ProzessKerpener Richter senkt Strafmaß der angeklagten Baggerbesetzer

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Freunde der bei angeklagten Baggerbesetzer demonstrierten am Freitag vor dem Kerpener Amtsgericht.

Freunde der bei angeklagten Baggerbesetzer demonstrierten am Freitag vor dem Kerpener Amtsgericht.

Vor dem Kerpener Amtsgericht demonstrierten Klimaaktivisten für ihre Freunde im Gerichtssaal, dort wurde sieben Stunden verhandelt.

Zwei der acht Aktivistinnen und Aktivisten, die am 16. Januar 2023 den Bagger 260 im Tagebau Hambach besetzt hatten, standen gestern in Kerpen vor Gericht. Wegen Hausfriedensbruchs bei RWE waren je 20 Tagessätze in Höhe von 20 Euro verhängt worden – also pro Person 400 Euro. Doch gegen diese Strafbefehle hatten sie Widerspruch eingelegt.

Vor dem Amtsgericht war eine Demonstration genehmigt worden. Angesichts des dramatischen Klimawandels seien die Aktionen der Beklagten wichtig und richtig gewesen, so die vorherrschende Meinung dort. Knapp 20 Menschen brachten diese später auch im Gerichtssaal teils lautstark zum Ausdruck. Nachdem sie mehrfach von Richter Wolfram Witzel darauf aufmerksam gemacht worden war, Kommentare zu unterlassen, wurde eine besonders eifrige Ruferin schließlich aus dem Saal getragen.

Fahne musste entfernt werden

Schon zuvor war es zu Diskussionen gekommen, weil eine Beklagte sich weigerte, eine bunte Regenbogenfahne von ihrem Tisch zu entfernen. Die benötige sie „für ihr Wohlsein“. Ein Gerichtsdiener faltete das Textil nach richterlicher Aufforderung zusammen. Gleich drei Beistände wurden für die beiden Beklagten aufgeboten, nur waren das alle keine Juristen. Eine konnte sich auch nur behelfsmäßig mit einem abgeschnittenen, abgelaufenen Personalausweis, Studenten- und Krankenversicherungskarte legitimieren. Witzel ließ das gelten.

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Zeugen wurden gehört. Ein RWE-Mitarbeiter erläuterte, dass der Tagebau und das Vorfeld nicht betreten werden dürften, es gebe Zäune, Wälle, Schranken und alle 50 Meter Schilder. Der Tagebau sei vollständig eingefriedet. Mit Fotos und Videos versuchten die Beklagten hingegen zu beweisen, dass man in den Tagebau gelangen könne, ohne an einem Schild vorbeizukommen. Auch eine offene Schranke wollen sie gesehen haben.

Atmosphäre am Bagger ist friedlich gewesen

Der Leiter der eingesetzten Hundertschaft der Polizei führte aus, dass die Aktivisten erst freiwillig vom Bagger gekommen seien, als das Höheninterventionsteam angekommen sei. Vorher jedoch seien die Besetzer nicht der Aufforderung der Polizei gefolgt. Doch sei die Atmosphäre friedlich gewesen. Insgesamt habe es sich um acht Aktivisten gehandelt. Gegen drei weitere von ihnen findet kommende Woche in Kerpen ein ähnlicher Prozess statt.

Nach der Zeugenvernehmung legte die Verteidigung einen Antrag nach dem anderen vor. Gefordert wurde unter anderem, die Baggerbesetzung als Versammlung zu bewerten oder eine Rede des UN-Generalsekretärs sowie Gutachten von Meteorologen und Greenpeace vorzulesen. Begründet werden sollte damit wohl, dass das Verhalten der Baggerbesetzer durch den Klimanotstand gerechtfertigt sei. Auch BUND-Geschäftsführer Dirk Jansen, das Alfred-Wegener-Institut und andere sollten zu Gericht geladen werden, um das deutlich zu machen. Richter Witzel lehnte die Anträge ab.

Das trug ihm den Vorwurf der Befangenheit ein. Witzel blieb dabei: „In einer demokratischen Gesellschaft gibt es andere Möglichkeiten, Wege aus der Klimakrise zu finden.“ Die Sitzung wurde unterbrochen. Schließlich entschied die stellvertretende Amtsgerichtsdirektorin Marion Tettinger, dass der Befangenheitsantrag abgelehnt wird. Dann konnte die Verhandlung weitergehen. Weil er sich über die Einkommensverhältnisse der Beklagten unsicher war, senkte Witzel das Strafmaß nach etwa sieben Stunden Verhandlung auf 300 Euro pro Person.

Eine Aktivistin wies vor dem Saal darauf hin, dass andere Gerichte in Deutschland anders entschieden hätten: „Wir haben einen Klimanotstand. Das haben andere Gerichte auch anerkannt. Was sollen wir denn tun – alles geschehen lassen?“

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