Kölner Flüchtlingsrat"Müssen wir zurück in den Krieg?"

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Im Flüchtlingszentrum Fliehkraft des Kölner Flüchtlingsrats werden unter anderem Kurse für Mütter durchgeführt.

Im Flüchtlingszentrum Fliehkraft des Kölner Flüchtlingsrats werden unter anderem Kurse für Mütter durchgeführt.

Köln – Der Kölner Flüchtlingsrat wurde 1984 als Initiative von Flüchtlingen, Hauptamtlichen und Freiwilligen in der Flüchtlingsarbeit, Mitarbeitern von Wohlfahrtsverbänden und Menschenrechtsgruppen, Rechtsanwälten, Pfarrern und anderen engagierten Menschen im Haus der Evangelischen Kirche in Köln gegründet. Er ist der zweitälteste Flüchtlingsrat in Deutschland. Geschäftsführer Claus-Ulrich Prölß spricht im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu folgenden Punkten:

Zur Person

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Claus-Ulrich Prölß

Claus-Ulrich Prölß (55) ist Diplom-Sozialarbeiter und seit 1989 in der Flüchtlingsarbeit beschäftigt. Seit dem Jahr 1999 ist er Geschäftsführer des Kölner Flüchtlingsrats.

Der Kölner Flüchtlingsrat ist eine Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisation. Als unabhängiges Netzwerk setzt er sich aus Flüchtlingen, Beratungsstellen, Menschenrechtsgruppen, Flüchtlingsinitiativen, Haupt- und Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit und Einzelpersonen zusammen. Lokal verankert ist er auch auf Landes- und Bundesebene aktiv.

www.koelner-fluechtlingsrat.de

Wie alles anfing: Die Enstehung des Kölner Flüchtlingsrats

Es gab seit Ende der 1970er Jahre und besonders seit Anfang der 1980er Jahre Asylrechtsverschärfungen. Es wurde ein Arbeitsverbot geschaffen, das schließlich auf zwei Jahre erhöht wurde. Es gab die ersten Massenunterkünfte, zudem wurde das Asylverfahren geändert. Statt einer Kommission aus drei Personen, war nur noch ein einzelner Entscheider zuständig. Das Asylverfahren sollte beschleunigt, die geflüchteten Menschen durchgepeitscht werden. Was das Fass zum Überlaufen brachte, war der Suizid von Kemal Cemal Altun. Altun war Asylberechtigter und stammte aus der Türkei, damals eine Militärdiktatur. Die Türkei stellte einen Auslieferungsantrag. Bei einer Gerichtsverhandlung in Berlin sprang Altun in den Tod. Das führte dazu, dass man sich in der Öffentlichkeit mit der rechtlichen Lage der Geflüchteten mehr auseinandersetzte. In Berlin entstand der erste Flüchtlingsrat, 1984 folgte der zweite in Köln.

Rechtliche Beratung: Die Aufgaben des Flüchtlingsrats

Der Flüchtlingsrat war damals so etwas wie eine Willkommensinitiative, eine ehrenamtliche Initiative engagierter Menschen. Über die Jahre hat sich unsere Arbeit professionalisiert. Heute sind wir 30 Beschäftigte, unser Schwerpunkt liegt in der rechtlichen Beratung von geflüchteten Menschen. Wir haben fünf Beratungsstellen in Köln und Bonn und sind Träger des Flüchtlingszentrums Fliehkraft in Nippes. Wir nehmen teil am Projekt Auszugsmanagement, wo es darum geht, Privatwohnungen für Geflüchtete zur Verfügung zu stellen. Wir machen zudem viel im Bereich des bürgerschaftlichen Engagements, sind in Schulen unterwegs, um in Klassen Projekte und Workshops zu den Themen Flucht, Asyl und Antirassismus durchzuführen.

Runde Tische und Beratungskommissionen: Was der Flüchtlingsrat erreicht hat

Wir haben mitgeholfen, den Runden Tisch für Flüchtlingsfragen der Stadt zu gründen. Wir haben weiter eine lokale Härtefallkommission eingefordert. Der Rat ist der Forderung schließlich gefolgt, die Härtefallkommission heißt heute ausländerrechtliche Beratungskommission. In Zusammenarbeit mit anderen Trägern haben wir weiter einige Projekte angeschoben. Zuletzt haben wir mit dem Rom e.V. und dem Runden Tisch für Integration eine Bleiberechtskampagne initiiert, die dazu führte, dass der Rat 2016 das Bleiberechtsprojekt beschlossen hat. Mit dem Ausländeramt helfen wir, lange geduldete und gut integrierte Flüchtlinge zu einem Bleiberecht zu verhelfen. Und wir haben den Beschluss des Rats initiiert, in Seenot geratene Flüchtlinge in Köln aufzunehmen.

Hilfe zur Selbsthilfe: Das Flüchtlingszentrum Fliehkraft

Das Fliehkraft wurde auf Initiative des Flüchtlingsrats gegründet, zunächst gab es aber einen anderen Träger. Der Flüchtlingsrat hat das Fliehkraft mit dem Verein Zurück in die Zukunft 2007 übernommen. Wir geben zum Beispiel Migranten-Selbstorganisationen Platz, um sich zu treffen, und begleiten nach Bedarf – etwa bei Fragen zu Vereinsgründungen. Wir versuchen also die Strukturen der Flüchtlinge, die sie selbst aufbauen, zu stärken. In letzter Zeit bemühen wir uns stärker um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in begleiteten Gruppen. Und wir beraten geflüchtete Menschen, insbesondere in psychologischer Hinsicht. Bei Bedarf vermitteln wir die Menschen auch in andere Projekte.

Baby David wird im Flüchtlingszentrum „Fliehkraft“ betreut, während seine Mutter Deutsch lernt.

Baby David wird im Flüchtlingszentrum „Fliehkraft“ betreut, während seine Mutter Deutsch lernt.

Politische Krise der EU statt Flüchtlingskrise: Die Zeit um 2015

Für uns war das nie eine „Flüchtlingskrise“. Für uns war es immer eine politische Krise der Europäischen Union. Was dort passierte, zeigte die ganze Misere der Europäischen Union. Das betraf das gemeinsame Wertesystem, die Harmonisierung von Asylverfahren und die Verteilung von geflüchteten Menschen. Das muss sich ändern beim Friedensnobelpreisträger EU. Wir müssen in der EU wieder besser werden im Bereich der Menschenrechte. Wir sehen, dass die Asylverfahren in den einzelnen Staaten unterschiedlich gestaltet sind. Wir sehen, dass die Genfer Flüchtlingskonvention nicht mehr von allen beachtet wird. Wir sehen auch, dass Bestimmungen der europäischen Menschenrechtskonvention ausgehebelt werden. Und wir sehen, dass Europa sich abgeschottet hat und den Festungsgürtel weiter ausbaut. Das hat nicht 2015 angefangen, aber 2015 zeigte sich, dass die Mechanismen der EU-Asylpolitik nicht mehr funktioniert haben.

Die Rolle der Stadt Köln ab 2015: Zwischen Überforderung und  Lösungswille

Natürlich hatten alle Verwaltungen und Behörden große Probleme. Das betraf das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wie kommunale Behörden. Auch die Stadt Köln war mit der Lage überfordert. Was sich aus unserer Sicht bewährt hat, war, dass es den Runden Tisch für Flüchtlingsfragen gab. Es wurde versucht – mit allen Akteuren – Unterbringungsmöglichkeiten für die Menschen zu finden. Das hat nicht immer geklappt, das war nicht immer reibungslos. Im Nachhinein muss man aber sagen: Wir haben es ganz gut hinbekommen. Ob die Unterbringungen in Turnhallen und Hallen in Gewerbegebieten hätten sein müssen, bezweifele ich.

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Kochen, Nähen, Deutsch lernen im Nippeser Flüchtlingszentrum Fliehkraft

Die Unterkunftssituation für Flüchtlinge 2015 in Köln

Niemand hat damit gerechnet, dass das europäische Asylsystem so zusammenbricht. Aber tatsächlich wurde in den Vorjahren in Köln versäumt, auf eine größer werdende Zahl an Flüchtlingen zu reagieren und Unterbringungsmöglichkeiten zu schaffen. Erst jetzt hält die Stadt eine Notreserve bereit, für den Fall, dass wieder viel mehr Flüchtlinge nach Köln kommen. Der Flüchtlingsrat hat damals angemahnt, dass möglicherweise noch mehr Flüchtlinge kommen. Es gab dazu sogar ein Schreiben der Bezirksregierung Arnsberg an alle Kommunen in NRW. Dort stand: Richtet Euch darauf ein, dass die Flüchtlingszahlen steigen. Das Schreiben hat wohl niemand in Köln richtig ernst genommen.

Die Lage der geflüchteten Kinder und Jugendlichen in unserer Stadt

30 bis 40 Prozent der geflüchteten Menschen sind traumatisiert oder leiden an anderen schweren psychischen Erkrankungen. Davon sind die Kinder nicht ausgenommen. Die Flüchtlingsunterkünfte bieten in der Regel nicht genügend Privatsphäre. Die Kinder leiden oft darunter, dass sie Schulkameraden nicht nach Hause einladen können. Das führt zu einer Verstärkung des psychischen Leids, zum Gefühl der Isolation. Kinder stellen sich die Frage: Bleiben wir jetzt hier oder müssen wir wieder in den Krieg zurück? Der unsichere Aufenthalt führt dazu, dass der Schulbesuch schwieriger wird: Man kann sich schlechter konzentrieren. Zudem haben wir in Köln eine Situation, in der psychische Erkrankungen nicht systematisch identifiziert werden. Viele werden nicht erkannt, geschweige denn, psychotherapeutisch behandelt. Das wirkt sich vor allem auf die Kinder aus.

Die Zukunft des Vereins: Noch mehr Hilfe für Unter-18-Jährige

Wir wollen uns in Zusammenhang mit dem Landesprojekt „Gemeinsam klappt’s“ noch um mehr junge Menschen kümmern. Sowohl die, die mit ihren Eltern hier leben, als auch um die unbegleiteten Minderjährigen. Bevor sie 18 Jahre alt werden und sie in das Landesprojekt überführt werden können, wollen wir ihre Integration erleichtern, sie in der Schule und bei der Ausbildung begleiten. Wir sind dabei, ein Konzept zu schreiben und müssen sehen, wie wir an die Finanzierung kommen.

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