„Literatur am Dom“Festival endet in Altenberg mit Frauenpower

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Vier Tage lang zog das Festival Literaten und Literaturfans nach Altenberg. 

Odenthal – Wir haben einen Ballon aufgeblasen“, sagte Veranstalterin Sema zu Sayn-Wittgenstein über „Literatur am Dom“ – und konnte sich gleich bei der Premiere über dessen Höhenflug freuen. Publikumszuspruch und das von Karin Graf und Denis Scheck kuratierte Programm stimmten.

Den magischen Ort Altenberg (mit gerade einmal zehn Einwohnern) sieht die Festivalchefin als Magneten zwischen Köln, Leverkusen und Düsseldorf und fragte: „Warum sollten wir das nicht können, was die Großstädte schon lange machen?“

Erfahrungen in der Uckermark 

Tatsächlich hätte das Finale mit der doppelten poetischen Frauenpower von Daniela Krien und Antje Rávik Strubel auch der lit.Cologne zur Ehre gereicht. Der wetterbedingte Umzug vom lauschigen Kräutergarten unter das Dach vor dem Altenberger Hof ließ sich leicht verschmerzen. Zur Landpartie der ostdeutschen Autorinnen passte perfekt, dass ihre Romanfiguren entscheidende Erfahrungen in der Uckermark machen.

In Daniela Kriens „Der Brand“ sind es Rahel und Peter, die den Hof eines älteren Paars hüten. Schon die erste Leseprobe der Leipzigerin offenbart ihren mikroskopischen Scharfblick auf die Ehekrise: „Ich habe das Land als Ort gebraucht, wo es für Rahel und Peter keine Ablenkung gibt. Der erzwungene Rückzug hilft ihnen, wieder zueinander zu finden.“

„Alles, was mich zornig gemacht hat...“

Ein derart heilsames Idyll ist die Uckermark für Adina, die gebrochene Heldin in Antje Rávik Strubels „Blaue Frau“, allerdings keineswegs. Mit 21 kommt sie aus Harrachov im tschechischen Riesengebirge zuerst nach Berlin, dann auf jenen Gutshof an der Oder, wo sie von einem deutschen „Förderer“ vergewaltigt und danach in einen Kühlschrank gesperrt wird.

Das Buch der Potsdamer Autorin vagabundiert raffiniert durch die Zeiten, im Auftakt ist alles schon geschehen, die geschundene Frau in Helsinki gestrandet und zur Aussage gegen den Peiniger bereit. Der dringliche Ton verdankt sich auch Strubels eigener Beschäftigung mit der Verfolgung von Vergewaltigern.

„Alles, was mich zornig gemacht hat, floss ein“, sagte sie der präzis und uneitel fragenden Moderatorin Miryam Schellbach. „Die Chancen auf eine Verurteilung der Täter sind wahnsinnig gering, den Frauen wird oft von vornherein nicht geglaubt.“

„Eine Geschichte des Gelingens“

Im Buch von Krien sind die männlichen Fehler verzeihlicher. Peter, Germanistikprofessor an der TU Dresden, hat die nicht-binäre Kursteilnehmerin Olivia als Frau bezeichnet und einen Shitstorm ausgelöst. „Anfangs sollte das ganze Buch vom entfremdeten Mann handeln“, sagte die 46-Jährige. Doch dann habe sie sich gegen einen politischen Roman und für die Nahaufnahme einer „keineswegs unrettbar verlorenen Ehe“ entschieden – „eine Geschichte des Gelingens“.

Kulturministerin ist Schirmherrin

„Literatur braucht solche Veranstaltungen“

Isabel Pfeiffer-Poensgen, amtierende NRW-Kulturministerin, sprach zum Abschluss des viertägigen Programms „Literatur am Dom“. Sie habe besonders gern die Schirmherrschaft über „dieses Festival aus rein privater Perspektive“ übernommen. „Literatur braucht solche Veranstaltungen“, besonders, wenn sie „einen Fächer literarischer Möglichkeiten“ bieten. Und nicht zuletzt: „Festivals in großen Städten sind schön, aber an einem Ort wie diesem viel eindrucksvoller.“ (Wi.)    

Und was hat es mit der „blauen Frau“ auf sich, die Strubels mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Roman den Titel gibt? „Die ist mir in Helsinki auf dem Weg ans Wasser tatsächlich begegnet – als Stimme im Kopf“ und Anstifterin eines literarischen Selbstgesprächs, berichtete sie. Sie zitierte auch Ilse Aichingers Satz „Im Unerkundbaren kommen wir einander nah“ als Plädoyer für das Respektieren von Geheimnissen.

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So lieferte der Austausch viel Gesprächsstoff fürs abschließende Barbecue. Und obwohl Sema zu Sayn-Wittgenstein hocherfreut eine Mäzenatenzusage des Ehepaars Zanders verkündete, hofft sie auch auf öffentliche Förderung für künftige Festivals. Wohl nicht chancenlos, denn dieses erstklassige Finale war eins sicher nicht: provinziell.

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