Laut CIA ist er besessenWie Putins Männlichkeitsverständnis sein Handeln beeinflusst

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Der russische Präsident Wladimir Putin inszeniert sich gerne besonders maskulin und hat ein patriarchalisches Weltbild. Nun will er mit dem Krieg in der Ukraine seine Dominanz beweisen. Ein typischer Fall von „toxischer Männlichkeit“?

Experten erklären, wie Putins Verständnis von Männlichkeit sein Handeln bestimmt und warum der Begriff „toxische Männlichkeit“ auch problematisch sein kann.

Wladimir Putin zeigt sich der Öffentlichkeit gerne mit nacktem, gestähltem Oberkörper zu Pferd, mit dem Gewehr im Anschlag auf der Jagd nach einem sibirischen Tiger oder beim Angeln in Flecktarn. Die Bilder, mit denen sich der Kremlchef seit Jahrzehnten inszeniert, strotzen von traditionell-patriarchalen Männlichkeitsvorstellungen. Er ist außerdem homosexuellenfeindlich und äußert sich gerne abfällig über Frauen.

Nach einer nun bekanntgewordenen Persönlichkeitsanalyse von CIA-Psychologen ist Putin außerdem „besessen von Maskulinität, Größe, Stärke und Macht.“ Auch Putins Angriffskrieg in der Ukraine lässt sich als Versuch sehen, sich selbst als Mann zu beweisen. Agiert Putin „toxisch männlich“, wie es auch schon anderen Politikern wie dem ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump vorgeworfen wurde? Und was genau ist damit überhaupt gemeint?

„Toxische Männlichkeit” - keine psychologische Diagnose

Mit dem Begriff „toxische Männlichkeit“ wird heute häufig ein Selbstverständnis als Mann bezeichnet, das patriarchalisch geprägt ist und für den Mann selbst und sein Umfeld zerstörerisch wird. Dabei handelt es sich allerdings eher um eine in die Mode gekommene Definition – nicht um eine psychologische Diagnose.

Pädagoge und Buchautor Sebastian Tippe („Toxische Männlichkeit – erkennen, reflektieren, verändern“) erklärt, was er unter toxischer Männlichkeit versteht. „Toxische Männlichkeit sind sozialisationsbedingte problematische Verhaltensweisen, Einstellungen und Präsentation von Jungen und Männern“, sagt Tippe. Gemeint seien Verhaltensweisen, durch die Männer besonders Frauen Schaden zufügen: sexuelle Übergriffe oder sexualisierte Gewalt, aber auch Diskriminierung, Benachteiligung und Ausgrenzung von Frauen.

Experte: Jeder Mann und Junge hat toxische Anteile

Viele Männer seien sich nicht bewusst, dass sie in dieser Richtung geprägt seien. Tippes Meinung nach, hat aber jeder Mann und jeder Junge aufgrund seiner Sozialisation toxische Anteile. „Viele Männer glauben, sie sind nicht betroffen, weil sie keine ,Vergewaltiger´ seien“, so Tippe. Es gehe bei toxischer Männlichkeit aber nicht nur um extreme körperliche Gewalt, sondern auch um ganz alltägliche Verhaltensweisen.

„Wenn beispielsweise Männer Frauen ständig unterbrechen, wenn sie ihnen ungefragt die Welt erklären, oder sie mit der Kindererziehung und dem Haushalt alleine lassen, dann ist das toxisch männlich.“ Denn dahinter stehe immer die Einstellung: Mir als Mann gehört die Welt und ich darf mir alles nehmen.

Putin zeigt sich als Kämpfer, Judoka, beim Eisbaden

Wladimir Putin hält der Autor für ein Paradebeispiel toxischer Männlichkeit. „Putin präsentiert sich als Kämpfer, als Judoka oder beim Eisbaden. Er demonstriert immer wieder seine maskulinistische Macht und sein traditionell geprägtes Bild von Männlichkeit, bei der er sich besonders groß- und andere besonders kleinmachen will.“

Auch werde seine Geringschätzung für Frauen immer wieder deutlich: „Als dem israelischen Präsidenten vor einigen Jahren die Vergewaltigung von zehn Frauen vorgeworfen wurde, nannte Putin ihn einen starken Kerl, den sie alle bewundern würden“, so Tippe. Durch den Angriffskrieg auf die Ukraine wolle der alternde Staatschef Putin nun noch sein Reich und damit auch seinen Körper erweitern, um unsterblich zu werden, sagt Tippe.

„Klassisches, fast machohaftes Männlichkeitsideal”

Auch der Sozialpsychologieprofessor Rolf Pohl sieht in dem Angriffskrieg eine doppelte Inszenierung von Männlichkeit: „Einerseits der eigene männliche Körper als stark und überlegen, aber auch als politischer Körper, als Nation“, so Pohl. Auch die „fast ikonografischen Inszenierungen“ Putins von sich selbst zeigten „ein klassisches, fast machohaftes Männlichkeitsideal.“

Den Begriff toxische Männlichkeit verwendet Pohl dagegen ungern. Er sei zu undifferenziert und unterstelle teilweise, dass Männer Opfer ihrer eigenen Sozialisation seien: „Mit toxischer Männlichkeit wird alles bezeichnet, was irgendwie mit problematischem männlichen Verhalten zu tun hat“, sagt der Wissenschaftler. „Was das männliche Selbstverständnis angeht, gibt es Verbindungslinien zwischen dem mansplainenden Onkel bei der Familienfeier und Wladimir Putin. Aber was die Machtposition, das Verhalten und die Gewaltausübung angeht, muss man ganz klar differenzieren.“

Putin will Überlegenheit und Dominanz wiederherstellen

Auch Putins Angriffskrieg lasse sich nicht allein auf problematische Männlichkeitsvorstellungen reduzieren. Bei Putins Haltung, seiner Motivation und der Art, wie er den Angriffskrieg führe, sei aber ein Muster zu beobachten, dass Pohl als „männlich-militärische Abwehrstruktur“ bezeichnet. So habe Putin aus der Angst vor einer imaginierten Bedrohung eine Notwehrsituation konstruiert. „Der Angriffskrieg ist toxisch männlich durch die persönlichen Motive Putins, Überlegenheit und Dominanz wiederherzustellen“, sagt Pohl.

Und da liege auch grundsätzlich die Krux von Männlichkeit: „Männer unterliegen in diesem System der männlichen Vorherrschaft eigentlich immer diesem Druck, sich als das überlegene Geschlecht zu setzen und zu beweisen, wenn diese Setzung in Gefahr gerät“, erklärt Pohl. „Wenn das passiert, werden Abwehrstrategien gesucht, die tendenziell gewaltförmig sind. Das ist ein struktureller Druck, der auf der männlichen Entwicklung lastet, und nicht wenige geben diesem Druck nach.“

Das klassische Männlichkeitsbild ist noch nicht ganz verschwunden

In Deutschland und Europa sei das klassische Männlichkeitsbild in den vergangenen Jahren zwar etwas ausgehöhlt worden, aber noch nicht gänzlich verschwunden. „Das zeigt sich auch an dem immer noch stark idealisierten Männlichkeitsbild – weiß, älter, wohlhabend, Managertyp – in westlichen Gesellschaften“, so Pohl.

Auch Gruppierungen wie den Incels, der AfD oder Männerrechtlern diene das traditionelle Männlichkeitsbild weiterhin als Sehnsuchtsort für Rückbesinnung. „Dieses Gefühl beispielsweise, dass die Männlichkeit weg ist, ist politisierbar“, sagt Pohl. „Es gibt also immer auch ein Ringen um die Vorherrschaft eines bestimmten Männlichkeitsbildes.“ Dabei habe Männlichkeit je nach Region oder Kultur ganz unterschiedliche Ausdrucksformen. „Die“ Männlichkeit existiert also gar nicht.

Männer noch immer bestimmt durch das patriarchale System

„Wir müssen dem Grauen ins Auge schauen und sagen: Männer, auch wenn sie das klassische Männlichkeitsideal kritisch sehen, sind unbewusst immer noch bestimmt durch dieses patriarchale System“, sagt Pohl. „Wenn wir von einem neuen Typus Mann reden, kann man das nur abstrakt sagen: Eine Form von Männlichkeit, der es gelingt, sich dem Druck, sich als überlegen zu setzen, zu entziehen und anderen Geschlechtern auf Augenhöhe zu begegnen.“

Was Putin angeht, so lässt sich dessen Verhalten mit der Theorie der toxischen Männlichkeit nur zum Teil erklären. Wie sehr Putins Handeln von strategisch-politischem Denken und wie sehr von seiner Persönlichkeit gelenkt ist, darüber lässt sich nur mutmaßen.

Dass Frauen in der Politik grundsätzlich friedensorientierter wären als Männer, dafür gibt es bisher keine eindeutigen Belege. Womöglich könnten mehr Frauen in der Außenpolitik aber dazu beitragen den Frieden länger zu wahren. Einer Studie der UN zufolge hielten Einigungen in Friedensprozessen immerhin deutlich länger, wenn Frauen systematischer beteiligt waren.

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