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Frauenrechtlerinnen warnenTausende Mädchen in NRW von Genitalbeschneidung bedroht

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Auch in Deutschland leben Mädchen, denen eine weibliche Genitalbeschneidung droht.

Auch in Deutschland leben Mädchen, denen eine weibliche Genitalbeschneidung droht.

Köln – Am 6. Februar, dem „Internationalen Tag gegen weibliche Genitalverstümmelung“, machen Frauenrechtlerinnen jährlich auf diese grausame Menschenrechtsverletzung an Mädchen aufmerksam. Auch in Nordrhein-Westfalen sind mehrere Tausend gefährdet. Expertinnen machen deutlich, dass dieser archaisch anmutende Eingriff in rund 30 Ländern in Afrika, auf der arabischen Halbinsel und in Asien immer noch praktiziert wird. Dabei werden einem Mädchen, meist vor dem 14. Lebensjahr, teilweise oder vollständig die äußeren Genitalien entfernt.

Der Eingriff geht oft mit lebenslangen Schmerzen einher, weiß Steffi Gilles, die beim Kölner Verein „Lobby für Mädchen“ Kontakt zu betroffenen Mädchen hat und im Projekt Yuna NRW-weit über weibliche Genitalbeschneidung aufklärt. Ein Überblick über die Herkunft des Rituals, die Folgen für die betroffenen Mädchen und die Hilfsangebote in Köln.

Wie viele Frauen und Mädchen sind betroffen?

„Es handelt sich um ein weltweites Phänomen“, sagt die Kölner Gleichstellungsbeauftragte Bettina Mötting. „Durch Migrationsprozesse ist es auch in Köln zu finden.“ Die Frauenrechtsorganisation Terre de Femmes schätzt, dass in NRW über 15 000 betroffene Frauen leben und fast 5000 Mädchen gefährdet sind. Die Organisation spricht aber selbst von einem „Tabuthema ohne sichere Datenlage“. Die deutsche Dunkelzifferstatistik erfasst beispielsweise nur Mädchen mit nicht-deutschem Pass und bezieht die Betroffenenquote ihrer Herkunftsländer mit ein.

Weltweit geht die Weltgesundheitsorganisation WHO von 200 Millionen betroffenen Mädchen und Frauen aus.

Was bedeutet die Abkürzung FGM/C?

Der Fachbegriff FGM/C steht für die englischen Begriffe „Female Genital Mutilation“ oder „Cutting“, also Verstümmelung oder Beschneidung. Manche sprechen eher von Verstümmelung, um deutlich zu machen, dass der Eingriff eine schwere Menschenrechtsverletzung ist, die nicht mit der Beschneidung von Jungen vergleichbar ist, erklärt Steffi Gilles. Viele Betroffene fühlten sich davon aber verletzt und stigmatisiert. Sie bevorzugten den Begriff Beschneidung. Das Kürzel FGM/C ist der Mittelweg.

Welche unterschiedlichen Formen gibt es?

Die WHO unterscheidet drei Typen. Bei der Klitoridektomie wird die Klitoris teilweise oder vollständig entfernt. Beim Eingriff nach Typ II werden neben der Klitoris auch die Schamlippen weggeschnitten. Bei der so genannten Infibulation werden Teile der Schamlippen entfernt und der übrige Teil zusammengenäht.

Welchen Ursprung hat das Ritual?

Erste Hinweise auf weibliche Genitalbeschneidung finden sich schon im Alten Ägypten, etwa 500 vor Christus. Von dort aus könnte das Phänomen sich ausgebreitet haben. Das ist aber bis heute nicht bewiesen. Auch in Europa soll es das Ritual zeitweise gegeben haben. „Daran sieht man, dass es sich weder um eine afrikanische noch um eine muslimische Tradition handelt“, sagt Darya Otto, ebenfalls vom Projekt Yuna. Das würde fälschlicherweise oft angenommen. Die Beschneidung werde aber auch in christlichen Religionsgemeinschaften durchgeführt.

Wie wird der Eingriff begründet?

Der wichtigste Punkt ist wohl eine tiefverankerte Tradition in einem patriarchalen System. In den praktizierenden Gemeinschaften gelten die nicht-beschnittenen Frauen häufig als unrein und werden ausgeschlossen. Die Beschneidung wird als Schritt zum Erwachsenwerden gesehen, soll auf die Ehe vorbereiten und bis dahin die Sexualität der Frau unterdrücken. Häufig ist sie auch mit einer Feier verbunden.

Wo setzt die Prävention an?

Nach Gilles’ Erfahrung besteht die größte Gefahr für Kinder in Deutschland, wenn die Eltern mit ihnen ins Herkunftsland fahren. Dort werden die Eltern eventuell von den Verwandten unter Druck gesetzt, die Beschneidung durchführen zu lassen. Dort setzt auch die Aufklärung und Prävention im Projekt Yuna an. „Wenn Fachkräfte eine derartige geplante Reise mitkriegen, können sie die Eltern darüber aufklären, dass weibliche Genitalbeschneidung in Deutschland seit 2013 verboten ist“, sagt Gilles. Auch wenn der Eingriff im Ausland durchgeführt wurde, müssten sich die Eltern vor einem deutschen Gericht verantworten.

Welche Folgen kann FGM/C haben?

Der Blutverlust nach dem Eingriff endet nicht selten tödlich, sagt Otto. Langfristig kann die Betroffene unter chronischen Schmerzen während der Menstruation oder beim Wasserlassen leiden. Entzündungen, Inkontinenz und Unfruchtbarkeit können auftreten. Die Frauen haben oft lebenslange Schmerzen beim Geschlechtsverkehr und es treten erhebliche Risiken bei der Geburt auf.

So können Sie helfen

wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird

Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.  

Bislang sind 1.328.993,90 Euro (Stand: 27.09.2022) eingegangen. Die Spendenkonten lauten: „wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“ Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55 Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25

Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.

Aus der Arbeit in den Mädchenzentren wissen Gilles und Otto, dass die Betroffenen ihre Beschwerden oft gar nicht mit dem Eingriff in Verbindung bringen. Viele merken erst im Austausch mit anderen, dass ihre Schmerzen nicht normal sind.

Wo wird Betroffenen geholfen?

Neben der „Lobby für Mädchen“ berät in Köln auch Agisra, eine Beratungsstelle für migrantische Frauen, und der Sozialdienst katholischer Frauen zu FGM/C. Das Gesundheitsamt Köln bietet seit 2018 eine gynäkologische Sprechstunde an. Dort können sich Betroffene untersuchen lassen, um den Grad der Beschneidung feststellen zu lassen. Der Arzt oder die Ärztin informiert über Behandlungsmöglichkeiten, wie beispielsweise eine Rekonstruktion.

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Aus der Erfahrung mit betroffenen Frauen weiß Darya Otto, dass diese auf eine gynäkologische Untersuchung sehr gut vorbereitet werden müssen. Das Thema ist sehr schambehaftet, nicht selten wurden die Frauen bei dem extrem schmerzhaften Eingriff traumatisiert. „Wir erklären vorher behutsam, was passieren wird.“ Außerdem klärt sie darüber auf, dass der Eingriff bei geflüchteten Frauen eine Rolle im Asylverfahren spielen kann.

Workshop und Webinare

Am Sonntag, 6. Februar, findet von 14 bis 17 Uhr ein Workshop im Mädchenzentrum in der Weidengasse 70-72, 50668 Köln statt. Eingeladen sind interessierte Mädchen und junge Frauen von 14 bis 27 Jahren.

Außerdem bieten Darya Otto und Steffi Gilles im NRW-weiten Projekt Yuna einmal im Monat kostenlose Webinare für Fachkräfte wie Lehrerinnen, Sozialarbeiter und Ärztinnen an. Für interessierte Einrichtungen führen sie auch eigene Workshops durch.

Informationen und Anmeldung unter yuna-nrw.de

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