Eltern vor Burnout, doch Psychiater sicher„Kindern tut die Corona-Pause mal ganz gut“

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Homeoffice

Für Eltern im Homeoffice und Kinder ohne Beschäftigung ist gerade eine schwierige Zeit. Doch die "Corona-Pause" hat auch positive Effekte.

  • Nicht allen Eltern ist es möglich, eine sinnvolle Betreuung für die Kinder auf die Beine zu stellen, wenn sie gleichzeitig im Homeoffice unter Druck stehen. Besonders schwer haben es hier häufig Alleinerziehende.
  • Doch es gibt auch positive Effekte: Kinder- und Jugendpsychiater Christoph Wewetzer spricht im Interview über die Auswirkungen von mehr Elternnähe durch Homeoffice.

Professor Wewetzer, viele Kindergartenkinder werden seit Wochen von ihren Eltern zu Hause betreut. Was macht das mit den Kleinen?

Von unseren Therapeuten werden Kinder betreut, die zum Beispiel unter Angststörungen, Zwängen oder Versagensängsten leiden. Wir haben in den vergangenen Wochen in unserer kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz keine Zunahme feststellen können. Das hat mich persönlich überrascht. Auch bei den Fällen von häuslicher Gewalt, die sonst in der Ambulanz immer wieder vorkommen, sehen wir keinen Anstieg. Wir erleben in der Corona-Krise eine ruhige Zeit – so, wie wir es sonst von den Sommerferien kennen.

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Professor Christoph Wewetzer leitet die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie bei den Kliniken der Stadt Köln.  

Viele Eltern stehen vor dem „Homeoffice-Burnout“ – und den Kindern geht es gut?

Das kann man so pauschal nicht sagen. Natürlich gibt es viele Kinder, die unter der Isolation leiden. Nicht allen Eltern ist es möglich, eine sinnvolle Betreuung für die Kinder auf die Beine zu stellen, wenn sie gleichzeitig im Homeoffice unter Druck stehen. Besonders schwer haben es hier häufig Alleinerziehende, die alle diese neuen Anforderungen alleine stemmen müssen. Für alle Familien gilt: Wenn es keinen geregelten Tagesablauf, keine regelmäßigen Mahlzeiten oder Beschäftigungen gibt, können sich bei den Kindern verstärkt Spannungen aufbauen. Aber ja, es gibt auch viele Kinder, denen die „Corona-Pause“ mal ganz gut tut.

Wie meinen Sie das?

Viele Probleme, die dazu führen, dass Kinder bei uns vorstellig werden, werden durch eine dauerhafte Überlastung verursacht. Wir erleben Kinder, die einen Terminkalender haben, der soll vollgepackt ist wie der von ihren Eltern. Nach der Kita werden die Kinder oft zum Sport oder Musikunterricht gebracht, danach geht es zur Nachhilfe und am Abend stehen noch Hausaufgaben an. Für Kinder, die in dieser Weise überlastetet sind, kann die Entschleunigung des Alltags durch den Lockdown durchaus wohltuend sein, und das berichten mir auch Kinder und Eltern

Weil die Eltern jetzt mehr Zeit für Sie haben?

Weil die Eltern mehr zu Hause sind, können Kinder mehr Nähe und Gemeinsamkeit zu den Eltern erleben, auch wenn sich diese nicht die ganze Zeit mit ihnen beschäftigen können. Es ist ja nicht mehr Zeit vorhanden. Wer im Homeoffice arbeitet, kann ja nicht nebenher basteln oder Gesellschaftsspiele machen. Aber die Familien verbringen mehr Zeit miteinander. Und wenn sich die Eltern die Arbeit im Homeoffice aufteilen können, verbringen sie ja tatsächlich auch mehr Zeit mit ihren Kindern beim Spielen. Das tut den Kleinen gut.

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Sollten Eltern auch nach der Krise mehr Homeoffice machen?

Das könnte einer der positiven Effekte der Krise sein: Dass Arbeitgeber und Eltern ihre Arbeitszeitmodelle so umstellen, das sie familienfreundlicher werden. Das können flexiblere Arbeitszeiten oder auch Homeoffice sein. Die persönliche Nähe der Eltern zu einem Kleinkind ist ein Faktor, der für die Entwicklung von Kindern von großer Bedeutung ist und manchmal zu kurz kommt.

Das klingt altmodisch …

Es gibt dazu keine mir bekannten wissenschaftlichen Untersuchungen, die genau sagen können wie viel elterliche Betreuung Kinder benötigen. Aus meiner Praxis kenne ich auch viele Eltern, die sich ein „Mehr“ wünschen würden, es aber aufgrund ihrer Lebens- und Arbeitssituation nicht verwirklichen können. Ich bin der Auffassung, dass Vätern und Müttern gleichermaßen ermöglicht werden sollte, mehr Betreuung ihrer Kinder zu übernehmen.

Wenn Eltern keinen anderen Ausweg wissen – kann man seine Kinder auch vor dem Fernseher „parken“?

Dagegen ist nichts zu sagen, wenn sich der TV-Konsum in Maßen hält. Bei Kindern würde ich nicht mehr als eine Stunde Fernsehen am Tag empfehlen, am besten mit ein paar Unterbrechungen. Ich rate dazu, dass die Eltern ihre Kinder nicht alleine vor dem Bildschirm sitzen lassen. Auch im Kinderprogramm kann es Sendungen geben, die Kinder nicht leicht verarbeiten oder die Fragen aufwerfen.

Und wie sieht es mit Video- und Computerspielen aus?

Es gibt leider keine Faustregel. Kinder, die viele Freunde haben und zum Beispiel in einem Verein Sport treiben, können sich natürlich auch mit dem Computer beschäftigen. Bedenklich wird es, wenn die Kinder und Jugendlichen keine weiteren sozialen Kontakte leben, die Schule vernachlässigen und sich kaum bewegen. Dann besteht auch die Gefahr der Abhängigkeit. Das ist ein Phänomen, das wir leider immer häufiger erleben.

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