier womöglich das dritte Opfer eines Serienmörders geworden? Oder hat der Herr Bürgermeister höchstselbst seine Frau um die Ecke gebracht? Im Städtchen munkelt man, dass es mit der Ehe der Roziers nicht zum Besten steht. Kein Wunder, dass Pierre Durand, Chef de Police von Sainte Valérie, den Urlaub mit Freundin Charlotte sausenlässt und alles daransetzt, Nanette Rozier zu finden.

Wieder entführt Sophie Bonnet, eine deutsche Autorin mit französischem Pseudonym, ihre Leserinnen und Leser ins pralle Leben Südfrankreichs, wo nicht nur fleißig gemordet, sondern auch gut gegessen und getrunken wird. Bonnet greift im jüngsten Band der Serie die aktuelle Diskussion über die Wiederkehr des Wolfes auf und verquickt das brisante Thema mit der Geschichte einer persönlichen Rache. Mehr als nur eine spannende Urlaubslektüre.

Sophie Bonnet: „Provenzalische Schuld“, Blanvalet, 336 Seiten, 15 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

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Drei Frauen, drei Schicksale

Laetitia Colombani ist Filmschauspielerin und Regisseurin, das merkt man ihrem Roman an. Man sieht beim Lesen förmlich die filmische Umsetzung vor sich. Und die Filmrechte sind auch schon verkauft. Sie verwebt – oder besser verflechtet, um im Bild zu bleiben – die Lebensgeschichten von drei sehr unterschiedlichen Frauen. Da ist die Inderin Smita, eine Unberührbare, die nie im Leben eine Chance hatte, und nun möchte, dass es ihrer Tochter einmal bessergeht. Giulia lebt in Sizilien. Sie arbeitet in der Perückenfabrik ihres Vaters. Als der ins Koma fällt, muss sie einen Weg finden, das Geschäft zu retten. Da lernt sie den Sikh Kamal kennen, der ihr bald davon erzählt, dass indische Tempel Haare ins Ausland verkaufen. Und in Montreal lebt die erfolgreiche Anwältin und alleinerziehende Mutter Sarah. Sie erkrankt an Brustkrebs und verliert durch die Chemo alle Haare.

Wenn ich Ihnen jetzt noch sage, dass Smita wunderschöne lange, schwarze Haare hat, die sie  – wie der Klappentext verrät – dem Gott Vishnu opfert, dann wissen Sie genau, was passiert. Die eine opfert ihre Haare, die nächste rettet damit ihre Fabrik und macht eine Perücke daraus, die die dritte wiederum kauft. Dass man früh ahnt, wie sich eine Geschichte entwickelt, muss nichts Schlechtes sein, aber diese totale Vorhersehbarkeit – ohne jede Überraschung, ohne jede Brechung, ohne jede interessante Wendung – ist die große Schwäche von „Der Zopf“. Ein Roman wie viele Blockbuster: leicht zu konsumieren, mit einigen durchaus starken Momenten, aber alles in allem viel zu oberflächlich. (amb)

Laetitia Colombani: „Der Zopf“, deutsch von Claudia Marquardt, Fischer, 288 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Die Welt als Bibliothek

Jeden Morgen fährt Juliette mit der Pariser Metro zur ihrer Arbeitsstelle in einem Maklerbüro. Sie mag ihren Job nicht besonders, er langweilt sie, ihr ganzes Leben langweilt sie. Freude findet sie allein in der Welt der Literatur. Sie liebt es zu lesen. Die Bücher ermöglichen ihr, der Wirklichkeit zu entfliehen.

So könnte es noch viele Jahre weitergehen, doch eines Tages verlässt Juliette die Metro zwei Stationen früher. Und plötzlich steht sie vor einem verrosteten Metalltor und auf einem Emailschild steht in großen Lettern: Bücher ohne Grenzen. Sie betritt das Antiquariat, und ihr Leben verändert sich. Soliman, der Besitzer des Ladens, lebt mit seiner kleinen Tochter Zaide zusammen und ist kein gewöhnlicher Geschäftsmann. Er hat die Idee des „Bookcrossings“ weiterentwickelt. Die Welt wird zur Bibliothek. Soliman stattet Kuriere mit Bücherpaketen aus, und deren Aufgabe ist es, Leser für die Titel zu finden. Und ein solcher Kurier soll auch Juliette werden.

Christine Féret-Fleury hat viele Jahre als Lektorin in einem großen französischen Verlagshaus gearbeitet, und das merkt man ihrem Roman auf jeder Seite an. „Das Mädchen, das in der Metro las“ ist eine Liebeserklärung an die Literatur, ein romantisch-melancholisches, manchmal etwas versponnenes Märchen darüber, dass Bücher ein Leben tatsächlich verändern können. (amb)

Christine Féret-Fleury: „Das Mädchen, das in der Metro las“, dt. von Sylvia Spatz, DuMont Buchverlag, 176 Seiten, 18 Euro. E-Book: 14,99 Euro

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Was waren das für Zeiten

Die Freunde Aurora, Antero und Emiliano treffen sich am Grab ihres Freundes Andrei Dukelsky, genannt Duke, in der sengenden Hitze der brasilianischen Stadt Porto Alegre. Duke kam bei einem Raubunfall ums Leben, bei dem es um ein lausiges Handy ging. Gleichzeitig legt ein Streik im Jahre der Weltmeisterschaft 2014 das geschundene Land lahm. Und auch das Leben der Freunde stagniert. Einst war es wie eine Wundertüte. Jetzt sind alle Leckereien weggeputzt.

Daniel Galera ist ein Star der brasilianischen Literatur. Mit dem Roman „So enden wir“ will er hoch hinaus. Sagen wir so: Galera versucht sich an einem Generationenroman der Digital Natives. Am Ende ahnt man, dass er in „So enden wir“ nicht von der Ausweglosigkeit der Überlebenden erzählt, die keine Ahnung haben, wie sie ihre Träume beerdigen sollen, sondern von Dukes Glück, dem Wahnsinn dieser Aufgabe entronnen zu sein. (Johannes Balle)

Daniel Galera: „So enden wir“, dt. von  Nicolai von Schweder-Schreiner, Suhrkamp, 231 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Als der Krieg zu Ende war

Porträt der Mutter als junge Frau? Fast scheint es so, obwohl die familienbiografischen Bezüge in Ralf Rothmanns neuem Roman nicht so offen zutage liegen wie in dem Vorgängerbuch „Im Frühling sterben“. Dort ist der Melker Walter Urban, der noch kurz vor Kriegsende zur Waffen-SS rekrutiert wird, mehr oder weniger Rothmanns Vater. Er taucht in „Der Gott jenes Sommers“ erneut auf –  als  scheue Liebe der zwölfjährigen Luisa Norff, die hier jedoch (noch) zu nichts führt. Immerhin ist eine der stärksten  Szenen  –  Luisa und Walter holen ein Kalb aus einer Kuh –    symbolträchtig genug. Auf den Frühling folgt der Sommer, und um Krieg – den, den Hitler-Deutschland zu verlieren im Begriff steht – geht es, hier aus weiblicher, dort aus männlicher Perspektive, in beiden Arbeiten. Keine Frage, sie gehören spiegelbildlich zusammen.

Erneut schafft es Rothmann, das spezifische Kolorit von Ort und Zeit – immerhin einer Zeit, die er selbst nicht persönlich erlebt hat – lebendig werden zu lassen. Die gespenstische kollektive Als-ob-Existenz der ersten Monate 1945, die sich mit  verzweifelter Lebensgier wie zynischen Endzeitgefühlen paart – all das kommt eindringlich genug herüber. Trotzdem reicht das neue Buch nicht an den kraftvollen Vorgänger heran. (MaS)

Ralf Rothmann: „Der Gott jenes Sommers“, Suhrkamp, 254 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Mitten im Meer

Lauren Wolks zweiter Roman „Eine Insel zwischen Himmel und Meer“ handelt von Crow, einem Mädchen, das in den 1920er Jahren mitten im Meer lebt – auf einer vom Wind umtosten, winzigen Insel vor der Küste von Boston. Erst mit Ende 50 hat Wolk angefangen, für Jugendliche zu schreiben, vorher widmete sie sich der Lyrik und der Belletristik für Erwachsene. Und doch gelingt es der Autorin, authentische, junge Figuren zu erschaffen. So wie eben Crow. Das Mädchen wurde als Baby in einem Bötchen am Strand einer kleinen Insel angespült. Aussteiger Osh, der einzige Bewohner, fand das Baby und kümmerte sich von da an um es. Zu Beginn der Geschichte ist Crow etwa zwölf Jahre alt und glücklich in ihrem insularen Mikrokosmos mit Ziehvater und Mutterersatz Miss Magie. Trotzdem quälen sie Fragen: Wo kommt sie her? Wer sind ihre Eltern?

Lauren Wolk hat eine spannende Geschichte über ein Thema geschrieben, das alle Jugendlichen bewegt: Die Suche nach Identität. Gleichzeitig ist dieser Roman eine Liebeserklärung an das Meer, dessen beruhigende Beschreibungen auch dann noch im Kopf des Lesers weiterrauschen, als der letzte Satz längt verhallt ist.

Lauren Wolk: „Eine Insel zwischen Himmel und Meer“, dt. von Birgitt Kollmann, dtv, 288 Seiten, 14,95 Euro, E-Book: 12,99 Euro, ab 10.

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Die besten Bücher im Mai

Schätzings Visionen

Am Faszinosum der Künstlichen Intelligenz arbeiten sich seit langem Thriller-Autoren mehr oder weniger originell ab. Dabei geht es meist um Fragen wie Fluch oder Segen, gut oder böse. Frank Schätzing schickte bereits 2009 in „Limit“ einen Fahrstuhl zum Mond. Jetzt lässt er in seinem Roman „Die Tyrannei des Schmetterlings“ Reisen in parallele Welten irritierende Wirklichkeit werden.

Schätzings Erklärungsversuchen zur Quantenphysik und eigenen Technikvisionen kann man oft nur schwer folgen. Spannung entwickelt der Plot dennoch. Spaß macht die Lektüre, wenn die Technik von morgen lebendig wird. Schätzing packt einen immer dann, wenn er persönlich wird, wenn seine Protagonisten das Erlebte reflektieren und sie in Parallelwelten einer anderen Version des eigenen Ichs begegnen. (EvS)

Frank Schätzing: „Die Tyrannei des Schmetterlings“, Kiepenheuer & Witsch, 736 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Hitler auf der Sprintstrecke

Eric Vuillard ist ein Meister der Verknappung. Der französische Schriftsteller hat es zu seinem Schreibprinzip erhoben, im Kleinen das große Ganze zu entschlüsseln.  So brachte er seiner Leserschaft Buffalo Bill, die Berliner Kongo-Konferenz und zuletzt den Ersten Weltkrieg näher.

Jetzt wagt sich der Franzose in „Die Tagesordnung“, ausgezeichnet mit dem Pric Goncourt, an Hitlers Anfänge  und den „Anschluss“ Österreichs. Die NS-Geschichte landet hier gleichsam auf der Sprintstrecke – denn schon nach 120 ist Schluss. Eine kontinuierliche und komplexe Darstellung ist das also nicht, sondern eine pointillistische, die gleichwohl ein anregendes Bild ergibt. Angst ist es demnach, die hier Geschichte schreibt. Und der politische Bluff, lesen wir, kann sehr erfolgreich sein. Gewiss kein schlechter Hinweis – auch für unsere Gegenwart. (M.Oe.)

Eric Vuillard: „Die Tagesordnung“, dt. von Nicola Denis, Matthes & Seitz, 122 Seiten, 18 Euro. E-Book: 13,99 Euro.

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Geistergespräch im Herrenzirkel

Es ist ein elitärer Herrenzirkel, der sich im September 1936 auf Gut Zeesen zusammengefunden hat. Dabei handelt es sich um den Schauspieler Gustav Gründgens, den Staatsrechtler Carl Schmitt, den Dirigenten Wilhelm Furtwängler und den Chirurgen Ferdinand Sauerbruch. Dieses Treffen hat es allerdings nie gegeben. Es ist eine Erfindung des emeritierten Rostocker Germanistik-Professors Helmut Lethen, die er in seinem neuen Buch  „Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich“ ausbreitet. Diese großen Vier glauben, sich mit einem Panzer aus abgeklärtem Zynismus und funkelnden Aperçus gegen die Zeitkatastrophe  und das eigene Versagen wappnen zu können. Trotz allen Gedankenreichtums und seiner glänzenden assoziativen Überblendungen krankt das Buch daran, dass der Leser nicht genau weiß, auf welche Frage es welche Antwort gibt. (MaS)

Helmut Lethen: „Die Staatsräte. Elite im Dritten Reich: Gründgens, Furtwängler, Sauerbruch, Schmitt“, Rowohlt Berlin, 352 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

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Der Graf unter Freunden

Klaus Modicks Roman „Keyserlings Geheimnis“ erzählt vom bohèmehaften Münchner Freundeskreis um Frank Wedekind, Lovis Corinth und Max Halbe, in dem der Graf und Dichter Eduard von Keyserling ein beliebtes Mitglied war. Es geht um Liebe und Verrat, Kunst und Leben. Nicht zuletzt die sehr spezifische Atmosphäre des Buches zieht den Leser in Bann: Modick sieht die sinnliche Welt des Starnberger Sees mit Keyserlings Impressionisten-Augen.

Zuweilen mag solche Anverwandlung etwas überambitioniert wirken. Man kann sie aber auch humoristisch sehen und sich das Vergnügen vorstellen, das den Autor bei der Niederschrift beflügelte. Und nicht zuletzt: Lust, wieder einmal Keyserling zu lesen – „Schwüle Tage“, „Wellen“, „Bunte Herzen“, „Abendliche Häuser“ –  provoziert Modicks Roman seinerseits. (MaS)

Klaus Modick: „Keyserlings Geheimnis“, Kiepenheuer & Witsch, 238 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Kölner Aufbruch 1968

In Frankfurt wurde gedacht, in Berlin demonstriert, und Köln schlummerte vor sich hin. So will es die Legende. Doch das ist ein Irrtum, den der Publizist Claus Leggewie in einem Buch über „Köln und seine Protestgeschichte“ endgültig ausräumt. Wohl wahr, so hoch wie andernorts ging es rund um den Dom meist nicht her.

Doch schon 1967 war es in Köln zu den größten Demonstrationen der Nachkriegszeit gekommen, als Studenten und Schüler ihrem Unmut über eine Preiserhöhung der KVB Luft machten. Vor allem aber, und dies ist die Kernthese Leggewies, hat 1968 Köln kulturell aufgerüttelt. Schön, dass der Autor  inmitten der zahlreichen politischen Debatten, die der 50. Jahrestag auslöst, emphatisch auch an diese Seite des Datums 1968 erinnert. (F.O.)

Claus Leggewie: „50 Jahre ’68. Köln und seine Protestgeschichte“, Greven Verlag, 108 Seiten, 10 Euro.

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Aufstieg der Schmahamas

Der Youtuber Paluten ist im deutschen Let’s-Play-Kosmos eine große Nummer. Für einen Verlag sind das natürlich gute Neuigkeiten, denn die 2,7 Millionen Fans sind potenzielle Leser für ein Buch, das die Videos rund um das Spiel „Minecraft“ des 30 Jahre alten Patrick Mayer – so Palutens bürgerlicher Name – fortsetzt. Und der Plan ist aufgegangen. „Die Schmahamas-Verschwörung“ steht momentan auf Platz 2 der Bestseller-Liste. Die Verschwörungsgeschichte ist furchtbar albern und sprachlich bewegt sich das Ganze auf dem Niveau eines Deutsch-Aufsatzes der 6. Klasse. Seine Berechtigung hat dieser Roman aber vielleicht doch. Schaut man ins Internet, liest man Kommentare wie diesen: „Meine Kinder, absolute Lesemuffel, sind komplett begeistert und lesen freiwillig!“ Das ist doch schon mal was. Und vielleicht nehmen die ja dann irgendwann auch mal ein gutes Buch in die Hand. (amb)

Paluten und Klaas Kern: „Die Schmahamas-Verschwörung“,  Community Editions, 160 Seiten, 12 Euro. E-Book: 9,99 Euro.

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Dichter auf der Flucht

Aus China über Vietnam nach Berlin: Liao Yiwu schildert seine „lange Flucht“ in seinem neuen autobiographischen Band  „Drei wertlose Visa und ein toter Reisepass“. Die detaillierte, bewegende, erstaunliche, spannende  Schilderung setzt so richtig ein mit der Frankfurter Buchmesse von 2009, als China das Gastland dieses auf Meinungsfreiheit setzenden Welttreffens der Literatur war. An den Main durfte der Schriftsteller nicht reisen, auch nicht zur lit.Cologne im Jahre 2010  - und wie dann doch eines Tages die Rettung naht, ist ein großes Leseabenteuer.  (M.Oe.)

Liao Yiwu: „Drei wertlose Visa und ein toter Reisepass: Meine lange Flucht aus China“,  dt. von Brigitte Höhenrieder und Hans Peter Hoffmann, S. Fischer, 528 S., 26 Euro. E-Book: 22,99 Euro.

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Linda wird erwachsen

Leicht hat es niemand. Und wenn man 14 ist und als Mädchen in der tiefsten US-amerikanischen Provinz lebt, erst recht nicht. Davon kann Madeleine, genannt Linda, ein Lied singen, und das ist kein fröhliches. Zu dem normalen Teenager-Gefühl, dass die Welt ohne Verständnis ist, gesellt sich bei Linda noch, dass ihre Eltern aus der Zeit gefallene Hippies sind. „Eine Geschichte der Wölfe“ erzählt eine überaus komplexe Geschichte, die sich zwischen Thriller und Coming-of-Age-Roman bewegt. Emily Fridlund hat mit ihrem ambitionierten Erstling viel gewagt, und sie hat gewonnen. (Hz)

Emily Fridlund: „Eine Geschichte der Wölfe“, dt. von Stephan Johann Kleiner, Berlin Verlag, 384 Seiten, 22 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Rache auf der Kirmes

Ein Mann steckt frühmorgens einen Revolver in seine Manteltasche und besteigt einen Zug. Sein  Ziel: Great Minden, ein Nest irgendwo in der englischen Provinz. Sein Vorhaben: Er will den Mörder seines Sohnes töten. Am Ende dieses Tages werden drei Männer und eine Frau tot sein  - und ein verwaistes Kind wird eine neue Heimat gefunden haben. Der Roman „Ein Tag im Sommer“ von J. L. Carr ist bereits 1963 in Großbritannien erschienen. Nun ist dieses vielschichtige und zutiefst lebenskluge Buch endlich ins Deutsche übersetzt worden. (P.P.)

J. L. Carr: „Ein Tag im Sommer“, dt. von Monika Köpfer, DuMont, 304 Seiten, 22 Euro. E-Book 17,99 Euro.

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Thriller mit Tiefgang

„Das Meer“ ist ein Roman, in den der Leser eintauchen kann, dessen Wucht ihn mitreißt und dessen Botschaft beängstigend ist. Wolfram Fleischhauer beschreibt in seinem die Machenschaften einer gewissenlosen Fischereimafia, die – weitgehend unbehelligt von der Politik – die Meere zerstört. Der Plot ist ein stimmiges Geflecht aus drohendem Katastrophenszenario und dramatischen Beziehungsproblemen. Liebe und Natur, Profitgier und brutale Gewalt sind die Zutaten dieses ungewöhnlichen Romans mit Tiefgang. (EvS)

Wolfram Fleischhauer: „Das Meer“, Droemer, 448 Seiten, 19,99 Euro.  E-Book: 17,99 Euro.

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Der Mann für alle Krisenfälle

Birand Bingül macht einen PR-Profi zur Hauptfigur seines ersten Krimis. Dieser Mats Holm war früher selbst mal Journalist, doch ein traumatisches Erlebnis zwang ihn dazu, sich neu aufzustellen, und so hat er sich auf Krisen-PR spezialisiert. Und beim Pharma-Unternehmen Wenner brennt es lichterloh. Birand Bingül, der bereits die Filmrechte an dem Stoff verkauft hat, beweist ein erstaunliches Talent, seine zahlreichen Handlungsstränge geschickt miteinander zu verweben, keinen aus den Augen zu verlieren und bis zum Schluss die Spannung aufrecht zu erhalten.  „Riskante Manöver“ erfindet das Genre sicherlich nicht neu, aber dieser PR-Agent Mats Holm bringt eine interessante neue Facette in die deutsche Krimi-Landschaft. (amb)

Birand Bingül: „Riskante Manöver – Ein Fall für PR-Agent Mats Holm“, btb Verlag, 448 Seiten, 10 Euro. E-Book: 9,99 Euro.

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In aller Kürze

Sechs Prosatexte von Hans Bender sollen sich zu einem Lebensbild des 2015 verstorbenen Kölner Autors fügen. Dies ist der Wunsch der Herausgeber Hans Georg Schwark und Walter Hörner für ihren schönen, schmalen Band „Vom Leben, Schreiben und Herausgeben“ (Rimbaud, 38 Euro). Das Buch auf Amazon

Vor 2000 Jahren dichtete der große Ovid von allen Gefühlslagen der Liebe – nicht zuletzt vom Liebeswahnsinn. Eine Würzburger Ausstellung befasst sich noch bis Juli mit dem faszinierenden Gegenstand. Der Katalog ist ein Fall für Ovid-Fans: „Amor fou“ (Deutscher Kunstverlag, 24,90 Euro). Das Buch auf Amazon

Alpennelke, Prachtnelke, Sandnelke – diesen und  anderen Varianten der einst in Europa viel stärker noch als heute verehrten Blume widmet sich ein neuer Band der „Naturkunden“: „Nelken“ (Matthes & Seitz,  18 Euro). Eine kurzweilige Natur- und Kulturgeschichte von Susanne Stephan. Das Buch auf Amazon

Die besten Bücher im April

Traumziel Supermarkt

Keiko Furukura präsentiert sich in „Die Ladenhüterin“ als eine sonderbare Frau.  Der Roman der Japanerin von Sayaka Murata ist so dicht dran an den Bizarrerieren der Protagonistin, dass man tief in deren Welt hineingezogen wird und am Ende aufrichtig zu glauben vermag: Keiko ist nur dann glücklich, wenn sie ihr Leben als Angestellte in einem Supermarkt leben kann.

Muratas Geschichte ist so bodenständig verdreht, dass sie an „Die Vegetarierin“ der Südkoreanerin Han Kang erinnert (die ebenfalls im Aufbau Verlag verlegt wird). Und sie erinnert an die Verstörung im gewöhnlichen Alltag, wie sie in Haruki Murakamis Werk anzutreffen ist (dessen deutsche Übersetzerin Ursula Gräfe auch hier am Werke war). „Die Ladenhüterin“ ist ein starker Roman von bestechender Absurdität. (M. Oe.)

Sayaka Murata: „Die Ladenhüterin“, deutsch von Ursula Gräfe, Aufbau, 146 Seiten, 18 Euro.  E-Book: 13,99 Euro.

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Anascha spricht Textilianisch

Ich gestehe, dass ich ein Fan von Guido Maria Kretschmer bin. Ich mag seine Vox-Sendung „Shopping Queen“, in der er immer auf den Punkt, aber nie verletzend kommentiert, was die Kandidatinnen einkaufen. Ich hoffe also, Sie glauben mir, wenn ich sage, dass ich seinen ersten Roman „Das rote Kleid“  wirklich gut finden wollte. Allein, es gelang mir nicht. 

Die Hauptfigur ist das im Titel genannte rote Kleid, es heißt Anascha. In Kretschmers Roman leben Textilien. Sie haben unterschiedliche Vorlieben und Wesenszüge. Und sprechen Textilianisch, um sich weltweit unterhalten zu können. All das klingt manchmal ganz nett, meist aber leider ungewollt komisch und zu gewollt. (amb)

Guido Maria Kretschmer. „Das rote Kleid“, Goldmann, 256 Seiten,  14 Euro. E-Book: 11,99 Euro.

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Härtlings letzter Roman

Es ist eine Stimme gleichsam aus dem Grabe: Peter Härtling verstarb am 10. Juli vergangenen Jahres im Alter von 83 Jahren – und jetzt erscheint mit dem „Gedankenspieler“ sein letzter vollendeter Roman, zugleich sein 31. Erzähltext. Das Buch ist durchaus nicht einfach dahinerzählt, sondern sehr genau gebaut.

Es fesselt mit der Kraft des sprachlichen Zugangs und der szenischen Schilderung, mit der Gestaltung einer Lebenssituation im ambivalenten Widerspiel von Zorn und Ergebung, von Erkenntnis und Interesse. Als Künstler hielt der Sterbende die Fäden jedenfalls fest in der Hand.  (MaS)

Peter Härtling: „Der Gedankenspieler“, Kiepenheuer & Witsch, 228 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Kolossales Panorama

Bedrängende Szenen gelingen Maxim Kantor in seinem Roman „Rotes Licht“: Begegnungen auf Demonstrationen gegen oder für Putin, erschütternde Einblicke in ein Gefangenenlager der deutschen Wehrmacht vor Moskau, die letzten Stunden eines sterbenden Greises in einer maroden Klinik. Dieser Solomon Richter, ein jüdischer Historiker, ist laut erstem Satz „Der Held dieses Buches“, nun ja, er dient als Klammer für die im mächtigen Wörterstrom auseinanderstrebenden Episoden.

Zuviel auf einmal will der Roman, lesenswert aber macht ihn seine Erzählwut – ein kolossales Panorama voller historischer Details, kenntnisreich besonders in Bezug auf politische Verbrechen, Schlachtbeschreibungen, russischen Alltag über 100 Jahre. (RH)

Maxim Kantor: „Rotes Licht“, dt. von Juri Elperin, Sebastian Gutnik, Olga und Claudia Korneev, Zsolnay, 702 Seiten, 29 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

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Mutter ist das Monster

Selten gab es in jüngster Zeit einen so tiefschwarzen Familienroman wie „Mutterland“ von Paul Thereoux. Seit langem schon hat der US-Autor, am 10. April 1941 geboren,  nicht mehr ein so kapitales Stück Literatur hervorgebracht. Fabelhaft waren seine Reiseberichte „Der alte Patagonien-Express“ oder „Moskito-Küste“. Aber das ist schon lange her.

Nun stößt er mit „Mutterland“ in eine Dimension der Finsternis vor, die einen eiskalt erwischt und unentwegt frösteln lässt. Man sollte, wenn man dieses Buch zur Hand nimmt, nicht gerade in morbider Stimmung sein. Denn ein Aufheller ist dieses Werk nicht, aber eben doch ein spannendes Stück Familiendesaster, feinporig präsentiert,  atemberaubend eindringlich und  nachvollziehbar erzählt. Und wer ist Schuld am Schlamassel? Die werte Mama!

Paul Theroux: „Mutterland“, deutsch von Theda Krohm-Linke, Hoffmann und Campe, 654 Seiten, 28 Euro. E-Book: 21,99 Euro.

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Ideale Frau gesucht

Ja! Es ist das älteste Thema der Welt: Die Suche nach der Liebe. Doch Suche ist nicht gleich Suche. Diese hier geht buchstäblich unter die Haut. Ein Pageturner und zugleich ein Bildungsroman im besten Sinne. Wir schreiben das Jahr 1969. New York taucht ein in den heißen Sommer der Liebe. Inmitten von Glücksrittern und Blumenkindern sucht der junge Literaturstudent Jonathan Rosen nach Frauen. Doch fahndet er nicht nach irgendeiner Frau.

Im Gegenteil: Er ist besessen von der Idee, die perfekte Herzensdame zu finden. „Unter der Haut“ ist Gunnar Kaisers beachtliches Erstlingswerk. Der Debütant beherrscht das literarische Handwerk mit verblüffender Souveränität. Hier sitzt jeder Satz. Und hier passt jedes Bild. Zudem verfügt Gunnar Kaiser über eine ausgesprochen feine Beobachtungsgabe. (JoB)

Gunnar Kaiser: „Unter der Haut“, Piper Verlag/Berlin Verlag, 528 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Meyers Fantasy

Freunde opulenter Space-Operas dürfen sich freuen: Mit dem Roman „Hexenmacht“ legt Fantasy-Bestsellerautor Kai Meyer den zweiten Band seines bildstarken Weltraumabenteuers „Die Krone der Sterne“ vor. Fernab bekannter galaktischer Fantasien wie „Star Trek“ oder „Star Wars“ hat Meyer seinen eigenen Kosmos kreiert, den Jens Maria Weber erneut mit zahlreichen Originalillustrationen kreativ visualisiert. Ein fabelhafter Plot! Ein Lesespaß! (EvS)

Kai Meyer: „Hexenmacht“, Fischer Tor, 480 Seiten, 14,99 Euro. E-Book: 12,99 Euro.

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Der Wein zum Mord

Hitzewelle im Aquitaine – und beim Marathon du Médoc brechen einige Läufer zusammen. Einer von ihnen, der angesehene Winzer Hubert de Langeville, stirbt wenig später. Kommissar Luc Verlaine und seine Assistentin Anouk beginnen zu ermitteln. Und richtig. Es war nicht die Hitze, die Hubert de Langville zum Verhängnis wurde. „Château Mort“ ist Alexander Oetkers zweiter Aquitaine-Krimi, und wieder erweist sich der Autor als hervorragender Frankreichkenner. 

Wer wissen möchte, wo sich rund um die nobelsten Weingüter der Welt gut essen lässt und welcher Wein zu welcher Pâté passt, der wird in „Château Mort“ garantiert  fündig. Der Plot dieses spannenden Krimis überzeugt ebenso wie die Lösung des verzwickten Falls. (P.P.)

Alexander Oetker: „Château Mort“, Hoffman und Campe, 332 Seiten, 16 Euro,  E-Book 9,99 Euro.

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Angst vor Nähe

Claudio ist überzeugt, endlich seine Traumfrau gefunden zu haben. Und das nach der ersten Begegnung mit der 15 Jahre jüngeren Cecilia, die zufällig über eine gemeinsame Freundin zustande kam. Dass beide Protagonisten vor zuviel Nähe zurückschrecken, verbindet sie ebenso wie die gemeinsame Muttersprache Spanisch. Die Mexikanerin Guadelupe Nettel entwickelt ihren Plot aufreizend langsam, erzählt „Nach dem Winter“ in der Ich-Form, abwechselnd aus der männlichen und weiblichen Perspektive.

Der Roman ist wie eine zeitlose, winterkalte Parabel über das Leben. Das Glück - es lässt sich womöglich finden, aber niemals festhalten. Und es ist schwer, darüber nicht verrückt zu werden. (ThK)

Guadelupe Nettel: „Nach dem Winter“, deutsch von Carola Fischer, Blessing, 344 Seiten, 22 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

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Lyrik

Hommage auf das Leben

Gerlind Reinshagen ist seit Beginn der 80er Jahre mit Theaterstücken und Romanen bekannt geworden. Aber immer wieder sind parallel auch Gedichte entstanden. Die versammelt  sie in „Atem anhalten“. Die Texte sind chronologisch geordnet: von dem Kapitel „Stadt der Kindheit“ bis zum „Jetzt“. Themen und Motive aus Reinshagens Prosawerk begegnen dem Leser hier verdichtet in einer anderen literarischen Form.

Gerlind Reinshagen gelingt es, mit wenigen Worten Gedanken und Emotionen zu verdichten, ob es um die Liebe geht, den Abschied oder die Kunst. Es gibt Gedichte, die die Worte feiern („Wacholder“) und andere, die beschreiben, wie widerspenstig sie bisweilen das Papier fliehen. Da blitzt ein feiner Humor. Besonders anrührend ist, wie die Autorin im letzten Kapitel des Buches aus einer Alltagserfahrung – ihrem Blick auf die morgendlich aufbrechende Stadt  – eine Hommage an das Leben entwickelt. (bie)

Gerlind Reinshagen: „Atem anhalten“, Suhrkamp, 166 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Alles über Avenidas

Eugen Gomringers Gedicht „Avenidas“ hat es zu einiger Berühmtheit gebracht, seit  diesem an der Berliner Alice-Salomon-Hochschule Sexismus nachgesagt wurde. Dabei handelt es sich um ein 65 Jahre altes Gedicht der „Konkreten Poesie“, bei dem die äußere Gestalt mindestens so wichtig ist wie das Vokabular.

Gomringer war allein schon von dem spanischen „y“ als nach links und rechts ausgreifende Vokabel  fasziniert. Der bolivianisch-schweizerische Lyriker äussert sich jetzt neben vielen anderen in dem lesenswert-lehrreichen Band „poema - Gedichte und Essay“. (KStA)

Nortrud Gomringer (Hg.): „poema - Gedichte und Essay“, Nimbus, 212 Seiten, 29,80 Euro.

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Jugendbücher

Starke Mädchen

Elena Favilli und Francesca Cavallo erzählen hundert Geschichten von Mädchen, die trotz einer verzwickten Situation später zu bekannten Frauen wurden – und zwar aus eigener Kraft. Jeder dieser Frauen ist ein einseitiger Text im Märchenstil plus ein wunderbar illustriertes Porträt gewidmet.

Darunter sind nicht nur historische Persönlichkeiten wie Jane Austen, Frida Kahlo oder Sophie Scholl, sondern auch Personen unserer Zeitgeschichte wie Bundeskanzlerin Angela Merkel, Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai oder die Boxerin Mary Kom. Eines jedoch vereint diese verschiedenen Frauen: Ihre Geschichten machen Mädchen stark, mutig und selbstbestimmt. (aso)

E. Favilli, F. Cavallo: „Good Night Stories for Rebel Girls“, dt.  von B. Kollmann, Hanser, 224 Seiten, 24 Euro, ab 12 Jahre

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Erfrischende Leichtigkeit

Sarah N. Harvey verteilt in ihrem Jugendroman gleich einen ganzen Batzen von speziellen Themen auf ihre Figuren. So weiß Protagonistin Harriet, dass ihr Vater ein Samenspender ist. Dann liest sie durch Zufall einen Artikel über zwei Samenspenderkinder, die unwissentlich in eine Inzest-Situation geraten. Harry bekommt Panik und meldet sich bei einer Datenbank für solche Kinder an. So lernt sie ihre beiden Halbschwestern kennen: Lucy und Meredith. Zu Lucy, der aufgedrehten Tochter eines Lesbenpaares, spürt Harry bald eine Verbindung, doch Meredith bleibt ihr fern, ist ihr unsympathisch und irgendetwas scheint mit ihr nicht zu stimmen.

Sarah N. Harveys Roman „Empfindliches Gleichgewicht“ hätte ein total überladenes Protokoll einer verrückten Selbsthilfegruppe werden können. Doch zum Glück ist er das nicht. Im Gegenteil: Es ist erfrischend, mit welcher Leichtigkeit die meisten von Harveys Figuren ihr Schicksal annehmen – und vor allem das der anderen tolerieren. (aso)

Sarah N. Harvey: „Empfindliches Gleichgewicht“, dt. von Ulli und Herbert Günther, dtv, 256 Seiten, 14,95 Euro, E-Book: 12,99 Euro, ab 12 Jahre

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Kurz gesagt

Viel Zeit hatten sie nicht miteinander – der Theatermacher Frank Wedekind (1864-1918) und die 22 Jahre jüngere Schauspielerin Tilly Newes (1886-1970). Doch es reichte für einen intensiven, intimen, konfliktreichen Briefwechsel, der nun  komplett vorliegt (Briefwechsel, Wallstein, zwei Bände, 59 Euro).

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Jurek Becker (1937-1997) hat von den Postkarten nicht lassen können. Und das war großartig so. Denn der Autor hat auf Reisen nicht nur wunderbare Motive gefunden, sondern stets auch eine feine Pointe für die lieben Adressaten: „Am Strand von Bochum ist allerhand los“ (Suhrkamp, 32 Euro, E-Book 27,99 Euro).

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Raoul Schrott hat mit „Erste Erde Epos“ seine Genesis geschrieben. Eine poetische Annäherung an Mythen und Fakten vom Anfang und vom Werden. Der Titel, der vor zwei Jahren erschienen ist, liegt nun als Taschenbuch vor – und ist immer noch ein toller Klotz (Erste Erde Epos, dtv, 30,00 Euro).

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Die besten Bücher im März

Spezialtipps zur Lit.Cologne

Mann im Mond in „Moonglow"

Michael Chabon hat mit „Moonglow“ ein fulminantes, bannendes, auf vielen Ebenen unterhaltendes Kunststück erschaffen. Es ist viel besser als er selber meint. Denn im Roman sagt der Erzähler zum Großvater mit dem für die Familie typischen Understatement: „Auf jeden Fall ist es eine ziemlich gute Story.“ Sie ist nicht ziemlich gut. Sie ist sehr gut. Und sie erzählt im Gewand einer Biografie vom Großvater, der vom Mond und von Raketen träumt - und der ein ziemlich eigenwilliger Typ ist. (M.Oe.) Michael Chabon: „Moonglow“, dt. von Andrea Fischer, Kiepenheuer & Witsch, 496 Seiten, 24 Euro.

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Schwungvolle Sticheleien in „Der Graben“

Die Geschichte um den aufgebrachten Bürgermeister ist die Folie, auf der Herman Koch seine Sticheleien, Provokationen und Tabubrüche zelebriert. Schwungvoll teilt er nach allen Seiten aus, macht auch nicht vor den Mitgliedern des Königshauses halt. In seinem „Graben“ versammelt Herman Koch alles, was ihm auf den Geist geht – geistreich, rotzfrech, rabenschwarz, stets amüsant. (EvS)

Herman Koch: „Der Graben“, deutsch von Christiane Kuby und Herbert Post, Kiepenheuer & Witsch, 304 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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„Der Boxer“ im Warschau 1937

Szczepan Twardoch, geboren 1979, gilt als einer der herausragenden Autoren der polnischen Gegenwartsliteratur. Mit dem „Boxer“ hat er vor dem Hintergrund einer sich zunehmend auflösenden Zivilisation, im Warschau des Jahres 1937, einen dichten Thriller angelegt, der zu verstehen hilft, wie passieren kann, was eigentlich undenkbar ist. (skl)

Szczepan Twardoch: „Der Boxer“, dt. von Olaf Kühl, Rowohlt Berlin, 464 Seiten, 22,95 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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„Hain“

Esther Kinsky rehablitiert in diesem „Geländeroman“ namens „Hain“ auf eigene Weise die scheußliche Fratze der Welt. Dabei geht sie schonungslos vor und bietet dem Leser keinen einfachen Trost. Wer sich auf ihr poetisches Gelände begibt, sollte beherzt vorangehen und eine gewisse Zähigkeit besitzen. Vor allem muss man wissen, was einen erwartet. Den Tod wird man überall finden. Vielleicht aber auch etwas, das besser ist. (job)

Esther Kinsky: „Hain“, Suhrkamp Verlag, 287 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

Am 12.3 auf der lit.Cologne - Kleiner Sendesaal des WDR

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Weilers Krimi „Kühn hat Ärger“

Bekannt wurde der Journalist und Schriftsteller Jan Weiler durch eher heitere Romane wie „Und ewig schläft das Pubertier“ und „Maria, ihm schmeckt’s nicht“. Mit „Kühn hat zu tun“ begann 2015 Weilers zweite Karriere als Krimiautor. Jetzt ist der zweite Band der Reihe erschienen: „Kühn hat Ärger“ - ein guter, ein sprachlich wie inhaltlich überzeugender Krimi. Er macht die Nöte der zweiten Einwanderergeneration deutlich und offenbart zahlreiche soziale Missstände in unserer Gesellschaft, ohne dabei in jene nörgelige, moralinsaure Besserwisserei zu verfallen, zu der engagierte Krimiautoren bisweilen neigen. (P.P.)

Jan Weiler: „Kühn hat Ärger“, Piper, 400 Seiten, 20 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

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Schirachs neue Fälle in „Strafe“

Der prominente Strafverteidiger und Bestsellerautor Ferdinand von Schirach hat mit seinen Erzählungen nicht unwesentlich zu der Erkenntnis beigetragen, dass Täter gelegentlich unschuldiger sein können als Opfer, dass Urheber von Verbrechen nicht zwingend Verbrecher sein müssen, dass Normalität keineswegs bedeutet, unfähig zur Tötung anderer zu sein. Mit „Strafe“ legt er einen neuen Band mit zwölf Erzählungen vor und folgt dabei dem Muster, das in „Verbrechen“ und „Schuld“ international erfolgreich war. Es sind eher distanzierte Protokolle, die der Leser serviert bekommt, der Autor erklärt keine Beweggründe, er liefert keine Psychogramme. Doch er zwingt zum Nachdenken über die große Menschheitsfrage von Schuld und Bestrafung. (Hz.)

Ferdinand von Schirach: „Strafe“, Luchterhand, 190 Seiten, 18 Euro. E-Book: 14,99 Euro.

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Der Fall „Jack“ Kerouac

„Jack“, der neue Roman des Neuseeländers Anthony McCarten, ist eine Hommage an den Beat-Poeten Jack Kerouac – und zwar eine differenzierte. Dem literarischen Werk fügt McCarten keinen Kratzer bei. Aber dem Menschen kann und will er keinen Heiligenschein aufsetzen. Legende hin oder her. Ja, mit diesem Jack Kerouac, wie er in McCartens Buche steht, möchte man nicht unbedingt im Auto unterwegs sein. (M. Oe.) Anthony McCarten: „Jack“, dt. von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié, Diogenes, 256 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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„Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“

Das ist ein fantastischer Roman, im wahrsten Sinne des Wortes. Geschrieben wie aus einem Guss, zieht er den Leser machtvoll in seinen Bannkreis. Zugleich spielt er mit den Grenzen seiner Gattung, mit Fiktion und Fantasie. Peter Stamm hat das schon einmal brillant praktiziert, in der Novelle „Agnes“ (1998), seinem ersten Buch, das es bis zum Zentralabiturstoff brachte. „Agnes“ erzählt in 36 Szenen die Geschichte von einem verhinderten Schriftsteller, der über seine Liebe zu Agnes ein Buch schreibt. „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“, Stamms jüngster Roman, ist eine Art „Agnes reloaded“. (MiB)

Peter Stamm: „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“, S. Fischer, 160 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Familiengeschichte in „Auf immer verbunden“

Domenico Starnone ist verheiratet mit der Übersetzerin Anita Ragi. Sie ist angeblich die Autorin hinter dem Pseudonym der Erfolgsautorin Elena Ferrante. Oder steckt Starnonen selbst dahinter? Der hat das dementiert. Und die inhaltlichen Verweise, die Kritiker zwischen seinem jetzt auf Deutsch erschienen Roman und Ferrantes Büchern gefunden zu haben glauben? Viele Autorinnen und Autoren hätten über die Familie und die Untreue geschrieben, entgegnete Starnone voller Ironie. Wer wollte ihm da widersprechen. „Auf immer verbunden“ komprimiert eine bittere Familiengeschichte - darin ergreift Starnone keine Partei und bietet keine einfachen Auswege. Klar ist nur: Entscheidungen haben Folgen. (bie)

Domenico Starnone: „Auf immer verbunden“, dt. von Christiane Burkhardt, DVA, 173 Seiten, 18 Euro. E-Book: 13,99 Euro.

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Unsterblich werden mit „Schottenrock“

„Beim Rock’n’nRoll geht es nicht unbedingt um eine Band. Oder einen Sänger. Oder einen Song. Es geht um den Versuch, unsterblich zu werden.“ Dieses Zitat von Malcolm McLaren, dem genial-gerissenen Entdecker und Manager der Sex Pistols, stellt David F. Ross seinem zweiten Roman „Schottenrock“ voran, und das ist nur konsequent. Schließlich erzählt der schottische Autor Aufstieg und Fall der fiktiven Kleinstadtband The Miraculous Vespas konsequent aus der Perspektive ihres größenwahnsinnigen, aber gar nicht blöden Managers Max Mojo. (ThK)

David F. Ross: „Schottenrock“, deutsch von Daniel Müller, Heyne Hardcore, 448 Seiten, 17 Euro. E-Book: 13,99 Euro.

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Heidenreich am Rhein in „Alles fließt“

Warum es am Rhein so schön ist? „Alles fließt“ der Kölner Autorin Elke Heidenreich und des Fotografen Tom Krausz gibt darauf viele Antworten. Man kann das Buch getrost auf eine ausgedehnte Rheintour mitnehmen. Es ist liebevoll layoutet und zuweilen erhellend in seiner Faktenfülle über diesen großen Fluss. Vor allem aber wird diese Rheinreise einnehmend und kurzweilig erzählt. Da geht man gerne an Bord. (M.Oe.)

Elke Heidenreich: „Alles fließt“, mit Fotografien von Tom Krausz, Corso, 256 Seiten, 24,90 Euro.

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Tod im Kino in „Die Büglerin“

Tonia Schreiber hat Schuld auf sich geladen. Während eines gemeinsamen Kinobesuchs wird ihre 16-jährige Nichte Emilie von einem Attentäter erschossen. Wurde er allein durch ihr beherztes Eingreifen zum Mörder? Die Wiener Meeresbiologin hatte sich auf den Täter geworfen, als sie plötzlich eine Pistole in dessen Hand sah. Man muss sich Zeit nehmen für den Roman „Die Büglerin“. Geduld haben mit dem Autor Heinrich Steinfest, der sich nicht auf ein Thema beschränken mag und in seine Werke hineinpackt, was man nur hinein packen kann. Dafür wird man mit einem vielschichtigen und anrührenden Roman belohnt, dessen Heldin das Herz berührt. (P.P.)

Heinrich Steinfest: „Die Büglerin“, Piper, 288 Seiten, 22 Euro. E-Book 18,99 Euro.

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„Der Clan der Kinder“

Roberto Saviano - der intime und unter Polizeischutz lebende Kenner der Camorra - verlängert in seinem ersten Roman die im Bestseller „Gomorrha“ gezeichneten Gewalt-Linien ins Fiktive hinein. Fiktiv? Tatsächlich dürfte Saviano keine Mühe haben, für Plot und Personal des „Clan der Kinder“ Vorbilder aus der bedrückenden Wirklichkeit zu benennen. Und das ist eben der Dschungel Neapel, in dem keine Moral gilt, sondern nur die Überlebensformel „Ich oder er“. Der Roman ist spannend erzählt, das genretypische Eskalationsmuster wird souverän bedient. (MaS)

Roberto Saviano: „Der Clan der Kinder“, aus dem Italienischen von Annette Kopetzki, Hanser, 414 Seiten, 24 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

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„Am Abgrund lässt man gern den Vortritt“

Neun Jahre ist es her, dass der bayerische Kommissar Hubertus Jennerwein im April 2009 seinen ersten Fall löste („Föhnlage“). Seitdem ist der skurrile Ermittler nicht mehr wegzudenken aus der deutschsprachigen Krimiszene. Jahr für Jahr wirft Autor Jörg Maurer einen weiteren Jennerwein-Krimi auf den Markt. Am 21. März 2018 wird Band zehn erscheinen. Der Titel: „Am Abgrund lässt man gern den Vortritt“. Band elf soll bereits im Herbst dieses Jahres folgen. Virtuos spielt Maurer mit den Handlungssträngen und führt seinen Kommissar wie auch die Leser mehrmals tüchtig in die Irre. Und ein amüsanter Lesestoff ist dieser Jubiläumsband allemal. (P.P.)

Jörg Maurer: „Am Abgrund lässt man gern den Vortritt“, S. Fischer/ Scherz, 434 Seiten, 15,99. E-Book: 14,99 Euro.

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„Die Tote im roten Kleid“ auf den Shetland-Inseln

Jimmy Perez, Ermittler auf den Shetland Inseln, hat den Schock über den Tod seiner Lebensgefährtin allmählich überwunden. Doch ist er auch schon bereit für eine Beziehung mit seiner Chefin? Wie schon in den Vorgängerbänden der Shetland-Krimi-Serie nimmt das Privatleben von Jimmy Perez auch in „Die Tote im roten Kleid“, dem jüngsten Band der Reihe, eine zentrale Rolle ein. Was der Spannung in diesem lesenswerten Krimi von Ann Cleeves keinen Abbruch tut. (P.P.)

Ann Cleeves: „Die Tote im roten Kleid“, dt. von. Stefanie Kremer, rororo, 446 Seiten, 10,99 Euro, E-Book 9,99 Euro.

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Tödliches Geheimprojekt in „Cold Kill“

Eine junge Frau und ein älterer Mann, die zufällig in einem Flugzeug nebeneinander sitzen, stellen überrascht fest, dass ihr Großvater und sein Vater gemeinsam an der Entwicklung der Wasserstoffbombe gearbeitet hatten. Wenig später wird der Mann ermordet. Weitere Nachfahren jener sieben Wissenschaftler, die während des Kalten Krieges an einem Geheimprojekt der US-Regierung beteiligt waren, kommen ums Leben, werden entführt oder verschwinden. Mit dem Thriller „Cold Kill. Nichts ist je vergessen“ legt P. J. Tracy den siebten Fall ihrer Minnesota-Police-Detectives vor. Unterhaltung auf auf hohem Niveau. (EvS)

P.J. Tracy: „Cold Kill“, dt. von Tanja Handels, rororo, 336 Seiten, 9,99 Euro. E-Book: 9,99 Euro.

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Falsches Geständnis in „Von Vögeln und Menschen“

„Drama ist Drama“, heißt es einmal, „man muss es nur spüren.“ Margriet de Moors Sensorium für solche Wechselfälle des Lebens ist üppig ausgeprägt. Das bestätigt ihr neuer Roman auf faszinierende Weise. Was den Menschen möglich ist, hat die niederländische Autorin schon immer interessiert. Diesmal fragt sie nicht nur, warum Louise Bergman vorgibt, den 90 Jahre alten Bruno Mesdag in einem Pflegeheim an der Nordseeküste erdrosselt zu haben (dabei hat sie allenfalls seine Seele gerührt, als sie ihm die Mahler-Vertonung eines Rückert-Gedichts vorgesungen hat: „Ich atmet’ einen linden Duft“). Auch widmet sich de Moor der tatsächlichen Mörderin. Große Erzählkunst. (M.Oe.)

Margriet de Moor: „Von Vögeln und Menschen“, dt. von Helga van Beuningen, Hanser, 268 Seiten, 23 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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„Die kommenden Jahre“

Was werden die – dies der Titel von Norbert Gstreins neuem Roman – „Die kommenden Jahre“ bringen? Nichts Gutes, wie es aussieht, denn das Buch entfaltet ein apokalyptisches Szenario in der Totale. Hauptfigur der thematisch sehr aktuellen Erzählung ist der – zumindest biografisch Züge des Autors tragende – Glaziologe Richard Farländer, der mit seiner Frau, der Schriftstellerin Natascha, und Tochter Fanny ein nach außen hin gut situiertes Leben in Hamburg führt. In der Psychologie und den Reaktionsformen aller Beteiligten nahezu meisterhaft dargestellt ist die komplexe und konfliktgeladene Begegnung mit den Flüchtlingen und ihrer Lebenssituation. (MaS)

Norbert Gstrein: „Die kommenden Jahre“, Hanser, 288 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Jugendbücher, Klicktipp und Kurztipps

„Die Königinnen der Würstchen“ über Mobbing

Es gibt viele Bücher über Mobbing, doch kein einziges davon ist so selbstironisch wie „Die Königinnen der Würstchen“. Autorin Clémentine Beauvais gelingt es, ein extrem trauriges Thema in eines der witzigsten Jugendbücher der vergangenen Jahre zu verwandeln – ohne das Thema dabei zu verharmlosen.  Mit Mireille erschafft sie eine kluge, starke und sarkastische, aber niemals verbitterte, Ich-Erzählerin. Zugegeben, die Story mutet  zunächst  etwas seltsam an. Doch dieses Gefühl lässt schnell nach – und dann kann man gar nicht mehr aufhören zu lesen und zu lachen. Versprochen! (Angela Sommersberg)

Clémentine Beauvais: „Die Königinnen der Würstchen“, dt. A. von der Weppen, Carlsen, 288 Seiten, 16,99 Euro, E-Book: 11,99 Euro, ab 14.

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Das Leben verändern in „Ich kann das Meer sehen“

Manchmal sind es nur Momente, die ein ganzes Leben beeinflussen. Die intensive Freundschaft von Kees und Jan, die Koos Meinderts in seinem Jugendroman „Ich kann das Meer sehen“ melancholisch  verarbeitet, ist in diese Kategorie  einzuordnen. Nuanciert schildert Meinderts die Leben der beiden Jungen Kees und Jan die Ende der 1950er Jahre im selben Dorf nahe der niederländischen Küste leben und  die unterschiedlicher nicht sein könnten. Dabei werden behutsam Themen behandelt, die allen Heranwachsenden begegnen: erste Liebe, Fragen nach der Identität und dem „richtigen“ Lebensweg, die Bedeutung von Familie, Freundschaft, Glaube und Verlust. Meinderts’ Werk handelt aber auch vom Versuch, sich mit der eigenen Vergangenheit und mit vermeintlicher oder tatsächlicher Schuld auseinanderzusetzen. So erzeugt er ein Leseerlebnis, das zum Nach- und Weiterdenken anregt. (Svenja Halfmann, Tara Kern-Friese, Viktoria Notzon)

Meinderts Koos: „Ich kann das Meer sehen“, dt. von Monika Götze, Jungbrunnen, 136 Seiten, 15 Euro, E-Book: 13,99 Euro, ab 14.

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Krasser Stoff in „Was wir dachten, was wir taten“

Als plötzlich ein Täter mit geladener Waffe in seinem Klassenzimmer steht, hat der sonst so toughe Mathelehrer Anton Filler keine Ahnung, wie er reagieren soll. Und natürlich sind auch seine Schüler vollkommen hilflos. Lea-Lina Oppermanns Debüt ist gerade mal 180 Seiten lang – aber die haben es in sich. Denn die Tat, die die 20-jährige Autorin in ihrer Geschichte beschreibt, ist nicht nur ein Amoklauf, es ist ein perfides Spiel mit den Geheimnissen, Gefühlen und Gedanken der Schüler und des Lehrers.  „Was wir dachten, was wir taten“ ist ein krasser, ein temporeicher Roman. Und irgendwie auch eine Sozialstudie. Denn wie weit darf man gehen, wenn das eigene Leben mit einer Waffe bedroht wird? Und ist es eigentlich okay, wenn man bei der abscheulichen Tat eines anderen  Genugtuung empfindet? (Angela Sommersberg)

Lea-Lina Oppermann: „Was wir dachten, was wir taten“, Beltz & Gelberg,  180 Seiten, 12,95 Euro, E-Book: 11,99 Euro, ab 14.

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Im falschen Körper in „Als ich Amanda wurde“

Als Andrew fünf Jahre alt ist, wünscht er sich zu Weihnachten einen Nintendo 64, einen Spielzeugherd und Kleider. Er bekommt: den Nintendo, eine Luftpistole und einen Sack voller Spielzeugsoldaten.  Andrew weiß schon damals, dass er eigentlich ein Mädchen ist, doch sein Vater will das nicht wahrhaben. Jetzt, 13 Jahre später, zieht Andrew als Amanda zum Vater. Sie hat eine Geschlechtsumwandlung hinter sich und will in der Kleinstadt, in der der Vater wohnt, neu anfangen. Der Vater akzeptiert das. Und der Neuanfang gelingt: Amanda findet in Bee, Leyla, Anna und Chloe Freundinnen und kommt sogar mit ihrem Mitschüler Grant zusammen. Doch wie lange kann Amanda ihr Geheimnis bewahren? (Angela Sommersberg)

 „Als ich Amanda wurde“ ist eine  wunderbare, tiefgründige Coming-of-Age-Liebesgeschichte.

Meredith Russo: „Als ich Amanda wurde“, dt. von Barbara Lehnerer, dtv, 304 Seiten, 10,95 Euro, E-Book: 8,99 Euro, ab 14.

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Die Geschichte einer Adoption in „Maxima und ich"

David hasst die Nachmittagsbetreuung in seiner Schule. Die Kinder dort machen sich ständig über seine dunkle Hautfarbe lustig. Am liebsten würde er dort nie wieder hingehen. Doch eines Tages lernt er Maxima kennen und verliebt sich in sie.

Hanna Jansen erzählt in ihrem Kinderbuch über das Herzklopfen der ersten  Liebe und den tiefen Schmerz, den jeder spürt, wenn ihm etwas Geliebtes entgleitet.  Doch David und Maxima zeigen, dass es  gar nicht  so  schlimm ist, wenn man das, was  man liebt, hin und wieder mit anderen teilt und vor allem, welche tollen Freunde man finden kann,  wenn man sich in seiner Klasse einmal genau umsieht. (Helena Schwar)

Hannah Jansen: „Maxima und ich“, Peter Hammer Verlag ,  80 Seiten,  14 Euro, ab 7.

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Erdhörnchen und Wolf in „Ein Freund wie kein anderer"

Die wichtigste Regel für kleine Erdhörnchen lautet: Verlasse niemals den Futterpfad, denn im Wald leben gefährliche Tiere! Doch Habbi ist so in  seine Gedanken versunken, dass er vom Weg abkommt und plötzlich am Ende der Welt, dem großen Wasserfall des Waldes, landet. Dort stolpert er über den Wolf Yaruk, dessen Pfote unter einem Stein festklemmt. Wölfe sind die Schatten des Waldes und die größten Feinde der Erdhörnchen, weiß Habbi von seiner Mutter. Doch Yaruk ist  verletzt. Oliver Scherz hat ein Buch über Freundschaft und Mut geschrieben: Über den Mut,  den Futterpfad auch einmal zu verlassen, offen  für Neues und andere zu sein und  über die Freundschaft, für die man sich manchmal gegen die Meinung anderer stellen muss. (Helena Schwar)

Oliver Scherz: „Ein Freund wie kein anderer“, Thienemann Verlag, 128 Seiten, 14 Euro, ab 6.

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Bilderbücher

„Hasentage“

Ein Buch ohne Worte – was kann das erzählen? Tausend Geschichten – zumindest, wenn die Bilder gut sind. Und das sind sie in Daphne Louters „Hasentage“, das ganz ohne Buchstaben auskommt. In zwölf künstlerischen, kindgerechten und niemals kitschigen Illustrationen erzählt Louter, wie zwei Hasenkinder den Tag verbringen: Kissenschlacht, verkleiden, im Regen spielen, und noch vieles mehr. Denn in Louters Zeichnungen verstecken sich viele Details. Ein Bilderbuch, das gut zur nahenden Osterzeit passt und das Kita-Kinder alleine entdecken können. Vielleicht sollten Erwachsene trotzdem reinschauen:  Unglaublich, was man in Bildern alles lesen kann. (Angela Sommersberg)

Daphne Louter: „Hasentage“, Sauerländer, 32 Seiten, 14,99 Euro, ab 3.

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Mond: Eine Reise durch die Nacht"

Nacht ist immer  ein bisschen unheimlich. Probleme werden elefantengroß, Monster kriechen unter dem Bett hervor, die Zeit steht still. Doch in der Nacht gibt es auch Licht – Mond, Sterne oder Nordlichter. Wie fantastisch (und nicht angsteinflößend) nächtliche Dunkelheit aussehen kann, zeigt Britta Teckentrup in ihrem Bilderbuch. Durch ein Guckloch können Kinder erleben, wie der Mond im Laufe der Erzählung ab- und zunimmt. In Bildern, die trotz der dunklen Farben leuchten, nimmt Teckentrup ihre Leser mit zu den unterschiedlichsten Orten auf der Welt. Magisch! (Angela Sommersberg)

Britta Teckentrup: „Mond: Eine Reise durch die Nacht“, ars edition, 32 Seiten, 15 Euro, ab 4

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„Ich wünsch mir einen Freund"

Kakao und Kekse gehören zusammen.  Blöd, dass Häschen den Kakao und Hund die Kekse hat, die  Nachbarn aber nie zusammen picknicken, geschweige denn reden. Dann fällt eine Sternschnuppe vom Himmel – und ändert alles. Schon im Kindergarten gibt es diese Menschen, die  wir anhimmeln und mit denen wir befreundet sein möchten. Amy Hests wunderbare Erzählung und Jenni Desmonds federleichte Illustrationen fordern dazu auf, einen Schritt auf diese Menschen zuzugehen. Damit Kakao und Kekse zusammen sind. (Angela Sommersberg)

A. Hest, J. Desmond: „Ich wünsch mir einen Freund“, dt. B. Stratthaus, Annette Betz, 40 Seiten, 14,95 Euro, ab 4.

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Kurztipps

- Die Bibliotheken sind noch lange nicht am Ende, meint Michael Knoche, jedenfalls nicht die wissenschaftlichen Bibliotheken mit ihrer Ordnung und Konzentration. So sieht es Bibliothekar Knoche in dem Lagebericht „Die Idee der Bibliothek und ihre Zukunft“ (Wallstein, 20 Euro).

- Samuel Beckett reiste erstmals 1928 nach Deutschland. Und blieb dem Land auch nach dem Krieg verbunden – nicht nur via Suhrkamp-Verlag. Die beckettisch-deutschen Beziehungen schildert die Marbacher Ausstellung „German fever“ (bis 29. Juli). Dazu erscheint ein „Marbacher Magazin“ (20 Euro).

- Adam Smith hat Wirtschaftsgeschichte geschrieben: Seine Untersuchung „Der Wohlstand der Nationen“ hat grundlegende Einsichten in die Ökonomie vermittelt – freie Marktwirtschaft inklusive. In der dtv-Bibliothek wird dieser Klassiker nun in einer komprimierten Fassung präsentiert (24 Euro).

Klick-Tipps

Aktuelles zur lit.Cologne, Reportagen zum großen Kölner Kulturfestival und spannende Gespräche mit den Protagonisten und die Verlosungen für begehrte Lesungen: Unsere Berichterstattung zur neuen Ausgabe der lit.Cologne präsentieren wir auch diesmal gebündelt auf unserer Themenseite: www.ksta.de/lit-cologne

Auf unabhängigie Verlage haben sich die Autorinnen und Autoren der Plattform „we read indie" fokussiert. Hier rezensiert eine Bloggergemeinschaft Neuererscheinungen, sammelt aber auch Links und Wissenswertes zu oft kleineren oder jüngeren Verlagen, die nicht zu großen Konzernen gehören. (cba)

WE READ INDIE: readindie.wordpress.com

Die besten Bücher im Januar

Mondsee statt Weltkrieg

Arno Geiger erzählt von dem 24 Jahre alten Veit Kolbe, der im Zweiten Weltkrieg kämpft. Veit leidet unter dem, was er bereits verpasst hat, und leidet ebenso unter der Todesangst. Eine Verletzung gibt ihm Gelegenheit, sich an den Mondsee zurückzuziehen, für ein Jahr unter dem Radar der Kriegsmaschine zu bleiben. „Unter der Drachenwand“ lernt er die Darmstädterin Margot kennen, die hier mit ihrer neugeborenen Tochter Zuflucht gesucht hat – und auch Abstand zur Familie, den alle Personen im Buch dringend nötig haben. Geigers Roman ist ein virtuoses Werk. Wie es dem Autor gelingt, Zeit und Menschen zum Leben zu erwecken, hat auch unheimliche Züge, nein, es ist unheimlich. (jvs)

Arno Geiger: „Unter der Drachenwand“, Hanser, 480 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro. Das Buch und E-Book auf amazon

Hacke lehrt Anstand

Einem Buch, das Bestseller werden soll, kann kaum etwas Besseres passieren, als einen Nerv der Zeit zu treffen. Das gelingt Axel Hacke mit seinen Anmerkungen „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“ ohne Zweifel. Er selbst nennt viele Beispiele, an denen sich erkennen lässt, wie tief wir gesunken sind: Einen US-Präsidenten, der einen behinderten Journalisten imitiert, oder Demonstranten, die einen Galgen für Angela Merkel und Sigmar Gabriel durch die Gegend tragen, führt er früh ins Feld. Niederträchtig erscheint ihm das eine, schäbig das andere Verhalten. Und wer könnte ihm da widersprechen? So arrangiert Hacke im warmen Leselampenlicht das menschlich-allzumenschliche Mosaik, das offensichtlich ist. Er ist der Psychologe für den ersten Kontakt. (M. Oe.)

Axel Hacke: „Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen“, Kunstmann, 184 Seiten,  18 Euro. E-Book: 14,99 Euro. Das Buch und E-Book auf amazon

Explosive Familienmischung

Matthew Weiner kommt aus der Welt des Fernsehens. Er hat bei den „Sopranos“ mitgearbeitet und „Mad Men“ erfunden, ist ein Mann für weit verzweigte, über lange Zeit in Atem haltende Geschichten mit psychologischer Raffinesse. Dass sein erster Roman „Alles über Heather“ so ein schmales Buch von nur 124 Seiten ist, macht vor dem Lesen misstrauisch. Doch wenn man es angefangen hat, kann man sich nicht davon lösen. Weiner hat einen großen Tragödienstoff so intensiv eingedampft, dass er sich zu einer explosiven Mischung konzentriert, in fünf starken Kapiteln rund um die Familie Breakstone. Man glaubt zu wissen, was passiert. Aber es ist anders. Matthew Weiner kann auch mit sparsamen Mitteln groß erzählen. (cg)

Matthew Weiner: „Alles über Heather“, dt. von  Bernhard Robben, Rowohlt,  124 Seiten, 16 Euro. E-Book: 14,99 Euro. Das Buch und E-Book auf amazon

Lexikon der Liebe

Ein „Lexikon der Liebe“ ist streng genommen nichts anderes als ein Lexikon des Lebens, denn die Liebe findet sich überall. So machen Annette Pehnts Geschichten deutlich, dass die Liebe nicht immer schön ist. Vor allem, wenn man sie nicht im Moment ihrer frischen Entstehung betrachtet. Sondern im Augenblick der Bedrohung, der Krise oder Zerstörung. Annette Pehnts Sprache ist glücklicherweise so einfach und nüchtern, dass ausreichend Platz bleibt für die Emotion, die auf jeder Seite in einer der vier Ecken sitzt und ein riesiges Theater macht. (cle)

Annette Pehnt: „Lexikon der Liebe“, Piper, 190 Seiten, 20 Euro. E-Book: 18,99 Euro. Das Buch und E-Book auf amazon

Hannah und Anna

Armando Lucas Correa erzählt in seinem Debütroman „Das Erbe der Rosenthals“ die Geschichte zweier Mädchen aus unterschiedlichen Zeiten: Hannah begegnen wir im Jahre 1939, Anna im Jahre 2014. Dabei bettet der Journalist die fiktiven Figuren geschickt in historische Ereignisse ein, geht es im einen Fall um die grausame Verfolgung der Juden durch die Nazis und geht es im anderen Fall um den Schock nach dem Anschlag auf das World Trade Center. Die Parallelen zur Gegenwart sind erschreckend. Menschen, die ihre Heimat verlassen und alles aufgeben müssen, fliehen über das Meer und werden im Moment der größten Not abgewiesen. (amb)

Armando Lucas Correo: „Das Erbe der Rosenthals“, dt. von Ute Leibmann, Lübbe, 432 S., 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro. Das Buch und E-Book auf amazon

Mit Olga am Abgrund

Bernhard Schlinks neuen Roman „Olga“ kann man auf drei Arten lesen: als Liebesgeschichte, als Bildungsroman und als Briefmonolog, handgerecht verpackt in drei Teile. Diese Lektüren ergänzen und überschneiden sich, sie öffnen einen Blick in die Abgründe der deutschen Geschichte rund um zwei Weltkriege. Im Fokus steht Olga, die um 1900 als Vollwaise in die Obhut ihrer Großmutter, in ein schlesisches Dorf gelangt. Bernhard Schlink hat den Figuren seines Romans viel Realgeschichte aufgebürdet. Aber es bleiben lebendige Figuren mit spannenden und auch widersprüchlichen Eigenschaften. (mb)

Bernhard Schlink: „Olga“, Diogenes, 320 Seiten, 24 Euro. E-Book:  20,99 Euro. Das Buch und E-Book auf amazon

Sachbuch-Tipp

30 Jahre Krieg

Bevor es so richtig losgeht, hat der Leser bereits knapp 350 Seiten hinter sich. Das ist dem Autor indes nicht zu verübeln, denn wer den 30-jährigen Krieg – dessen Beginn  sich 2018 zum 400. Mal jährt –  verstehen will, muss weit ausholen, muss die Geschichte der Glaubensspaltung, der Machtverteilung und der Verfassungsstreitigkeiten zwischen Kaiser und Reichsfürsten, der europaweiten Verflechtungen aufarbeiten.  Der Oxforder Militärhistoriker Peter H. Wilson tut es mit denkbar großer Akribie. Auf der Zwischenstrecke verzettelt sich der Autor immer mal wieder. Doch die Großräumigkeit der Anlage, der Detailreichtum und die skrupulös differenzierende Argumentation sind respektheischend. Und die gute deutsche Übersetzung tut ein Übriges, den Leser in den Stoff hineinzuziehen.

Peter. H. Wilson: „Der Dreißigjährige Krieg. Eine europäische Tragödie“, dt. von Thomas Bertram, Tobias Gabel und Michael Haupt, Theiss, 1144 Seiten, 49,95 Euro. Das Buch und E-Book auf amazon

Kurztipps, Jugendbuch, Klicktipp

Bilderbuch

Opa war am Pol

Opa Floh, die Hauptfigur dieses Bilderbuchs, hat was zu erzählen! Denn er war schon bei der Entdeckung des Südpols 1911 dabei – im Fell eines Polarhunds. Jetzt erzählt Opa Floh seinem kleinen Enkel von dieser unglaublichen Expedition an der Seite von Roald Amundsen. Zudem weisen Sprechblasen, Bildunterschriftenund Pfeile auf viele kleine, aber wichtige Details der Expedition hin. Dieses Buch ist eine Entdeckungsgeschichte für Kinder – im doppelten Sinne. (aso)

Stephanie Marian: „Wie Opa Floh den Südpol entdeckte“, compact kids, 32 Seiten, 12,99 Euro, ab 5 Jahre. Das Buch auf amazon

Jugendroman

Flucht über die Pyrenäen

Vor einiger Zeit hat der Kölner Autor Rüdiger Bertram eine Reise in die Pyrenäen unternommen. Er ist über genau jene Wege gewandert, über die vor rund 70 Jahren Schriftsteller wie Lion Feuchtwanger oder Philosophen wie Walter Benjamin in die Freiheit entkommen sind.  Dass er dort unterwegs war, spürt man auf jeder Seite seines neuen Jugendromans. Darin erzählt er die Geschichte von Ludwig und Rolf, dem kritischen Journalisten und seinem Sohn, die vor den Nazis fliehen. „Der Pfad“ ist eine Geschichte, die man gelesen haben sollte. (aso)

Rüdiger Bertram: „Der Pfad – Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit“, Illustration: Heribert Schulmeyer, cbj, 240 Seiten, 12,99 Euro, E-Book: 9,99 Euro, ab 12. Das Buch und E-Book auf amazon

Klicktipp

Poetica, das Festival für Weltliteratur des Internationalen Kollegs Morphomata und der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, geht Ende Januar in die vierte Runde. Zum Programm gehört auch eine Live-Aufführung von Kalligraphie der in Düsseldorf lebenden Künstlerin Rie Wada, die den Schriftzeichen mit der Poesie von Yoko Tawada und Naomi Sato auf dem japanischen Musikintrument Shō Leben verleiht. Kalligraphie als Phase des unendlichen Schreibens: Einen schönen Einblick erhält man auf der Internetseite der Künstlerin. (cba)

www.riewada.de

Kurztipps

Es ist die Großtat des mittlerweile verstobenen Übersetzers Hans-Horst Henschen. Er hat den kompletten Werkkomplex mit und um Gustav Flauberts Satire „Bouvard und Pecuchet“ ins Deutsche übertragen. Also auch das „Wörterbuch der gemeinen Phrasen“, die „Universal-Enzyklopädie der menschlichen Dummheit“ und den Band mit Materialien. Der Wallstein-Verlag hat das bizarre, viele Konventionen sprengende und wundervoll gärende Werk veröffentlicht (4 Bände, 128 Euro). Eine herrliche Heldentat. (M.Oe.) Der Werkkomplex auf amazon

Anno 1770/71 verschleppten russische Soldaten ein kalmückisches Nomadenkind an den Hof von Katharina der Großen. Nachdem es dort als exotischer Page vorgeführt wurde, schenkte es die Zarin der Landgräfin Karoline von Hessen Darmstadt. Das Schicksal des entwurzelten westmongolischen Jungen, der zu einem hoch geachteten Künstler heranwuchs, schildert Petra Reategui in einer packenden Romanbiografie: „Hofmaler – Das gestohlene Leben des Feodor Ivanoff genannt Kalmück“ (Triglyph Verlag, 19,90 Euro). (EvS) Das Buch auf amazon

„Das Mädchen am See“ (Lyx, 10 Euro,) ist der erste Kriminalroman von Charlie Donlea. Das Buch war in den USA ein großer Verkaufserfolg. Inzwischen hat Donlea einen zweiten Krimi ins Rennen geschickt, der im Juli 2018 in deutscher Übersetzung erscheint. Man darf gespannt auf „Das Mädchen, das verschwand“ sein, denn dieser Autor hat Potenzial.  Sein Debüt ist psychologisch überzeugend und spannend bis zur letzten Seite. (P.P.) Das Buch und E-Book auf amazon

Es ist vollbracht: J. J. Voskuils siebenteilige Saga „Das Büro“ um den Volkskundler Maarten Koning findet jetzt auch in der deutschen Übersetzung sein natürliches Ende: „Der Tod des Maarten Koning“ (Verbrecher Verlag, 24 Euro).  Das Projekt ist ein literarischer Leuchtturm voller Komik und Melancholie. (M. Oe.) Das Buch und E-Book auf amazon

Die feine Initiative der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung und der Wüstenrot Stiftung, Autorinnen des 20. Jahrhunderts zu würdigen, wird fortgesetzt. Nach Irmgard Keun erinnert nun eine weitere Werkausgabe an Annette Kolb (Wallstein Verlag, 4 Bände, 49 Euro). Verdienstvoll all das! (M. Oe.) Die Werksammlung auf amazon

Eine Kostbarkeit ist Moische Kulbaks Roman „Die Selmenianer“ (Die Andere Bibliothek, 42 Euro). Er handelt witzig-wehmütig von der  Sowjetisierung des russischen Judentums. Susanne Klingenstein stellt den jiddisch schreibenden Autor vor, der 1937 wegen „antisowjetischer Spionage“ erschossen wurde. (M. Oe.) Das Buch auf amazon

Die besten Bücher im November

Neid und Selbstsucht

Im Zentrum von „Schwarz und Weiss“ steht die scheinbar unerschütterliche Liebe zwischen Lili Stone und Duke Butler. Sie ist die Tochter des intellektuellen Glamour-Paars der Upper West Side. Er ist arm und schwarz in einem hässlichen Winkel Floridas aufgewachsen. In Manhattan nehmen seine Schwiegereltern in spe Duke sogleich unter ihre Fittiche. Sie besorgen Duke eine Stelle bei ihrem Weinhändler. Ausgerechnet sein unverbildeter Gaumen macht Duke zur gefragten Trauben-Koryphäe mit eigener Fernsehsendung. Supermodel und Star-Sommelier: Jetzt bilden Lili und Duke die strahlende Speerspitze der New Yorker Gesellschaft.

Dass das nur schiefgehen kann, muss der Leser nicht ahnen. Irene Dische zieht ihren Roman vom schlimmen Ende her auf, Duke sitzt in der Todeszelle. Die restlichen, fast 500 Seiten und die 70er, 80er und 90er Jahre umfassende Handlung wirkt also wie ein Unfall in Superzeitlupe. Oder müsste eigentlich so wirken, liefe die Dische hier nicht in knappen, höhnischen Sentenzen zur satirischen Höchstform auf.

Irene Dische: „Schwarz und Weiß“, dt. von E. Plessen, Hoffmann und Campe, 496 Seiten, 26 Euro.

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Eine düstere nachkriegsdeutsche Parabel

Der Rahmen, in den Frank Witzel seinen neuen Roman einbettet, ist die unmittelbare Nachkriegszeit. Es gibt Daten und historische Fakten, die das belegen. Aber es geht nicht um das Eintauchen in eine uns immer mehr entrückende zeitgeschichtliche Epoche, sondern um den Tigersprung ins Vergangene, um die Frage, wie es hätte gewesen sein können, eine waghalsige Zirkusnummer in der Arena alternativer historischer Fakten.

Frank Witzels Kunst besteht in der Verunsicherung des vermeintlichen Faktenwissens der Jahre nach 1945, im Kratzen an der Gründungslegende der  Bundesrepublik. Trümmerliteratur, Stunde Null, Verlust der Mitte: Alle diese Schlagworte zählen nicht mehr.

Frank Witzel: „Direkt danach und kurz davor“, Matthes & Seitz Berlin,  552 Seiten, 25 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Eine wirre Zeit

Die Geschichte spielt zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in einem Dorf in Kent. Die Männer sind an der Front oder schon tot, weshalb der fantasielose Vikar sich gezwungen sieht, den Chor aufzulösen. Primrose Trent, Musikprofessorin aus London, sieht das ganz anders. Da nun mal keine Männer da sind, gründet sie einen reinen Frauenchor. Und im Schatten der schrecklichen Ereignisse wächst von Probe zu Probe etwas für ein kleines englisches Dorf zu dieser Zeit sehr Unerhörtes: Die Emanzipation der Frau.

Die Autorin verdankt ihr Debüt den Erzählungen ihrer Großmutter, der sie einst gut zuhörte, als diese vom Krieg erzählte. Und so zieht sich das Netz um die Geschichte einer kleinen, erstarkenden Frauengemeinde immer enger zu. Und der Leser? Hat am Ende einen sehr unterhaltsamen Fang gemacht.

Jennifer Ryan: „Der Frauenchor von Chilbury“,  dt. von Andrea O´Brien, KiWi, 480 Seiten, 19,99 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Der alltägliche Wahnsinn

In seinem neuen Roman bedient sich Regener eines geschickten Kunstgriffs. Sein bekanntestes literarisches Kind, der wunderbare Frank Lehmann, der den Musiker einst zum Schriftsteller machte, ist zwar Teil des skurrilen Ensembles, das er hier ins Rennen schickt – aber er ist nur einer von vielen. Denn „Wiener Straße“ ist eben kein Frank-Lehmann-Roman. Gleichwohl ist es schon sehr hilfreich, die Vorgänger gelesen zu haben, denn die Verrückten, die Regener hier liebevoll präsentiert, sind mehrheitlich schon in früheren Romanen aufgetaucht. Doch man kann an diesem Buch sicherlich auch Freude haben, wenn man noch nie etwas von Regener gelesen hat. Allerdings nur, wenn man mag und akzeptiert, dass in „Wiener Straße“ erstaunlich wenig passiert. Muss es aber auch gar nicht. Denn Regeners großes Talent liegt in den Dialogen über den ganz alltäglichen Wahnsinn.

In dieser Kreuzberger Welt Anfang der 80er Jahre wird zwischen all den Künstlern, Hausbesetzern, Punks, Gestrandeten und Planlosen verbrannter Kuchen ganz schnell zu einer Kunstinstallation und ein Bericht, den ein Fernsehteam über Hausbesetzer dreht, zu einem Verbrüderungstreffen für heimwehkranke Österreicher. Selten sind Bücher auf der Bestsellerliste so unterhaltsam.

Sven Regener: „Wiener Straße“, Galiani-Berlin, 304 Seiten, 22 Euro, E-Book: 18,99 Euro.

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Das Böse beschwören

Ein junger Mann zündet in den 1970er Jahren in Kansas scheinbar unmotiviert das Haus seiner schlafenden Eltern an. Fel, 1979 in Le Havre geboren, ein Drehbuchautor und ehemaliger Buchhändler, setzt seine Gruselmär mit einer anderen Geschichte fort: Ein New Yorker Stricher entführt Jahrzehnte später den kleinen Sohn einer Kundin – um ihn zu schützen. Es folgen weitere Novellen, die das Böse beschwören, in den USA wie in Europa. Aufmerksam muss man diese Episoden lesen, weil sie Bezug aufeinander nehmen, weil ein Psychopath das alles verbindende Element ist.

Fels Romandebüt wurde beim „Quais du Polar“ in Lyon, Europas größtem Krimifestival, prämiert. Auf den Spuren von Edgar Allen Poe,  Stephen King und von seinem Landsmann Jean-Christoph Grangé entfaltet der Franzose ein literarisch anspruchsvolles Schreckensszenario, das die internationale Spannungsliteratur originell bereichert.

Jérémy Fel: „Die Wölfe kommen“, deutsch von Anja Nattefort, dtv premium, 398 Seiten, 16,90 Euro. E-Book:  14,99 Euro.

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Kampf gegen fiese Tentakelmonster

„John Sinclair“ heißt eine der erfolgreichsten Horror-Serien der Welt. Seit Ende der Siebziger erfindet Helmut Rellergerd unter dem Pseudonym Jason Dark ständig neue Geschichten um den Geisterjäger von Scotland Yard – und wird dabei inzwischen auch von Gastautoren unterstützt.  Wolfgang Hohlbein, der wohl bekannteste aktuelle Mitstreiter, verwickelt Sinclair sowie einige seiner Gefährten in „Oculus – Im Auge des Sturms“ auf drei Zeitebenen in einen Kampf gegen fiese Tentakelmonster.

Eingeschworene Fans des Sinclair-Kosmos’ tun sich vielleicht schwer mit Hohlbeins „Star Trek“-Anleihen und einem doppelten John. Kenner des umtriebigen Fantasy- und Horrorautors wiederum identifizieren Motive, Szenen und Figuren aus dessen zeitgleich bei Piper erschienenem Roman „Armageddon“: Dämonen, Engelsgestalten, Atombomben, verwüstete Welten. Unterhaltsam ist die verschachtelt gebaute Geschichte (Teil 2 folgt alsbald) aber allemal.

Wolfgang Hohlbein: „John Sinclair. Oculus – Im Auge des Sturms“, Bastei Lübbe, 320 Seiten, 10 Euro. E-Book: 8,49 Euro.

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Geheimnisvolles Erbe

Jenny Aaron, die unnachahmliche Verhörspezialistin und Fallanalytikerin, ist wieder da – kampfstark und verletzlich wie vor zwei Jahren. Damals hatte „Tatort“-Autor Andreas Pflüger mit der blinden Polizistin in seinem Roman „Endgültig“ eine der eindrucksvollsten Figuren der deutschsprachigen Thrillerszene zum Leben erweckt. Jetzt hat sich Jenny nach Schweden zurückgezogen, um ihre Wunden zu lecken; und um zu überlegen, ob sie das Angebot annehmen soll, in das geheime Berliner Spezialkommando zurückzukehren.

Andreas Pflüger schickt Jenny durch die Hölle. „Niemals“ ist eine Geschichte, die über den Leser wie ein Sturm hinwegfegt: laut, bunt, überwältigend. Wir jagen mit Jenny in Zeitsprüngen durch eine actionreiche, oft blutige, aber nie unglaubwürdige Handlung. Ein Todfeind hat ihr zwei Milliarden Euro hinterlassen. Marrakesch, wo sie dieses Erbe in Empfang nehmen soll, erweist sich als Falle. In der marokkanischen Metropole erfährt sie auch, wer ihren Vater getötet hatte, und ist danach von Rachewünschen beseelt. Zugleich werden im Hintergrund politische Ränke geschmiedet.

Andreas Pflüger: „Niemals“, Suhrkamp, 470 Seiten, 20 Euro.  E-Book: 16,99 Euro.

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Fortschritt durch Konflikt

Demokratie bedeutete für ihn Konflikt. Und der Konflikt war die Bedingung für Freiheit. Ralf Dahrendorf, der große Liberale und Soziologe, raste in atemberaubendem Tempo durch die Bildungslandschaften der westlichen Welt. Aus seiner Feder stammen Bücher, die zu Klassikern der Soziologie oder wie „Demokratie und Gesellschaft in Deutschland“ zur Bestandsaufnahme der Defizite der Demokratie der Bundesrepublik wurden. Zudem zählte er zu den wichtigsten Intellektuellen der noch jungen Bundesrepublik.

Franziska Meifort ist dem Lebensweg in einer sehr gelungenen und lesenswerten Biografie gefolgt. Ausgehend von ihrer Dissertation hat sie seine spannende Lebensgeschichte auf der Grundlage der Memoiren Dahrendorfs nacherzählt, in welcher dessen intellektuelle Brillanz und Rastlosigkeit im Mittelpunkt steht.

Franziska Meifort: „Ralf Dahrendorf: Eine Biographie“, C.H. Beck, 477 Seiten, 38 Euro. E-Book: 31,99 Euro.

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Kinder und Jugendbücher im November

Schlafloses Schaf

Mögen Sie Zungenbrecher? Wie wäre es mit diesem hier? „Ich find und finde keinen Schlaf! Noch nicht einmal das kleinste Schläfchen! Ich zählte schon fünftausend Schäfchen!“ Haben Sie es laut gelesen? Sonst funktioniert es nicht. Schließlich ist das hier ein klassisches Vorlesebuch. Und darin geht es – Sie ahnen es – um das Schaf Regine, das nicht einschlafen kann. Also macht es sich auf den Weg durch die Nachbarschaft, beim Schäfer, den Kühen, Schweinen und Pferden vorbei, um den Schlaf zu finden. Ob Regines Suche erfolgreich verläuft, wird an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

Andrea Schomburg und Illustrator Karsten Teich ist allerdings ein besonders schönes Einschlafbuch gelungen. Mit witzigen Reimen, abendlich gedimmten Illustrationen und einem verzweifelt wachen Schaf.

A. Schomburg, K. Teich: „Wie das Schaf den Schlaf nicht fand“, Sauerländer, 32 Seiten, 14,99 Euro, ab 4 Jahren.

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Ein ominöser Kidnapper im Hotel

Im Mittelpunkt der Handlung steht Fanny, eine 17-Jährige aus Bremen, die die Schule kurz vor dem Abitur abgebrochen hat, und nun ein Jahrespraktikum im Luxushotel „Wolkenschloss“ absolviert. Hoch oben in den Schweizer Bergen ist Fanny das Mädchen für alles und schlägt sich so durch. Als es gerade mal nicht so gut läuft, steht plötzlich Ben vor ihrer Nase, der ziemlich gut aussehende Sohn des Hotelbesitzers. Doch dann lernt Fanny ja auch noch den nicht weniger gut aussehenden Hotelgast Tristan kennen – und zwar gerade, als sie herausfindet, dass das antike Hotel hoch verschuldet ist, deswegen verkauft und in ein Golfressort verwandelt werden soll. Und dann verschwinden auch noch Kinder – ob das etwas mit dem ominösen Grandhotel-Kidnapper zu tun hat, von dem einer der Gäste faselt? Fanny hat also alle Hände und Herzen voll zu tun.

Und der Leser auch. Denn gemessen am Inhalt hätte Gier locker wieder eine Trilogie füllen können. So aber dauert es lange, bis all die Charaktere und Erzählstränge eingeführt sind, dafür wird die komplexe Handlung am Ende recht schnell aufgelöst. Alles in allem hat Kerstin Gier einen unterhaltsamen Kriminal- und Liebesroman geschrieben, der jedoch nicht an ihre wahnsinnig witzigen und schlau konstruierten Vorgänger heranreicht.

Kerstin Gier: „Wolkenschloss“, Fischer FJB, 464 Seiten, 20,00 Euro, E-Book: 16,99 Euro, ab 14 Jahren. 

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Die besten Bücher im Oktober

Väter und Söhne

„Eigentlich wollte ich Schriftsteller werden“, heißt es zu Beginn des Romans, „aber nach den Ereignissen, die hier zu schildern sind, wurde ich Geotechniker und Bauunternehmer.“ So sorgt Orhan Pamuk zügig für erwartungsfrohe Spannung. Zwar lässt sich der Roman im ersten Teil geruhsam an. Im zweiten Teil freilich, kaum ist der alles infiltrierende Unfall geschehen, stürmt er flink und kraftvoll voran. Und im dritten Teil überschlägt er sich geradezu in dem Bemühen, alle Fäden zu packen und zu verknüpfen. Ja, der Nobelpreisträger des Jahres 2006 dreht und knickt, würzt und erhitzt den Handlungsstrang derart, als ginge es mal wieder um eine Erzählung aus 1001 Nacht. Ein Roman über Väter und Söhne – und auch über die Türkei in stürmischer Zeit. (M.Oe.)

Orhan Pamuk: „Die rothaarige Frau“, dt. von Gerhard Meier, Hanser, 286 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Verführer und Verführte

Als Gerhard Falkner vor einigen Jahren auf einem Schriftstellerkongress in Innsbruck weilte, machte er eines Morgens eine beunruhigende Entdeckung: Jemand hatte sich in seiner Abwesenheit in sein Hotelzimmer geschlichen, in aller Seelenruhe ein Bad genommen und in der Wanne mehrere lange schwarze Haare hinterlassen. Aus dieser Anekdote, von der Falkner schwört, sie habe sich genau so zugetragen, entwickelt der Lyriker und Romancier eine Geschichte, in der ein Schriftsteller, der Falkner wohl nicht ganz fremd ist,  von einer geheimnisvollen Unbekannten mit mutmaßlich düsteren Absichten durch halb Europa verfolgt wird. Falkner richtet in „Romeo oder Julia“ ein unterhaltsames Versteckspiel ein: Es geht um Irrsinn und Besessenheit, um den Eros des Literaturbetriebs und um die Verführungskraft des Wortes. (KoM)

Gerhard Falkner: „Romeo oder Julia“,  Berlin Verlag, 272 Seiten, 22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Dämonen des Aufruhrs

Wer kennt sie nicht, die Dämonen des Aufruhrs? Silvester träumte, seine Frau habe ihn betrogen - und so macht er sich voller Zorn auf den Weg nach Japan, um dort die Phantome seiner Eifersucht zu besänftigen. Es ist die Geschichte einer Pilgerfahrt.  Poschmann erzählt einfach und luftig, sodass man Atem schöpft zwischen den Sätzen, denen man anmerkt, dass sie von einer Dichterin stammen. So gelingt der Text in zweifacher Hinsicht: Als Phänomenologie einer westlichen Krise und als Gleichnis ihrer fernöstlichen Überwindung. (JoB)

Marion Poschmann: „Die Kieferninseln“, Suhrkamp, 186 Seiten, 20 Euro.  E-Book: 16,99 Euro.

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Utopie auf Abwegen

Deutschland im April 1945: Der amerikanische Offizier Michael Hansen (dessen Vater mit seiner Familie noch vor 1933 aus Hamburg auswanderte) kehrt mit der siegreichen US-Armee ins zerstörte Land seiner Kindheit zurück. Im Auftrag des Geheimdienstes soll er herausfinden, welche Rolle Alfred Ploetz im Dritten Reich gespielt hat – und ob es aus dessen früher sozialistischer Phase noch Verbindungen in die USA gibt. Uwe Timm gelingt es in seinem Roman ganz gut, die Atmosphäre im ersten deutschen Nachkriegssommer einzufangen – mit der Lebensgier und dem Verdrängungseifer der Besiegten wie dem festen Willen der Eroberer, es sich in der oberbayerischen Idylle in jeder Hinsicht gut gehen zu lassen.  Und als Abrechnung mit inhumanen und heute leider allenthalben wieder hochkommenden  Vorstellungen von machbarem Glück taugt der mit geschmeidiger Routine erzählte Roman allemal. (MaS)

Uwe Timm: „Ikarien“, Kiepenheuer & Witsch, 506 Seiten,  24 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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In der Dunkelkammer

Kein Schriftsteller unserer Zeit hat so ungeschützt den Blick auf die Welt in ihrer geheimnisvollen Fremdheit gerichtet wie der Ungar Peter Nadas in seinen großen Romanen „Parallelgeschichten“ und davor im „Buch der Erinnerung“. Beides waren Werke aus dem Geist des vorigen Jahrhunderts, die jetzt durch die Memoiren des nunmehr 75-jährigen Autors in die Trias des persönlichen Rückblicks hineinwachsen. „Aufleuchtende Details“, der Titel dieser „Lebensbeichte“ (Nadas) ist einer früheren Erzählung des passionierten Lichtbildners entlehnt. Peter Nadas erzählt in einer Sprache von klassisch-kühler Eleganz, die eine gewisse Spannung erzeugt, ohne jedes Pathos, ohne Übertreibung. So geben die Memoiren Auskunft über Sinne und Verstand, über Leben und Enttäuschungen eines großartigen Autors. (WoS)

Peter Nadas: „Aufleuchtende Details“, dt. von Christina Viragh, Rowohlt, 1278 Seiten, 39,50 Euro.

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U-Bahn zur Erbsünde

Die Literatur ist der Ort, an dem die Metaphern ein Eigenleben gewinnen. Vielleicht sogar die Kontrolle übernehmen. Wie wirkungsmächtig und erhellend dieser Prozess sein kann, zeigt „Underground Railroad“, Colson Whiteheads mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter Roman, in leuchtender Vorbildlichkeit. Er handelt von der Flucht einer Sklavin in den amerikanischen Südstaaten vor dem Bürgerkrieg. Und ist doch kein Geschichtsroman. Underground Railroad nannte man das Netzwerk aus Gegnern der Sklaverei, schwarzen wie weißen, die mittels geheimer Routen und Schutzhäuser Sklaven aus der Zwangsarbeit auf den Plantagen befreiten und deren Flucht in den Norden, oft bis nach Kanada, ermöglichten. Rund 100 000 Menschen fanden auf diese Weise die Freiheit, ein heroisches Kapitel in einem dunklen Buch. Dass es dem Autor um die Erbsünde der Vereinigten Staaten, um die untergründige Verbindung der Sklavenjahre zum Hier und Jetzt geht, muss er an keiner Stelle eigens betonen. So mächtig, so schlagend ist seine Untertunnelung der amerikanischen Verhältnisse. (cbo)

Colson Whitehead: „Underground Railroad“, dt. von Nikolaus Stingl, Hanser, 352 Seiten, 24 Euro. E-Book: 17,99 Euro.

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Nora und die Revolution

Jakow weint. Da staunen die Häftlinge neben ihm im eisigen sibirischen Lager. Stalin ist gestorben, und Jakow weint beim verlogenen Gedenken? Aber er weint, weil aus dem Lautsprecher der letzte Satz der 6. Tschaikowski-Sinfonie klingt, Musik, die er seit langem nicht mehr gehört hat. Sein Leben bebt ihm darin nach. Mit Szenen wie dieser vom März 1953 schafft die große russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja Bilder dafür, wie 70 Jahre Sowjetunion Menschen zerstört, Familien in den Abgrund gestoßen haben. Zugleich jedoch weiß und vermittelt sie, welch rege private Existenz viele Millionen führen konnten, weil sie, bei allem Druck, allen Schwierigkeiten, aller Anpassung eine Gegenkraft entwickelten, Lebenswillen. Ihr neuer Roman „Jakobsleiter“ vibriert von jener Energie, die politische Zäsuren auszublenden versucht. (RH)

Ljudmila Ulitzkaja: „Jakobsleiter“, dt. von Ganna-Maria Braungardt,  Hanser,  608 Seiten, 26 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Fremd im eigenen Leben

Warum fühlt sich das eigene Leben eigentlich nie so an wie ein Film, eine Fernsehserie oder wenigstens ein Schundroman? Noch nicht mal für Natalie, die Krankenschwester, die mit dem Chefarzt der Kardiologie im Behandlungszimmer Sex hat? Dabei wäre das doch eine super Folge für „Nati und die Welt“ – ihre eigene Kitsch-Serie, die sie als Mädchen erfunden hat. Monika Helfers Charaktere sind nicht eins mit der Welt. Weil sie zu unangepasst sind. Oder gerade weil sie so extrem angepasst sind, dass sie sich selbst verleugnen. In ihrem schmalen Roman „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“ mühen sie sich vergeblich mit dem Alltag ab. Mit ganz wenigen Worten erweckt die österreichische Autorin ihre Handlung zum Leben. Sie schaut genau hin, beschreibt pointiert. Und thematisiert wie nebenbei noch das Erzählen selbst. (MM)

Monika Helfer: „Schau mich an, wenn ich mit dir rede!“, Jung und Jung, 186 Seiten,  20 Euro.  E-Book: 15,99 Euro.

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Deutsches Stehaufmännchen

„Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“ kommt wie Grimmelshausens „Simplicissimus“ daher oder wie ein lehrreicher Roman von Erich Kästner: Jedes Kapitel beginnt mit zwei, drei Sätzen, die eine Einordnung der folgende Handlung geben. Mit diesem neuen Roman, seinem ersten nach neun Jahren, begibt sich Ingo Schulze in die deutsche Geschichte der Jahre 1974 bis 1998. Sein Erzähler ist 1962 geboren wie er. Peter Holtz, ein Stehaufmännchen in DDR und Bundesrepublik,  erzählt im Präsens, begegnet jeder neuen Situation offen und staunend, als käme er nicht aus dem Heim, sondern von einem anderen Stern. Und Ingo Schulze, der Autor von „33 Augenblicke des Glücks“, „Simple Storys“ und „Neue Leben“, beweist mit diesem Buch wieder, dass er ein kunstvoller, gewitzter Erzähler ist. (CoG)

Ingo Schulze: „Peter Holtz. Sein glückliches Leben erzählt von ihm selbst“, S. Fischer, 574 Seiten, 22 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Mann mit zwei Gesichtern

„Ich bin ein Spion, ein Schläfer, ein Maulwurf, ein Mann mit zwei Gesichtern“, so stellt sich der namenlose Ich-Erzähler von „Der Sympathisant“ vor. Viet Thanh Nguyen, 1971 in Vietnam geboren, 1975 mit den Eltern in die USA geflohen, schildert in seinem preisgekrönten Debütroman das Schicksal eines vietnamesischen Spions, den  es nach dem Fall Saigons nach Los Angeles verschlägt. Die Stärke dieses Romans liegt in der Schilderung der verschiedenen Emigrantenschicksale. Aus ehemals stolzen Generälen werden im Exil versoffene Schnapsverkäufer und trostlose Almosenempfänger, die ihre moralische und politische Orientierung verloren haben. Sie alle träumen von der Rückkehr nach Vietnam, auch wenn das Land für sie verloren ist. Rigoros räumt Nguyen mit dem Mythos vom guten Amerikaner auf, der für seine ehemaligen Verbündeten sorgt und sie als gleichwertige Partner betrachtet. (P.P.)

Viet Thanh Nguyen: „Der Sympathisant“, dt. von  Wolfgang Müller, Blessing, 530 Seiten, 24,99 Euro. E-Book: 19,99 Euro. 

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Gesetz und Liebe

„Justizpalast“ ist kein Justiz-Thriller nach Grisham-Art, sondern ein sanfter Roman, der gescheit, geschickt bis süffig durch den Mikrokosmos der Gerichte führt. Petra Morsbach (61) untersucht, wie Berufe diejenigen prägen, die sie ausüben (und umgekehrt), zuvor im „Opernroman“ oder in „Gottesdiener“. Jetzt also Juristen. Auf unterschiedlichste Rechtsfälle stößt man bei der Lektüre, was auch lehrreich ist. Verbunden werden sie durch die Lebensgeschichte von Thirza, die zur Kammervorsitzenden im Landgericht aufsteigt und die Liebesehe mit einem Juristen beschert wird. Der Roman wird zum gut gefederten Gefährt für große Materialmengen. (RH)

Petra Morsbach: „Justizpalast“, Knaus, 480 Seiten, 25 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Bürgerkrieg in Burundi

Der elfjährige Gabriel aus Burundi versteht die Welt nicht. Er versteht nicht, warum seine Mutter, eine Tutsi aus Ruanda, seinen französischen Vater verlassen hat. Er versteht nicht, warum seine Freunde plötzlich nur noch von Politik reden. Und er versteht erst recht nicht, warum seine Cousins und Cousinen in Ruanda von Hutu-Soldaten ermordet worden sind. „Ich hatte keine Antwort auf die Frage meiner kleinen Schwester.  Ich hatte keine Erklärung für den Tod der einen und den Hass der anderen.  Vielleicht ist das Krieg, wenn man nichts versteht.“ Gaël Fayes Roman „Kleines Land“ ist voll von solchen Sätzen. Sätzen von eindringlicher Wucht, schlicht und klar formuliert aus der Sicht eines verängstigten Kindes.  Der Autor, 1982 als Sohn einer ruandischen Mutter und eines französischen Vater in Burundi geboren,  verarbeitet in seinem Debütroman eigene Kindheitserfahrungen. (P.P.)

Gaël Faye: „Kleines Land“, dt. von Brigitte Große und Andrea Alvermann, Piper,  224 Seiten, 20 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Lila und Elena

Wie schön, wenn auf der Bestsellerliste eine Autorin wie Elena Ferrante ganz oben auftaucht. Deren vierteilige „Neapolitanische Saga“ galt längst als Welterfolg, als sie im Suhrkamp-Verlag endlich auch ins Deutsche übertragen erschien (und zwar sehr gut übertragen von Karin Krieger). Im dritten Teil, „Die Geschichte der getrennten Wege“, bricht für die beiden Freundinnen Lila und Elena mit den 1970er Jahren endgültig das Erwachsenenleben an, die Mühen der Ebene, zwar mit ersten beruflichen Erfolgen, aber auch einigen persönlichen Niederlagen. Für den Leser funktioniert das als Seifenoper ebenso wie als Geschichte Italiens, des Feminismus, der Klassenkämpfe und der Camorra, die hier stets im Hintergrund lauert – und die Spanne reicht von der süditalienischen Wurstfabrik bis zum Bildungsbürgertum von Florenz.

Elena Ferrante: „Die Geschichte der getrennten Wege“, dt. von Karin Krieger, Suhrkamp, 540 Seiten, 24 Euro. E-Book: 20,99 Euro.

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Maschinen an der Macht

Künstliche Intelligenz, KI genannt – kennen wir. Aber was ist eine Maschinenintelligenz (MI)? Nichts Gutes. Was geschehen könnte, wenn sich die leistungsfähigsten Computer weltweit zu einer MI vernetzen, schildert der Science-Fiction-Autor Andreas Brandhorst in seinem düster-fesselnden Wissenschaftsthriller „Das Erwachen“. Ein Hacker setzt versehentlich ein Computervirus frei, das rasend schnell global Rechner zusammenschließt. Daraufhin bricht auf allen Kontinenten die Infrastruktur zusammen, Flugzeuge stürzen ab, die Menschheit wird auf eine frühindustrielle Entwicklungsstufe zurückgeworfen. Eine Dystopie, die erschreckend realistisch anmutet. (EvS)

Andreas Brandhorst: „Das Erwachen“, Piper, 736 Seiten, 16,99 Euro. E-Book: 14,99 Euro.

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Von Menschen und Krokodilen

Es ist eines der ungewöhnlichsten Ermittler-Duos im Thriller-Genre: Ex-Cop Ted, der ein kleines Mädchen entführt und vergewaltigt haben soll und der aus Mangel an Beweisen wieder freigekommen ist. Sowie Amanda, die jahrelang im Knast saß, weil sie angeblich eine junge Frau ermordet hatte. In der nordaustralischen Kleinstadt Crimson Lake (so der Titel des Romans) arbeitet Amanda als Privatdetektivin und heuert Ted an, der sich auf der Flucht vor der gesellschaftlichen Ächtung in ein abgelegenes Haus zurückgezogen hat. Amanda sucht nach einem berühmten Autor, der möglicherweise von einem Krokodil gefressen wurde. Candice Fox, die  Erfahrungen bei der Royal Navy ihres Landes sammelte, gehört zu den interessantesten neuen Stimmen in der internationalen Spannungsliteratur. Sie punktet mit einem schnoddrigen Stil, starken Charakteren und einem filmreifen Plot. (EvS)

Candice Fox: „Crimson Lake“, deutsch von Andrea O’Brien, Thriller Suhrkamp, 380 Seiten, 15,95 Euro. E-Book: 13,99 Euro.

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Neue Sachbücher im Oktober

Wald, Wurm, Wolf

Der Förster Peter Wohlleben aus Hümmel in der Eifel ist ein Mensch, der es liebt, zu erzählen. Das, was er zu erzählen hat, liegt nun auch vielfach gedruckt vor, neben vielen anderen Büchern hat er vor allem eine Trilogie veröffentlicht, die ihn über die Buchen- und Eichenwälder Hümmels hinaus bekanntmachte, und  deren dritter Teil nun vorliegt. Nach „Das geheime Leben der Bäume“ und „Das Seelenleben der Tiere“ lässt sich nun  Verblüffendes in seinem neuesten Flora-, Fauna- und Natur-Proseminar erlernen – unter dem Titel „Das geheime Netzwerk der Natur“. Wohlleben hat mit den beiden ersten Büchern ganz offensichtlich ein Bedürfnis seines Publikums geweckt und gedeckt, denn aktuell ist er Deutschlands erfolgreichster Sachbuch-Autor. Sein jüngstes Werk ist ebenfalls reif für die Bestseller-Listen. Mit den dasZusammenhängen des Lebens in freier Wildbahn vermittelt Wohlleben  eine Mahnung: Kleine Eingriffe des Menschen können große Folgen haben. Deshalb: Finger weg, die Natur machen lassen. Ist besser so. Ob das wohl klappt und möglich ist? (skl)

Peter Wohlleben: „Das geheime Netzwerk der Natur“,  Ludwig, 224  Seiten, 19,99 Euro.  E-Book: 15,99 Euro.

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Neudecks Vermächtnis

Rupert Neudeck, der im vergangenen Jahr verstorben ist,  war stets der Meinung, dass Flüchtlinge die Pflicht und die Aufgabe haben, sich zu integrieren,  und er sagte im gleichen Atemzug auch, wie stolz er sei, dass die von der „Cap Anamur“  geretteten Menschen keine öffentlichen Hilfen in Anspruch genommen hätten. Auch in dem vorliegenden Band schreiben Menschen, die ihr Leben gemeistert haben, die sich ihrer vietnamesischen Wurzeln und ihrer deutschen Heimat bewusst sind. „Was man nie vergessen kann“ ist ein packendes und aufwühlendes Buch und man legt es nicht wieder aus der Hand, bis man die letzte Zeile gelesen hat. Der rastlose Rupert Neudeck hat sein Leben als Helfender, aber auch als Schreibender verbracht. Über die Jahrzehnte ist er der Autor einer kleinen Bibliothek geworden. Doch dieses Werk ist Vermächtnis und Mahnmal zugleich. Es zeigt uns, welche Kraft aus Menschlichkeit erwachsen kann, und es erscheint mir als das wichtigste Buch, das seinen Namen trägt. (pp)

Rupert und Christel Neudeck: „Was man nie vergessen kann – Erinnerungen vietnamesischer Bootsflüchtlinge“, Peter Hammer Verlag,  184 Seiten, 19.90 Euro.

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Reiz der Radikalität

Der NS-Staat, Hitler, die Gestapo – personen- und institutionengeschichtliche Untersuchungen zur  NS-Zeit füllen Bibliotheken.  Was aber ist mit der Partei, die Hitler genauso als Instrument auf seinem Weg „nach oben“ benutzte? Tatsächlich gab es bislang – man glaubt es kaum – zur noch in die Zeit vor Hitler reichende Historie der NSDAP keine konzise Gesamtdarstellung. Die liefert jetzt der Historiker und „Welt“-Redakteur Sven Felix Kellerhoff in einer  Studie, die ausgiebig auch das bislang zu wenig beachtete Material des amerikanischen Soziologen Theodore Abel    heranzieht.  Was aber machte  die Attraktivität  der Partei  dergestalt aus, dass sich  Deutsche aus allen Bevölkerungsschichten von den demokratischen  Parteien ab- und ihr zuwandten? Kellerhoffs Diagnose: Es war der „Reiz der Radikalität“,  die Klarheit der Feindbilder, die Einfachheit der Antworten auf schwierige Fragen, der destruktiven Lösungsvorschläge für komplexe Probleme. Bedrückend deutlich wird allemal auch die lahme Gegenwehr der Weimarer Demokratie angesichts der braunen Flut. (MaS)

Sven Felix Kellerhoff: „Die NSDAP. Eine Partei und ihre Mitglieder“, Klett-Cotta, 442 Seiten, 25 Euro. E-Book: 19,99 Euro.

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Tragischer Zar Nikolaus

So schlecht der Start, so bitter das Ende.  Als der unerwartete Tod seines Vaters Nikolaus Alexandrowitsch Romanow zum Zaren macht, bricht für ihn eine Welt zusammen. Wie, um Gottes willen, sagt er seinen engsten Vertrauten, solle gerade er dieses Amt ausüben. Nikolaus war zu unbeleckt, untalentiert und wohl auch desinteressiert auf dem  wichtigen Gebiet der Politik. Diese Selbsteinschätzung sollte eines der wenigen klaren Urteile sein, die Nikolaus II. über sich und seine Umwelt fällte. György Dalos’ grandios geschriebenes Buch über den letzten russischen Zaren   ist die Nachzeichnung einer persönlichen und politischen Katastrophe. Dem ungarischen Historiker gelingt es spielerisch, den Untergang der Romanows darzustellen und zudem den Zerfallsprozess der russischen Vorkriegsgesellschaft nachzuzeichnen. (MH)

György Dalos: „Der letzte Zar – Der Untergang des Hauses Romanow“, dt. von  Elsbeth Zylla, C. H. Beck, 232 S., 22,95 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Architektur des Glücks

Der italienische Architekturhistoriker Vittorio Magnago Lampugnani bietet in seinem uneingeschränkt sehr gut lesbaren Buch  „Die Stadt von der Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert“ keine durchgängige Geschichte des Städtebaus. Er nimmt stattdessen auf 384 reich bebilderten  Seiten deren Meilensteine in den Blick: die mittelalterlichen Stadtstaaten Florenz und Siena, die Gartenanlagen und Plätze des französischen Absolutismus, den Umbau Berlins aus dem Geiste des Klassizismus oder den 1859 ins Werk gesetzten Erweiterungsplan für Barcelona. All diesen Entwicklungen ist bei Lampugnani gemein, dass sie auf die antike Idee  der städtischen Bürgerschaft zurückgehen und nach der architektonischen Hülse eines sicheren und glücklichen Zusammenleben suchen. Im Städtebau spiegelt sich daher immer auch die soziale Ordnung und das Gefüge eines Staates wider – sei es in der barocken Ausrichtung der Stadt auf den fürstlichen Palast oder im radikalen Umbau der proletarischen Stadtviertel von Paris zugunsten großzügiger bürgerlicher Boulevards im 19. Jahrhundert. Ohne eine gemeinsame Vorstellung, wie wir in der Stadt leben wollen, ist die Stadt dem Wildwuchs der ökonomischen Interessen preisgegeben. Lampugnani zeigt uns eindrucksvoll, dass und wie es anders geht. (KoM)

Vittorio Magnago Lampugnani: „Die Stadt von der Neuzeit bis zum 19. Jahrhundert: Urbane Entwürfe in Europa und Nordamerika“, Wagenbach, Verlag Klaus, 416 S., 78 Euro. E-Book: 72 Euro.

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Ach, du liebes Buch!

Dass einem eifrigen Leser die Bücher zuweilen über den Kopf wachsen, ist ein vertrautes Phänomen. Wie das dann aussieht, ist allerdings nicht allzu oft im Bild  festgehalten worden. In der Sammlung von Günter Karl Bose freilich finden sich auch solche Motive – wie denn nicht in einem Fotobestand, der von der lustvoll-besessenen Bücherfotosammellust beseelt ist.  Da gibt es viel Kurioses und Leidenschaftliches  zu entdecken, zumeist aus amerikanischen Beständen stammend, aber auch einige wenige Dokumente der Barbarei wie jenen von der Bücherverbrennung 1933. Klar dominiert in diesem wunderbaren Band der positive Hang zum Buch, denn das verspricht  ja schon der Titel „Bookish. (M.Oe.)

Günter Karl Bose: „bookish!“, mit einem Essay von Michael Hagner, Wallstein, 238 Seiten, 29,90 Euro.

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Die besten Bücher im September

Indisches Roulette: „Das Ministerium des äußersten Glücks“ von Arundhati Roy

Satte 20 Jahre hat sich Arundhati Roy Zeit gelassen für ihren zweiten Roman. Dabei war doch das Debüt gleich ein weltumgreifender Bestseller gewesen, ausgezeichnet mit dem Man Booker Prize. Der Erfolg war womöglich auch ein wenig dem fantastischen  Titel geschuldet:  „Der Gott der kleinen Dinge“.

Das neue Werk nun klingt ebenfalls nach Magie und Opulenz: „Das Ministerium des äußersten Glücks“.  In Roys Roman, der 70 Jahre nach der Unabhängigkeit und der Teilung des Landes in Pakistan und Indien erscheint, geht es um Nationalismus und Gewalttätigkeit,  vor allem um den Kaschmir-Konflikt, aber auch um die Menschen, die in den Apotheken „indisches Roulette“ spielen: „Sie hatten eine 60:40 Chance, dass die Medikamente, die sie kauften, echt und nicht gefälscht waren.“ Ein reiches, oft bitteres, zuweilen sarkastisches und immer wieder poetisches Werk der kleinen und der großen Dinge. (M.Oe.) 

Arundhati Roy: „Das Ministerium des äußersten Glücks“ (dt. von Anette Grube, S. Fischer, 556 S.,  24 Euro.  E-Book: 19,99 Euro)

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Der Franz ist nicht mehr 40: „Das Glück ist ein Vogerl“ von Ingrid Kaltenegger

Wenn man gierig ist und unbedacht das Leckerste vom Teller verspeist hat, sitzt man plötzlich vor dem Rest und weiß, dass einem nichts mehr richtig schmeckt. So ist das mit dem Leben vom Franz auch. Musiker war er, in einer Band hat er gespielt, bis ihm die Finger und das ganze Hemd blutig wurden und auch das Herz, schließlich lernte er die Linn kennen und die hatte ein wippendes Kleid an und ihm irgendwann ein süßes Bündel geschenkt, die Julie, und die war sein ganzer Stolz. Und jetzt? Dem Franz, „nicht mehr 40“, schmeckt sein Leben nicht mehr. Ingrid Kalteneggers Roman „Das Glück ist ein Vogerl“ erzählt heiter von der Mitte des Lebens, die manchmal so zäh erscheint wie ein Hubba-Bubba, der tagelang unterm Tellerrand geparkt klebte und dann mangels Alternativen nochmal durchgekaut wird. Wer also von seinem Leben überfordert ist, der sollte Kalteneggers Roman lesen und über sich selbst lachen. (cl)

Ingrid Kaltenegger: „Das Glück ist ein Vogerl“,  Hoffmann und Campe, 300 Seiten, 20 Euro. E-Book: 15,99 Euro.

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Mord im Oderbruch: „Die Gleichung des Lebens“ von Norman Ohler

„Faule See“, „Krummer Ort“, „Feuchter Willi – besonders anheimelnd klingen alle diese Namen nicht. Die Rede ist vom sogenannten Oderbruch, einem  Binnendelta  des Flusses  östlich von Berlin. Das war Jahrhunderte lang ein riesiges unwegsames  Sumpfgebiet – bis Friedrich der Große es in den 50er Jahren des 18. Jahrhunderts trocken legen ließ. Im Jahre 1747, da Norman Ohlers Roman „Die Gleichung des Lebens“ spielt, steckt das in Berlin und Sanssouci ausgeheckte Landgewinnungsprojekt  noch in den Kinderschuhen – und muss sich zäher Gegner erwehren. Der König ist denn auch geneigt, ihnen einen Mord in die Schuhe zu schieben, dem sein französischer Kanalbaumeister Mahistre zum Opfer gefallen ist.

Das Zeitkolorit ob in Sanssouci oder in den ranzigen Dörfern im Osten wird  hier hochlebendig. Darüber hinaus bedient der Autor Spannungsaufbau und -steigerung mit souveräner Routine.  Indes treibt sein  Buch  über  ein  unterhaltsames Krimi-Vergnügen hinaus. Allemal wird klar: Die Überlebensprobleme, die wir heute im globalen Maßstab haben, langen weit in die Vergangenheit zurück. Sehr weit. (MaS)

Norman Ohler: „Die Gleichung des Lebens“, Kiepenheuer & Witsch, 416 Seiten,   22 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

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Luise geht ihren Weg: „Blaupause“ von Theresia Enzensberger

Luise studiert am Bauhaus. Das war ihr Ziel, das ist ihr Glück. Im Jahre 1921 zieht sie nach Weimar, um sich von Walter Gropius als Architektin ausbilden zu lassen.  Die junge Berlinerin ist die Zentralfigur in Theresia Enzensbergers  „Blaupause“, dem gelungenen Roman-Debüt der Herausgeberin des „Block“-Magazins (und Tochter von Hans Magnus Enzensberger). 

Zielstrebig und emanzipiert versucht Luise das Umfeld des Bauhauses zu verstehen. Die Männer  sind hier klar in der Übermacht. Doch Luise hält tapfer an ihrer Vision fest, selbst einmal eine Siedlung zu bauen. Damit stellt sie sich gegen den selbst am so visionär wirkenden Bauhaus etablierten Sexismus. Doch auch der eigenen Familie passt die Richtung. Knapp im Stil, aber beeindruckend prägnant  schildert Enzensberger die Entwicklung der jungen Frau. Damit liefert sie ein überzeugendes Porträt des Lebens in der Weimarer Republik vor der modernen Kulisse des Bauhauses. (juh)

Theresia Enzensberger: „Blaupause“, Hanser, 256 Seiten, 22 Euro. E-Book: 16,99 Euro.

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Tod nach dem Training: „Ermordung des Glücks“ von Friedrich Ani

Der pensionierte Kommissar Jakob Franck hat eine sehr spezielle Beziehung zu den Toten. Sie lassen ihn nicht mehr los, erst recht nicht, wenn sie eines gewaltsamen Todes gestorben sind. Dann sitzen sie in seinem Wohnzimmer und wollen reden.  Vor zwei Jahren erschien die erste, mehrfach ausgezeichnete  Folge von Friedrich Anis  Krimireihe um den hellsichtigen Kommissar. Nun folgt auf „Der namenlose Tag“ Band zwei: „Ermordung des Glücks“. Der elfjährige Lennard Grabbe wird tot in einem Wald aufgefunden. Offenkundig ist der Junge bereits am  Tag seines Verschwindens – mehr als einen Monat zuvor – ermordet worden. Zuletzt wurde er in seiner Schule gesehen, wo der begabte Fußballspieler bis in den Abend hinein trainierte.

Ein weiteres Mal erweist sich Ani als ein brillanter Erzähler und Menschenkenner. Die Welt, die  er schildert, ist so finster wie die Hölle, das Leben eine  Abfolge willkürlicher und schicksalhafter Zufälle. Hier gibt es für niemanden eine Erlösung, selbst dann nicht, als der Täter überführt und das Rätsel um den Tod Lennards gelöst ist. (P.P.)

Friedrich Ani: „Ermordung des Glücks“, Suhrkamp, 318 Seiten, 20 Euro, E-Book 16,99 Euro.

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Flucht in die Neue Welt: „Die abenteuerliche Reise des Pieter van Ackeren in die neue Welt“ von Meinrad Braun

In seinem Reiseroman nimmt Meinrad Braun den Leser mit auf eine fabelhafte Erkundung der Neuen Welt. Der Held ist ein junger Pietist, der sich auf den Weg in die niederländische Kolonie Surinam begibt, um sich einer Anklage als Ketzer zu entziehen. Bis dieser van Ackeren wieder nach Amsterdam zurückkehrt, hat er existentielle Erfahrungen gesammelt.

Braun entwirft in dieser fein austarierten Mischung aus   Reise- und  Bildungsroman  ein eindringliches Bild des frühen 18. Jahrhunderts – mit   verstörenden Widersprüchlichkeiten, unfassbaren Grausamkeiten und zündelnden Glaubensfragen. (EvS)

Meinrad Braun: „Die abenteuerliche Reise des Pieter van Ackeren in die neue Welt“, Emons, 608 Seiten, 16,95 Euro. E-Book: 10,99 Euro.

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In aller Kürze

Ein toller Fund: Der Dichter Rutebeuf (1230–1285), der über verlorene Freunde und verlorene Glücksspiele klagt, ist eine kraftvolle Stimme aus dem Mittelalter. Ralph Dutli hat die Verse aus dem Altfranzösischen recht frei ins Deutsche übersetzt: „Winterpech & Sommerpech“ (Wallstein, 22 Euro). (M.Oe.)

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Überraschung für alle Fans von Anne Chaplet: Die Krimiautorin hat eine neue Heldin. Die heißt Tori Godon (41 Jahre) und lebt seit dem Tod des Ehemannes allein in einem alten Haus im französischen Vivarais. Dort stört alsbald ein Toter die Ruhe. „In tiefen Schluchten“ (KiWi, 9,99 Euro) bietet spannende Lektüre mit viel Lokalkolorit, die  neugierig macht auf unser Nachbarland.  (P.P.)

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Michel Houellebecq feiert den Philosophen Arthur Schopenhauer (1788–1860), indem er Lieblingsstellen aus dessen Werk erläutert: „In Schopenhauers Gegenwart“ (DuMont, 18 Euro).  Houellebecq neigt dabei zu der Annahme, „dass auf intellektueller Ebene seit 1860 nichts mehr passiert“ sei. (M.Oe.)

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Ein junges Paar kehrt aus dem Urlaub zurück  - und das geht nicht gut. Denn zuhause in Hamburg wartet ein Fremder in der Wohnung.  Das Thriller-Motiv ist nicht neu. Aber der originelle Plot, den Andreas Winkelmann in seinem Roman „Housesitter“ (Wunderlich, 14,99 Euro) entwickelt, hat internationales Format. (EvS)

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Ein Schaustück herrlichster Art ist das „Buch der Palmen“ (Taschen, 49,99 Euro). Es erinnert an die botanische Meisterschaft des Carl Friedrich Philipp von Martius (1794–1868), der das Reich der Palmen im  Amazonas-Urwald erforscht hat.  Der Clou des Werks sind die 240 farbigen Lithografien.  (M.Oe.)

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Für junge Leser 

Plüschlöwe Leo lebt

Leo ist Henrys bester Freund. Die beiden sind wie Brüder. Passen aufeinander auf. Haben sich lieb. Nur, dass Leo eben nicht aus Fleisch und Blut besteht, sondern aus Flausch und Plüsch. Leo ist Henrys Lieblingsstofftier und sein Fantasiefreund. Und für Henry ist er lebendig. Deswegen macht der Junge sich auch große Sorgen, als Leo beim Waldspaziergang verloren geht.

Die Amerikanerin Pamela Zagarenski bereitet diese Problematik in ihrem Bilderbuch „Leos wunderbare Reise“ sehr kindgerecht auf -  weil sie die Existenz des Fantasiefreundes akzeptiert und diesen zum Leben erweckt. Und es bestechen genau jene Doppelseiten, die Leos Reise ohne Text, dafür aber künstlerisch, verspielt und gut verständlich illustrieren. (aso)

Pamela Zagarenski: „Leos wundersame Reise“, dt. von Gundula Müller-Wallraf, Knesebeck, 40 Seiten, 12,95 Euro, ab 4 Jahren.

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Jugendcliquen in der NS-Zeit

In der Schule nimmt man das Thema Nationalsozialismus in vielen Fächern und aus dementsprechend vielen Perspektiven durch. Eines jedoch bleibt gleich: Die Verteilung der Protagonisten. Auf der einen Seite gab es die vielen Nazis, auf der anderen Seite die wenigen, mutigen Widerstandskämpfer. Gab es nicht noch etwas dazwischen? Den Grau-Bereich bringt uns Johannes Herwig näher. In seinem Jugendbuch-Debüt „Bis die Sterne zittern“ erzählt er über die Leipziger Meuten, rebellische Cliquen aus Jugendlichen, die sich von niemandem, auch nicht vom Staat, vorschreiben lassen wollten, wie sie sich zu kleiden, zu benehmen und zu verhalten haben. Erst in den vergangenen Jahren hat die Forschung angefangen, sich mit den  Leipziger Meuten zu befassen. Umso schöner, dass Johannes Herwig diese Zeit Ende der 1930er Jahre  nun erlebbar macht. (aso)

Johannes Herwig: „Bis die Sterne zittern“, Gerstenberg Verlag, 240 Seiten, 14,95 Euro, ab 14.

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Klicktipp

Es war einmal... Aber wo eigentlich, und wer gehört in welches Kinderbuch? Wer läuft mit dem Hasen um die Wette und welchen Vornamen trägt der kleine Vampir? Ein hübsches Quiz für Kinder der Paderborner Theodorschule fragt dies und mehr zu Klassikern der Kinderliteratur, Märchen, Fabeln und Comics. Richtige Antworten werden mit „genau“, oder „bingo“ belohnt, falsche mit „sicher?“ oder „sicher nicht“ zum Beispiel. Übrigens nicht ganz auszuschließen: Bringt auch Erwachsenen Spaß. (cba)

http://theodorschule.lspb.de/Kinder/Quiz/Literatur.html 

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