Grünen-ChefHabeck über Nachtzüge und die Ver-Dieter-Bohlisierung der Politik

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Robert Habeck

Grünen-Politiker Robert Habeck

  • Robert Habeck und die Grünen zählen zu den politischen Gewinnern der letzten Monate.
  • Im Interview formuliert er ambitionierte Ziele und fordert die Abschaffung von Inlandsflügen bis 2035.
  • Eine Alternative hat Habeck ebenfalls parat. Sie ist in Deutschland nicht neu.

Herr Habeck, ab dem Herbst steht erstmals eine Frau an der Spitze der EU-Kommission. Können Sie sich darüber freuen?

Ja. Ich freue mich, dass endlich eine Frau Kommissionspräsidentin wird und durchaus auch, dass es Ursula von der Leyen ist. Sie hat eine überzeugende Rede gehalten und sich Ziele gesetzt, die auch wir verfolgen. Wie Frau von der Leyen wollen wir soziale Mindeststandards, eine Bankenunion, einen CO2-Preis, mehr verfasste Demokratie. In der Bundesregierung und im Europäischen Rat wird sie es damit allerdings schwer haben, denn sie widersprechen teilweile den Positionen der deutschen Regierung.

Das klingt wesentlich offener als manches Statement ihrer Brüsseler Parteikollegen. Ska Keller und Sven Giegold wirkten eher wie Fundamentalopposition zu von der Leyen.

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Wir wollen natürlich Verbindlichkeit bei Themen, die uns wichtig sind. Deswegen waren wir dafür, die Wahl von der Leyens zu verschieben. Wir wollten nicht die Katze im Sack kaufen…

…in den Augen vieler hat von der Leyen eine fast grüne Bewerbungsrede gehalten. Wieso reichte das nicht?

Wir haben uns immer so aufgestellt, dass der Inhalt entscheidet, nicht die Ankündigung von Inhalt. Das ist aber alles Vergangenheitsbewältigung. Wir sind doch längst weiter. Es gab gerade Gespräche mit Frau von der Leyen. Sie scheint erkannt zu haben, dass sie das Parlament braucht. Und im Parlament die Grünen.

Dennoch äußerten sich viele Berliner Grüne öffentlich positiver als die Brüsseler Kollegen. Hatten Sie in der Urlaubszeit den eigenen Laden nicht im Griff?

Wir waren trotz Urlaub im Gespräch mit unseren Kolleginnen und Kollegen – und auf allen Ebenen auch mit der Unionsseite. Wie gesagt: Unseren Brüsselern fehlte es dann an Verbindlichkeit. Entscheidend ist jetzt, dass das nachgeholt werden kann.

Die Klimapolitik ist nicht nur in Brüssel ein Thema sondern auch in Deutschland. Halten Sie es für realistisch, bis 2035 keine Inlandsflüge mehr zu benötigen?

Es ist möglich und erstrebenswert, bis ins Jahr 2035 keine Inlandsflüge mehr in Deutschland zu haben. Die Bahnstrecken müssen dafür aber massiv ausgebaut werden. Schnelle Verbindungen wie zwischen Berlin und Hannover oder Hamburg oder wie beim Sprinter zwischen Berlin und München brauchen wir viel häufiger.

Und wie wollen Sie die Anreize für die Verbraucher verändern?

Das ist gar nicht so kompliziert. Kerosin für Binnenflüge muss normal besteuert werden. Im Gesetz steht das übrigens auch so, aber dann kommt die Ausnahme für die gewerbliche Luftfahrt. Wir müssen nur die Ausnahme streichen. Mit den Einnahmen von etwa 500 Millionen Euro könnte man die Mehrwertsteuer auf Bahntickets verringern, was etwa 400 Millionen Euro kostet. Das könnten wir ab Herbst 2019 einführen. Da müssten wir gar nicht bis 2035 warten.

Glauben Sie, dass die Menschen das mitmachen – die Flüge sind auf einem Rekordniveau?

Die meisten Inlandsflüge sind keine Freizeitflüge. Da treffen sie vor allem Geschäftsleute und Beamte. Da können wir direkt ansetzen.

Wie?

In der Bundesreisekostenverordnung steht, dass Flüge bezahlt werden, wenn sie wirtschaftlicher sind. In der Praxis werden Beamte und Berater von Ministerien angehalten zu fliegen, weil das so günstig ist. Ich fände es richtig, das zu ändern. Der Staat muss beim Klimaschutz eine Vorreiterrolle übernehmen. In der Reisekostenverordnung sollte festgeschrieben werden, dass in der Regel die klimafreundlichste Alternative genutzt werden sollte. Das würde Binnenflüge deutlich reduzieren. Für Unternehmen wäre es sicher ein Anreiz, sich anzuschließen.

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Noch immer fliegen Beamte täglich von Bonn nach Berlin. Wäre ein Komplettumzug der Regierung nach Berlin nicht gerade klimapolitisch nach 30 Jahren ein gutes Zeichen?

Das Bonn-Berlin-Gesetz ist zwar weder ökonomisch noch ökologisch sinnvoll, aber es ist Strukturpolitik. Die hat ihr Recht. So gehen wir in Braunkohleregionen vor, deshalb kriegen kleine Städte Hochschulen, deshalb steht in Flensburg das Kraftfahrzeugbundesamt. Mir ist lieber, dass wir Nordrhein-Westfalen die Bonner Ministerien lassen und sie dafür aus der Kohle aussteigen als umgekehrt. Aber klar kann man auch moderne Technik nutzen. Manch eine Videokonferenz würde dann einen Teil der Flüge überflüssig machen.

Auch Sie persönlich haben das Problem, viel in Deutschland unterwegs zu sein. Können Sie den eigenen moralischen Ansprüchen genügen?

Nicht immer, das wäre auch vermessen. Nie bin ich so viel Auto gefahren wie als Umweltminister, weil ich in jeden Winkel des Landes wollte. Jetzt gibt es häufig die Erwartung, dass man als Politiker am Nachmittag in Berlin einen Termin wahrnimmt und am Abend einen in München. Das funktioniert nur, wenn man fliegt. Und selbst, wenn man die Veranstaltung am Abend noch mit dem Zug erreicht, ist das Problem am nächsten Morgen wieder da, weil der erste Termin dann in Hamburg oder Berlin ist. Das Verständnis für Absagen ist eher gering. In Wirtschaft und Politik hat man sich in den letzten Jahren eine Allzeitverfügbarkeit angewöhnt. Es wird sicher etwas dauern, da wieder rauszukommen...

Wie lösen Sie das Problem?

Mir persönlich helfen Nachtzüge. Man muss sich erstmal an den Schlaf gewöhnen, wenn es so ruckelt und der Zug immer mal wieder hält, aber ich mag es. Die Deutsche Bahn bietet allerdings Nachtzüge gar nicht mehr an. Zum Glück sind die Schweizer und Österreicher eingesprungen. Die sind aber permanent ausgebucht. Wir brauchen mehr Nachtzüge.

Ist das eine ernsthafte Lösung für belastete Spitzenpolitiker, die morgens in Topform sein müssen – schließlich haben Sie selten ein Abteil nur für sich?

Für mich ist es meist okay. Aber ich verstehe, wenn mancher Kollege oder Kollegin das nicht für machbar hält, schließlich sind die Abteile auch nicht nach Geschlecht getrennt.

Wo wir schon bei engen Nachtzügen sind: An welche weiteren Einschränkungen müssen wir uns wegen des Klimaschutzes gewöhnen?

Ich sehe es als Umstellung. Eingeklemmt in die engen Flieger ist auch kein Genuss. Und die Flughäfen mit ihre Luxus-Boutiquen und ihrem zur Schau gestellten Wohlstand sind nicht unbedingt eine Erbauung. Abends im Nachtzug noch ein Bier zu trinken und morgens am Ziel aufzuwachen, ist für mich die angenehmere Form zu reisen.

Trotzdem leben wir ja in einem Wirtschaftssystem, das darauf ausgerichtet ist, dass das Leben immer besser und bequemer wird. Sind wir an einem Wendepunkt, an dem man den Leuten sagen muss: Damit ist jetzt Schluss?

Die Logik, dass Wirtschaften maximalen Ressourcenverbrauch bedeutet, ist an ihr Ende gekommen. Aber wir sollten uns nicht einreden lassen, dass unser Leben dadurch unbequemer und entbehrungsreicher wird. Wir müssen technischen und gesellschaftlichen Fortschritt kombinieren. Mitfahrgelegenheiten werden digital angeboten. Man muss nicht selbst fahren, es gibt weniger Stau, weil weniger Autos unterwegs sind – das ist doch ein Gewinn an Freiheit. Und ich kenne Leute, die sich treffen, um die Klamotten zu tauschen, die in unseren Schränken so massenhaft rumhängen. Die haben eine gute Zeit, neue Klamotten und sparen Ressourcen.

Freuen sich die Grünen eigentlich, dass die Große Koalition das Klimaschutzgesetz nicht auf die Reihe kriegt, damit sie in zwei Jahren mal zeigen können, wie es geht?

Im Gegenteil, an jedem Morgen, an dem ich sehe, dass mal wieder nichts passiert ist, beiße ich vor Wut ins Kissen. Ich würde auf die Hälfte der grünen Prozentpunkte verzichten, wenn die Bundesregierung endlich anfinge, vernünftig zu arbeiten.

Was verändert sich aus Ihrer Sicht in der Regierung durch den Schritt von Frau Kramp-Karrenbauer ins Kabinett?

Der Schritt kann die Arbeit in der Koalition erschweren. Meine Erfahrung ist, dass ein Kabinett als eigene Institution zusammen arbeiten muss. Es braucht einen Geist der Gemeinsamkeit. Was nicht passieren darf, ist, dass Frau Kramp-Karrenbauer als CDU-Vorsitzende ihr parteiinternes Kuddelmuddel ins Kabinett holt.

Nun fordert Frau Kramp-Karrenbauer höhe Rüstungsausgaben. Freuen Sie sich schon auf mögliche Koalitionsverhandlungen mit ihr auf dieser Basis?

Die Gorch Fock segelt ja nicht deshalb nicht, weil es zu wenig Geld gibt…. Die europäische Kooperation muss noch enger werden. Es gibt in Europa 17 Arten von Kampfpanzern und 180 verschiedene Waffensysteme. Eine engere Zusammenarbeit könnte bis zu 100 Milliarden Euro einsparen. Wir brauchen eine Abstimmung darüber, was strategisch notwendig ist und eine effizientere, besser kontrollierte Beschaffung. Wenn das alles erfüllt ist, soll es am Geld nicht scheitern. Und nicht an den Grünen. Wir brauchen eine funktionskräftige, moderne, europäisch kooperierende Armee, deren Gerät voll einsatzfähig ist.

Wie sollte man denn mit dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato umgehen, das immerhin nicht Donald Trump, sondern Frank-Walter Steinmeier und Barack Obama mit ausgehandelt haben?

Die eigentliche Frage ist: Wofür zwei Prozent? Und was ist die Aufgabe der Nato? Aus meiner Sicht muss man sich besonders auf neue Formen der Konflikte einstellen, inklusive Cyber-Kriegen. Und es sollte vor allem darum gehen, Kriege zu verhindern. Im Übrigen hat sich die Bundesregierung auch dazu verpflichtet, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent aufzustocken, ohne sich daran zu halten. Darüber gibt es aber keine Debatte. Dabei würde ich das auch angesichts von Flucht und Migration erwarten.

US-Präsident Trump will, dass Bundeswehr-Soldaten in Syrien amerikanische Boden-Truppen ersetzen. Können Sie sich das vorstellen?

Ich halte das für falsch. Die Situation in Syrien ist verfahren. Es gibt kein Szenario, wie es enden soll. Das war aber immer unsere Grundbedingung für ein Engagement – auch als Lehre aus Afghanistan. Außerdem fehlt ein UN-Mandat. Die Entsendung von Bodentruppen nach Syrien ist für die Grünen keine Option.

Eine Frage zum Schluss: Man sieht, dass Ihre Twitter-Abstinenz keine negativen Auswirkungen auf Ihre Beliebtheitswerte hat, im Gegenteil. Fühlen Sie sich bestätigt in ihrer Entscheidung?

Diese Beliebtheitsrankings sind fürchterlich. Als ob es sinnvoll wäre, Politiker nach Wochenleistungen zu benoten. Das ist die Ver-Dieter-Bohlisierung der Politik. Was Twitter angeht: Mein Eindruck ist, dass viele einen anderen Dialog wollen und dass wir miteinander vernünftig reden. Sie kommen zu ganz altmodischen Veranstaltungen, hören zu, sind ernst. Und wollen ihrerseits ernst genommen werden und Teil eines gemeinschaftlichen Gesprächs sein. Da hat sich etwas verändert, und zwar zum Besseren.

Haben Sie jetzt auch mehr Zeit?

Wenn man alle zwei Stunden zehn Minuten auf Twitter verbringt, dann sind das zwei Stunden am Tag, über sieben Tage kommen zwei Arbeitstag zusammen. Die Zeit kann ich jetzt investieren in Lektüre und ins Schreiben, aber auch Gespräche und Diskussionen.

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