„Nicht nur Schlafstätte von Köln“Wie viel Industrie verträgt der Kreis Euskirchen?

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Wie viele Gewerbeflächen, wie hier zurzeit in Kall an der L 206, sollen in den nächsten Jahren im Kreis entstehen? Die Kommunen im Kreis sehen für die kommenden Jahre weiteren Bedarf.

Wie viele Gewerbeflächen, wie hier zurzeit in Kall an der L 206, sollen in den nächsten Jahren im Kreis entstehen? Die Kommunen im Kreis sehen für die kommenden Jahre weiteren Bedarf.

Kreis Euskirchen – Lässt man die Formalitäten, derer sich Behörden gemeinhin bedienen, einmal beiseite, könnte sich laut dem Regionalplanungsexperten Dominik Geyer ein Dialog zwischen der Stadt Schleiden und der Bezirksregierung Köln wie folgt anhören.

Stadt Schleiden: Wir brauchen weitere Gewerbeflächen.

Bezirksregierung: Eure Bedarfe sind gedeckt. Sie liegen im interkommunalen Gewerbe- und Industriegebiet in Kall.

Geyers Geschichte geht noch weiter. Es ruft nämlich ein Handwerker bei der Stadt Schleiden an, der seinen Betrieb erweitern möchte. Auf den Hinweis, es gebe noch Flächen im Gewerbegebiet bei Kall, reagiert der Handwerker etwas erregt: Was soll ich denn in Kall? Ich habe meine Kunden hier in Schleiden. Und ich muss in Schleiden vor Ort und ortsnah meinen Handwerksbetrieb auch unterbringen.

Discounter und Baumärkte

Der Kölner Diplom-Ingenieur Dominik Geyer spricht sich dafür aus, Gewerbeflächen nicht mehr für Baumärkte oder Discounter vorzusehen. Geyer, Mitarbeiter des Regionalplanungsbüros Dr. Jansen, das für den Kreis Euskirchen ein Kreisentwicklungskonzept erstellt, spricht in solchen Fällen ganz offen von „Fehlbelegungen“.

Die wenigen wertvollen Flächen, die für Gewerbe noch zu haben seien, sollten zielorientiert für Arbeitsplätze vorbehalten werden, erklärte Dominik Geyer: „Denn irgendwann wird Ende Gelände sein – buchstäblich.“

Er gehe davon aus, dass es bei den Unternehmen einen Schwenk geben werde, was die Nutzung der Grundstücke angeht. So könnten etwa Parkpaletten einen nachhaltigeren Umgang mit den Flächen bewirken.

Die Flächen müssten besser genutzt werden, denn ansonsten stelle sich nach 2040, wenn es um die Fortschreibung des derzeit in Arbeit befindlichen Regionalplans gehen wird, die Frage: Wo sollen dann Flächen herkommen? „Wir müssen heute schon anfangen, sehr viel sorgfältiger mit den Flächen umzugehen als in der Vergangenheit“, so der Experte.

In diesem Punkt geben auch die Grünen Geyer recht: „In der Tendenz ist das richtig“, sagt das Kaller Gemeinderatsmitglied Guido Huppertz, der ansonsten Geyers Empfehlungen für den Kreis wenig abgewinnen kann. (sch)

Eine Erfindung? Nicht ganz, sagt Ingo Pfennings. Er ist zwar noch nicht lange Bürgermeister von Schleiden, solche Fälle seien ihm aber schon untergekommen. Darum hoffe er nun, dass die beiden Gewerbeflächen, die Schleiden für den Regionalplan 2040 vorschlägt, berücksichtigt werden (siehe „Die Vorschläge der Kommunen“). Rein rechnerisch hat Schleiden genügend Flächen für Gewerbe – laut Flächen-Monitoring der Bezirksregierung sogar elf Hektar zu viel. Geyer geht hingegen von sieben Hektar „über dem Durst“ aus. Nur liegen diese Flächen oftmals an der falschen Stelle – in diesem Fall in Kall.

Daher hofft Bürgermeister Pfennings, „vor allem im Gewerbegebiet Herhahn weitere Flächen zu erhalten“. Fatal wäre es nämlich, wenn das für Industrie taugliche Gebiet in Kall von kleinerem Gewerbe besiedelt würde und für ansiedlungswillige große Industriebetriebe dann kein Platz mehr sei, erläutert Geyer, dessen Arbeitgeber, das Kölner Regionalplanungsbüro Dr. Jansen, für den Kreis Euskirchen ein Kreisentwicklungskonzept erstellt. Für ihn ist Schleiden ein Beispiel für den gesamten Kreis.

Unterschiedliche Angabe bei Planung

Die Bezirksregierung, so Geyer, gehe von 106 Hektar aus, die der Kreis derzeit an Flächen für Gewerbe und Industrie mehr in Reserve habe, als er mittelfristig brauche. Das Büro Dr. Jansen beziffert diese Hektarzahl lediglich auf 32 (die Prime Site Rhine Region in Euskirchen/Weilerswist gehört nicht dazu).

In ihrer Vorschlagsliste für den Regionalplan machen sich die Kommunen nun aber für Flächen in einer Gesamtgröße von rund 520 Hektar stark. Wie kann das sein? Auch hier handele es sich , wie schon bei den Flächen für die Wohnbebauung, lediglich um Vorschlagsflächen oder Suchräume, die man in den Blick nehmen könnte, wenn Areale für Betriebe und Werkshallen gesucht würden, stellen Geyer und Achim Blindert, der Geschäftsbereichsleiter für Umwelt und Planung beim Kreis, klar.

Auch hier sollen die Verantwortlichen in Verwaltungen und Räten Spielräume für die Entscheidungen haben, wo sie letztlich Bebauung haben wollen. Es gehe schließlich um eine Planung bis zum Jahr 2040.

Oftmals passten nämlich vorhandene Reserveflächen nicht mit den Anforderungen überein. Es komme auch vor, so Blindert, dass die Besitzer der Flächen partout nicht verkaufen wollten oder der Artenschutz eine Bebauung ausschließe. Darum, so Geyer, gelte es, Flächen als Alternativen bereitzuhalten. Am Ende würden längst nicht alle bebaut.

Dass es gewisse Alternativen geben muss, sieht offenkundig auch die Kölner Bezirksregierung. Spannend ist nun, wie die Behörde reagiert. Denn das Vorschlagspapier, das der Kreis nach Absprachen mit den elf Städten und Gemeinden zusammengestellt hat, liegt nun in Köln vor. Wie viel von den 520 Hektar am Ende tatsächlich im Regionalplan landen, ist offen.

Die Vorschläge der Kommunen

Diese Flächen schlagen die Städte und Gemeinden der Bezirksregierung als „Suchräume“ für den Regionalplan 2040 für den Fall vor:

Bad Münstereifel Arloff 5,8 Hektar; Kernstadt-Marienbäumchen 47,3 Hektar; Wald/ Limbach 6,9 Hektar.

Blankenheim Nördliche Erweiterung Gewerbegebiet Blankenheim 17,0 Hektar; östliche Erweiterung Gewerbegebiet Blankenheim 16,1 Hektar.

Dahlem Gewerbegebiet Schmidtheim II 6 Hektar.

Euskirchen Frauenberg 16,9 und 37,4 Hektar.

Hellenthal Losheim I 19,1 Hektar, Losheim II 15,3 Hektar.

Mechernich Kommern nord-östlich 6,3 Hektar.

Kall Gewerbegebiet Kall IV 13,8 Hektar.

Nettersheim Erweiterung Gewerbegebiet Zingsheim 9,8 Hektar; Engelgau nördlich 9,1 Hektar.

Schleiden Herhahn 5,6 Hektar, Nierfelder Auel 4,7 Hektar.

Weilerswist Osttangente 49,3 Hektar; Erweiterung Gewerbegebiet Jünkerather Straße 18,9 Hektar.

Zülpich Erweiterungen des Gewerbe- und Industriegebietes Römerallee: östlich 42,6, südlich 23,7 Hektar.

Interkommunale Gewerbe- und Industriegebiete:

Blankenheim, Nettersheim und Dahlem an der Autobahn-Anschlussstelle Blankenheim 65,7 Hektar.

Euskirchen und Mechernich Autobahnanschluss Wißkirchen 48,1 Hektar.

Kall und Schleiden in Kall 35,8 Hektar. (sch)

Schon die unterschiedlichen Bedarfsanalysen versprechen spannende Verhandlungen: Die Kölner Behörde sehe einen kreisweiten Zusatzbedarf von etwa 212 Hektar, so Geyer vor gut zwei Wochen im Kreis-Planungsausschuss: „Wobei die Bezirksregierung aus meiner Sicht mit ihrer Bedarfslage doch etwas unterhalb dessen ist, was später die Realität sein wird. Ich bin eher bei 286 Hektar.“ Das machte sich auch der Kreistag zu eigen, als er am vergangenen Mittwoch gegen die Stimmen von Grünen und Linken dem Abschnitt Wohnen und Arbeiten im Kreisentwicklungskonzept zustimmte. Wenn viele Menschen aufs Land zögen, um vor hohen Mieten und Grundstückspreisen in den Großstädten zu fliehen, so CDU-Kreistagsmitglied Josef Reidt aus Schleiden, müsse ihnen auch die Arbeit folgen: „Wir wollen nicht nur die Schlafstätte von Köln und Bonn sein.“

Das wollten die Grünen auch nicht, versichert das Kaller Gemeinderatsmitglied Guido Huppertz. Er hat sich intensiv mit dem Regionalplan und dem Kreisentwicklungskonzept beschäftigt. Wie schon bei den Neubaugebieten hält Huppertz auch die Gewerbeflächenwünsche der Kommunen für dramatisch überzogen.

Der Grüne befürchtet, dass die Bereitschaft, Gebiete zu erschließen, wenn sie erst mal im Regionalplan markiert sind, groß sein wird – allen Beteuerungen zum Trotz. „Ich habe nichts dagegen, wenn dabei tatsächlich Arbeitsplätze entstehen“, sagt der Kaller. Doch häufig verlagerten Firmen nur ihre Stätten. Unter dem Strich entstünden kaum neue Arbeitsplätze, stattdessen aber Leerflächen in den bereits vorhandenen Gewerbegebieten.

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Mit diesen Bedenken stehen Grüne und Linke alleine da. Die anderen Fraktionen im Kreistag haben bereits gemeinsame Gewerbegebiete mit der Stadt Köln im Blick. Dort ist nämlich nicht nur der Wohnraum knapp und teuer, sondern auch die Gewerbe- und Industrieflächen.

Da könnten doch, so die Überlegungen, gemeinsame Gewerbe- und Industriegebiete der Stadt Köln mit den hiesigen Kommunen auf dem Gebiet des Kreises an der A 1 eine Lösung sein.

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