Gereizte Nerven in coronadicker LuftRatssitzung in Leverkusen ufert aus

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Ärger aus den hinteren Reihen: Erhard T. Schoofs (l) versucht immer wieder, sich Gehör zu verschaffen.

Ärger aus den hinteren Reihen: Erhard T. Schoofs (l) versucht immer wieder, sich Gehör zu verschaffen.

Leverkusen – Nach Tagesordnungspunkt 18 von 58 platzt zuerst Gerhard Wölwer der Kragen. Die Sitzung des Stadtrates, Startzeit 12 Uhr, dauert zu diesem Zeitpunkt schon mehr als sechs Stunden, inklusive zweier coronabedingten Lüftungspausen. „Wir lassen uns hier von der Bürgerliste und Ein-Prozent-Parteien 50 Prozent der Redezeit aufdrängen“, poltert der Grüne. „Das ist Zeit, die für wichtige Diskussionen fehlt.“ Und die 50 Prozent sind eher noch zu tief gegriffen.

Seit einem Jahr keine Freunde empfangen

Knapp eine Stunde später ist immer noch nicht die Hälfte der langen Tagesordnung erreicht, da fährt auch seine Parteikollegin Roswitha Arnold aus der Haut: „Ich habe seit einem Jahr keine Freunde mehr in meinem Haus empfangen, nicht drei, nicht zwei, nicht einen. Und jetzt sitze ich hier seit sieben Stunden mit 60 Menschen in einem Raum zusammen.“ Menschen, die sie auch ohne Corona nicht zu sich nach Hause einladen würde, klingt da mit. Arnold beantragt, dass künftig nur noch Entscheidungen in den Rat gebracht werden, die nur vom Rat getroffen werden können. „Der Rest soll wieder in den Hauptausschuss“, fordert Arnold. Der hat nur gut ein Drittel der Mitglieder.

Der Haushalt 2021

In der am Montag beschlossenen Endfassung der Haushaltssatzung stehen geplante Einnahmen von 733,9 Millionen Euro verplanten Ausgaben von 732 Millionen Euro gegenüber. Das ergäbe einen Überschuss von knapp zwei Millionen Euro. Für Investitionen sollen davon 108 Millionen Euro aufgewendet werden. Das Eigenkapital soll auf 259 Millionen Euro gesteigert werden.

Zugestimmt haben dem Haushalt CDU, SPD, Grüne und FDP. Ablehnt wurde er von Bürgerliste, Opladen Plus, Klimaliste, Linke, AFD und Aufbruch Leverkusen. (stes)

Noch ein wenig später beantragt Stefan Hebbel (CDU), Redebeiträge künftig auf eine Minute zu begrenzen. Das hat allerdings vorher schon nicht gut geklappt. Da gab es die dringende Bitte, die Haushaltsreden auf vier bis fünf Minuten zu beschränken. „Herr Schoofs hat 23 Minuten geredet“, hat Arnold mitgestoppt. Entnervt wird schließlich ein Großteil der verbleibenden Tagesordnungspunkte zu den Themen Schulen und Bauvorhaben in die nächste Sitzung vertagt, auf dass diese dann zumindest den öffentlichen Teil um 20.30 Uhr beenden konnte.

Die meisten Anträge

An wem liegt es nun, dass die Sitzungen ausufern? Erhard Schoofs sagt zu seiner Verteidigung, er müsse ja am meisten sprechen: „Die Bürgerliste hat ja auch die meisten Anträge auf der Tagesliste.“ Eben, sagen die Vertreter der großen Parteien, die die vielen Anträge nerven, in denen es um alles von Haushaltsplanänderungen bis zu wassersparenden Toilettenspülungen geht. Das ist verständlich, vor allem aus Sicht des Infektionsschutzes. Mit seiner Bemerkung der Ein-Prozent-Parteien, die die Redezeit klauen, meinte Wölwer vor allem Benedikt Rees, der nicht nur zu den ebenfalls vielen Anträgen seiner Klimaliste etwas zu sagen hat, sondern auch zu jedem anderen Tagesordnungspunkt.

Frust bei den Ungehörten

Die Vermutung liegt nahe, dass nicht nur diese beiden Vertreter, sondern auch jene des rechten und linken Spektrums sich über Anträge und Wortmeldungen in der Ratssitzung bemerkbar machen müssen, weil sie sonst gar nicht gehört werden. Die meisten Tagesordnungspunkte wurden von den großen Parteien im Vorfeld schon beraten, so dass das Abstimmungsergebnis bereits feststand. Eine offene Debattenkultur, an der auch die Bürger teilhaben können, sieht anders aus. So führen Wortbeiträge zu nichts außer gereizten Nerven und coronadicker Luft. Und zu Frust bei den Ungehörten, die gerne etwas verändern würden. Und dann eben noch einen Antrag stellen.

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Diese Bemühungen scheitern, zwangsläufig. Das zeigte sich, als Schoofs beim Vortrag für zwei aufeinanderfolgende Anträge der Bürgerliste die Begründung vertauschte. Abgelehnt wurden beide, gemerkt hat es nur Schoofs: „Da sieht man, wie intensiv man sich mit unseren Anträgen beschäftigt.“

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