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Nachruf auf Norbert BlümEin Mann, den man gern haben konnte

Lesezeit 4 Minuten
Norbert Blüm Arbeitszimmer

Norbert Blüm in seinem Arbeitszimmer

  • Norbert Blüm war 16 Jahre lang Bundesarbeitsminister unter Helmut Kohl.
  • Nun ist der Christdemokrat mit 84 Jahren gestorben.
  • Ein Nachruf auf einen Politiker, der ebenso leidenschaftlich wie sinnlich war.

Hannover – Es ist erst ein paar Wochen her, dass Norbert Blüm in der Wochenzeitung „Die Zeit“ einen berührenden Text veröffentlichte. Darin machte der 84-Jährige publik, dass er infolge einer Sepsis fast vollständig gelähmt sei, und schrieb dann einen ebenso wahren wie melancholischen Satz: „Die 'normalen Verhältnisse' bieten ein Potenzial an Lust, das wir erst zu schätzen wissen, wenn wir es verloren haben."

Nun ist Norbert Blüm gestorben – und mit ihm einer, von dem man mit Fug und Recht sagen darf, dass es keinen Zweiten seiner Art geben wird.

Stets grundsatztreu

Diesem Land ist Blüm bekannt geworden als derjenige, der als einziger Minister Mitglied in allen Kabinetten von Helmut Kohl war – und zwar als der sprichwörtliche Bundesarbeitsminister von 1982 bis 1998. Er galt den meisten als „soziales Gewissen“ der Union, manchen aber auch als „Feigenblatt“. Blüm hob die Pflegeversicherung aus der Taufe. Und er prägte die umstrittene Formel: „Die Rente ist sicher.“ Markant waren an dem Arbeitersohn und gelernten Werkzeugmacher aus Rüsselsheim nicht nur sein hessisch geprägter Tonfall, sondern mehr noch die Gabe, sich aus dem Stand in Rage zu reden – bis er einen roten Kopf hatte.

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Sicher ist: Blüm war ein Mann der Grundsatztreue.

Das zeigte sich nach dem Ende der Ära Kohl. Denn Blüm brach mit seinem Weggefährten und Förderer im Zuge der CDU-Spendenaffäre und der Weigerung des langjährigen Parteichefs, die Namen jener anonymen Spender zu nennen, die die Parteikasse mit Schwarzgeld befüllt hatten. Der Bruch währte bis zu Kohls Tod 2017 – was Blüm nicht hinderte, gemeinsam mit seinem Bruder im Geiste, dem langjährigen CDU-Generalsekretär Heiner Geißler, zu Kohls Trauerfeier zu gehen. „Am Grab hören alle Gefechte auf“, sagte er damals. Geißler starb wenige Monate später.

Die Grundsatztreue zeigte sich nicht minder, als Kohls Nachfolgerin Angela Merkel Anfang der Nullerjahre versuchte, die CDU mit dem so genannten Leipziger Programm auf einen neo-liberalen Kurs zu zwingen – unter anderem mit der so genannten Kopfpauschale in der Krankenversicherung, die für den Chefarzt genauso hoch hätte ausfallen sollen wie für die Krankenschwester. Blüm zog dagegen zu Felde – ziemlich einsam und verlassen. Manche stellten ihn als Mann von gestern hin. Dabei war er der Mann von morgen. Blüm behielt nämlich Recht. Von der Kopfpauschale war bald keine Rede mehr. Der Neoliberalismus in der CDU ging so schnell, wie er gekommen war.

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Was in all den Nach-Kohl-Jahren auffiel und Norbert Blüm mit Heiner Geißler verband: Je älter sie wurden, desto mehr wurden sie zu Kronzeugen der politischen Linken in Deutschland – egal ob sie sich für Flüchtlinge oder Klimaschutz engagierten. Unterdessen war beiden auch das Talent zur Selbstdarstellung nicht fremd.

Im Umgang war Blüm so, wie ihn sich die meisten Menschen wohl vorstellen: überwiegend umgänglich – und überwiegend liebenswürdig. Meistens ging er in seinen letzten Jahren in Bonn selbst ans Telefon und meldete sich mit einem sehr ruhigen und langgezogenen: „Blüüm“. Nicht immer war „Blüüm“ zum Reden aufgelegt. Zuweilen behagte ihm auch das Thema nicht. Doch meistens sprudelte es nach kurzer Zeit aus dem jovialen Wahl-Rheinländer mit der nimmer versiegenden Leidenschaft heraus. Die Sätze waren druckreif – und oft waren mehrere unter ihnen so wunderbar pointiert, dass man keine Mühe hatte, ein Zitat für die Überschrift zu finden. Auf die sonst übliche Autorisierung von Interviews verzichtete „Blüüm“ – vorausgesetzt, er hatte Vertrauen gefasst.

Zuletzt Kronzeuge der Linken

Kurzum: Es war eine Freude, mit ihm zu arbeiten. Der Katholik Norbert Blüm – seit 1964 verheiratet und Vater von drei Kindern – war einer, den man gern haben konnte und den viele gern hatten. Und er war für viele ältere Bewohner der Bonner Republik eines ihrer Möbelstücke, unverrückbar. Man könnte auch sagen: ein Lebensbegleiter.

Der eingangs beschriebene Text in der „Zeit“, der wie Blüm selbst sehr gefühlvoll, ja sinnlich war, war rückblickend betrachtet so etwas wie ein Abschiedsgruß. „Wie ein Dieb in der Nacht brach das Unheil in Gestalt einer heimtückischen Blutvergiftung in mein Leben ein", schrieb der nun Gestorbene, der seine Lage mit einer Marionette verglich, der die Fäden gezogen wurden, sodass ihre Teile zusammenhangslos in der Luft baumelten. „Mir ist das Glück abhandengekommen, ungehemmt durch die Gegend zu streifen." (rnd)

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