Schaustellerin im Existenzkampf„Ich habe die Musik laut gedreht und mich nur gefreut“

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Nina Osselmann und ihre Mutter Dagmar betreiben den Autoscooter Diamond.

Düsseldorf – Während die Fähnchen der Armada von metallic lackierten Scootern in der Rheinbrise wiegen, läuft Dagmar Osselmann über die Frühlingskirmes in Düsseldorf und seufzt. Ihr gehört der große Autoscooter „Diamond“, der wild blinkt, obwohl noch gar keine Menschen da sind. Die anderen Schausteller tuscheln, verlieren sich in letzten Vorbereitungen vor der großen Eröffnung, es riecht nach Mandeln und Crêpes. Eigentlich ein ganz normaler Tag auf der Kirmes. Als wäre nichts gewesen. So, als hätten Dagmar und ihre Schaustellerkollegen nicht fast jeden Tag der letzten zwei Jahre um ihre Existenz kämpfen müssen.

In diesem Jahr ist weniger Platz am Tonhallenufer als sonst. Die Fahrgeschäfte sind eng aneinander gedrängt, jeder Quadratmeter wird ausgenutzt. Osselmanns Kassenwagen steht so dicht am nächsten Karussel, dass sie ihn nicht richtig ausfahren kann.

Vor der Pandemie hätte sie das nicht mit sich machen lassen, versichert sie. Sie wäre laut geworden und hätte den Platz eingefordert. Heute aber ist sie aber einfach nur froh, wieder arbeiten zu dürfen und dem depressiven Loch entkommen zu sein, das in letzter Zeit ihr Leben bestimmt hat.

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Das Volksfest sollte Letzter sein

Zwei Jahre lang waren die Schausteller zu Untätigkeit verdonnert. Gesundheitsminister Spahn machte ganz am Anfang der Pandemie deutlich: „Das, was sicherlich als Letztes wieder möglich ist, das ist im Zweifel die Party und das Volksfest.“ Und so war es auch. Bis auf wenige Ausnahmen blieben die Autoscooter, Geisterbahnen und Karusselle stehen und setzten Staub an. Rund 32.000 Menschen arbeiten in der Branche, viele mussten sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten: Im Supermarkt, in Corona-Teststationen oder auf dem Bau.

Das hat das Geschäft verändert. Man muss kein Schausteller sein, um das zu erkennen. An einigen Büdchen hängen knallblaue Fähnchen mit der Aufschrift: „Hier kann man auch mit Paypal zahlen!“ Und der Autoscooter „Diamond“ hat seit letztem Jahr eine eigene App, mit der sich die Jetons für die Fahrt auch digital zahlen lassen, statt zum Kassenhäuschen zu gehen. „Wir gehen auch anders miteinander um, als vorher. Bewusster und mit mehr Verständnis füreinander“, sagt Dagmar Osselmann.

Schaustellerin ist sie jetzt schon seit 40 Jahren und  der Autoscooter „Diamond“ ihr ganzer Stolz. Das Layout des Geschäfts entwickelte die ehemalige Bauzeichnerin nämlich selber. Das war vor 30 Jahren, so lange hält die Technik schon durch. Ihre Familie führt den Betrieb nun in 7. Generation fort, ihre Tochter Nina hat auch einen Schausteller geheiratet und hilft im Unternehmen mit. Ihr Lebensgefährte hat Mandelwagen, die auf einer anderen Kirmes stehen. So funktioniert das im Schaustellerleben. Mit ihren Wohnwägen und Geschäften leben sie ein bisschen wie Nomaden, mal hier, mal dort. „Das ist ja so schön an unserem Beruf. Egal wo wir spielen, sind wir zuhause“, sagt Nina Osselmann.

Ab und zu sind neben dem Kirmeslärm auch polnische und rumänische Sprachfetzen zu hören. In der Schaustellerbranche ist es üblich, mit Saisonsarbeitskräften aus Rumänien und Polen zu arbeiten. So sind auch Flavius und seine Lebensgefährtin Ramona hier – Sie kommen immer im Frühjahr und bleiben bis zum Ende der Saison im November. Das Pärchen ist dafür zuständig, dass hinter den Kulissen alles funktioniert. Sie arbeiten an Elektronik, Montage und an allem anderen, was so anfällt. Flavius hat schon drei Jahre lang für die Osselmanns gearbeitet und ist damit der erfahrenste im Team.

Was fehlt, ist das eingespielte Team

Genau das ist Dagmar Osselmanns größtes Problem: Es ist nicht einfach, einen Autoscooter ein- und abzubauen und zu transportieren. Die Elektronik ist kompliziert, die Montage auch und körperlich anstrengend allemal. Für diese Aufgabe braucht es ein eingespieltes Team mit Erfahrung. Vor ein paar Jahren war das kein Thema – die Osselmanns hatten Mitarbeiter, die teilweise schon seit Jahrzehnten für das Familienunternehmen gearbeitet haben. „Wir waren so eingespielt, ich konnte mich blind auf jeden verlassen“, sagt Dagmar. Bis die Pandemie kam und den Gastarbeitern und Schaustellern die Jobs nahm. Viele arbeiten jetzt woanders, zum Beispiel auf Erdbeer- und Spargelfeldern.

Auch Dagmar Osselmann hätte ihren Beruf aufgeben müssen, wären da nicht die staatlichen Hilfen gewesen. „Ohne das Geld würde es mein Geschäft heute nicht mehr geben“, sagt sie. So ging es fast allen Schaustellern. Denn viele hier haben vor der Pandemie kräftig in neue Fahrgeschäfte oder Renovierungen investiert und sich verschuldet. Leasing- und Kreditkosten wurden fällig. Obwohl die Schausteller kein Einkommen hatten.

Kleinere Veranstaltungen waren wie eine Therapie

„Was glaubst du, wie es sich anfühlt, nach 40 Jahren Vollgas zu jeder Jahreszeit auf einmal zum Stillstand zu kommen? Unfreiwillig? Mit der Ungewissheit, ob es meine Arbeit nach der Krise noch gibt?“, fragt Dagmar. Um das Überleben der Schausteller zu sichern, hat die Stadt ein paar kleinere Veranstaltungen zugelassen. Für sie war das wie Therapie. Endlich wieder unter Menschen, wenn auch mit Abstand, Maske und dem Geruch von Desinfektionsmittel in der Nase.

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 Seit einem Vorfall von Vandalismus bewachen jetzt zwei Überwachungskameras den teuren Autoscooter. Was genau passiert ist, will Osselmann nicht erzählen. „Um die Leute nicht auf Ideen zu bringen“, sagt sie. Wegen des Vorfalls konnten die Scooter eine Zeit lang nicht fahren. Auch in Köln kam es auf der Deutzer Kirmes im April zu Unruhen. Die Schausteller mussten ihre Geschäfte deshalb immer schon um 21 Uhr schließen. „Sowas ist immer schlecht fürs Geschäft, weil es das Familienpublikum abschreckt. Und genau auf die sind wir doch angewiesen“, sagt sie.

Abends wird die Musik flotter

Ihre Tochter Nina ist seit 2003 dabei und arbeitet seitdem regelmäßig im Laden. Irgendwann soll sie ihn ganz übernehmen. Sie ist für die Musik verantwortlich, die aus den Boxen des Fahrgeschäfts dröhnt und zu der sich die große Discokugel dreht, die über der Fahrbahn schwebt. Sie hat zwei verschiedene Playlists: Eine für tagsüber, flottere für abends. In den letzten zwei Jahren hat sie viel Zeit damit verbracht, die Musik auf den neuesten Stand zu bringen. „Das erste Mal so richtig gehört hab ich sie dann, als die Info kam, dass wir wieder auftreten dürfen. Ich habe mich ins Auto gesetzt, die Musik ganz laut gedreht und mich einfach nur gefreut.“

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