Ullrichs AbsturzDrogen, falsche Freunde, fast bankrott – Eine Aufarbeitung

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Jan Ullrich steckt tief in der Krise.

Köln – Einem einstigen Begleiter aus der Radsport-Szene fällt zu Jan Ullrich gerade eine Art Zusammenfassung ein. Er sagt: „Er ist ein Mann, auf den viele Worte zutreffen, die mit »un« anfangen – unglaublich liebenswert, ein saunetter Mensch. Aber auch unzuverlässig. Unselbstständig. Unberechenbar. Undiszipliniert. Und: unglaublich talentiert.“

Jan Ullrichs Fans wiederum zeichne Gründlichkeit aus. Gründlich begeistert seien sie gewesen, 1997, als er mit 23 Jahren die Tour de France gewann. Als erster Deutscher. Hinzu kamen noch fünf zweite Plätze. Und gründlich gekränkt, verärgert, wütend hätten sie reagiert, als er vom Himmel stürzte, 2006. Wegen Dopingverdachts durfte er nicht bei der Tour starten. Er war in Topform.

Ganz oben und ganz unten

Das sind die Ausschläge von Ullrichs Leben. Ganz oben. Tour-Sieger. Held der Nation. Sportler des Jahres. Gefragt. Begehrt. Verehrt. „Ich war auf höchsten Höhen im Himalaya angekommen“, hat er einmal erzählt, 2012, am Abend vor einem Wohltätigkeitsrennen.

Doch oben blieb er nicht immer. Ullrich steht auch für Eskapaden. 2002 Fahrerflucht unter Alkoholeinfluss, im selben Jahr eine Dopingsperre wegen eines positiven Tests auf Amphetamine, das Tour-Aus 2006, sein Rücktritt im Februar 2007, bei dem er sich verzettelt, gehässig wirkt und fürchterlich schlecht beraten. 2014 verursacht er in der Schweiz einen schweren Verkehrsunfall mit zwei Verletzten – unter Einfluss von Alkohol und Valium. Dafür wird er zu 21 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt.

Aufschlag ganz unten

Jetzt ist er ganz unten angekommen, nach einer Woche eines Untergang-Crescendos Anfang August, mit immer neuen, unglaublichen Absturz-Details. „Bild“ berichtete quasi live. „Aber auch das ist Jan Ullrich“, sagt ein einstiger Begleiter. „Er wollte sich produzieren. Er hat plötzlich gemerkt, es besteht wieder Interesse an ihm.“

Mittlerweile bekommt Ullrich (44) Hilfe, er hält sich in der Betty-Ford-Klinik im fränkischen Bad Brückenau auf. Einer Entzugseinrichtung. Dort kämpft er darum, nicht mehr Drogen und Alkohol konsumieren zu müssen, um sich selbst auszuhalten. Seine Einsamkeit. Seine seelische Not.

Ullrich fehle es an einer elementaren Eigenschaft, sagt ein ehemals enger Begleiter – „an der Einsicht“. Er sei in der Lage, sich eine Welt zu erfinden, sich dort einzurichten und daran zu glauben, dass sie real sei. Jetzt erteile er sich wieder die Absolution, er leide ja unter der Hyperaktivitätsstörung ADHS, dagegen seien Drogen halt eine Hilfe. Schuld an seinen Dummheiten seien überdies immer andere. Diejenigen, die ihn erst dorthin getrieben hätten.

Ullrich Festnahme Malle

Bei seiner Festnahme auf Mallorca hatte Jan Ullrich (l.) ein weißes Laken um seinen Kopf gewickelt.

Verschmähte Hilfe

Viele ihm nahestehende Menschen hätten Ullrich zuletzt in seiner gemieteten Finca auf Mallorca besucht, erzählt ein Freund, der ihn einst auch als Manager betreut hat. Ehemalige Teamkollegen wie Andreas Klöden, sein erster Manager Wolfgang Strohband, sein Mentor Rudy Pevenage, viele andere, wichtige, enge Freunde seien bei ihm gewesen.

Auch seine Mutter Marianne hat ihn besucht und wollte ihm klarmachen, dass es so nicht mehr weitergeht. Doch sie alle habe er weggeschickt. Er wolle nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Diese Menschen seien nicht mehr seine Freunde. Er brauche keine Ratschläge. Er habe sich im Griff. Er habe neue Freunde und ein neues Umfeld. 

Ullrich gebe bis zu 5000 € pro Tag aus

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Jan Ullrich steckt tief in der Krise.

Menschen, die etwas von ihm wollen, ihm schmeicheln. Sie hätten ihm eingeredet, dass die, die sich sorgen, die ihn retten wollen, Ullrich nicht guttäten. Das habe er in seinem Drogenwahn geglaubt. Enge Vertraute berichten zudem, dass es mit Ullrichs Guthaben rasch zur Neige gehe. Zuletzt habe er bis zu 5000 Euro am Tag ausgegeben, so bleibe nicht viel vom einstigen Vermögen. Zumindest nicht für ihn.

Vor einem Jahr, erzählt ein Ullrich-Freund, habe dessen Krisenzeit begonnen. Seit August 2017 könne er nicht mehr richtig Radfahren, Knorpelschaden am Knie, Verschleiß. Sein Lebensinhalt, seine Aufgabe, denn Ullrich konnte man buchen für Radtouren, daran hatte er Freude, die Teilnehmer wollen seine Tour-de-France-Erlebnisse hören, sie freuen sich, ihn zu sehen.

Therapie auch gegen seelische Leiden

Für Ullrich ist das wie eine Befreiung, Therapie auch gegen seelische Leiden. Denn eine große Lebenskrise durchlebte er schon einmal, sie begann 2006. Er zog es damals vor, zu schweigen, nichts zu erzählen über seine Doping-Geschichten, die niemanden mehr überrascht hätten. Doch es kam nichts. Und sein selbst gewähltes Stillhalten quält ihn.

Ullrich sei 2006 sogar so weit gewesen, Doping zu gestehen, erzählt ein einstiger Weggefährte. Doch sein Anwalt habe das noch verhindert. Ihn übermanne „panische Angst davor, bei einem Geständnis seinen Toursieg zu verlieren, sein Ein und Alles“, sagt sein einstiger Manager. Er habe Ullrich sogar zweimal so weit gehabt, auszupacken. Doch Ullrich habe doch noch zurückgezogen. Kurzfristig.

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Jan Ullrich beim Verlassen eines Gerichtssaales.

Von Depressionen Gequält

2010 suchte Ullrich dann eine Klinik in der Nähe von Zürich auf, um sich behandeln zu lassen. Burn-out. Dahinter habe aber mehr gesteckt, erzählt sein Ex-Manager: „Das war eine posttraumatische Depression. Wegen seines Karriere-Endes. Jan war aber nie bereit, wirklich daran zu arbeiten.“

Danach habe Ullrich wieder begonnen, Rad zu fahren. 2012 sagte er: „Ich habe gelitten. Vier Jahre lang von 2006 bis 2010. Die ganze Angelegenheit hat mir innerlich zugesetzt, mich aufgezehrt.“ Die Wiederentdeckung des Radfahrens als Therapie hat ihn dann befreit.

Ullrich bezeichnet seine Frau Sara, mit der er seit 2006 verheiratet ist, als seine Rettung. Sie half ihm durch die schwere Zeit, beschützte ihn, baute ihn auf. Drei Kinder hat das Paar, Toni, Max und Benno, zwischen fünf und elf Jahren alt. Doch Sara und die Kinder leben nicht mehr mit Jan Ullrich zusammen.

Knieoperation im September 2017

Im September 2017 ließ sich Ullrich in München am Knie operieren. In dieser Phase schon habe er viel Alkohol getrunken, erzählt ein Freund – das gelte auch, so ist zu hören, für seine Zeit als Profisportler. Seine Frau und die Söhne seien zu diesem Zeitpunkt ins Allgäu übergesiedelt. Die Kinder seien in Deutschland eingeschult worden – „danach war Jan drei Monate trocken. Das hat mich überrascht und gefreut.“

Trennung mach Ullrich zu schaffen

Ullrich sei bei seiner Familie geblieben. Es habe noch eine zweite Knie-Operation in Deutschland gegeben, im Dezember. Ullrich habe sich weiter im Allgäu aufgehalten, er habe gedacht, seine Frau würde ihn anschließend wieder nach Mallorca begleiten, weil er sich ja gebessert habe. Doch sie wollte nicht.

Ullrich ging alleine zurück auf die Balearen-Insel. Vier bis fünf Wochen habe er dort dann zu Beginn des Jahres alleine gelebt. „Dann ging es los mit richtig exzessivem Alkohol- und Drogenkonsum. Er ist süchtig. Ein Junkie. Er hat seinen Charakter völlig verändert“, sagt sein einstiger Berater. Kontrollverlust.

Ullrich vermisst seine Kinder

Seine Frau und die Kinder fehlen Ullrich sehr, dass sie nicht da sind, könne er nicht verstehen, ist zu hören, weil er ja noch davon ausgehe, sich im Griff zu haben. In einem Video, das kursiert, betont ein derangierter Ullrich, dass er keine Hilfe brauche, weil er sich als bestens in Form betrachtet. Die Bilder sprechen eine andere Sprache.

Was ihm vor allem fehlt, und was ihm schon vor seinem Absturz gefehlt hat, ist eine Aufgabe. Doch nach all seinen Eskapaden ist Ullrich schwer vermittelbar. Vor einem Jahr sollte er ehrenamtlicher Sportlicher Leiter bei „Rund um Köln“ werden, doch die Sponsoren des Radrennens wollten das nicht. Sie hätten sich zurückgezogen, wenn Ullrich den Posten übernommen hätte. Also ließ er es sein.

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Jan Ullrich nach seiner Festnahme auf Mallorca Anfang August.

Ullrich kann diese Ablehnung nicht verstehen

Eine Anschlussanstellung bei einem Privatsponsor hatte sich damit auch erledigt. Ullrich kann diese Ablehnung nicht verstehen. Seine Kritiker aber werfen ihm gerade diese mangelnde Selbsterkenntnis vor. Auffallend ist auch, dass viele einstige Wegbegleiter zwar offen über Ullrich sprechen, aber nicht namentlich genannt werden wollen.

Nun also der Entzug. Das ist ein dramatischer Einschnitt. Er erfordert Kraft, Ausdauer, eiserne Disziplin und den absoluten Willen, sich helfen zu lassen und für den Rest des Lebens auf Alkohol und Drogen verzichten zu wollen. So etwas muss man aushalten wollen. Sein einstiger Manager sagt: „Solange Jan sagt, er macht den Entzug für seine Kinder, damit dann Sara mit ihnen zurückkommt, ist das falsch. Er muss es für sich machen. Das muss Jan verstehen.“ Nur so kann er sich selbst helfen.

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