Leiter von Pro Familia in Köln„Ich bin einigermaßen optimistisch, dass der Paragraf 218 gestrichen wird“

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Porträt von Sören Bangert, Leiter der pro familia Beratungsstelle Köln-Zentrum.

Sören Bangert leitet die Pro Familia Beratungsstelle Köln-Zentrum. Als Sozialarbeiter ist er vorrangig in der Schwangerschaftskonfliktberatung und der Beratung für werdende Eltern tätig.

Frankreich hat das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in der Verfassung verankert. Was bedeutet das für Deutschland – und für Köln? 

Welchen Symbolwert hat die weltweit einmalige Entscheidung der Franzosen, das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in der Verfassung zu verankern?

Sören Bangert: Einen riesigen. Vor allem, weil ja nicht nur Progressive und Linke dafür gestimmt haben, sondern auch Konservative. In Deutschland befinden wir uns eher am anderen Ende des Spektrums. Schwangerschaftsabbrüche sind bei uns immer noch im Strafrecht geregelt.

Warum ist das gesellschaftliche Klima in Frankreich so anders als bei uns?  

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Ich vermute, das hat viel damit zu tun, dass in Frankreich Kirche und Staat deutlich stärker getrennt sind. In Deutschland ist der Einfluss insbesondere der katholischen Kirche bei dem Thema enorm.

Wird das Signal aus Frankreich der Debatte über die Abschaffung von Paragraf 218 frischen Wind bescheren?

Das ist schwer zu sagen. Es gab ähnlich bedeutende Entwicklungen in der Vergangenheit, die diesen Effekt auch nicht hatten. Irland hatte lange eine der strengsten Gesetzgebungen der Welt. Und trotzdem hat die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen 2018 nicht die entsprechende Signalwirkung für Deutschland gehabt. Wobei man dazu sagen muss, dass seit etwa einem Jahr die sogenannte „Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“ tagt, die auf Geheiß der Bundesregierung über die Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des Strafgesetzbuches beraten soll. Die ersten Ergebnisse werden für Ende März erwartet.

Welche Hoffnung haben Sie an diese Ergebnisse?

Dass der Paragraf 218 gestrichen und der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt wird. Da bin ich tatsächlich auch einigermaßen optimistisch.

Ein Abbruch ist in Deutschland bislang nur bei medizinischer oder kriminologischer Indikation straffrei. Oder wenn die Frau sich innerhalb der ersten zwölf Wochen nach Empfängnis bei einer anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle wie Pro Familia hat beraten lassen. Zwischen dieser Beratung und dem Eingriff müssen mindestens drei Tage liegen. Warum ist diese Regelung von Nachteil?

Solange Schwangerschaftsabbrüche im Strafrecht verankert und nur unter erschwerten Bedingungen geduldet sind, werden sie immer den Anstrich eines Tabus haben. Mit dem Ergebnis, dass sich viele Frauen für den Eingriff schämen, vielleicht ein Leben lang. Die Beratungsregelung unterstellt ihnen darüber hinaus, dass sie nicht reflektiert und verantwortlich über eine Schwangerschaft entscheiden können. Als könnten sie nicht klar denken und fühlen. Das ist eine Form von Bevormundung der Hälfte der Bevölkerung, die meiner Meinung nach nicht vertretbar ist.

Wie gut sind Frauen in Köln und Region, versorgt, die eine Schwangerschaft abbrechen möchten?

Leider zunehmend schlechter. Es gibt ein großes Nachwuchsproblem. Die frauenbewegten Ärztinnen und Ärzte, die sich seit den 1970er Jahren auch aus politischen Gründen dazu entschieden haben, den Eingriff durchzuführen, gehen langsam alle in Rente und es kommen nicht ausreichend viele nach, die sich in dieser Form verantwortlich für die Frauen fühlen.

Wieso?

Es gibt einige Ärztinnen und Ärzte mit ethischen Bedenken, besonders wenn es um Abbrüche nach der neunten oder zehnten Woche geht. Aber es gibt auch solche, die einfach Angst vor Drohungen und Anfeindungen durch radikale Abtreibungsgegnerinnen und -gegner oder vor rechtlichen Konsequenzen haben. Deswegen finden Sie auch nur einen Bruchteil der Ärztinnen und Ärzte aus Köln und Umgebung auf der Liste der Bundesärztekammer, die Frauen ja eigentlich helfen sollte, eine behandelnde Praxis zu finden. Wir hören immer wieder in Gesprächen, dass viele Ärztinnen und Ärzte gar nicht so öffentlich in Erscheinung treten wollen. Sie sagen dann: Es ist ja in den entsprechenden Kreisen bekannt, dass ich Abbrüche durchführe, die Frauen können an mich verwiesen werden.

Ausgerechnet ein Großversorger wie die Uniklinik Köln bietet Abtreibungen nur nach medizinischer und kriminologischer Indikation an, nicht nach der Beratungsregelung. Können Sie mir das erklären?

Leider nein. Obwohl es meiner Meinung nach zurecht gesetzlich festgeschrieben ist, dass niemand einen Arzt oder eine Ärztin dazu zwingen darf, eine Schwangerschaft abzubrechen. Und je nachdem, wer Chefarzt ist, kann es eben passieren, dass eine ganze Abteilung sagt: Wir machen das nicht. Früher konnten Frauen noch in das Krankenhaus in Kalk fahren, aber dort werden laut unseren Informationen keine Abbrüche mehr durchgeführt. Das ist heute nur noch in der Frauenklinik in Holweide oder im Krankenhaus in Porz möglich. Wir haben also den Eindruck, dass auch die klinische Versorgung schlechter geworden ist. Ein Problem, mit dem wir regelmäßig an die Stadt Köln herantreten. Die müsste meiner Meinung nach dringend etwas gegen diesen Mangel tun.

Was denn?

Wir haben im vergangenen Jahr mit den anderen Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen eine Umfrage unter allen Gynäkologinnen und Gynäkologen in der Stadt gemacht. Und eine durchgehende Rückmeldung lautete, dass sie auch deswegen keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen, weil sie in ihren Praxen nicht die Voraussetzungen für einen operativen Eingriff bieten können. Hier könnte die Stadt aktiv werden und ein medizinisches Versorgungszentrum schaffen, in dem Gynäkologinnen an einem Wochentag auch Abbrüche durchführen können. Ein solches Versorgungszentrum ist ja für Holweide sogar im Gespräch.

Es ginge noch unkomplizierter: In Berlin zum Beispiel laufen schon länger Pilotprojekte, medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche telemedizinisch zu begleiten.

Ja, das wäre auch ein guter Weg. Im Bereich der medikamentösen Abbrüche bis zur neunten Schwangerschaftswoche ist der Versorgungsengpass in Köln auch noch nicht so groß. Problematisch wird es mit Abbrüchen am Ende des ersten Trimesters, wenn nur noch ein operativer Eingriff möglich ist. Manche Frauen wünschen sich auch in einer früheren Schwangerschaftswoche einen operativen Eingriff.

Das Kabinett hat kürzlich einen Gesetzentwurf gegen die sogenannte Gehsteigbelästigung beschlossen. Sollte dieses Gesetz in Kraft treten, wäre es radikalen Abtreibungsgegnern verboten, vor Praxen und auch vor Beratungsstellen wie Pro Familia zu demonstrieren und Frauen und Mitarbeitende auf der Straße zu beschimpfen. Wie groß ist das Problem bei Ihnen vor der Tür?

Wir kennen das Problem aus vielen anderen Städten, aber in Köln hatten wir bislang zum Glück nicht so viel damit zu tun. Wobei es auch hier Zeiten gab, in denen uns blutige Plastik-Embryonen zugeschickt worden sind. Heute bekommen wir gelegentlich Hass-Mails oder entsprechende Kommentare auf Social-Media-Kanälen. Wobei die Verschärfung der Debatte auch in Köln merkbar ist. Das hat sich zum Beispiel darin gezeigt, dass auch hier im letzten Jahr das erste Mal der sogenannte Marsch für das Leben stattgefunden hat. Je lauter die Forderungen werden, Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland vollständig zu legalisieren, desto lauter sind die Stimmen der Konservativen und auch der Fundamentalisten, die das verhindern wollen.

Wie erleben Sie die Frauen, die zu Ihnen in die Beratung kommen?

Die meisten haben sich sehr ausführlich mit dem Schritt auseinandergesetzt, haben mit ihrem Partner oder mit Freundinnen gesprochen und sind in ihrer Entscheidung sehr klar. Sie kommen also zu uns, weil sie die Beratung machen müssen. Und weil sie auf der Suche nach einer Praxis sind. Der Verlauf der Beratung ist dann sehr unterschiedlich. Viele nutzen den Rahmen, um sich ihre Situation nochmal in einem einfühlsamen und neutralen Gespräch anzusehen. Manche haben keinerlei Gesprächsbedarf. Was wir häufig mitbekommen, ist eine große Angst davor, für diese Entscheidung verurteilt zu werden. Viele sind überrascht, dass in Deutschland jährlich rund 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden, sie also gar nicht allein sind.

Haben Sie manchmal Sorge, dass Sie mit Ihren Forderungen Ihren Job abschaffen?

(lacht) Ja, wir sägen quasi am eigenen Stuhlbein. Wissen Sie, in diesen Beratungen passiert auch viel Gutes. Und natürlich kommen auch Frauen und Paare in einem echten Schwangerschaftskonflikt zu uns. Ich finde deshalb, dass es weiterhin das Recht auf eine qualifizierte Schwangerschaftskonfliktberatung geben sollte. Sie darf eben nur keine Pflicht sein.

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