Internat für schwangere MädchenDas düstere Geheimnis dieses verlassenen Schlosses

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Le Plessis-Robinson – Eine verlassene Ruine mitten im Wald: Das Efeu-bewachsene Gemäuer wirkt märchenhaft, fast wie ein verwunschenes Schloss. Doch das „Château de la Solitude“, das zur Gemeinde Le Plessis-Robinson im Südwesten von Paris gehört, hat eine dunkle Vergangenheit.

Das „Schloss der Einsamkeit“ wurde 1903 im neugotischen Stil vom Erben einer Chocolatier-Dynastie erbaut und beherbergte zunächst eine Privatklinik und dann bis 1956 ein Karmeliter-Kloster. Danach richtete der französische Staat eine „Fachschule für junge alleinerziehende Mütter“ in dem Schloss ein, wie die Gemeinde Le Plessis-Robinson auf ihrer Seite schreibt. Minderjährige Schwangere seien in dem Internat in den siebziger Jahren vor der Gesellschaft versteckt worden, heißt es im französischen Nachrichtenmagazin L’Obs.

Bewohnerinnnen wurden sozial isoliert

Abtreibungen waren damals verboten und eine Schwangerschaft im Teenageralter galt als Tabu. Etliche Mädchen fristeten hinter den dunklen Mauern ihr Dasein. In L’Obs hat eine ehemalige Betreuerin der jungen Frauen einen Gastbeitrag verfasst, der verdeutlicht, wie es in dem Internat für „gefallene Mädchen“ zugegangen ist.

1971 sei sie, damals 23 Jahre alt, dort als Betreuerin angestellt worden, ohne zu wissen, was sie dort erwarte, schreibt Claude Jourde. Dreißig minderjährige Frauen seien dort in der Regel gleichzeitig untergebracht gewesen, von denen die jüngsten erst 13 Jahre alt gewesen seien. „Die Lebensbedingungen in diesem Haus waren hart.“ Die Bewohnerinnen seien vollkommen isoliert worden. Bis zur Entbindung blieben sie abgeschnitten von ihrer Familie und ihren Freunden. Auch an medizinischem Fachpersonal habe es gemangelt.

Die überwiegende Mehrheit wurde vergewaltigt

„Die überwiegende Mehrheit von ihnen war vergewaltigt worden. Zu dieser Zeit war es jedoch verboten, eine Abtreibung durchzuführen, auch im Falle einer Vergewaltigung.“ Jourde berichtet von einem Fall, bei dem eine 14-Jährige von drei Männern in einem Keller vergewaltigt wurde. Im Gerichtsprozess wurden die drei Männer jedoch freigesprochen. Während der Anhörung hatten sie über ihr Opfer gesagt: „Sie war keine Jungfrau mehr“.

Die Täter erfuhren demnach weniger Stigmatisierung als ihre Opfer: „Warum gab es so viel Verachtung und Feindseligkeit gegenüber diesen Opfern von Vergewaltigungen oder ungewollten Schwangerschaften? Diese Frage stelle ich mir heute noch“, schreibt die ehemalige Betreuerin, die sich schließlich für bessere Bedingungen in dem Internat für „gefallene Mädchen“ einsetzte. Zusammen mit anderen Feministinnen erreichte sie nach eigenen Angaben durch eine Hausbesetzung, dass die Internatsregeln gelockert wurden.

Nachdem Abtreibungen legalisiert waren, wurde das Internat geschlossen

1976 wurde das Internat schließlich geschlossen. Ein Jahr zuvor waren Abtreibungen in Frankreich legalisiert worden. Laut dem luxemburgischen Medium L’essentiel hat das Château de la Solitude in den darauffolgenden Jahren mehrmals gebrannt. Demnach wurde Brandstiftung vermutet, aber der oder die Täter konnten nie gefasst werden.

Seither zerfällt das Schloss und hat sich zu einem beliebten Ziel von Anhängern des umstrittenen Schwarzen Tourismus entwickelt, die es an ehemalige Unglücks- oder Katastrophen-Orte zieht. Auf Instagram haben etliche User Bilder der Ruine unter dem Hashtag #ChâteaudelaSolitude geteilt.

Die ehemalige Betreuerin Jourde ist mit manchen der damaligen Bewohnerinnen auch heute noch in Kontakt: „Für sie ist es, selbst 40 Jahre später, nicht einfach, über das Geschehene zu sprechen.“ (rer)

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