Kommunalwahl in Bickendorf und OssendorfDie Volkspartei in Köln, die keine sein will

Lesezeit 6 Minuten
20200813-RAK-SpaetsommergruendieGruenen-029

Bundestagsabgeordnete Katharina Dröge und Ratskandidatin Denise Abé beim Sommerempfang der Grünen

  • 45 Wahlbezirke gibt es in Köln. Bis zur Wahl am 13. September berichten wir aus allen Veedeln der Stadt.
  • Es geht um spannende Duelle, interessante Kandidaten, prägende Themen und Trends und Kuriositäten.
  • Denise Abé, grüne Kandidatin in Bickendorf/Ossendorf, hat eine wissenschaftliche Arbeit über ihre Partei geschrieben: "Quo vadis, Grüne?"

Köln-Bickendorf – Die Ergebnisse der vergangenen Wahlen, dazu der bundesweite Trend und die Veränderungen in der Wählerschaft – vieles deutet darauf hin, dass bei den Kölner Grünen am Abend der kommenden Kommunalwahl die Korken knallen werden. Sechs der 45 Kölner Wahlbezirke haben sie bereits 2015 direkt gewonnen, nun scheint ein Durchmarsch in allen Bezirken der Innenstadt, in Sülz und Ehrenfeld möglich, auch Nippes könnte hinzukommen. „Quo vadis Grün? Von der Protestbewegung zur Volkspartei“, hat die Ehrenfelderin Denise Abé treffend ihre Magisterarbeit in Politikwissenschaft überschrieben.

Wohlstand kein politisches Ziel mehr?

Die Arbeit ist fast zehn Jahre alt, doch der Titel passt auch zu einer aktuellen Analyse der Grünen als Großstadtpartei. Abé beschrieb die Grünen, bei denen sie sich selbst seit Jahren engagiert, vor dem Hintergrund des Protests gegen das Großprojekt „Stuttgart 21“ als „Partei der Mitte und des Bürgertums“.

Ihre Basis seien „junge, gebildete und wohlhabende Wähler“, die sich eine „postmaterialistische Politik“ wünschen. Für diese ist Wohlstand kein politisches Ziel mehr, er ist vielmehr die Voraussetzung für grünen Erfolg.

Grüne profitieren von der ""German Angst"

Heute geht es um mehr als ein umstrittenes Großprojekt der Bahn, das verschiedene Milieus und Gruppen im Protest vereinte. Die Forderung nach radikaleren Maßnahmen zum Klimaschutz findet breite Unterstützung. Abé schrieb 2011: Die Partei greife „den Zukunftspessimismus, die German Angst“ auf, die derzeitig in den bessergestellten, gebildeten Gesellschaftsschichten wieder wächst“. Es fällt leicht, ihr Fazit von damals auf heute zu übertragen, auch wenn in Corona-Zeiten eher die Sympathiewerte für die Regierungsparteien in Berlin steigen.

Die 34-Jährige möchte nun selbst als Politikerin Verantwortung übernehmen. Als Kandidatin der Grünen im Wahlbezirk Bickendorf/Ossendorf wird sie von dem, was sie in ihrer Arbeit beschrieben hat, profitieren. Sie hat einen von vielen sicheren Listenplätzen bekommen. Hinzu kommt die Chance, ihren Wahlbezirk direkt zu gewinnen. Der Wahlkreis gilt als SPD-Hochburg, doch die Grünen sind dem Platzhirsch, dem bodenständigen und erfahrenen SPD-Urgestein Peter Kron, auf den Fersen.

Nach der Europawahl bescheinigten viele Medien den Grünen, nun tatsächlich zur Volkspartei geworden zu sein. Doch da der Begriff mehr meint als das Überholen der anderen, ist es nicht ganz so einfach. Die Idee der Volkspartei geht davon aus, dass verschiedene Interessen – auch durchaus widersprüchliche Positionen – innerhalb einer Partei verhandelt und mit Kompromissen unter einen Hut gebracht werden. So wurden SPD und CDU für viele verschiedene Milieus und Berufsgruppen wählbar. „Die Ära der Volksparteien ist eigentlich zu Ende“, meint Abé. Dafür sei die Parteienlandschaft zu vielfältig, und das werde sich wohl auch nicht mehr ändern.

"Das Konzept Volkspartei hat sich erledigt"

Auch die Kölner Bundestagsabgeordnete, Katharina Dröge, erklärt das „Konzept Volkspartei“ für „erledigt“. „Dass eine Partei für alle da sein kann, ist absurd, und hilft den Parteien auch nicht mehr“, sagt sie. „Ich bin für größtmögliche Klarheit, damit der Wähler weiß, was er wählt.“ Die Grünen seien immer dann erfolgreich, wenn sie sich auf ihre ursprüngliche Werteorientierung zurückbesinnen, so Abé. Am wichtigsten sei es, glaubwürdig zu bleiben.

Grüne im Interessenkonflikt

Das ist leicht gesagt, aber im praktischen Polit-Alltag wird es komplizierter, zumal der Mitgliederzuwachs der Partei zu ganz neuen Klärungsprozessen zwingt. Anhänger der „Fridays for future“-Bewegung werden mit dem Autolobbyismus eines grünen Ministerpräsidenten Kretschmer nichts anzufangen wissen. Und auch auf kommunaler Ebene kann es kompliziert werden. Nach der so genannten Stadtwerke-Affäre, als sich die Fraktionsspitze im Rat am Postenklüngel beteiligen wollte, sei der „grüne Kompass“ verloren gegangen, sagte damals die ehemalige Fraktionschefin im Stadtrat, Kirsten Jahn. In ihrer Magisterarbeit hat Abé eine wenig schmeichelhafte Bezeichnung für die Funktionäre ohne Kompass gefunden, wenn sie die Grünen als „Partei der Machtpragmatiker“ beschreibt. Als Stadtratskandidatin möchte sie allerdings mit dieser Bezeichnung aus ihrer politikwissenschaftlichen Arbeit nicht mehr zitiert werden.

Sie glaubt, dass die basisdemokratische Struktur der Grünen dazu führt, dass die grünen Werte im Alltagsgeschäft nicht verloren gehen. Es gebe Dinge, die unverhandelbar seien. Als Beispiel nennt sie den FC-Ausbau im Grüngürtel. Doch nicht immer lassen sich Interessenskonflikte so klar mit „Ja“ oder „Nein“ entscheiden. Wenn Abé in den Stadtrat einzieht, wird sie erklären müssen, wie die Stadt denn 40 bis 50 neue Schulen bauen soll, wenn möglichst keine grüne Brachfläche und keine Wiese dafür geopfert werden darf.

Das könnte Sie auch interessieren:

Denise Abé hat neben ihrer Magisterarbeit und ihrer Kandidatur noch einen dritten Bezugspunkt zu den Grünen. Als Geschäftsführerin der Fraktion in Remscheid ist sie auch beruflich mit ihnen verbunden. Aus dieser Arbeit kennt sie auch andere politische Konstellationen als in Köln, die vielleicht besser zu einer „Linken“ passen, als die sie sich selbst bezeichnet. In Remscheid gibt es kein festes Bündnis mit der CDU, sondern eine lockere Zusammenarbeit mit SPD, FDP und einer Wählergemeinschaft. Der Idee, mit wechselnden Mehrheiten in einem Stadtrat zu Entscheidungen zu kommen, kann sie etwas abgewinnen. Eine grundsätzliche Kritik an der Entscheidung der Kölner Grünen, sich an die CDU zu binden, will sie damit aber nicht verbunden wissen. Remscheid lasse sich nicht mit Köln vergleichen. Es sei viel kleiner, schrumpfe und habe nur geringe finanzielle Spielräume. „Und die CDU tickt anders. Auf kommunaler Ebene kommt es auch auf persönliche Beziehungen an.“

Konkurrenz durch mehrere kleinen Parteien

Das Wichtigste bleibe, grüne Inhalte durchzusetzen. Und dass man im Bündnis mit anderen immer auch Kompromisse machen müsse, sei doch klar. Hier macht sich die Volkspartei, die keine sein will, angreifbar: Bei dieser Kommunalwahl setzen gleich mehrere kleine Parteien wie Volt, die Klimafreunde oder Gut auf grüne Themen und hoffen gleichzeitig, dass Wähler den Grünen ihre Kompromisse im schwarz-grünen Bündnis übelnehmen. Mit dem Wachsen der Wählerbasis ist ein weiteres Dilemma verbunden, das SPD und CDU aus ihrer Geschichte als Volksparteien bestens kennen: Das Interesse der Wählergruppe, auf die sich Wahlerfolge aufbauen, passt nicht immer zu den Zielen, die man im Sinne aller anstrebt. Die Grünen sind Gewinner der Gentrifizierung, deren Folgen Politikerinnen wie Abé bekämpfen wollen. Die Einzelinteressen grüner Klientel in der Innenstadt oder in Ehrenfeld sind andere als die vieler Menschen in Chorweiler oder Mülheim, wo die Grünen schwächere Wahlergebnisse einfahren.

Wer bestimmt, was im Interesse der gesamten Stadt liegt? Und wie geht man mit den eigenen Wählern um, wenn sie alles tun, um ihre persönlichen Anliegen durchzusetzen? „Dann wird es zu einer Aufgabe der Grünen, diese Konflikte zu moderieren“, sagt Abé. Auch hier gelte, dass man es nicht allen recht machen kann. Deshalb müsse man auch schon mal bei der eigenen Klientel dafür werben, „die gesamtstädtischen Interessen zu sehen“. Das sei „eine große Herausforderung, mit der ich mich beschäftigen möchte“.

Wahlbezirk 22

Bei der vergangenen Kommunalwahl gewann die SPD mit ihrem Ratsherrn Peter Kron deutlich. Der erfahrene Fraktionsvize tritt wieder an und möchte den Wahlbezirk gegen immer stärker werdende Grüne verteidigen. Sie holten 2014 bereits satte 22,9 Prozent. Die CDU, für die in diesem Jahr der Rechtsanwalt Martin Berg antritt, kam nur auf 18,6 Prozent. Der Wahlbezirk 22 ist auch ein gutes Pflaster für die Linken, die 2014 fast zehn Prozent holten und jetzt mit Albert Töws antreten. Vergleichsweise gut schnitten hier mehrere kleine Gruppen wie „Deine Freunde“ ab, die nun als „Klimafreunde“ antreten. Insgesamt stehen im Wahlbezirk 22 elf Parteien mit ihren Kandidaten zu Wahl.

KStA abonnieren