Kinderrerechte„Erwachsene sollten mehr Macht abgeben“

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Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Vorsitzende des Kölner Jugendrings, Marvin Stutzer, bei der Einweihung des Kölner Kinder- und Jugendbüros.

Oberbürgermeisterin Henriette Reker und der Vorsitzende des Kölner Jugendrings, Marvin Stutzer, bei der Einweihung des Kölner Kinder- und Jugendbüros.

Köln – Herr Stutzer, Ziel des neu gegründeten Kinder- und Jugendbüros ist es, junge Menschen zu unterstützen, ihre Interessen zu vertreten. Was ist mit denjenigen, die sich nicht artikulieren können?

Wir müssen hinschauen, wer sich warum nicht mitteilt. Sollte es den jungen Menschen an Möglichkeiten, etwa aufgrund einer geistigen oder körperlichen Einschränkung oder an Zugängen fehlen, sind wir als Fachkräfte gefragt. Es ist aber auch legitim, wenn Kinder und Jugendliche nicht partizipieren möchten. Die aktuelle Kölner Jugendbefragung zeigt jedoch, dass sich 60 Prozent der Jugendlichen ehrenamtlich engagieren.

Köln Kinder- und Jugendbüro

Am 20. Februar 2018 verlieh die Initiative „Kinderfreundliche Kommunen“, eine Kooperation des  Deutschen Kinderhilfswerkes und Unicef der Stadt Köln als erste deutsche Großstadt das Siegel „Kinder- und Jugendfreundliche Kommune“.

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Daraufhin erarbeitete der Rat der Stadt einen Aktionsplan, der auch die Gründung eines Kinder- und Jugendbüros enthielt – das am 1. April am Alter Markt eröffnet wurde.

Das Büro, in dem die Jugendverwaltung der Stadt und der Kölner Jugendring kooperativ zusammenarbeiten, soll unter anderem eine Schnittstelle zwischen Kindern und Jugendlichen, Verwaltung und Politik sein, hier sollen Partizipationsprozesse erarbeitet und organisiert werden.

Kinder- und Jugendbüro, Alter Markt 62-64, Mo-Fr 14 bis 20 Uhr

Was werden Sie für junge Menschen tun, die auf den Schattenseiten des Lebens stehen – arm, krank, geflüchtet oder anderweitig benachteiligt sind?

Die Frage ist doch: In wessen Schatten stehen sie? Und wie können sie aus dem Schatten treten? Armut, Bildungsmangel, Krankheit und Flucht haben in erster Linie gesellschaftliche Ursachen, die politisch überwunden werden müssen. Andererseits sind in Köln viele Akteure unterwegs, die sich für benachteiligte Jungen und Mädchen starkmachen. Wir freuen uns, wenn sich das Kinder- und Jugendbüro mit ihnen vernetzt. In puncto Benachteiligung sollten Erwachsene darin qualifiziert werden, junge Menschen einzubeziehen, sie ernst zu nehmen und auch Prozesse zuzulassen, die auf den ersten Blick vielleicht nicht logisch scheinen. Erwachsene müssen bereit sein, ein Stück Macht abzugeben und Veränderungen zuzulassen.

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Bei der Eröffnung des kooperativen Kinder- und Jugendbüros am Alter Markt

Gleiche Chancen für alle Kinder – ein utopisches Ziel?

Wenn Kinder und Jugendliche in der Schule um gute Noten und Abschlüsse, später auf dem Arbeitsmarkt um Jobs konkurrieren müssen, wird deutlich: Soziale Ungleichheit ist kein persönliches Versagen, sie ist strukturell verankert. Selbst wenn am Anfang alle gleiche Chancen hätten, kämen am Ende ungleiche Ergebnisse heraus, die sehr stark über das zukünftige Leben der Kinder entscheiden. Deshalb sollten alle Kinder dieselben materiellen Voraussetzungen haben, auf deren Grundlage sie sich wirklich frei und individuell entfalten können.

Wie ist es um die Kinderfreundlichkeit in unserer Stadt bestellt?

Köln hat eine große Vielfalt an kulturellen und sozialen Angeboten, die von jungen Menschen wahrgenommen werden. Grundsätzlich verbinden junge Menschen Köln mit Weltoffenheit und Toleranz, was eine gute Voraussetzung dafür ist, Heimat für alle Kinder und Jugendlichen, unabhängig ihrer Herkunft, sein zu können. Ich freue mich, dass wir mit dem Jugendbüro dazu beitragen können, Köln für diese Altersgruppe noch lebenswerter zu machen.

Wo hapert’s?

Die Lebensverhältnisse in den Stadtteilen sind sehr verschieden. Es gibt reichere und ärmere Veedel, was sich auch auf die gesellschaftliche Teilhabe auswirkt. Wenn wir junge Menschen stadtweit an Entscheidungen und am gesellschaftlichen Leben beteiligen wollen, müssen sie mobil sein können – was neben sicheren und flächendeckend ausgebauten Radwegen auch bedeutet, dass der ÖPNV regelmäßig, kostenlos oder erschwinglich zur Verfügung steht. Das betrifft auch die Themen „Aufenthaltsflächen als öffentlicher Treffpunkt“ und „freie Spielflächen für Kinder“.

Ein weiteres Ziel ist es, Teilhabemöglichkeiten von Kindern und Jugendlichen zu entwickeln. Gibt es schon konkrete Ansätze?

In unseren Jugendverbänden und in vielen -einrichtungen wird Partizipation, Demokratie und Selbstorganisation schon gelebt: Vom Kunstprojekt, bei dem die Nutzer entscheiden, wie die Räume gestaltet werden, bis zur täglichen Vollversammlung im Zeltlager, auf der über Regeln, Ausflüge und Workshops abgestimmt wird. Unser Ziel für das Büro ist es, jungen Menschen auch strukturelle Mitgestaltungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zu geben. Das bedeutet konkret, dass ihr Recht auf Mitbestimmung auch innerhalb des Stadtrats und der Bezirksvertretungen, aber auch im Schulalltag stärker verankert wird. Was heute noch als Projekt gilt möchten wir morgen als Haltung etabliert haben.

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