Personalnot900 Stellen in NRW-Gefängnissen unbesetzt – Handy-Verbot schreckt Bewerber ab

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Ein Flur in der JVA Rheinbach.

Ein Flur in der JVA Rheinbach.

Im Strafvollzug von NRW gibt es freien Stellen wie Sand am Meer. Aber die meisten jungen Bewerber lehnen die Jobangebote dankend ab.

Der Werbespot dauert 29 Sekunden. Er zeigt Szenen aus dem Vollzug, dazu adrett aussehende Bedienstete, die kompetent und zufrieden wirken. „Wir suchen Dich, für die Arbeit mit Inhaftierten“, sagt der Sprecher, und hebt die Vorteile des Jobs hervor: „Vielfalt im Job, sofort volles Gehalt, Quereinsteiger sind willkommen – Bewirb Dich jetzt – bei der JVA Remscheid.“

Der Videoclip auf der Homepage der JVA ist nicht der einzige Kanal, auf dem die Haftanstalt versucht, neue Mitarbeiter zu werben. „Wir werben über aktive Pressearbeit in sozialen Medien, schalten Werbespots, sind im Lokalradio präsent und verschicken Postwurfsendungen“, sagt JVA-Chef Andreas Schüller im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Doch obwohl schon „alle Register“ gezogen würden, beißen nur wenige Interessenten an. „Die Erfolgsquote ist mehr als ernüchternd“, bilanziert Schüller: „Viele Bewerber sind ungeeignet. Und von denen, die wir einstellen könnten, springt ein großer Anteil im Laufe des Verfahrens ab.“

900 Stellen sind unbesetzt

Im Strafvollzug von NRW sind derzeit 900 Stellen unbesetzt. Das Ziel der Landesregierung, die Gefängnisse durch eine Einstellungsoffensive zu entlasten, läuft ins Leere. „Wenn es gut läuft, bleiben von hundert eingegangenen Bewerbungen sechs Kandidaten übrig, die das Auswahlverfahren bestehen“, sagt Schüller. „In der letzten Woche waren es von zehn eingeladenen Bewerbern nur drei, von denen einer dann den Sporttest abgebrochen hat“, fügt der JVA-Chef hinzu.

Sind die Ansprüche zu hoch? Der 52-Jährige schüttelt den Kopf. „Nein“, sagt Schüller. „Früher sind viele Bewerber am Diktat gescheitert. Mittlerweile wurde das Diktat durch einen Aufsatz ersetzt – weil man erwartet hat, dass ein Aufsatz, in dem man seine eigenen Formulierungen verwendet, vielleicht leichter abzufassen ist. Es bleibt aber dabei, dass die Rechtschreibung für viele Bewerber eine hohe Hürde ist.“ Man könne aber auf gewisse Mindestanforderungen nicht verzichten: „Die Bediensteten müssen regelmäßig Stellungnahmen schreiben, was voraussetzt, dass man sich schriftlich korrekt äußern kann.“

Die Durchfallquote bei den Einstellungsverfahren ist hoch. Dabei wird auch die Allgemeinbildung abgefragt und ein „Ehrlichkeitstest“ durchgeführt. Der Nachwuchsmangel hat aber offenbar auch eine ganz andere Ursache. „Unser Problem ist, dass den jungen Leuten wegen des Fachkräftemangels ein viel breiteres Jobangebot als früher zur Verfügung steht“, sagt Schüller. „Trotz der vergleichsweise guten Bezahlung lassen sich viele Bewerber offenbar von den Umständen abschrecken. Dazu gehört nicht nur der Schichtdienst, sondern auch das strikte Handyverbot.“

Mobiltelefons sind Sicherheitsrisiko

Aus Sicherheitsgründen müssen die Mobiltelefone aller Bediensteten vor Dienstantritt an der Pforte eingeschlossen werden. Während es für die meisten Arbeitnehmer völlig normal ist, im Dienst Mails zu checken, Nachrichten zu schreiben und sich über die neuesten Nachrichten zu informieren, bleibt diese Ablenkung den JVA-Mitarbeitern verwehrt.

„Viele Menschen können sich nicht vorstellen, eine Schicht ohne den Blick aufs Handy durchzustehen oder in den Pausen mit Freunden zu chatten. Das ist ein Problem, für das wir im Moment keine Lösung sehen“, sagt JVA-Leiter Schüller.

Die Arbeit mit Gefangenen mag für viele spannend sein, aber den Verzicht auf das Handy halten die meisten für unzumutbar.
Horst Butschinek, Vorsitzender des Bunds der Strafvollzugsbediensteten in NRW

Handys im Gefängnis gelten als ein Sicherheitsrisiko. Gefangene, die im Besitz eines Mobiltelefons sind, können damit zum Beispiel den Handel mit Drogen organisieren oder einen Ausbruch planen. Daher gibt es technische Vorkehrungen, mit denen man Handys orten kann, die zum Beispiel illegal durch Besucher eingeschmuggelt werden.

Horst Butschinek ist der Vorsitzende des Bunds der Strafvollzugsbediensteten in NRW. Er hält die Arbeitsbedingungen in den Gefängnissen nicht mehr für zeitgemäß. „Die Arbeit mit Gefangenen mag für viele spannend sein, aber den Verzicht auf das Handy halten die meisten für unzumutbar. Natürlich ist allen klar, dass Handys bei Häftlingen nichts zu suchen haben, aber die meisten verstehen nicht, warum es technisch nicht möglich sein sollte, den Bediensteten die Nutzung zu erlauben“, so der Gewerkschaftsvertreter.

Das Beispiel des Handyverbots werfe ein Schlaglicht darauf, dass der Alltag der Bediensteten „aus der Zeit gefallen und oftmals hoffnungslos analog“ sei, sagt Butschinek. In den Gefängnissen müssen die Bediensteten zum Teil schriftliche Notizen auf Blöcken hinterlassen, die von Gefangenen zusammengeklebt werden. „Da schlagen manche Bewerber die Hände über dem Kopf zusammen.“

Justiz-Azubis bekommen 2300 Euro

Die Chance, im Strafvollzug verbeamtet zu werden, hat aktuell offenbar für viele junge Menschen an Reiz verloren. Dabei bekommen dort auch Bewerber mit einem formal geringen Bildungsabschluss die Chance, sich eine sichere Existenz aufzubauen. Alleinstehende Berufseinsteiger verdienen nach der zweijährigen Ausbildung mit Zulagen rund 3000 Euro brutto. Während der Azubi-Zeit erhält man bereits rund 2300 Euro brutto.

In der JVA Remscheid sitzen derzeit 685 Häftlinge ein. Sie werden von 240 Mitarbeitern des Allgemeinen Vollzugsdienstes betreut. „Wer nicht auf sein Handy verzichten kann, passt wahrscheinlich vom Charakter her nicht zu uns“, sagt Schüller, der früher auch in Köln, Geldern und Willich eingesetzt war. Das gelte auch für Leute, die glauben, im Gefängnis ein Bedürfnis nach „Action“ verwirklichen zu können: „Unser Job läuft dann richtig, wenn im Alltag nichts Ungewöhnliches passiert. Als Anstaltsleiter finde ich es toll, wenn der Dienst der Mitarbeiter insofern langweilig ist.“

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