„Ihr Herz ist stehengeblieben”Experten warnen vor Gefahren durch Energydrinks

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Drei Gläser gefüllt mit roter Limonade, Cola und einem Energy-Drink stehen neben Zuckerwürfeln auf einem Tisch. (Symbolbild)

  • Jeder zehnte Jugendliche trinkt bei bestimmten Gelegenheiten mindestens einen Liter Energydrinks.
  • Koffein, Taurin und die anderen Energydrink-Inhaltsstoffe putschen sich in ihrer Wirkung im Cocktail gegenseitig auf.
  • Besonders abzuraten ist von einem Gemisch aus Alkohol und Energy-Drinks – darauf deutet eine Untersuchung hin.

Wer für den Tod ihrer Tochter büßen soll, steht für Wendy Crossland außer Frage: Mit dem schwarz umrahmten Bild der 14-Jährigen aus Maryland in den Armen steht sie vor der Kamera und erklärt, dass sie den Hersteller von Monster Energy vor Gericht bringen will: Zwei Dosen des Energy Drinks habe Anais getrunken – innerhalb von 24 Stunden.

„Wenige Stunden später ist ihr Herz stehen geblieben“, erzählt sie. Sechs Tage später, einen Tag vor Weihnachten, wurde der Tod ihres Kindes erklärt. 480 Milligramm Koffein hat die 14-Jährige insgesamt in sich hineingeschüttet – das entspricht ungefähr der Dosis, die sich in sechs Tassen Kaffee findet. Zu viel für ihr auf Grund einer Erbkrankheit hypersensibles Herz, lautete die Diagnose der Mediziner.

16 Todesfälle zwischen 2004 und 2012

Das Koffein löste ihrer Meinung nach Rhythmusstörungen aus, die schließlich zum Tod des Mädchens führten. Insgesamt 16 Todesfälle sind in den Vereinigten Staaten zwischen 2004 und 2012 im Zusammenhang mit Energy Drinks aufgetreten, räumte die Behörde auf Druck von Wendy Crossland ein. Inzwischen sind mindestens 17 weitere dazugekommen. Dass die Getränke tatsächlich die Ursache der Todesfälle waren, sei nicht erwiesen, betont die Food and Drug Administration (FDA).

Aber sie sind doch so besorgniserregend, dass die Behörden den Getränken inzwischen mehr Aufmerksamkeit schenken. In Deutschland hielt nun auch das Bundesinstitut für Risikobewertung die Zeit für gekommen, vor Energy Drinks zu warnen. In einer Stellungnahme hat es vor kurzem alle besorgniserregenden Einzelfälle zusammengetragen, die sich in den Fachzeitschriften angesammelt haben.

Epileptische Anfälle, Herzrhythmusstörungen, Angstattacken

Darunter finden sich die Krankheitsgeschichten von jungen Menschen, die nach Konsum hoher Dosen epileptische Anfälle, lebensgefährliche Herzrhythmusstörungen oder Angstattacken erlitten. Berichtet wird auch von einem 28-Jährigen, der aufgeputscht durch acht (!) Dosen, beim Crossrennen mit einem Herzinfarkt vom Motorrad kippte.

Ein Zusammenhang zum Getränk ist auch hier jeweils nicht erwiesen, aber auf Grund der wissenschaftlichen Studien zum Thema spricht die Behörde trotzdem vor einem „erhöhten Gesundheitsrisiko für Herz und Kreislauf“, das von den Getränken auf Kinder und Jugendliche ausgehe.

„Es ist vor allem das Verzehrverhalten, das uns Sorgen macht“, sagt Anke Ehlers, die beim BfR für die Bewertung mit zuständig war. Immerhin jeder zehnte in diesem Alter neigt dazu, bei bestimmten Gelegenheiten gleich einen Liter oder mehr von dem Getränk in sich hineinzuschütten. Gerade in Diskos, auf Partys und bei Computerspielen versuchen sich Menschen mit extremen Dosen gerne wach und die Stimmung hoch zu halten.

Zwar sind im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten in Deutschland die Getränke strengen Regulierungen unterworfen, mehr als achtzig Milligramm Koffein dürfen sich zum Beispiel in einer Viertelliter-Dose Red Bull, Rockstar und Monster Ultra hierzulande nicht befinden. Trotzdem überschritten die „Hochverzehrer“ unter den Energy-Drink-Fans, so Ehlers, immer wieder die Koffein-Höchstdosen, die die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA kurzfristig für unbedenklich hält.

Bei einem durchschnittlichen 15-Jährigen sind das rund 180 Milligramm. Ein Liter Red Bull enthält fast die doppelte Menge und nicht selten wird noch deutlich mehr getrunken, gerne im Gemisch mit Alkohol. „Derart hohe Koffeindosen können zahlreiche unerwünschte Nebenwirkungen hervorrufen“, sagt Ehlers: Herzklopfen, Kurzatmigkeit, Schlafstörungen, Muskelzittern, schwere Übelkeit, Angstzustände aber auch EKG-Veränderungen zum Beispiel.

Und trotzdem könnte diese vorsichtige Betrachtungsweise die Gefahr, die von den Getränken ausgeht, noch unterschätzen. Denn die Dosen enthalten nicht nur Koffein. Oft wird auch noch Taurin, ein Aminosäuren-Abbauprodukt, zugesetzt, das ebenfalls wach und aktiv machen soll. Der Name stammt vom lateinischen Namen des Tiers, in dessen Galle man es erstmals entdeckte, dem Stier.

Blutzucker schießt nach oben

Neue Kräfte wecken sollen in vielen Produkten auch das Glucose-Stoffwechselprodukt Glucuronolacton und der Alkohol Inosit. Gemeinsam ist allen Stoffen, dass sie auch von Natur aus im Körper vorkommen, nur in viel geringeren Mengen. Abgerundet wird das Ganze mit einem Schuss Vitamine und bis zu 55 Würfeln Zucker pro Liter.

Für die Wirkung hat das womöglich erhebliche Bedeutung, das hat Maryam Basrai vom Institut für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim vor wenigen Wochen in der Fachzeitung Journal of Nutrition berichtet . Ihre Studie wurde im Auftrag des BfR durchgeführt. 38 Studenten hatten sich in Stuttgart freiwillig bereit erklärt, 750 bis 1000 Milliliter Energy Drink innerhalb kurzer Zeit in sich hineinzuschütten und in ihrem Körper dadurch, wie sich zeigte, einiges durcheinanderzubringen. Der Blutdruck stieg an, wenn auch nur um ein paar Millimeter Quecksilbersäule, das Herz schlug ein paar Schläge schneller. All das waren noch keine besorgniserregenden Befunde. Zugleich verlängerte sich im EKG aber auch die sogenannte QT-Zeit. Sie zeigt an, wie glatt im Herz die elektrischen Erregungsströme fließen und wie empfindlich das Organ auf Störungen reagiert. Eine Zunahme der QT-Zeit geht deshalb mit einer erhöhten Neigung zu gefährlichen Rhythmusstörungen einher. Beeindruckend waren zudem die Effekte der sirupsüßen Flüssigkeit auf den Stoffwechsel.

Der Blutzucker schoss nach oben, auch die Bauchspeicheldrüse reagierte wie sie sollte, indem sie Insulin ausschüttete. Allerdings schien das Hormon auf Leber und Zellen kaum zu wirken. Die zeigten sich erstaunlich träge, wenn es darum ging, den Zucker wieder aus dem Blut zu entfernen. Solche Stoffwechsel-Unregelmäßigkeiten könnten laut der Wissenschaftlerin helfen, Nebenwirkungen wie Unruhe, Zittern oder Übelkeit zu erklären, die sich gerade nach hohen Dosen häufig einstellen. Aber womöglich auch, warum manchmal nach dem Genuss epileptische Anfälle und andere neurologische Störungen auftreten.

Gefährlich Kombination

Besonders abzuraten ist von einem Gemisch aus Alkohol und Energy-Drinks – darauf deutet eine Untersuchung hin. Der Grund: die Effekte auf Herz und Kreislauf können potenziert werden. In den Vereinigten Staaten wurde der Verkauf solcher Mixturen sogar verboten. Laut Umfragen neigen die Konsumenten nicht nur zu Alkoholexzessen, sie sind auch häufiger in Straftaten verwickelt. Zudem setzen sie sich öfter betrunken ans Steuer, wohl auch deshalb, weil sie sich selbst zu nüchtern fühlen. Denn der stimulierende Effekt von Red Bull und Co maskiert laut Theorie, wie betrunken man wirklich ist – Österreichs Ex-Vizekanzler Heinz-Christian Strache kann nach seiner „b'soffenen G’schichte“ ein Lied davon singen.

„Was uns besonders überrascht hat: Durch das Koffein allein sind diese Effekte nicht zu erklären“, sagt die Ärztin. Denn zum Vergleich hatten die Forscher ihren Probanden auch andere, identisch schmeckende Getränke angeboten: Ein normales Sportgetränk, sowie Placebo-Mixturen, die die Energy-Drink Zutaten nur einzeln oder in Zweierkombination enthielten. Ein Pseudo-Energy-Drink, in dem sich nur Koffein befindet, so zeigte sich, wirkt längst nicht so stark wie das Original mit seinen vielfältigen Zutaten.

Das gilt sowohl für Herzschlag, Herzrhythmus wie Stoffwechsel. „Das Koffein ist zwar immer noch der Hauptakteur in den Getränken, die Kombination der Inhaltsstoffe und der Zuckergehalt scheinen jedoch das Risikoprofil der Energy Drinks noch einmal entscheidend zu verändernd“, sagt Maryam Basrai. Und all das sind nur die kurzfristigen Effekte. Bisher kann niemand sagen, was hohe Dosen langfristig bewirken.

Gesunde Personen haben nicht viel zu befürchten, weil sie solche Effekte gut wegstecken. Auch niedrige Trinkmengen hält das BfR für ungefährlich. Für Menschen mit Vorerkrankungen wie Anais Crossland seien die Ergebnisse allerdings ein Warnsignal, sagt Maryam Basrai. Weil eine Herzerkrankung, ein Diabetes oder ein Bluthochdruck bedeuten kann, dass man besonders empfindlich auf die Kombination reagiert. Was die Sache noch verkompliziert: Oft wissen die Betreffenden gar nichts von ihrer Anfälligkeit zum Beispiel für Rhythmusstörungen.

Sind die erwünschten Effekte wie eine sportliche Leistungssteigerung oder die Ausschaltung des Schlafbedürfnisses tatsächlich wert, derart große Mengen zu trinken? Anke Ehlers vom BfR hat ihre Zweifel: „Eines ist sicher“, greift sie den Werbespruch eines Produzenten auf, „Flügel wachsen einem keine.“

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