Armin Laschet im Interview„Ein nationaler Alleingang schafft Chaos“

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NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU)

Köln/Düsseldorf – Vor einem Jahr machte NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) das historische Landeshaus am Düsseldorfer Rheinufer zu seinem Regierungssitz. Die „neue Staatskanzlei“, in der auch das Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ stattfindet, ist eigentlich die alte: Bis zum Jahr 1999 haben dort bereits Laschets Vorgänger residiert. Im großen Saal in der vierten Etage steht der Kabinettstisch, an dem in den 1950er Jahren die Regierungen von Karl Arnold (CDU), Fritz Steinhoff (SPD) und Franz Meyers (CDU) ihre Beschlüsse fassten.

Laschet ließ das alte Mobiliar aus einer Lagerhalle an die alte Wirkungsstätte zurückholen. An der Stirnwand des Kabinettsaals hängt das Kunstwerk „Rhein II“, eine Leihgabe des Düsseldorfer Star-Fotografen Alexander Gursky. Das Bild passe gut, findet Laschet. Die Geschichte von NRW sei durch den Strom geprägt worden.

Herr Ministerpräsident, die CSU hat der Kanzlerin ein Ultimatum für eine europäische Lösung der Flüchtlingsaufnahme gestellt. Ist es realistisch, dass Merkel die Frist einhalten kann?

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Laschet: Die Bundeskanzlerin arbeitet intensiv an einer europäisch abgestimmten Lösung. Dafür braucht es kein Ultimatum – und man stellt übrigens einer deutschen Bundeskanzlerin auch keine Ultimaten. Niemand. Beim Gipfel geht es auch nicht um ein gesamteuropäisches Verteilsystem, sondern schlicht um die Frage, mögliche Maßnahmen mit Österreich, Italien, Griechenland und Bulgarien abzustimmen.

Wie stehen Sie zu Grenzkontrollen?

Wer jetzt in einem nationalen Alleingang Grenzkontrollen verschärft und bereits anderswo registrierte Asylbewerber unabgestimmt abweist, riskiert ähnlich unkluge, unabgestimmte Alleingänge anderswo in Europa, bei denen dann im Süden Europas nicht mehr registriert wird.

Das schafft Chaos und könnte am Ende dazu führen, dass die Flüchtlingszahlen bei uns wieder ansteigen. Wir wollen ein Ordnungssystem, das nachhaltig trägt und Migration steuert und ordnet.

Wie lautet Ihre Lösung?

Die Rücknahmeverfahren für Flüchtlinge, die bereits registriert sind, müssen beschleunigt werden. Es muss dabei bleiben, dass jedes Land für die Flüchtlinge, die bei ihm ankommen, zuständig ist. Damit das gelingt, müssen wir einen Beitrag leisten und Ländern wie Italien auch finanziell dabei helfen, die notwendigen Kapazitäten aufbauen zu können. Wer eine europäische Lösung will, der darf die Staaten mit den großen europäischen Außengrenzen nicht mit dieser Aufgabe alleine lassen. Der Zeitpunkt für diese ganze Debatte ist aber völlig irrational – die Flüchtlingszahlen in Deutschland sind stark rückläufig. 

Welche Auswirkung hätte eine „Grenzschließung“ in Bayern für Nordrhein-Westfalen?

Bislang spricht Horst Seehofer nur über drei bis fünf Grenzübergänge von insgesamt 90 in Bayern. Sollte irgendeiner auf die Idee kommen, alle deutschen EU-Binnengrenzen wieder mit Schlagbäumen, Grenzhäuschen und Zöllnern zu versehen, ist das mit Nordrhein-Westfalen und auch mit mir persönlich nicht zu machen. Wir haben einen gemeinsamen Wirtschafts-, Lebens-, und Arbeitsraum mit den Niederlanden, Belgien und Luxemburg. Jetzt wieder Kontrollen einzuführen, durch die wir zwei bis drei Stunden an der Grenze stehen würden, kommt überhaupt nicht in Frage.

Was passiert, wenn es zu keiner Einigung kommt?

Ich setze auf eine europäische Lösung, die von der CDU unterstützt wird. Dann muss die CSU entscheiden, was sie will.

Ist der Riss in der Union überhaupt noch zu kitten?

In der Grundfrage, dass wir Migration steuern und ordnen müssen, gibt es keinen Dissens. Das Thema ist aus dem Nichts aufgetaucht, spielte weder in den Sondierungsgesprächen über Jamaika noch in den Koalitionsgesprächen mit der SPD für die CSU irgendeine Rolle, es wurde nicht einmal erwähnt.

Glauben Sie, dass die CDU auch in Bayern erfolgreich sein könnte?

Angesichts der Zersplitterung der Parteiensysteme in Europa sollten wir froh sein, dass es eine Union von CDU und CSU gibt. Die CDU wird auch alles dafür tun, damit das so erhalten bleibt. Beide Parteien und die demokratische Stabilität unseres Landes würden geschwächt.

Es gibt die Theorie, dass die CSU mit der Flüchtlingsdebatte den Sturz von Merkel einleiten will…

Die CDU steht heute noch geschlossener da als vor zwei Wochen. So kann man mit einer traditionsreichen Partei nicht umgehen.

Die Union muss sich der Diskussion um die Merkel-Nachfolge irgendwann stellen. Johannes Rau hat gesagt: „Wer NRW regieren kann, kann auch Deutschland regieren.“ Widersprechen Sie ihm?

Man sollte Rau nur widersprechen, wenn es wirklich nötig ist. Im Ernst: Ich bin sehr gerne Ministerpräsident dieses wunderschönen und großen Landes.

Seehofer will Flüchtlinge in „Ankerzentren“ unterbringen. Wo unterscheidet sich sein Modell von den bereits bestehenden Landesaufnahmeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen?

Kaum. In unserem NRW-Koalitionsvertrag haben wir das System verbessert. Wir haben 40 Landesaufnahmeeinrichtungen, davon einige, in denen die Verfahren besonders schnell durchgeführt werden können.

Im Idealfall werden die Flüchtlinge, die keine Bleibeperspektive haben, direkt von dort aus in ihr Herkunftsland zurückgeführt. Daran arbeitet Integrationsminister Joachim Stamp mit einem klaren Stufenplan.

NRW verschiebt die Verabschiedung des Polizeigesetzes. Hat sich Innenminister Reul bei der „drohenden Gefahr“ zu weit aus dem Fenster gelehnt?

Nein, das zeigt nur, dass wir es ernst meinen damit, dass wir zuhören wollen. Wir nehmen die in der Anhörung im Landtag vorgetragenen Argumente ernst. Wir haben das Gesetz als CDU und FDP gemeinsam eingebracht und wir werden es nun gemeinsam so überarbeiten, dass Sicherheit und Freiheit in kluger Balance gehalten werden.

Im Wahlkampf haben Sie „weltbeste Bildung“ versprochen – jetzt sollen 60 Talentschulen kommen. Ist das nicht eine magere Bilanz?

Wir sind angetreten, die Schullandschaft in NRW zu befrieden – und das ist gelungen. Wir haben diese Art der völlig planlosen und mit der Brechstange durchgesetzten Inklusionspolitik und den Kahlschlag bei den Förderschulen beendet und haben statt jahrelanger Diskussion an Runden Tischen jetzt eine Grundentscheidung zu G9 gefällt. Jetzt geht es endlich um die Qualität. Bei den Talentschulen ist die Idee, dass in die schwierigsten Stadtteile die besten Schulen gehören. Wir fangen jetzt mit bis zu 60 Standorten an. Das schafft gerade in solchen Vierteln ganz neue Aufstiegsperspektiven für junge Leute!

Der Unterrichtsausfall ist ein Thema, das Eltern massiv nervt …

Die Vorgängerregierung hat sich geweigert, den Ausfall überhaupt flächendeckend zu messen. Wir werden den Unterrichtsausfall ab dem kommenden Schuljahr digital an jeder Schule im Land erfassen. Aus diesen Daten werden wir lernen, darauf reagieren und gezielt gegensteuern. Zum Ende des kommenden Schuljahrs soll es schon einen breiten Gesamtüberblick geben. Schulministerin Yvonne Gebauer wird noch vor den Sommerferien die Schulen umfassend informieren.

Überschattet wird ihr erstes Regierungsjahr vom Rücktritt der Umweltministerin Schulze Föcking nach der „Hacker-Affäre“. Warum haben Sie nicht einfach zugegeben, dass die Mitteilung der Staatskanzlei zum vermeintlichen Hacker-Angriff von falschen Tatsachen ausging? Das hätte Ihnen womöglich den jetzt eingesetzten Untersuchungsausschuss erspart.

Wer mich kennt, weiß, dass ich jemand bin, der Fehler einräumen kann. Die Diskussion um das Sozialticket ist ein gutes Beispiel. Ich erkenne hier auch bei angestrengtem Nachdenken nichts, was ich als Ministerpräsident hätte anders machen sollen.

Die erste Kommunikation über den vermeintlichen Angriff ist vom Regierungssprecher nach Rücksprache mit dem Innenministerium erfolgt. Das war der Kenntnisstand an diesem Tag. Danach hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen übernommen. Damit ging die Kommunikationshoheit auf die Staatsanwaltschaft über. Gerade in einer Zeit, in der Institutionen in Frage gestellt werden, halte ich am Prinzip der Gewaltenteilung fest. Ein Ministerpräsident plaudert nicht über mündliche Zwischenstände staatsanwaltlicher Ermittlungen.

Warum sind Sie so stur?

Man darf bei Grundprinzipien staatlichen Handelns nicht lavieren. Nun hat die Staatsanwaltschaft Köln verkündet, dass sich der Anfangsverdacht nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht bestätigt hat. Angesichts der zahlreichen persönlichen Bedrohungen gegen Christina Schulze Föcking ist das eine gute Nachricht. Denn mich besorgt die Heftigkeit der Übergriffe gerade im Netz, gerade auch auf Politiker, sehr. Auch wir als Politiker haben dabei eine Verantwortung, durch sorgsame Sprache und verantwortungsvollen Umgang für ein gutes gesellschaftliches Klima zu sorgen. Jenseits allen parteipolitischen Streits, sollten wir froh sein, dass sich die Befürchtungen in diesem Fall nicht bestätigt haben.

Sie hätten sich viel Ärger ersparen können, wenn Sie schon 2017 die neue Umweltministerin Heinen-Esser ins Kabinett berufen hätten…

Christina Schulze Föcking war über Jahre in der Fraktion unsere Expertin für den ländlichen Raum. Viele deutsche Landwirtschaftsminister parteiübergreifend waren auch Landwirte und brachten viel Sachverstand mit. Christina Schulze Föcking, die aus der Landjugend in die Politik kam und nicht den üblichen Berufspolitikerweg gegangen ist, hat ihr Amt wegen der unerträglichen und aggressiven Angriffe auf ihre Person und zum Schutz ihrer Familie nicht länger ausüben wollen. Auch wenn ich das bedauere, muss man davor Respekt haben. Dass Ulla Heinen-Esser überall hochgelobt wird, freut mich.

Was hat gut geklappt im ersten Jahr?

In der Inneren Sicherheit, in der Bildungspolitik und im Verkehrsbereich tut sich Vieles. Auch unsere wirtschaftlichen Impulse zeigen erste Erfolge. Wir haben im Ruhrgebiet erstmals seit 1980 wieder eine einstellige Arbeitslosenquote. Und in allen Regionen steigt die Zahl der Ausbildungsplätze. Die Investoren haben wieder Zutrauen, dass sich ein Engagement in Nordrhein-Westfalen lohnt.

Nächste Woche kommt die Kohle-Kommission zusammen. Welche Erwartungen verknüpfen Sie damit?

Wir müssen sicherstellen, dass unsere energieintensive Industrie zu jeder Zeit über sicheren und bezahlbaren Strom verfügt. Wind und Sonnenenergie können die Braunkohle derzeit nicht ersetzen. Wenn wir immer mehr auf Elektromobilität umsteigen, werden wir eher mehr Strom brauchen und nicht weniger. Rot-Grün hat das Ende der Braunkohleverstromung auf 2045 festgesetzt. Wenn wir Fortschritte bei der Energiespeicherung erzielen, können wir vielleicht einige Jahre schneller sein.

Wenn Sie Bundestrainer wären: Würden Sie für das heutige Schweden-Spiel Mesut Özil aufstellen?

Den Erdogan-Termin hätten sie sich schenken können. Aber die Pfiffe gegen Özil und Gündogan sind unangemessen. Sie gehören zur Nationalmannschaft. Ob sie gut sind oder schlecht, das beurteilt der Bundestrainer. Ich habe aber den Eindruck, dass es manchen nicht passt, dass die Nationalmannschaft die Vielfalt Deutschlands spiegelt. Ich finde es gut, dass Kinder von Zuwanderern, die hier geboren sind, Teil unserer Nationalmannschaft sind. Jogi Löw soll die elf Besten aufstellen. Punkt.

Wie geht das Spiel aus?

Wenn die Spieler sich freundlicherweise dazu durchringen könnten, diesmal zu kämpfen und als geschlossenes Team aufzutreten, dann kann die deutsche Elf 3:1 gewinnen.

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